V. Änderungen im Buchhandel: äußere Umstände und Einflüsse
In diesem Abschnitt geht es darum, einige literaturpolitische bzw. ideologische, volkswirtschaftliche und handelspolitische Voraussetzungen für die Entwicklung des Buchwesens in Österreich nach 1933 und bis zum Zeitpunkt des sog. „reichsdeutschen Buchdumpings“ im August 1935 zu skizzieren. Es sollen Verhaltensweisen gezeigt werden, die für die unterschiedlichen Interessen österreichischer Verlage, Schriftsteller und Sortimentsbuchhändler sowie Kultur- und Handelspolitiker symptomatisch waren und die es illusorisch machten, von ihnen gemeinsames wirtschaftliches und zugleich „ideologisches“ Handeln zu erwarten.
Fast traditionell kennzeichnend für das Verhältnis österreichischer Schriftsteller, Verleger und Buchhändler ist die Abhängigkeit vom reichsdeutschen Buchmarkt. Konkret finden die Entwicklungen nicht nur vor einem hochpolitischen, sondern auch vor einem tristen wirtschaftlichen Hintergrund statt. Im Bereich Buchhandel ist die Lage durch eine seit dem Jahre 1928 andauernde und kontinuierliche Stagnation in der deutschsprachigen Buchproduktion geprägt. Doch die spezifisch volkswirtschaftlichen Probleme, mit denen Österreich und Deutschland im Soge der weltweiten Wirtschaftskrise zu kämpfen hatten, waren vor dem Anbruch des Zeitalters der politisierten Kunst und Literatur rein wirtschaftlicher, teils handelspolitischer Natur, konnten aber in späteren Jahren von einem (subventionierten) Export der NS-Ideologie nicht ganz säuberlich getrennt werden. Wie dem auch sei, jede einseitige Veränderung, jedes Ereignis im Rahmen des Buchmarkts wirkte sich auf Österreich aus, da das prekäre Abhängigkeitsverhältnis hievon betroffen war. Eine devisenpolitische Maßnahme aus der Zeit vor den politischen Umwälzungen des Jahres 1933 zeigte dies deutlich und schneidet eine Anzahl von Fragen an, die in den folgenden Jahren aktuell bleiben werden.
Aber auch in umgekehrter Richtung gab es Probleme, wie aus einer raren Geste der Solidarität unter österreichischen Schriftstellerorganisationen ersichtlich ist. Kurze Zeit nach der SDSOe.-Eingabe richtete nämlich die literarische Sektion des „Gesamtverbandes schaffender Künstler Österreichs“, des 1927 gegründeten Dachverbands der meisten bedeutenden österreichischen Schriftsteller- und Künstlervereinigungen, eine diesbezügliche Eingabe sowohl an das Präsidium der österr. Nationalbank als auch an den Bundeskanzler Dr. Buresch.[2] Darin angeschnitten wurden eine ganze Reihe von maßgebenden Faktoren, die den Bücherverkehr im allgemeinen zwischen Deutschland und Österreich bestimmten und in Zukunft bestimmen sollten. Es wurde nämlich darauf hingewiesen,
daß durch die gegenwärtige Devisenverordnung und durch die daraus resultierende drohende Stillegung der Büchereinfuhr nach Österreich der österreichische Schriftsteller in höchstem Maße bedroht ist. Da die österreichischen Schriftsteller zu über 90% in Deutschland verlegt sind, würde schon eine Drosselung der Einfuhr dieser Bücher die materielle und geistige Existenz fast aller österreichischen Schriftsteller binnen kurzem vernichten. Die deutschen Verleger würden nach dem Verlust des österreichischen Absatzgebietes kaum mehr ein Werk eines österreichischen Schriftstellers erwerben. Das österreichische Verlagswesen hat viel zu geringe Mittel, um für den Mangel an Büchern aus reichsdeutschen Verlagen auch nur annähernd Ersatz bieten zu können und müßte ,sofort versiegen, falls Regressivmaßnahmen in Deutschland ansetzten.[3]
Die immer wieder anzutreffende Behauptung, daß österreichische Schriftsteller zu über 90 % in Deutschland verlegt wurden, scheint auf den ersten Blick zwar hoch gegriffen zu sein, läßt sich aber wohl leichter widerlegen als überprüfen. Denn wie konnte man „die österreichischen Schriftsteller“ so genau erfassen und quantifizieren? Die „Abhängigkeit“ steht dennoch außer Zweifel.
Die Angst vor Retorsionsmaßnahmen, die zu diesem Zeitpunkt aus wirtschaftlichen und nicht wie später aus ideologischen Erwägungen erfolgen konnten, war durchaus gerechtfertigt. Wir greifen kurz auf ein späteres Thema vor: Die Wiener Tageszeitung Das Echo berichtete z.B. im Oktober 1934 unter der Überschrift „Die österreichischen Autoren drohen mit Abwanderung“ von den obengeschilderten Problemen, nur diesmal unter umgekehrtem Vorzeichen. In Vorsprachen bei den maßgebenden Persönlichkeiten der Österr. Nationalbank wiesen sie auf die Devisenbeschränkungen der Auslandsstaaten, „die es ihnen (…) fast oder ganz unmöglich machen, ihre Tantiemen hereinzubekommen“.[4]
Natürlich konnte die Bank ihrerseits darauf hinweisen, daß sie kein Verschulden treffe und daß die Schwierigkeiten ausschließlich an der Handhabung der Gesetze im Ausland gelegen seien.
1. „Scheidung der Geister“
Das Jahr 1933 war ein Jahr des Umbruchs im gesamten deutschsprachigen Buchhandel. Diese große Veränderung hatte natürlich handfeste politische Gründe: Hitler kam an die Macht, bevor in Österreich das Parlament ausgeschaltet und sukzessiv autoritär regiert wurde. In Deutschland waren das sichtbarste Zeichen der neuen Zeit die im Mai veranstalteten Bücherverbrennungen, die zugleich den effektiven Beginn des „Reinigungswerks“, der Entfernung des „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, darstellten.[5] Auch der Buchhandel, allen voran der einflußreiche Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, begann sich im Sinne der NS-Schrifttumspolitik umzustellen.[6] Diese Entwicklungen führten naturgemäß zu grundlegenden Veränderungen in der literarischen Landschaft in Österreich – Veränderungen, die also zunächst nichts mit der Ausschaltung eines demokratisch gewählten Parlaments zu tun und sowohl ideologische als auch rein existenzielle Hintergründe hatten.
In diesem Jahr traten ganz besonders in der ohnehin nie sehr stark entwickelten Solidarität unter österreichischen Schriftstellern deutliche Risse auf, da es nun galt, einen zutiefst persönlich-politischen Standpunkt zu beziehen und zugleich sich dem reichsdeutschen Buchmarkt nicht zu versperren. Mittel- und Ausgangspunkt der wichtigsten Entwicklungen und Ereignisse 1933 in der literarischen Szene Österreichs war zweifelsohne die Spaltung der Autoren in Anhänger und Gegner des nationalsozialistischen Regimes, hervorgerufen durch die Ereignisse um den XI. Kongreß des International PEN, der Ende Mai 1933 im Jugoslawischen Ragusa (Dubrovnik) stattfand.[7]
Der internationale PEN-Club war 1921, der österreichische PEN-Club im Jahre 1923 durch die Schriftstellerin Grete v. Urbanitzky gegründet worden und konnte jahrelang bis 1933 das überpolitische Prinzip wahren. So gehörten ihm viele Schriftsteller an, die zugleich Mitglied anderer politisch oder ideologisch festgelegter Verbände waren. Das war insofern kein Widerspruch, als der PEN-Club keine Interessensvertretung war.
Ende Mai 1933 wurde das Überpolitische zu den Akten gelegt. Der Ragusa-Kongreß war das erste Treffen der internationalen PEN-Club-Delegationen nach den Bücherverbrennungen und dem Beginn der Verfolgung von Autoren und Intellektuellen im Nazi-Deutschland. Der erwartete Ausbruch der Schriftstellerwelt gegen den deutschen „Aufbruch“ erfolgte ziemlich vehement. Die „gleichgeschaltete“ deutsche Delegation aus dem PEN-Zentrum in Berlin, das seine Mitgliederreihen von „unerwünschten Elementen“ gesäubert hatte, war auf eine Konfrontation gefaßt, Sie verließ den Saal, „als im Zug der Debatte der Sekretär des englischen Pen-Klubs an die Deutschen die Frage richtete, was sie gegen Bücherverbrennungen und Verfolgungen unternommen hätten. Da konnten sie natürlich nichts sagen und gingen eben weg“ (Die Stunde, 1.6.1933, S. 5).
Österreich war auf diesem wichtigen Kongreß durch Grete v. Urbanitzky[8] und Felix Salten offiziell vertreten. Die übrigen österreichischen Schriftsteller, die zum Kongreß gekommen waren – und zu ihnen zählten in erster Linie jüdische und/oder linksliberale Autoren (Fr. Th. Csokor, Sonnenschein-Sonka, Paul Frischauer, Oskar Maurus Fontana) – konnten nach den Statuten des Pen-Klubs, wie sie das österreichische Präsidium auslegte, zum Hauptgegenstand der Debatte, nämlich einer Verurteilung des deutschen Regimes, nicht sprechen. Nach Ende des Kongresses wurde die Haltung der Österreicher in der entscheidenden Frage von einem Teil der heimischen Presse sehr hart angegriffen, und die Verantwortlichen wurden zur Rede gestellt. „Die offizielle österreichische Delegation, Salten und Frau Urbanitzky“[9] – so wurde kolportiert – „hatten von Wien die Weisung bekommen, an einer Debatte gegen Deutschland nicht teilzunehmen. Dies war auf Wunsch der hiesigen Nationalsozialisten und angeblich auch katholischer Schriftsteller geschehen, die sich wieder auf einen Wunsch der österreichischen Regierung beriefen. (…) Jedenfalls wollten Salten und Frau Urbanitzky den angedrohten Austritt dieser Mitglieder vermeiden.“ (Paul Stefan, Die Stunde, a.a.O.) Die Arbeiter-Zeitung schreibt in dies ein Zusammenhang von einem einstimmigen Beschluß vom Vorstand des Wiener Penklubs (3.6.1933, S. lf.).
Der Wiener Tag witterte in diesem Verhalten „Terror der Nazi-Literaten auf der Penklub-Tagung – die Österreicher mit den Deutschen solidarisch!“ (Schlagzeile, 28. 5. 1933) Noch wortgewaltiger fiel die Verurteilung der Haltung der offiziellen österreichischen Delegation in der Arbeiter-Zeitung aus: In Ragusa hätten „die anständigen europäischen Schriftsteller gegen die braune Barbarei protestiert und sich für die Freiheit des Wortes und des Geistes eingesetzt. (…) Anders die österreichische Delegation; geführt von dem Juden Salten, hat sie sich mit den Delegierten der Hitler-Barbarei solidarisch erklärt, hat sie den Anschluß an die Literaten-Lakaien des deutschen Fascismus vollzogen“ (28.5.1933, S. 6).
Anfang Juni 1933 meldete sich Felix Salten auf die harten Vorwürfe in einer Zuschrift an die Arbeiter-Zeitung zu Wort und meinte, nicht erklärt zu haben, daß die von ihm geführte Delegation mit der Hitler-Barbarei identisch sei: „Für die offiziellen österreichischen Delegierten war die Erwägung maßgebend (…), daß Österreich seit Jahrhunderten in Sprache, Dichtung und geistigem Streben mit Deutschland unauflöslich verbunden ist, und daß diese Verbundenheit über jede wechselnde politische Lage hinweg bestehen bleibt und bestehen bleiben muß.“ (3.6.1933, S. 2)
Ende Juni fand in Wien eine Generalversammlung des österreichischen Penklubs statt, die eine 6½stündige Debatte über die Vorgänge in Ragusa zum Inhalt hatte. Eine Spaltung durch Austritte „nationaler“ und „katholischer“ Schriftsteller zeichnete sich ab. Eine große Mehrheit in der Generalversammlung bewilligte nämlich eine Resolution der Opposition, die von Rudolf Jeremias Kreutz vorgebracht wurde.[10] Die Entschließung wandte sich gegen die Unterwerfung der Presse, des Rundfunks und des Verlagswesens, gegen Unterdrückung des Individuums sowie gegen Bücherverbrennungen und Verfolgungen. Darauf erklärte eine „an Zahl sehr schwache und ein wenig merkwürdig zusammengesetzte nationale Gruppe“ (Die Stunde, 3.12.1933) ihren Austritt aus dem österreichischen Penklub. In der Analyse von Paul Stefan, der nicht gerade der unbefangenste Beobachter war, sollte der österreichische Penklub somit gesprengt werden:
Das wurde in zäher Agitation von draußen her dadurch versucht, daß man alle erreichbaren ‚arischen’ Mitglieder mit nicht mißzuverstehenden Winken bearbeitete: ihr Absatz in Deutschland war bei weiterem Verbleiben im Penklub gefährdet, ja ihre vollständige Verfemung sicher.
Die Drohungen mit dem weiß Gott ein wenig anders gearteten deutschen Boykott haben es leider zuwege gebracht, daß eine ganze Reihe auch angesehener und keineswegs nationalsozialistisch gesinnter Schriftsteller ihren Austritt aus dem Penklub erklärt haben. (Die Stunde, 3. 12. 1933, S. 5)
Die nationalsozialistische Presse in Österreich, die 1933 eine kurze Blüte erlebte, leistete auch entsprechende Schützenhilfe: „Gründet die österreichische Gruppe des deutschen Pen-Klubs! Ein Zurück der nationalen Schriftsteller gibt es nicht mehr!“ – so lautete eine Überschrift in einer neuen Tageszeitung Ostmark, die von dem prominenten Wiener nationalsozialistischen Verleger Adolf Luser herausgegeben wurde (6.9.1933, S. 6). Die Mitgliederzahl wird auf etwa 180 geschätzt, und zwar „ungefähr 160 Juden und 20 Arier“. Dazu der Kommentar: „Vor dem Austritt der nationalen Schriftsteller war das Verhältnis also 160 Juden zu 40 Ariern, somit 4:1. So sieht der ‚österreichische’ Pen-Klub aus!“ (ebda.) Das Resümee des völkischen Kommentars: „Daher gibt es nur eines: Arische Schriftsteller Österreichs vereinigt euch!“ (ebda.) Tatsächlich gab es Versuche, eine solche Vereinigung zustandezubringen, aber diese mußten in Wirklichkeit scheitern. Erst der im November-Dezember 1936 gegründete nationale „Bund der deutschen Schriftsteller Österreichs“, um den eine Kontroverse entstand, ob der Verband einen Arierparagraphen hatte oder nicht, konnte sich einigermaßen behaupten.[11]
Auch die Berliner Börsen-Zeitung profilierte sich in der NS-Blickweise in Sachen Penklub-Verhältnisse in Österreich in ihrer Ausgabe vom 10. November 1933. Zur Spaltung heißt es da:
Der Austritt der deutschen Mitglieder nahm seinen Ausgang von einer deutschfeindlichen Resolution, die u.a. von Raoul Auernheimer, Franz Theodor Csokor, Paul Frischauer, Heinrich Eduard Jacob, R. J. Kreutz , Ernst Lissauer, Ernst und Rudolph Lothar, Emil Ludwig, Hans Müller und Robert Neumann unterzeichnet worden war. Aber die Protesterklärung der Schriftsteller, die sich zum neuen Deutschland bekannten, hatte zur Folge, daß die deutschen Schriftsteller in ihrem eigenen Lande von den Landfremden auf das wildeste beschimpft und verfolgt wurden. (…) Die deutschen Menschen werden von den landfremden Literaten des Landesverrats geziehen, wenn sie ihr Deutschtum gegen eine Herrschaft, die im Dienste des Auslandes steht, verteidigen. Aber der Tag des Erwachens wird auch in Österreich kommen. (zit. nach Börsenblatt, Nr. 267, 16. 11. 1933, S. 877)
Diese Glosse wurde noch weiter verbreitet, denn sie wurde vollinhaltlich im redaktionellen Teil des Börsenblatts abgedruckt, deckte sich somit offenbar mit der Meinung der Redaktion. Zu diesem Schluß kam jedenfalls Oskar Maurus Fontana im Namen des S.D.S.Oe., der im Unterschied zum S.D.S. im Deutschen Reich, der im Jahr 1933 aufgelöst worden war, noch weiterhin aktiv war. Fontana nahm vor allem an der Schlußpassage der Glosse Anstoß, denn sie war nichts anderes als ein Aufruf zum Boykott der Werke „deutschfeindlicher“ Schriftsteller in Österreich:
Viele von den oben genannten deutschfeindlichen österreichischen Schriftstellern sind aber noch heute mit ihren Büchern in deutschen Verlagen vertreten, sind in deutschen Buchhandlungen zu kaufen, werden von gedankenlosen deutschen Menschen gelesen. Fort mit ihnen aus Deutschland! Kein Deutscher darf sich hinfort noch mit ihnen abgeben! (Börsenblatt, a.a.O.)
Die Klassifizierung von österreichischen Schriftstellern, die dem Nationalsozialismus nicht ergeben waren, als „Deutschfeinde“ geschah in verschiedenen deutschen Zeitungen zu dieser Zeit. Und aus diesem Grund richtete O.M. Fontana im Namen des S.D.S.Oe. Anfang Dezember 1933 ein Schreiben an die Österreichische Gesandtschaft in Berlin, in dem es u.a. heißt:
Kein österreichischer Schriftsteller (…) hat sich gegen die deutsche Kultur vergangen; die deutsche Kultur kann darum keinen österreichischen Schriftsteller ausschließen. Der S.D.S.Ö. ersucht Sie verehrter Herr Gesandter, im Propagandaministerium, in der Reichsschrifttums-Kammer und in der Reichspresse-Kammer in diesem Sinne vorstellig zu werden und dahin zu wirken, daß solche Ächtungen, in welcher Form immer sie erfolgt sein mögen, aufgehoben werden. Anderseits darf erwartet werden, daß der von unverantwortlichen Personen eingeleitete und geführte Boykott österreichischer Schriftsteller in Deutschland ehestens zum Stillstand gebracht werde.[12]
Angesichts der Austritte aus dem Wiener Penklub wurde Anfang Dezember 1933 eine außerordentliche Generalversammlung abgehalten, bei der eine Neukonstituierung des Verbandes auf der Tagesordnung stand. Der Penklub selber war gegen seinen Willen ein Politikum geworden, und seine Erhaltung war gleichfalls eines. Die negative Propaganda, die auch außerhalb Österreichs (s.o.) verbreitet wurde, nämlich, daß die meisten Mitglieder ausgetreten und nur kärgliche Reste noch vorhanden seien, stimmte mit der Wirklichkeit allerdings nicht überein. Fontana und Robert Neumann konstatierten in ihren Berichten an die Generalversammlung,
daß zwar eine ganze Schar von Gleichschaltungsfanatikern von Berlin angezogen worden und eine noch größere Drohungen und Verleumdungen gegenüber vorläufig unsicher geworden ist, daß aber insgesamt nur 53 Mitglieder von 202 (von den 49 „Freunden des Pen-Klubs“, unterstützenden Mitgliedern, gar nur 9) dem Klub den Rücken gekehrt haben. (Die Stunde, 6.12.1933, S. 6)[13]
Die allgemeine Nervosität und Unsicherheit unter den österreichischen Schriftstellern, die sich in der Pen-Klub-Frage manifestierte, kam nicht von ungefähr. Das lag daran, daß die Schriftsteller über ihren Verlag aufgefordert wurden, Mitglied der RSK zu werden, und hier stand wiederum die Frage des wichtigen deutschen Absatzmarkts im Vordergrund.
2. Hitler-Eid für österreichische Schriftsteller?
Ohne diese Mitgliedschaft sei eine Publikationsmöglichkeit in Deutschland nach dem RKK-Gesetz nicht möglich. Außerdem hätten die Schriftsteller sich vorbehaltlos bereit zu erklären, „jederzeit für das deutsche Schrifttum im Sinne der nationalen Regierung einzutreten und den Anordnungen des Reichsführers des Reichsverbandes deutscher Schriftsteller in allen den Reichsverband deutscher Schriftsteller [RDS] betreffenden Angelegenheiten Folge zu leisten“ (ebda.).
Der Beitritt zur RSK war also an eine Erklärung gebunden, die einem Bekenntnis zum Nationalsozialismus gleichkam. Das störte zwar manchen österreichischen Autor nicht, andere aber sehr.
Aber auch das Argument „Absatz in Deutschland“ – siehe das Beispiel aus dem Jahr 1931! – wurde in Form einer kollegialen Drohung ins Spiel gebracht. In Österreich versuchte der RDS, jener Zwangsverband der ehemaligen freien deutschen Schriftsteller, eine Untergruppe aufzuziehen. Nur sind diese Bemühungen nicht gerade von Erfolg gekrönt gewesen: „Von 100 sorgfältig ausgesuchten ‚arisch-deutschen Kollegen’, klagt der Organisationsleiter Franz Löser,[15] sind nur etwa 30 Anmeldungen eingelaufen.“[16] Da der Zulauf österreichischer Schriftsteller so gering war, wurde mit Repressalien gedroht:
„Ich mache nochmals auf folgende Umstände der Richtlinien des RDS. aufmerksam. (…) In Zukunft wird die Mitgliedschaft zum RDS. dafür entscheidend sein, ob ein Schriftwerk in Deutschland verlegt werden kann oder nicht. Wer nicht Mitglied des RDS. ist, wird in Deutschland eben nicht mehr gehört werden. (…) Nur wer jetzt mitbaut, wird in der Folge ein Dach über dem Kopf haben und Schutz und Förderung genießen können. Und dies gilt besonders für die österreichischen Schriftsteller arischer Herkunft. Mag das Gesicht des künftigen Staates aussehen wie immer.“ (WAZ, 12.12.1933, S. 9)
Auch der Vorstand des als „links“ geltenden S.D.S.Oe. befaßte sich in einer Generalversammlung[17] am 12. Dezember 1933 mit der von der Wiener Allgemeinen Zeitung als „Hitler-Eid“ apostrophierten Zwangsmitgliedschaft. Es wurde dabei darauf hingewiesen, daß die RSK mit dem schweizerischen Schriftstellerverband[18] ein Abkommen getroffen hätte, wonach die Mitglieder dieses Verbandes der Kammer nicht beitreten mußten. Man sollte also glauben, daß die gleiche Regelung auch für Österreich gelten müßte. Es wurde also festgestellt, daß Ausländer nicht Mitglieder der RSK sein müssen, also auch österreichische Schriftsteller zum Beitritt nicht verhalten werden könnten. Festgehalten werden soll allerdings die Tatsache, daß die Aufforderung zum Beitritt zur RSK nicht von dieser selbst, sondern durch die deutschen Verleger, die dazu „ermuntert“ wurden, erfolgte.
In der NS-Zeitschrift Die Neue Literatur wurde die wachsende Sorge in einem Bericht aus Österreich von einem gewissen Manfred Jasser – heute ist er Freizeit-Mitarbeiter der Neuen Kronen Zeitung – aus völkischer Sicht kommentiert. Ausgehend von der Feststellung der Tageszeitung Die Stunde, daß selbstverständlich niemand etwas werde einwenden können, „wenn einzelne österreichische Schriftsteller sich mit der reichsdeutschen Organisation abfinden, sofern ihnen wirklich keine Bedingungen gestellt werden, die mit der österreichischen staatlichen Selbständigkeit unvereinbar sind“ (14.12.1933, S. 5), heißt es, daß „die Herren von der Stunde sich da Sorgen in der falschen Richtung machen“:
Denn die Frage ist nicht, ob sie sich anmelden sollen, sondern ob man sie aufnehmen wird. (…) Hiervon Terror und ‚aufgezwungenem Hitlereid’ zu reden ist Unsinn. Kein Mensch in Österreich kann zum Beitritt zu einem reichsdeutschen Verband gezwungen werden. Es handelt sich auch um keinen Boykott. Auch im Reich werden die Dilettanten und Lumpen aus dem Schrifttum entfernt. (…)
Es muß mit aller Klarheit gesagt werden: Es gibt kein österreichisches Schrifttum. Es gibt nur (abgesehen vom jüdischen) ein deutsches Schrifttum in Österreich. Und das ist eben ein Teil des gesamtdeutschen Schrifttums. Daran werden alle Unabhängigkeitserklärungen nichts ändern. (Heft 1, Januar 1934, S. 56)
Im nächsten Jahr werden die österreichischer, Verleger und Buchhändler sich in einem Dilemma finden. …
Anmerkungen
[1] Nach dem Bericht in DWT, Nr. 3034, So., 18.10.1931, S. 16.
[2] Versuche an verschiedenen Orten, diese Eingabe aufzufinden, verliefen ergebnislos.
[3] Zitiert nach der Darstellung im Anzeiger, 72. Jg., Nr. 50, 12. 12. 1931, S. 273.
[4] Das Echo (Wien), Jg. 1, Nr. 204, Mo., 22. 10. 1934, S. 3 Wie wir sehen werden, führte die reichsdeutsche Devisenausfuhrbeschränkung im Jahre 1937 dazu, daß eine Reihe österreichischer Verlage dadurch direkt gefährdet waren, da sie entweder lange auf den Erlös der verkauften Werke in Deutschland warten mußten oder gezwungen waren, auf die Ausfuhr überhaupt zu verzichten.
[5] Im Jahr 1983 erschien viel Spezialliteratur zu diesem Thema, darunter: ALFRED KANTOROWICZ, Politik und Literatur im Exil. Deutschsprachige Schriftsteller im Kampf gegen den Nationalsozialismus. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983 (Nr. 10110); GERHARD SAUDER (Hrsg.), Zum 10. Mai 1933. Die Bücherverbrennung. München: Carl Hanser Verlag, 1983; ULRICH WALBERER (Hrsg.), 10. Mai 1933. Bücherverbrennung in Deutschland und die Folgen Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1983 (Bd. 4245); ALFRED PFOSER und FRIEDRICH STADLER (Red.), Die verbrannten Bücher. 10.5.1983. Wien: Institut für Wissenschaft und Kunst, 1983 (= Schriftenreihe des Instituts für Wissenschaft und Kunst. Nummer 3). „Das war ein Vorspiel nur…“. Bücherverbrennung Deutschland 1933: Voraussetzungen und Folgen. Ausstellungskatalog Akademie der Künste, Berlin, 1983.
[6] Dazu u.a. GABRIELE KRÄMER-PRIEN, Der Buchhandel war immer deutsch. Das „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ vor und nach der Machtergreifung. In: 10. Mai 1933. Bücherverbrennung in Deutschland und die Folgen, zit. Anm. 5, S. 285-302.
[7] Seit der ersten Niederschrift dieser Arbeit ist so viel zu diesem Thema geschrieben und publiziert worden, daß wir hier versuchen müssen, dieser Literatur Rechnung zu tragen. Eine der ersten Analysen des Penklubkongresses aus österreichischer Sicht stammt von Hilde Spiel („Ragusa: Scheidung der Geister“). In: HILDE SPIEL (Hrsg.), Die zeitgenössische Literatur Österreichs. (Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren. Werke. Themen. Tendenzen seit 1945.) Zürich/München: Kindler Verlag, 1976, bes. S. 19 ff. GERHARD RENNER geht in seiner Wiener Dissertation aus dem Jahre 1981 in einem längeren Kapitel ausdrücklich auf „Das Jahr 1933 in Österreich“ näher ein, beschreibt einen ersten Versuch nationalsozialistischer Autoren in Österreich, sich vereinsmäßig zu organisieren (S. 16-24) und verfolgt den Ragusaer Kongreß mit dessen Nachspiel in Wien (G. R., Österreichische Schriftsteller und der Nationalsozialismus: Der „Bund der deutschen Schriftsteller Österreichs“ und der Aufbau der Reichsschrifttumskammer in der „Ostmark“. phil. Diss. Wien 1981), S. 25-58. KLAUS AMANN hat bereits eine Reihe von kleineren Studien zum Penkongreß und zur Spaltung des Wiener PEN-Klubs vorgelegt: Die literaturpolitischen Voraussetzungen und Hintergründe für den „Anschluß“ der österreichischen Literatur im Jahre 1938. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, 101. Band 1982, Zweites Heft, S. 216-244; Im Schatten der Bücherverbrennung. Österreichische Literatur und Nationalsozialismus. In: wespennest. zeitschrift für brauchbare texte und bilder, nr. 52, Literatur und Macht 1983, S. 16-25; Vorgeschichten. Kontinuitäten in der österreichischen Literatur von den 30er zu den 50er Jahren. In: Hannibalium, Hrsg. FRANZ SCHUH. Wien: Hannibal, 1983, S. 133- 148; bes. S. 135 ff. Amanns neuerschienene PEN-Klub-Monographie PEN Politik. Emigration. Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien: Böhlau, 1984 konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden.
[8] Zu ihrer Karriere nach dem Kongreß siehe: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation von JOSEPH WULF. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1966, S. 90 und die entsprechenden Ausführungen bei Renner und Amann.
[9] Siehe z.B. LUDWIG ULLMANNs Glosse: Nazi-Dank an Grete Urbanitzky. In: WAZ, 13. 12.1933, S. 5.
[10] Dazu der Bericht über den Kongreß in Die Neue Literatur, Heft 7, Juli 1933, S. 422f., und besonders die Passage: „Die Hetze gegen Deutschland wurde übrigens besonders von Autoren des jüdischen Wiener Verlages Zsolnay (Wells und Fabrizius) begünstigt und von einer Reihe jüdischer und judenfreundlicher Wiener Schriftsteller unterstützt. Korrekt benahmen sich die offiziellen Vertreter des Wiener PEN-Klubs, Felix Salten und Grete Urbanitzky.“ Renner geht hierauf ins Detail ein (S. 36 ff.).
[11] Vgl. RENNER, S. 160-205 und AMANN, S. 232 ff., beide zit. Anm. 7.
[12] Zitiert nach DWT, Nr. 3795, So., 10.12.1933, S. 6. Eine ähnliche Meldung erschien in Wiener Zeitung vom selben Tag, S. 4. Ein eigenwilliger Kommentar aus NS-Sicht zu diesem Schreiben erschien in Die Neue Literatur, Heft 1, Januar 1934, S. 56 von MANFRED JASSER. Zum Protest des S.D.S.Oe. wegen der Bücherverbrennung österreichischer Autoren im Mai siehe AMANN, zit. Anm. 7, S. 18 und RENNER, Hitler-Eid für österreichische Schriftsteller. In: KLAUS AMANN und ALBERT BERGER (Hrsg.): Die österreichische Literatur der dreißiger Jahre. Ideologische Verhältnisse–institutionelle Voraussetzungen – Fallstudien. (Erscheint 1984)
[13] Siehe auch „H.G. Wells an den österreichischen Pen-Klub“. In: DWT, Nr. 3791, Mi., 6.12.1933, S. 3.
[14] Zitiert nach WAZ, 12. 12. 1933, S. 9.
[15] Der nationale Autor, Löser, bevorzugte die völkischen Verlage in Österreich, wie z.B. den Verlag „Das Bergland-Buch“, den Augarten-Verlag und den Adolf Luser Verlag.
[16] Nach einem Bericht von PAUL WESTHEIM, Kollegiale Drohung gegen die österreichischen Schriftsteller. in: Das Neue Tage-Buch, Nr. 24, 9. 12. 1933, S. 577f. Teilabdruck in WAZ 12.12.1933, S. 9. Näheres zur Rolle Lösers, siehe RENNER, zit. Anm. 7, S. 68 ff.
[17] Dazu MURRAY G. HALL, Robert Musil und der Schutzverband deutscher Schriftsteller in Österreich. In: Österreich in Geschichte und Literatur, 21. Jg., Heft 4, Juli-August 1977, S. 202-221. Diese Arbeit stellt den bislang einzigen Versuch dar, die Geschichte dieses Verbandes in Österreich zu skizzieren. Erwähnung findet er bei ERNST FISCHER, Der „Schutzverband deutscher Schriftsteller“. 1909-1933. Archiv für Geschichte des Buchwesens, Band XXI, Lieferungen 1-3, Frankfurt/Main: Buchhändler-Vereinigung GmbH, 1980, Sp. 289-292. Bei der Generalversammlung vom 12. 12. 1933, der eine Vorstandssitzung am 7. Dezember vorausgegangen war, beschloß die Mehrheit der Mitglieder gegen den Protest von Josef Luitpold Stern (Mitglied des erweiterten Vorstands) und Hugo Sonnenschein-Sonka (ehemaliger, langjähriger Geschäftsführer) eine Statutenänderung, deren Motivation nicht ganz ersichtlich ist. Diese bestand darin, daß in Hinkunft die Funktionäre des Verbands, d.h. Vorstandsmitglieder, österreichische Staatsbürger sein mußten. Möglich ist, daß die Änderung gegen Sonnenschein oder „linke“ reichsdeutsche Exilanten gerichtet war. Die Änderung bedeutete aber weder, daß Schriftsteller nicht österreichischer Staatsbürgerschaft aus dem Vorstand ausgeschlossen würden, noch daß die gewählten Funktionäre nicht nach wie vor das Recht hätten, ausländische Schriftsteller in den Vorstand zu kooptieren. Begründet wurde dieser Schritt mit der Feststellung, „daß die Verantwortung für einen österreichischen Verein gemäß dem Gesetz von österreichischen Funktionären getragen werden muß.“ (WAZ, 13.12.1933, S. 4; s. auch DWT, 13.12.1933, S. 3.)
[18] Trotz der verbalen Beteuerung der kulturellen Eigenständigkeit als Komponente ständestaatlicher Politik konnte nur die Schweiz in diesem und anderen Fällen beweisen, daß sie fähig war, in entscheidenden Fragen sie auch tatsächlich zu bewahren.
[19] Anzeiger, 74. Jg., Nr. 43, 16. 12. 1933, S. 1. Dazu auch die Bekanntmachung betr. Mitgliedschaft der RSK im Börsenblatt, 100. Jg., Nr. 280, 2.12.1933, S. 927: „(…) Buchhändler, die bereits Mitglied des Börsenvereins sind, brauchen sich selbstverständlich nicht nochmals besonders zu melden.“