IX. Das Juli-Abkommen 1936

 IX. Das Juli-Abkommen 1936: Beginn des kulturellen „Anschlusses“?

1. Vorgeschichte

Bis 1933 gab es zwischen Österreich und Deutschland einen regen, unbehinderten Kulturverkehr. So wurden z.B. österreichische Zeitungen und Bücher ohne politisch-ideologische Hindernisse exportiert und umgekehrt reichsdeutsche Presse- und Verlagserzeugnisse importiert. 1933 trat ein Bruch ein. Es wurde in beiden Ländern die „Opposition“ sukzessiv ausgeschaltet, und im Deutschen Reich wurden durch die Errichtung von Einzelfachkammern mit Zwangsmitgliedschaft einschließlich Zwangsgesinnung Presse- und Verlagswesen zentral gelenkt. Im Juni 1933 war bekanntlich mit dem Verbot der NSDAP in Österreich der Verkauf und die Verbreitung von reichsdeutschen Presseerzeugnissen unter Strafe gestellt. Obwohl auch österreichische Publikationen betroffen waren – man denke an die Zeitungen – , stammten diese Erzeugnisse so gut wie ausschließlich aus dem Deutschen Reich, und somit war das österreichische Verbot de facto gegen Nazi-Deutschland gerichtet. Anders der Natur nach die Verbote in Deutschland, die den Kriterien nach Bücher österreichischer Schriftsteller bzw. Werke österreichischer Verlage betrafen, nicht aber österreichische Autoren oder Verlagswerke schlechthin.

Wie wir bereits gesehen haben, erreichte die Bücherproduktion in Deutschland wie in Österreich ihren Tiefpunkt im folgenden Jahr, also 1934. 1935 zeigte sich ein leichter Aufwärtstrend, aber auch unter Berücksichtigung anderer Marktfaktoren (wirtschaftliche Lage usw.) war nicht zu übersehen, daß die Ausschaltung des als „unerwünscht“ und „schädlich“ apostrophierten Schrifttums und die Förderung von Werken nationalsozialistischen Geistes nicht zur erwünschten Ankurbelung des Absatzes führten. So wurde die Idee geboren, die Exportförderung auch auf Bücher auszudehnen. Wie das Buchdumping funktionierte, haben wir bereits erläutert.

Inzwischen waren in Österreich mehrere hundert reichsdeutsche Bücher, Broschüren, Flugschriften, Kalender usw. auf Grund des Bundesgesetzes vom Juni 1933 (NSDAP) verboten worden.

Ungefähr zur gleichen Zeit, d.h. im Sommer 1935, als man über die 25%ige Preissenkung in Österreich für reichsdeutsche Verlagserzeugnisse verhandelte, war in Wien bekannt geworden, daß der deutsche Gesandte in Wien, Franz von Papen, der Regierung Schuschnigg Vorschläge gemacht hatte, die zu einer Verständigung zwischen Deutschland und Österreich führen sollten. Diese Vorschläge im Auftrage Hitlers enthielten im wesentlichen dieselben Bestimmungen, die ein Jahr später Teile des Juli-Abkommens und/oder des sog. „Gentlemen-Agreement“ werden sollten. Das Angebot umfaßte einen „Nichtangriffspakt“ für die Dauer von zehn Jahren, Aufhebung der sog. „Tausendmarksperre“, Begünstigungen für Österreich für seinen Export nach Deutschland und Meistbegünstigung in allen Clearingabkommen.

In dieser „persönlichen Studie“ zur Frage der Entspannung, die von Papen dem damaligen Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten, Berger-Waldenegg, am 11. Juli 1935 übermittelte, sollte, was die Presse betrifft, folgendes zwischen beiden Ländern vereinbart werden:

a) Sämtliche für die Bildung der öffentlichen Meinung maßgeblichen Faktoren beider Länder sollen der Aufgabe dienen, die gegenseitigen Beziehungen wieder normal und freundschaftlich zu gestalten. Beide Teile werden daher mit allem Nachdruck ihre Presse in dem Sinne beeinflussen, daß etwaige Empfindlichkeiten der Gegenseite in jeder Weise zu berücksichtigen und zu schonen sind und ferner, nach der positiven Seite hin, Verständnis für ein friedliches, die gesamtdeutschen Interessen förderndes freundnachbarliches Zusammenleben zu wecken ist.[1]

Auch sollte Österreich zusagen, „hinsichtlich der Emigrantenpresse Schritte zu unternehmen, die sich aus dem Sinn und Inhalt der gegenwärtigen Vereinbarung ergeben“. (ebda.) Aber nicht nur im Bereich der Presse sollte Österreich nach von Papens Vorstellungen auf den deutschen Kurs schwenken und diese somit „gleichschalten“. Auch auf dem Gebiet des Funkwesens und der Programmgestaltung der Theater in beiden Ländern sollte in beiderseitiger Übereinstimmung vorgegangen werden, was einen nicht geringen Eingriff in die in Österreich ohnehin nur bedingt herrschende journalistische und künstlerische Freiheit bedeutet hätte. Eine Zusage in diesen Punkten hätte den sofortigen kulturellen „Anschluß“ und die sofortige Aufgabe jeglicher Eigenständigkeit zur Folge gehabt.

Von Papen regte schon im Juli 1935 „die generelle Aufhebung sämtlicher von beiden Seiten ausgesprochener Zeitungsverbote“ (ebda.) an, die ehebaldigst in Aussicht genommen werden sollte. „Zwecks Vorbereitung dieses Zustandes“ sollte die österreichische Regierung eine Reihe von deutschen, die deutsche Regierung eine Reihe von verbotenen österreichischen Zeitungen zur Verbreitung wieder zulassen. Von der Aufhebung von Bücherverboten ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede gewesen.

Die Situation auf der Zeitungsfront hatte sich durch das fortwährende Hick-Hack zwischen reichsdeutschen und österreichischen Zeitungen wesentlich verschlechtert. Selbst das „Presseübereinkommen“, das von Papen und Berger-Waldenegg Ende August 1935 in Form eines vereinbarten Kommuniqués geschlossen worden war, wurde deshalb auch als nicht mehr in Kraft stehend bezeichnet. Umso dringender müßte eine Regelung der Pressefrage erschienen sein.

Ein „Referentenentwurf“ des österreichischen Bundesministers bildete so dann die zweite Phase der „Entspannungsbesprechungen“. Dieser österreichische Gegenentwurf zur zitierten „persönlichen Studie“ Papens wurde dem deutschen Gesandten am 1. Oktober 1935 übermittelt. Er zeigt, daß die österreichische Regierung keineswegs bereit oder gewillt war, derart schwere Eingriffe in das heimische Pressewesen zu gestatten. Statt dessen war man österreichischerseits zu einer Vereinbarung bereit, nach der

beide Teile (…) auf die Presse ihres Landes in dem Sinne Einfluß nehmen [werden], daß sie sich jeder politischen Einwirkung auf die Verhältnisse im anderen Lande enthalte und ihre sachliche Kritik an den Verhältnissen im anderen Lande auf ein Maß beschränke, das auf die Öffentlichkeit des anderen Landes nicht verletzend wirke. Diese Verpflichtung bezieht sich auch auf die Emigrantenpresse in beiden Ländern. Seitens beider Teile wird der allmähliche Abbau der Verbote hinsichtlich des Importes der Zeitungen und Druckerzeugnisse des anderen Teiles, nach Maßgabe der jeweils durch dieses Übereinkommen erzielten Entspannung im gegenseitigen Verhältnis, in Aussicht genommen. (ebda., S. 478)

Somit wurde von Österreich indirekt die Frage des Bücherverkehrs („Druckerzeugnisse“) erstmal ins Spiel gebracht. Aber auch im Bereich Funk-, Film-, Nachrichten- und Theaterwesen bestand keine Bereitschaft, dieses mit Deutschland gleichzuschalten. Es sollten sich lediglich beide Teile verpflichten, in diesen Belangen „sogleich von jeder aggressiven Verwendung gegen den anderen Teil (…) Abstand zu nehmen“.

Die beiderseitigen Zusagen bzw. Konzessionen waren klarerweise keineswegs gleichen Gewichts. Die zentrale Lenkung der Presse war in Deutschland bereits ein Zustand, ein Zustand, der in Österreich – trotz der drastisch eingeschränkten Pressefreiheit und Ausschaltung einer regierungsoppositionellen Presse – erst geschaffen werden mußte. Und trotz „Presseübereinkommen“ gab es Entgleisungen in gewissen Wiener Boulevardzeitungen, über die man in der Regierung keineswegs glücklich war. Zahlenmäßig standen sie jedoch in keinem Verhältnis zu den Entgleisungen reichsdeutscher Zeitungen.

Als am 20. Juni 1936 Gesandter von Papen dem österreichischen Bundeskanzler den Entwurf eines Übereinkommens zukommen ließ, trat die Regelung von Bücher- und Pressefragen, die sich im allgemeinen auf die vorjährigen Studien stützte, in ein konkretes Stadium.

Was die Vereinbarung über „Presse“ betrifft, so blieb der Passus dem österreichischen Gegenentwurf vom 1. Oktober 1935 völlig gleich. Aber erst in den Einzelabmachungen des auf reichsdeutschen Wunsch geheimzuhaltenden „Gentlemen-Agreement“, das Hitler und Schuschnigg am 11. Juli 1936 in München unterzeichneten, ist ausdrücklich von Büchern die Rede. Unter Punkt 11 des „Gentlemen-Agreement“ (Gegenseitige kulturelle Beziehungen) wird also folgendes vereinbart:

Sämtliche für die Bildung der öffentlichen Meinung maßgeblichen Faktoren beider Länder sollen der Aufgabe dienen, die gegenseitigen Beziehungen wieder normal und freundschaftlich zu gestalten. Aus dem Gedanken der Zugehörigkeit beider Staaten zum deutschen Kulturkreise verpflichten sich beide Teile, sogleich von jeder aggressiven Verwendung im Funk-, Film-, Nachrichten- und Theaterwesen gegen den anderen Teil Abstand zu nehmen. Ein schrittweiser Abbau der gegenwärtig bestehenden Behinderungen im Austauschverkehr wird auf Grund vollkommenen Reziprozität in Aussicht genommen. Bezüglich des Absatzes von Werken beiderseitiger Autoren auf dem Gebiete des anderen Teiles werden – insoweit sie den Gesetzen des Bezugslandes entsprechen – alle Behinderungen beseitigt. (ebda., S. 480)

Da die Presse mit der Bücherfrage stets verquickt war, wäre es interessant festzuhalten, welche sofortige Wirkung das „Gentlemen-Agreement“ vom 11. Juli 1936 in dieser Angelegenheit eigentlich hatte. Die österreichische Regierung erklärte sich bereit, nachstehende in Deutschland erscheinenden Zeitungen zur Einfuhr bzw. Verbreitung in Österreich zuzulassen:

Berliner Börsen-Zeitung
Berliner Tageblatt
Deutsche Allgemeine Zeitung
Leipziger Neueste Nachrichten
Essener National-Zeitung

Deutscherseits erklärte man sich bereit, folgende, bislang im Deutschen Reich verbotenen österreichischen Blätter wieder zuzulassen:

Amtliche Wiener Zeitung
Neues Wiener Journal
Volkszeitung
Grazer Tagespost
Linzer Tagespost

In der Liste der wiederzugelassenen deutschen Zeitungen fällt eine Zeitung durch ihre Abwesenheit auf, nämlich der Völkische Beobachter. Dieser blieb vom (legalen) Vertrieb in Österreich ausgeschlossen. Dazu erzählt der damalige Bundeskanzler Kurt Schuschnigg im Jahre 1947:

Dieser von uns geforderte Ausschluß des „Völkischen Beobachters“ war der Grund, warum wir die „Essener Nationalzeitung“ zulassen mußten, was ohne Kenntnis dieses Grundes im In- und Ausland niemand verstanden hat. (ebda., S. 593 f.)

En passant kann man anfügen, daß die Essener National-Zeitung in ihrer geifernden Nazi-Tonart für den Völkischen Beobachter ein durchaus gleichwertiger Ersatz war, der zu wiederholten Malen bis 1938 Anlaß zu Protesten der österreichischen Presse gab, die ein neuerliches Verbot verlangte.

Der eine Satz zur Frage Bücherabsatz im Gentlemen-Agreement war so allgemein und unverbindlich formuliert, daß er nur als Basis für weitere Verhandlungen verstanden werden konnte. Die „Beseitigung“ von „allen Behinderungen“, die nicht näher spezifiziert wurden, wurde wiederum davon abhängig gemacht, daß die Werke den „Gesetzen des Bezugslandes“ entsprachen. Es drängt sich die Frage auf, was da für ein Verhandlungsspielraum übrigblieb. Scheinbar keiner. „Behinderung“ war zu diesem Zeitpunkt noch vorwiegend mit „Verbreitungsverbot“ synonym.

2. Erste Verhandlungen in Wien

Zwecks der Besprechung über die Durchführung gewisser Einzelfragen aus dem Abkommen vom 11. Juli 1936 kam es zunächst am 21. Juli zu einer Unterredung des Bundeskanzlers Schuschnigg und des soeben ernannten Staatssekretärs für Auswärtige Angelegenheiten, Dr. Guido Schmidt, mit dem deutschen Gesandten von Papen in Wien. Die Bücherfrage ist – nach dem Protokoll zu schließen – noch nicht angeschnitten worden, wohl weil es eine Reihe von Separatabmachungen gab, wie z.B. (Regelung der) Behandlung der Reichsdeutschen in Österreich, die Emigrantenfrage, Hoheitszeichen und Nationalhymnen, wirtschaftliche Beziehungen, Reiseverkehr, Außenpolitik usw., deren Regelung vordringlicher war.

Am nächsten Tag fand im Bundeskanzleramt (Ausw. Angelegenheiten) eine interministerielle Besprechung unter dem Vorsitz von Dr. Guido Schmidt statt, an der u.a. Vertreter des Unterrichts-Ministeriums (Dr. Wilhelm Wolf), des BMfHuV, des Bundespressedienstes (Ges. Eduard Ludwig), der Vaterländischen Front, des Außenamtes sowie Oberst Walter Adam, Leiter des Bundeskommissariats für Heimatdienst, teilnahmen. Im Hinblick auf die Durchführung des österreichisch-deutschen Abkommens wurden vier Fragen behandelt: 1) Filmfragen 2) Theaterwesen 3) Schrifttum und 4) Bildende Kunst.

Aus Sachgründen befassen wir uns hier ausschließlich mit der Frage „Schrifttum“. Zunächst eine vollständige Wiedergabe des diesbezüglichen Protokolls:

Der Staatssekretär bemerkte einleitend, daß hier eine Scheidung zwischen politischem und belletristischem Schrifttum stattfinden müsse und er mit Papen dahin einig sei, daß politisches Schrifttum nach Möglichkeit ausgeschaltet werden soll. Es entspann sich sodann eine Diskussion über die Frage der Behandlung der bisher zugelassenen anti-nazistischen Bücher und der künftigen Behandlungen ähnlicher Produkte. Hierzu bemerkte Gesandter Ludwig, daß es sich da größtenteils nicht um österreichische Produktion, sondern um politische Bücher französischer, englischer und auch italienischer Produktion handle, die vom österreichischen Markt auszuschließen die schwersten Repressalien in den erwähnten Ländern hervorrufen könnte. Eine Erleichterung biete die Tatsache, daß ja in Österreich an sich der Bücherabsatz ein äußerst beschränkter sei. Oberst Adam brachte hierauf die an ihn gerichtete Anfrage eines Schweizer Verlages wegen Neuauflage gewisser in Österreich zugelassener anti-nazistischer Bücher (insbesondere Konrad Heiden) vor. Der Herr Staatssekretär stellt hierauf fest, daß alles was bisher in Österreich zugelassen war, auch in Hinkunft nicht aus dem Verkehr gezogen werden könne, es sich daher bloß darum handeln könne, auf solche Anfragen zu antworten, daß in Hinkunft Invektiven gegen deutsche Regierungsmitglieder und verletzende kritische Darstellungen enthaltende politische Bücher zum Vertrieb in Österreich nicht garantiert zugelassen werden könnten. Ausgeschlossen bleibt selbstverständlich auch in Hinkunft alles was der nationalsozialistischen Ideologie dient. Anderseits müßten in Österreich solche Bücher zugelassen werden, die der Stützung unserer Ideologie gegen den Nationalsozialismus dienen sollen. Berührt wurden ferner noch Einzelfragen, wie antisemitische Schriften und dgl. Schließlich wurde festgestellt, daß auch bezüglich der Zulassung zur Verbreitung sowohl politischer als auch belletristischer Bücher die bisherigen Gesichtspunkte aufrecht zu bleiben hätten, zumal eine Bücherzensur nicht nur rechtlich nicht besteht und nicht eingeführt werden könnte, sondern auch in Praxis mangels des Apparates kaum in Erwägung gezogen werden kann. Es wird daher auch in Zukunft dabei bleiben, daß die unserer Weltanschauung abträglichen Produkte politischer wie belletristischer Natur von Fall zu Fall gewissenhaft durch die bisher berufenen Stellen d.i. Generaldirektion GD 2, Pressepolizei der Bundespolizeidirektion Wien, Bundespressedienst und Abteilung 13 pol. geprüft und gegebenenfalls vom Vertrieb ausgeschlossen werden können.[2]

Das Protokoll ist in mancher Hinsicht höchst interessant: die hier erörterten Standpunkte stehen in Widerspruch zu zeitgenössischen und heutigen Ansichten über die Politik, die die österreichische Regierung damals hinsichtlich der Bücherverbote betrieb.[3] Das ist weder eine Verklärung noch eine Verteidigung, sondern bloß die Feststellung einer Tatsache. Freilich war in dieser Klärung so manches Ungereimte, wie etwa die Zulassung von Werken, die sich gegen den Nationalsozialismus richteten. Vieles von dem war schon längst verboten worden! Bemerkenswert ist an dieser Festlegung der österreichischen Marschroute vieles mehr. „Politisches Schrifttum“ sollte zwar nach Möglichkeit ausgeschaltet werden, aber diese Zielvorstellung blieb utopisch, denn – wir eilen den Ereignissen voraus – auf belletristisches Schrifttum kam man in den folgenden 1½ Jahren kein einziges Mal zu sprechen! Aus dem Protokoll geht hervor, daß man in Österreich über keinen großangelegten Zensurapparat verfügte und daß man ganz im Gegensatz zum Dritten Reich eine Ad-hoc-Vorgangsweise pflegte, nach der Druckwerke „von Fall zu Fall“ geprüft wurden. Mehr zur Verbotspraxis an späterer Stelle.

3. Geburt des Ausschusses für kulturelle Angelegenheiten zwischen Deutschland und Österreich

Wie der Passus im „Gentlemen-Agreement“ betreffend Beseitigung der Behinderungen im Bücherverkehr ließen auch die Standpunkte, die nun bei der interministeriellen Besprechung festgelegt wurden, nicht allzuviel Spielraum offen. Sie brachten die österreichische Seite einer praktischen Durchführung dieser Einzelfrage keineswegs näher.

Die Deutsche Gesandtschaft und Gesandter Papen erwiesen sich als die treibende Kraft hinter der Durchführung und brachten die österreichische Seite des öfteren in Zugzwang. Am 23. September 1936 übermittelte die Deutsche Gesandtschaft ein Verbalnote an das BKA (AA), um die praktische Durchführung endlich in die Wege zu leiten. Es wurde folgender Vorschlag gemacht:

Beide Regierungen lassen vollständige Listen der im Gebiete des anderen Teiles erschienenen und im eigenen Gebiete verbotenen Literatur herstellen. Auf Grund dieser gegenseitig auszutauschenden Listen würden sodann Verhandlungen über den reziproken Abbau der Bücherverbote aufzunehmen sein. Diese Verhandlungen wären zweckmäßigerweise zwischen den Vertretern der beiderseits zuständigen inneren Behörden unmittelbar zu führen.

Die Deutsche Gesandtschaft wird gleichzeitig an die zuständige deutsche Behörde mit der Bitte um Anfertigung der deutschen Verbotsliste herantreten. Sie wäre dankbar, wenn das Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, den Vorschlag im Benehmen mit den zuständigen inneren Behörden prüfen und bei positiver Stellungnahme die Aufstellung der erwähnten Verbotsliste sogleich veranlassen wollte. Für eine möglichst baldige Mitteilung über die dortige Entscheidung wäre die Deutsche Gesandtschaft zu Dank verbunden.

Wien, den 23. September 1936.[4]

Den Anfang der „Normalisierung“ des Bücherverkehrs sollten also der Austausch von Verbotslisten und Verhandlungen über den reziproken Abbau der Verbote machen. Die reichsdeutsche Vorstellung kam den österreichischen Behörden höchst ungelegen, vor allem in Hinblick auf die administrativen Schwierigkeiten, die damit verbunden waren. Die internen Reaktionen auf den Vorschlag der Deutschen Gesandtschaft betreffend verbotener Literatur gewähren uns einen aufschlußreichen Einblick in die Mechanik der Verbote. Sie zeigen, wie wenig der „Apparat“ auf die deutsche Anregung vorbereitet war und wieso die österreichischen Behörden die causa ausgesprochen „dilatorisch“ behandelten.

„Listen-Führer“ in Sachen verbotener Druckwerke in Österreich war, wie bereits angeführt, die Bundes-Polizeidirektion Wien (Preßbüro). Von ihr stammten die zwei betreffenden Listen von Büchern, die von der Verbreitung in Österreich ausgeschlossen waren und in Deutschland erschienen: die Liste 1 (verbotene Propagandatätigkeit für die NSDAP) und die Liste der wegen des „Traditionsschutzgesetzes“ verbotenen Bücher. (Von diesen waren nicht alle reichsdeutschen Ursprungs!) Auf dem Einsichtsweg wurde der langjährige Leiter (bis Anfang Jänner 1937) des staatlichen Bundespressedienstes, Eduard Ludwig, um eine Stellungnahme zum deutschen Vorschlag gebeten. Dazu Ludwig:

(…) Zu bemerken ist, daß nur der geringste Teil der im Verzeichnis angeführten Bücher bei der Polizeidirektion Wien vorhanden ist, da folgende Praxis geübt wird: Die Zollämter übermitteln Bücher, die ihnen bedenklich erscheinen, dem Pressbüro der Polizeidirektion Wien. Dort werden die Druckwerke gelesen, die inkriminierten Stellen durch Einlegen von Papierstreifen kenntlich gemacht. Es erfolgt dann durch die Polizeidirektion selbständig, oder im Einvernehmen mit den maßgeblichen Stellen des Bundeskanzleramtes entweder eine Freigabe oder die Erlassung eines Verbreitungsverbotes. Das Exemplar wird zurückgestellt und bei Verhängung eines Verbreitungsverbotes die gesamte Sendung mit dem Belegexemplar wieder ins Ausland zurückgeschickt, damit der Buchhandel keinerlei Schädigung erleidet. Es wäre zu bemerken, daß die Handhabung der Verbreitungsverbote sehr vorsichtig geschah, so daß von den vielen hundert Verboten nach Beschaffung der Werke und neuerlicher Durchsicht – was einen ziemlichen Aufwand an Zeit beanspruchen würde – nur sehr wenige Verbote aufgehoben werden könnten.

Als gangbar erwiese sich der Weg, daß von deutscher Seite in jedem einzelnen Fall ein Antrag auf die Aufhebung eines bestimmten verbotenen Werkes gestellt würde, so daß die rein technische Manipulation sich wesentlich erleichtern würde, zumal an der Verbreitung sicherlich zahlreicher Werke heute vielleicht kein Interesse mehr besteht.

Wien, am 8. Oktober 1936.

Ludwig[5]

Fazit des Vermerks: es lohne sich nicht, wieder von vorne mit der neuerlichen Prüfung aller bereits verbotenen Werke anzufangen. Die Deutschen sollten Anträge auf Wiederzulassung einzelner Werke stellen. Auch das Staatspolizeiliche Büro der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit wurde von Abt. 13 pol. des BKA um eine Stellungnahme gebeten,

gegebenenfalls die erforderlich erscheinenden Veranlassungen zu treffen und die der Deutschen Gesandtschaft zu erteilende Antwort hierher bekanntgeben zu wollen. Beigefügt wird, daß nach h.o. Beurteilung der Sachlage auf den Vorschlag der Deutschen Gesandtschaft eingegangen werden könnte und daß daher Dr. Sobek vom h.o. Bundespressedienst bereits angewiesen wurde, sich behufs Aufstellung eines kleinen Komitees zwecks Anfertigung der in Frage kommenden Liste mit dem Staatspolizeilichen Büro persönlich in Verbindung zu setzen.

Der Generalsekretär:[6]

Die Abteilung GD 2 im Einvernehmen mit dem Staatspolizeilichen Büro war allerdings der Meinung, „daß die Anregungen der Gesandtschaft in der vorliegenden Form keine geeignete Grundlage für die weitere Behandlung der Frage bilden können“.[7] Hier der vollständige Wortlaut der weiteren Stellungnahme:

Vor allem ist darauf zu verweisen, daß Verbote im eigentlichen Sinn des Wortes von den verhältnismäßig nicht häufigen Fällen der Anwendung des Gesetzes BGBl. Nr. 214/35 [„Schutz des Ansehens Österreichs“] abgesehen – für Bücher überhaupt nicht erlassen wurden, da sich alle derartigen Gesetze nur auf Zeitungen beziehen.

Die Unterdrückung der Propagandaliteratur ist vielmehr in der Weise erfolgt, daß bei der Bundespolizeidirektion Wien eine Evidenz solcher Werke geführt wird, in welche sowohl beschlagnahmte als auch solche Bücher aufgenommen wurden, die auf Grund einer nach Vorlage aus Interessentenkreisen vorgenommenen Prüfung als ungeeignet befunden wurden. Ein großer Teil dieser Bücher steht überhaupt nicht zur Verfügung, da sie nach Klassifizierung durch die Polizeidirektion seitens der Firmen nach Deutschland rückgesendet wurden.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die erwähnte Evidenz überhaupt keine Grundlage für die Amtierung eines Komitees bilden kann, da – abgesehen von der überdies kaum möglichen Überprüfung einer derartigen Anzahl von Büchern – auch die beanstandeten Stellen naturgemäß nicht vorgemerkt werden konnten und daher eine neuerliche vollständige Durchsicht erforderlich wäre.

Die Abteilung GD 2 hält eine neuerliche Prüfung dieser Werke auch aus dem Grunde für durchaus entbehrlich, da eine Zulassung des allergrößten Teiles derselben aus staatspolizeilichen Gründen nicht in Betracht kommt und ersucht daher die Angelegenheit dilatorisch zu behandeln.

Allenfalls könnte eine Intervention der deutschen Gesandtschaft um Zulassung einzelner Werke in Behandlung gezogen werden. Hiebei hätte die Gesandtschaft jedoch unbedingt mindestens ein Belegexemplar des betreffenden Buches anzuschließen.

12. Oktober 1936.

Pfeifer.

Die Angelegenheit wurde – im Sinne Pfeifers – wahrhaftig, wie es in der Diplomatensprache heißt – „dilatorisch“ behandelt. Man spielte den Ball zunächst intern an die Deutschen zurück, indem man die Zulassung einzelner Werke in Aussicht stellte, die neuerliche Behandlung von der Übermittlung von mindestens einem Belegexemplar abhängig machte. Und daran sollte es – aus deutscher Sicht – auch nicht scheitern! Nur erfuhr sie vorerst nichts davon.

Man gewann fast auf den Tag genau acht Monate Zeit, und diese auf Zeitgewinn ausgerichtete Politik entsprach den Vorstellungen Schuschniggs, wie er sie im Hochverratsprozeß 1947 erläuterte. Im Juni 1937 beehrte sich die Gesandtschaft in Wien, mehrere Kisten (!) mit Belegexemplaren der in der Liste 1 der in Österreich verbotenen reichsdeutschen Bücher, Kalender usw., deren Verbreitungsverbot aufgehoben werden sollte, zu übermitteln. Am 12. Juni wurden die Kisten vom BKA (AA), wohin sie zuerst geliefert worden waren, zur Generaldirektion transportiert. Dort blieben sie nicht lange liegen, da das Büro keinesfalls in der Lage war, die Bücher durchzusehen. Endstation für diese Kisten war letztlich das Preßbüro der Polizeidirektion Wien. Aber wir eilen den Ereignissen gewissermaßen voraus.

Auch das Außenamt nahm in einem (nicht datierten) Aktenvermerk zum deutschen Vorschlag Stellung, der im wesentlichen die Ausführungen in den beiden zitierten Vermerken übernahm: ein Entsprechen würde „eine praktisch undurchführbare neuerliche vollständige Durchsicht der beanstandeten Bücher, deren Zahl weit über 600 beträgt, erforderlich“ machen.[8] Im übrigen wäre, da die Verbote ja auf Grund von Gesetzen ausgesprochen wurden, kaum ein anderes Ergebnis zu erwarten.[9]

Die österreichischen Behörden gingen derart „dilatorisch“ vor, daß die Deutsche Gesandtschaft sich in einer Verbalnote (A. 5740/II.) am 7. November 1936 beehren mußte, die Frage des reziproken Abbaus der gegenseitig bestehenden Bücherverbote „in Erinnerung zu bringen“. Sie war auch geneigt, „als Zeitpunkt für die zwischen den beiderseitigen Ressortvertretern aufzunehmenden Verhandlungen die mit dem 22. November beginnende Woche und als Ort Wien vor(zu)schlagen“. „Für eine möglichst beschleunigte Übermittlung der österreichischen Stellungnahme“ wäre die Gesandtschaft „zu Dank verbunden“.[10]

Zu einer „möglichst beschleunigten Übermittlung der österreichischen Stellungnahme“ kam es weder im Fall der ersten noch der zweiten noch der dritten Verbalnote der Deutschen Gesandtschaft vom 7. Dezember 1936. In der Frage Wiederzulassung verbotener reichsdeutscher Bücher in Österreich reagierte das Außenamt monatelang überhaupt nicht. Erst im Februar 1937 kam man dazu.

Bei der dritten Verbalnote (A. 5740/III) vom 7. Dezember 1936[11] mußte die Gesandtschaft feststellen, daß sie „jedoch bisher nicht mit einer Antwort beehrt worden“ sei. Sie machte einen neuerlichen Vorstoß in Richtung Verhandlungen:

Da die zuständigen Reichsbehörden großen Wert darauf legen, daß die Verhandlungen noch vor dem 15. Dezember aufgenommen werden, wäre die Deutsche Gesandtschaft dem Bundeskanzleramt – Auswärtige Angelegenheiten – für eine tunlichst beschleunigte Stellungnahme, möglichst unter gleichzeitiger Überreichung der erbetenen österreichischen Bücher-Verbotsliste und unter Benennung des gewünschten Verhandlungstermines zu Dank verbunden.

Wien, den 7. Dezember 1936.

4. Berliner Besuch durch Schmidt

Während all dieser Inaktivität seitens des Außenamtes in Wien kam es zu einem für die (nachträgliche) Entwicklung der Beziehungen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich äußerst wichtigen Besuch des österreichischen Staatssekretärs für auswärtige Angelegenheiten Dr. Guido Schmidt in Berlin auf Einladung der deutschen Reichsregierung vom 19.-21. November. Während seines Aufenthalts kam er mit dem Führer und Reichskanzler Hitler, mit Hermann Göring und mit dem Reichsaußenminister von Neurath zusammen. Am 21. November haben die beiden Außenminister „im Namen ihrer Regierungen die schwebenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen von größerer Bedeutung, insbesondere insoweit sie sich aus der Durchführung des österreichisch-deutschen Übereinkommens vom 11. Juli d.J. ergeben“, erörtert.[12] „Einverständnis“ der beiden Regierungen wurde über folgende Punkte festgestellt: I. Stellung zum Kommunismus,[13] II. Die Zusammenarbeit im Donauraum,[14] III. Durchführung des österreichisch-deutschen Übereinkommens vom 11. Juli 1936.

Von den fünf Vereinbarungen,[15] die unter Punkt III angeführt wurden, haben uns drei, in erster Linie aber Punkt III, 2 – „gegenseitige kulturelle Beziehungen“ – zu interessieren. Zum Bereich „Kultur“ gehörte u.a. enge Zusammenarbeit der österreichischen und reichsdeutschen Teilnehmer bei internationalen wissenschaftlichen Kongressen genauso wie die Möglichkeit für Staatsangehörige beider Länder, die Mitgliedschaft in unpolitischen wissenschaftlichen Vereinen des anderen Landes zu erwerben. Selbst bei Berufungen von Hochschulprofessoren u. dgl. sollten beide Seiten „soweit als möglich“ auch Staatsangehörige des anderen Teiles berücksichtigen. Am wichtigsten war das Einverständnis betreffend Bücherverbote:

d) Die gegenseitigen Bücherverbote werden innerhalb einer angemessenen Zeit aufgehoben. Die Regierungen behalten sich aber vor, Verbote solcher Bücher aufrecht zu erhalten, die böswillige Angriffe gegen den Staat, seine Einrichtungen, seine Geschichte und fahrenden Persönlichkeiten enthalten.

e) Zur Organisation der kulturellen Zusammenarbeit der beiden Staaten wird ein gemeinsamer Ausschuß, der aus Vertretern beider Staaten zusammengesetzt werden soll, in Aussicht genommen. Dieser Ausschuß wird den Namen „Ausschuß für kulturelle Angelegenheiten zwischen Österreich und Deutschland“ fuhren.

Somit war ein konkreter Rahmen für die Behandlung der Kultur- und Bücherfragen geschaffen. Auch der im Juli-Abkommen („Gentlemen-Agreement“) in Aussicht genommene Abbau der Verbote hinsichtlich der gegenseitigen Einfuhr von Zeitungen und Zeitschriften sollte fortgesetzt werden. Schmidt und Neurath kamen überein, je zwei Zeitungen zur Einfuhr bzw. Verbreitung in Österreich (B. Z. am Mittag, Kölnische Zeitung) bzw. in Deutschland (Neues Wiener Tagblatt, Neuigkeitsweltblatt) neu zuzulassen, und hinsichtlich Zeit schritten sollte „künftig grundsätzlich kein Verbot bestehen“! Nur mehr diejenigen Zeitschriften, „deren Verbreitung vom Standpunkt der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung unerwünscht erscheint“, sollten von dieser Regelung ausgenommen bleiben. Der gesamte diesbezügliche Vorsatz blieb Papier (und die Behinderung Wirklichkeit), genauso wie die geplante stufenweise, grundsätzliche Aufhebung der Zeitungsverbote. Daß es dazu nicht kam, konnte Österreich nur dienlich sein, denn die propagandistische Wirkung von reichsdeutschen Presseerzeugnissen in Österreich war mit dem unbehinderten Vertrieb von ein paar wohl nicht sehr weit verbreiteten österreichischen Blättern à la Wiener Zeitung kaum aufzuwiegen.

Erst im Februar des nächsten Jahres kam es zur konstituierenden Sitzung des „Ausschusses“.

5. Buchhändler-Bindungen

Noch im Herbst 1936 kam es anläßlich der „Woche des Deutschen Buches“ in der Goethestadt Weimar zu einem außer-offiziellen Annäherungsversuch seitens des gleichgeschalteten Bundes Reichsdeutscher Buchhändler an die österreichischen Berufskollegen. Gegenstand eines Telegramms aus Weimar am 25. Oktober 1936 war das versuchte Einbinden österreichischer Buch-, Kunst- und Musikalienhändler in die Nazi-Kulturideologie. Eine Resolution, zu der die österreichischen Vertreter Stellung nehmen sollten, sah nämlich „gewissenlose Hetzer“ am Werk, die „in der augenblicklichen Verwirrung der Welt“ Europa in eine Entwicklung hineintreiben wollten, die „jede Kunst und Lüge und Verdrehung“ aufwenden würden, „um die Völker Europas gegeneinander zu hetzen“. Nun „in dieser Schicksalsstunde des Abendlandes“ täte die Solidarität der deutschen Verleger und Buchhändler als „Mittler unvergänglichen Geistesgutes“ not. Die österreichischen Kollegen sollten daher folgender Resolution beipflichten:

Sie verpflichten sich, keine Bücher zu verlegen und zu vertreiben, die unter böswilliger Verzerrung der historischen Wahrheit, das Staatsoberhaupt eines Landes oder ein Volk beleidigen oder die Einrichtungen und Überlieferungen, die einem Volke heilig sind verächtlich zu machen. In der Gewißheit, hierdurch dem europäischen Frieden einen Dienst zu erweisen, erklären sie sich bereit, mit ausländischen Verlegern und Buchhändlern, die vom gleichen Gebote der Verantwortung getragen sind, in einen Meinungsaustausch über eine internationale Vereinbarung zu treten.[16]

Dieser reichsdeutsche Vorstoß, über Schleichwege einen geistig-kulturellen Anschluß Österreichs mit NS-Deutschland durchs Hintertürl zu vollziehen, ging, zumindest vorerst, daneben. Es war den Deutschen unbekannt oder entgangen, daß Österreich schon seit drei Jahren ein Bundesgesetz hatte (BGBl. 120/1933), das ziemlich genau das unter Strafe stellte, was den Deutschen als „internationale Vereinbarung“ vorschwebte. Dieses Gesetz, zusammen mit dem Bundesgesetz vom Juni 1935 zum „Schutz des Ansehens Österreichs“ (auch ‚Traditionsgesetz’ genannt), hätte ja vollauf genügen müssen. Auf diese Tatsache machte der österreichische Verein in einem Antwortschreiben auch aufmerksam, begrüßte die Weimarer Anregung zwar, schränkte aber ein, daß der Vereinbarung nur dann eine volle Wirkung beschieden werde, „wenn die gedachten Verpflichtungen auch auf die Herausgeber und Händler von Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen Presseerzeugnissen ausgedehnt werden könnten, die nicht dem Buchhandel angehören“. Man müßte „diese Kreise (…) in die geplante Maßnahme“ einbeziehen. Die Frage der De-facto-Einführung einer totalen Bevormundung und totalen Zensur über das bereits herrschende Ausmaß hinaus verschwand vorübergehend von der Bildfläche, um erst bei den Beratungen im Kulturausschuß wieder aufzuerstehen. Die Weimarer Anregung war sodann symptomatisch für das reichsdeutsche Kalkül, Vorstöße in Richtung Gleichschaltung der Medien, Theater usw. in Österreich zu machen und die Zensur noch mehr als bisher der Willkür zu überlassen.

6. Die Konstituierung

Die Berliner Vereinbarung zwischen Schmidt und Neurath, einen Kulturausschuß einzurichten, machte es den österreichischen Stellen unmöglich, den Begriff „dilatorisch“ noch mehr zu strapazieren und die Vorschläge der Deutschen Gesandtschaft in Wien auf unbestimmte Zeit unbeantwortet zu lassen.

Der Reichsaußenminister Konstantin von Neurath traf am 22. Februar 1937 zu einem zweitägigen offiziellen Besuch in Wien ein. Es war dies der erste Staatsbesuch aus dem Reich in Österreich seit sechs Jahren, und er begann, da es beim Empfang des Gastes auf der Mariahilferstraße zu „beschämenden Demonstrationen“[17] seitens „nazistischer Kreise“ gekommen war, unter keinem guten Stern. Die Entrüstung österreichischerseits wurde teilweise dadurch wettgemacht, daß man tagsüber V.F.-Mitglieder und Organisationen nach Wien beorderte, um Pro-Schuschnigg-Demonstrationen zu veranstalten. Für den Gast aus dem Reich war der Besuch in Wien nicht in erster Linie ein staatspolitisches Ereignis, sondern als „eine sich aus der völkischen Verbundenheit ergebende Selbstverständlichkeit anzusehen“.[18]

Das Treffen Schmidt-Neurath diente u.a. dazu, die einzelnen vordringlichen Fragen des gegenseitigen kulturellen Verkehrs eingehend zu erörtern und eben den im November des Vorjahres vereinbarten Ausschuß zu bestellen. Die konstituierende Zusammenkunft der Mitglieder fand in den Tagen vom 25. Februar bis 2. März 1937 in Wien statt.

Die Sitzung hatte eine konkrete Auswirkung: die dilatorische Behandlung des deutschen Vorschlags vom September 1936 mußte ein Ende nehmen. Die österreichische Antwort, die im Februar erfolgte, stellte, im Grunde genommen, eine Aufklärung über die geübte Verbotspraxis in Österreich dar. Sie wies auf die Unmöglichkeit hin, eine neuerliche Überprüfung aller verbotenen reichsdeutschen Werke vorzunehmen. Unmittelbar vor der Konstituierung des Kulturausschusses kam es dann doch endlich zur Übergabe der österreichischen Liste 1 mit dem Vermerk, „daß die deutscherseits zu übermittelnde Wunschliste sich auf solche Werke beschränke, deren Zulassung im Sinne der Besprechungen wirklich ‚vordringlich und für die Gegenseite tragbar’ erscheint“.[19]

An den Besprechungen zwischen 25. Februar und 2. März nahmen folgende Personen teil:

Auf österreichischer Seite:

Bundeskommissär Hans Hammerstein-Equord
a.o. Gesandter und bev. Minister Max Hoffinger vom Bundeskanzleramt (Ausw. Angelegenheiten)
Sektionschef Dr. Egon Loebenstein vom Bundesministerium für Unterricht
Sektionsrat Dr. Wilhelm Wolf vom Bundeskanzleramt, Bundespressedienst

Auf deutscher Seite:

Vortragender Legationsrat Dr. Fritz von Twardowski vom Auswärtigen Amt
Regierungsrat Franz Baron von Weyssenhoff vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda
Geheimrat Arthur Guerich samt Vertreter,
Ministerialrat Otto Graf zu Rantzau vom Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung

Dr. Karl Megerle.[20]

Bei der ersten Zusammenkunft traf man so gut wie ausschließlich Vereinbarungen über technische Fragen. So sollte der Ausschuß abwechselnd in Wien und Berlin tagen und mindestens zweimal im Jahr, im Bedarfsfall auch öfter, zusammentreten. Vereinbarungen des Ausschusses würden allerdings nicht den Charakter verbindlicher Regierungserklärungen tragen, sondern von gemeinsam vereinbarten Vorschlägen an die beiderseitigen Regierungen. Die Durchführung blieb dem normalen diplomatischen oder internen Wege vorbehalten. Weiters werde die Öffentlichkeit über den Inhalt der Beratungen und Beschlüsse „ausschließlich durch gemeinsam vereinbarte Mitteilungen unterrichtet werden“. An diese Vereinbarung hielt sich die reichsdeutsche Seite „ab sofort“ nicht mehr: Mit der fadenscheinigen Begründung, ein Kommuniqué oder eine Mitteilung sei ausschließlich für die reichsdeutsche Presse bestimmt, kümmerte man sich deutscherseits nicht allzu sehr um die Vereinbarung.[21]

Für unsere Thematik war folgende Vereinbarung von zentraler Bedeutung:

7. Der Ausschuß kann erforderlichenfalls Unterausschüsse zur Behandlung einzelner Fragen oder Fragenkomplexe einsetzen und hiezu Vertreter der interessierten Fachministerien zuziehen.

Die Folge war die Schaffung des „Unterausschusses für Buchfragen“, dem zugleich Aufgaben zugeteilt wurden. Das Protokoll der konstituierenden Sitzung hinsichtlich „Bücherverbote“ ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil es die durchaus unterschiedlichen Ausgangspunkte bzw. Auffassungen zwischen deutscher und österreichischer Seite über eine „Normalisierung“ des Bücherverkehrs sehr deutlich dokumentiert. Den Deutschen ging es in erster Linie (einzig und allein ??) darum, die österreichische Politik auf den deutschen Kurs festzulegen, indem sie trachteten, die Zulassung deutscher Zeitungen und Bücher, d.h. in Wahrheit nationalsozialistischen Propagandamaterials, zu erreichen. Darin erschöpften sich ihre Wünsche. Anders Österreich. Abgesehen davon, daß österreichischerseits geringes Interesse vorhanden war, von den hunderten in Deutschland verbotenen Werken österreichischer Verlage die Zulassung einiger Titel zu beantragen – sie stellten ja kaum eine ideologisch-politische Waffe dar –, war Österreich, wenn überhaupt an einer Änderung des „status quo“, dann an der Verbesserung der Situation exportorientierter Verlage interessiert. Die Verbreitungsbeschränkung einzelner, nicht selten nicht mehr lieferbarer Titel im Reich war nicht eine Frage, die den österreichischen Verlag bedrohte. Ihre Sorge galt den Begleitumständen des Exports schlechthin. Sehen wir uns das Protokoll nun an:

Bücherverbote

Das Verzeichnis der in Österreich verbotenen reichsdeutschen Bücher wird der deutschen Seite innerhalb 14 Tagen zugestellt werden. Beide Seiten werden sohin aus der Liste der von der anderen Seite verbotenen Bücher Wunschlisten solcher Bücher zusammenstellen, deren Zulassung ihnen als vordringlich und für die Gegenseite tragbar erscheint. Nach Übermittlung der Wunschlisten soll die Frage alsbald in einem Unterausschuß zu dem Zwecke besprochen werden, die Entscheidung der zuständigen Behörden bezüglich der Wunschlisten zu erleichtern. Richtunggebend hiefür bleiben die Bestimmungen des Berliner Protokolles vom 21. November 1936, Punkt III, 2, d.

Die österreichischerseits gestellte Frage, ob im Deutschen Reich ein allgemeines Verbot der literarischen Erzeugnisse nichtarischer Autoren bestehe, wird von deutscher Seite verneint.

Von österreichischer Seite wurde noch darauf hingewiesen, daß sich mehrfach Fälle ergeben haben, in denen der Absatz österreichischer Bücher durch Verfügungen wirtschaftlicher Stellen (z.B. Überwachungsstelle für Papier) erschwert worden sei, worauf deutscherseits zugesagt wurde, derartige Fälle genauestens zu prüfen und nach Möglichkeit dafür Sorge zu tragen, daß derartige Erschwerungen nicht Platz greifen. Auch diese Frage soll in dem vorerwähnten Unterausschuß geklärt werden. (Protokoll, S. 8)

Die „Gretchen-Frage“ der österreichischen Seite, ob jüdische Autoren im Reich generell verboten seien, konnte in dieser Form von deutscher Seite verneint werden. Vielfach wurden sie ausgeschlossen, und zwar nicht in erster Linie als „Juden“, sondern unter dem Sammelbegriff „politisch unerwünschter Schriftsteller“.[22] Auch waren „nicht-arische“ Autoren zunächst nicht aus dem RDS ausgeschlossen (ebda., Sp. 53). Im Fall von Gesamtverboten erfolgten diese „aus Gründen, die offensichtlich primär nicht im behandelten Gegenstand, sondern in der Person des Verfassers liegen“.[23]

Auf einzelne der im Protokoll angeschnittenen wirtschaftlichen Fragen werden wir noch einzugehen haben.

7. Exkurs: Die Zulassung von „Mein Kampf“

Das Buch, an dessen Zulassung in Österreich die reichsdeutsche Seite am meisten interessiert war, hieß natürlich Mein Kampf. Es war schon auf Grund des Gesetzes vom Juni 1933 von der Verbreitung und vom Vertrieb in Österreich ausgeschlossen, also nur mehr illegal zu erwerben. Nun sollte es aber nach deutscher Auffassung von der Verbotsliste in Österreich gestrichen werden, „da das Verbot des Werkes des Oberhauptes des Deutschen Reiches den normalen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht mehr entspreche“. (Protokoll, S. 9). Und genau das war ein Argument, das man nicht lange auf die Seite schieben konnte, wenn man die Vereinbarungen des Juliabkommens nicht ernsthaft in Frage stellen und des Vertragsbruchs bezichtigt werden wollte, hatte man sich doch verpflichtet, eine wirkliche Befriedung zu fördern. Das Abkommen bedeutete also in schrifttumspolitischer Hinsicht die Eröffnung eines Damms.

Die Bedeutung, die die Deutschen der Zulassung beimaßen, geht aus der Tatsache hervor, daß das Thema bereits bei der konstituierenden Sitzung des Kulturausschusses zur Sprache gebracht, ja sogar auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Die deutschen Mitglieder bezeichneten die Zulassung „als einen ihrer vordringlichsten Wünsche“ (Protokoll, S. 3). So wurde der Fragenkomplex dem Unterausschuß zugewiesen, aber erst nachdem die Frage eingehend diskutiert worden war. Deutscherseits wurde die ausdrückliche Erklärung abgegeben, „daß es sich um eine Herzens- und Ehrensache handle, und der vorgebrachte Wunsch keinerlei politische oder propagandistische Beweggründe habe“. Sehr überzeugend hörte sich das Argument allerdings nicht an. Die österreichischen Mitglieder nahmen „Mit vollem Verständnis“ zur Kenntnis, daß dies der Fall sei. Nur „im gegenwärtigen Augenblicke“ sei es noch nicht möglich, „dem deutschen Wunsche in vollem Umfange zu entsprechen“, denn „so sei hiefür die Erwägung maßgebend, daß eine Freigabe des Werkes im gegenwärtigen Augenblick unbeabsichtigte Nebenwirkungen auslösen könnte, die dem Verständigungswerk und der ferneren Tätigkeit des Kulturausschusses mehr schaden als nützen könnten“. „Es bestehe jedoch österreichischerseits die grundsätzliche Bereitschaft, dem deutschen Wunsche, sobald es möglich erscheine, Rechnung zu tragen, wobei jedoch die Festsetzung des Zeitpunktes und der Modalitäten vorbehalten bleiben müßte.“ (Protokoll, S. 9)

Die Zulassung von Mein Kampf war eine Frage, die auch auf höchster Regierungsebene verfolgt wurde:

Natürlich wurde (…) in der Frage der Zulassung „Mein Kampf“ zwischen mir [Schuschnigg] und dem Angeklagten [Schmidt] laufend das Einvernehmen gepflogen, wobei alle Gründe für und wider erwogen wurden. Hinsichtlich des Buches haben wir uns auf den Standpunkt gestellt, daß ein Verbot desselben nur eine unbeabsichtigte Reklame darstellen würde. Es wurde jedoch, wie ich mich erinnere, den Buchhändlern untersagt, das Buch in offensichtlich demonstrativer Weise auszustellen. Durch die Zulassung des Hitlerbuches konnten wir wirksam dem deutschen Druck auf Verbot der bekannten Anti-Hitler-Literatur (Konrad Heyden! usw.) begegnen und erreichen, daß diese Literatur in Österreich zu erwerben war. (Der Hochverratsprozeß, S. 599; ergänzende Zeugenaussage Kurt von Schuschniggs)

In Wirklichkeit lagen bloß vier Monate zwischen der in aller Stille erfolgten Aufhebung des Verbots von Mein Kampf (Juli 1937) und dem österreichischen Verbot jener von der reichsdeutschen Seite als „Hetzliteratur“ bezeichneten Anti-Hitler-Literatur (Heiden usw.). Diese Tatsache vergaßen sowohl Schuschnigg als auch Schmidt. Die Deutschen beschwerten sich fortwährend wegen der Nichtaufhebung des Verbreitungsverbotes für das Buch des Führers, so z.B. wieder in der Sitzung am 7. und 8. Juli 1937 anläßlich der Sitzungen des Unterausschusses für Kulturfragen. Eine endgültige Entscheidung lag aber nicht bei den österreichischen Ausschußmitgliedern. Von österreichischer Seite wurde gleich oft entgegnet, „daß über diese Frage an anderer Stelle entschieden werde“.[24] Eine Entscheidung wurde vom Bundeskanzleramt während der Sitzung des Unterausschusses für Buchfragen zwischen 21. und 24. Juli gefällt. Als „Preis“ dafür, daß Mein Kampf freigegeben werde, mußte die deutsche Seite zu einem Entgegenkommen bereit sein. Es wurde folgendes vereinbart:

Beiblatt „E“

Im Hinblicke auf die Erfüllung des von den deutschen Kommissionsmitgliedern vorgebrachten Wunsches nach Zulassung des Buches „Mein Kampf“ erwartet der österreichische Bundeskanzler, daß die Herren der deutschen Delegation sich bei den zuständigen Zentralstellen des Reiches nachdrücklich und wirksam in dem Sinne einsetzen werden, daß der vom Reiche aus gegen die Salzburger Festspiele geführte Kampf restlos und endgültig aufgegeben werde, zumal eine Fortsetzung dieses Kampfes, insbesondere auf dem Gebiete der Auftrittsbewilligungen für im Deutschen Reiche tätige Künstler zu einer vom österreichischen Bundeskanzler lebhaft bedauerten Beeinträchtigung des deutschen Charakters dieser Festspiele führen müßte.[25]

Die Freigabe des Hitler-Buchs erfolgte sodann unter der Voraussetzung, daß Ankündigungen des Buches in Zeitungen, Prospekten usw., die Schaufensterreklame und jeder Mißbrauch zu demonstrativen Zwecken unterbleiben. Bezeichnenderweise wurde sie auch nicht im offiziellen Organ der Buchhändler, dem Anzeiger, bekanntgemacht.

Das Resultat der ersten Sitzung war, wie nicht anders zu erwarten war, etwas mager. Es war aber endlich zu einem Austausch von Verbotslisten gekommen. Die österreichische Seite (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) erhielt das „Verzeichnis der seit 1933 im Deutschen Reich verbotenen Bücher österreichischer Verlage“[26] und die deutsche Seite die „Liste 1“ der Druckwerke, die auf Grund des Bundesgesetzes) nach dem der NSDAP jedwede Tätigkeit in Österreich untersagt wurde, verboten worden waren. Beide Seiten sollten nun die jeweiligen Listen studieren und Wunschlisten von jenen Werken zusammenstellen, die nach Ansicht der Vertreter des anderen Staates freizugeben wären, und diese dann austauschen. Hinsichtlich der Richtlinien war man einander aber nicht viel nähergekommen. Einig war man wenigstens darüber, daß pornographische und marxistische Werke von dem Bücherverbot betroffen werden sollten.[27] Zum Schluß kam man überein, daß der Unterausschuß für Buchfragen des Ausschusses für kulturelle Angelegenheiten zwischen Österreich und Deutschland im Juli neuerlich tagen sollte.

8. Exkurs: Einschleusung von Nationalsozialisten in österreichische Verlage

Der Einfluß der nationalsozialistischen Bewegung auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet war schon lange den österreichischen Sicherheitsbehörden bekannt. (Wir erinnern uns an die Vorwürfe gegen den Paul Zsolnay Verlag!). In einem entsprechenden vertraulichen Bericht der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit „über den gegenwärtigen Stand der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich“ vom 4. April 1936[28] kam man zum Schluß, daß

der Einfluß des deutschen Verlagswesens auf den österreichischen Büchermarkt und vieles andere unablässig beobachtet und überprüft werden [müssen]. Infolge der Abhängigkeit vom deutschen Verlagswesen werden österreichische Schriftsteller und Gelehrte indirekt in ihrer Schreibweise beeinflußt. (loc.cit., S. 472)

Bei dieser indirekten Beeinflussung sollte es aber nicht bleiben. Zwecks Durchdringung des österreichischen Verlagswesens im Geiste des Nationalsozialismus wäre es nicht sonderlich überraschend gewesen, wenn Verlage von bestimmten Exponenten oder „Emissären“ infiltriert werden würden. Ein solcher Vorgang wäre freilich nur notwendig und zweckmäßig bei bestimmten Verlagsanstalten. Bei anderen hingegen war eine solche Einflußnahme eher überflüssig. Man denke bloß an die völkisch-bäuerlich-national eingestellte Produktion von Verlagen wie Leopold Stocker in Graz oder des Verlags „Das Bergland-Buch“ in Salzburg, des Paul Zsolnay Verlags in Wien, des Tieck-Verlags (Gründer Mirko Jelusich!) in Wien, der F.G. Speidelschen Verlagsbuchhandlung in Wien, des Augarten-Verlags in Wien, des Adolf Luser Verlags in Wien oder des Eckart-Verlags in Wien usw. Die Feststellung „Der österreichische Schriftsteller, der kein Nazi ist, hat’s heute nicht leicht“ (Die Aktion, 6. April 1935) war ganz offensichtlich nicht unbegründet und nicht reine Polemik.

So erhielt der Bundesminister für Sicherheit und Inneres (seit 17. Oktober 1935) und Vize-Kanzler (seit 14. Mai 1936) Eduard Baar-Baarenfels Mitte September 1935 eine vertrauliche Nachricht aus Linz vom Bundesführerstellvertreter des österreichischen Heimatschutzes, Heinz Wenninger. Der Inhalt:

In der nächsten Zeit werden zahlreiche deutsche Naziführer zu Organisationszwecken der illegalen Nazi nach Wien kommen. Die meisten von ihnen werden in österreichischen Verlagen als Lektoren eintreten. Man erteilt ihnen auch ohne weiteres Arbeitsbewilligungen, weil sie den Firmen, bei denen sie sich um Posten bewerben, erklären, daß sie über ausgezeichnete Beziehungen zu den zentralen Stellen der reichsdeutschen Nazi verfügen und imstande sind, den bisher stillschweigend gehandhabten, aber lückenlos durchgeführten Boykott österr. Literaturerzeugnisse aus der Welt zu schaffen. Wenn man bedenkt, daß unzählige österreichische Journalisten und Schriftsteller ohne Beschäftigung sind, wäre es angezeigt, dagegen Maßnahmen zu treffen.

Unter diesen Emissären werden sich unter anderem befinden: der Sohn Schachts [recte: Neffe des Reichsfinanzministers], Dr. Sven Schacht, der sogar die Absicht hat, in Österreich ein nazifreundliches Blatt ins Leben zu rufen. Er versteht es, sich das Vertrauen der maßgebenden Kreise dadurch zu erwerben, daß er die Zustände in Deutschland in ziemlich ungünstigem Licht darstellt. Ferner ein gewisser Herr. v. Görlitz, der in der nächsten Zeit eine Stelle als Verlagslektor in dem als nazifreundlich bekannten Eckart-Verlag antreten wird. Auch zur Reichspost soll demnächst ein reichsdeutscher Verlagssachverständiger in leitender Stelle kommen.[29]

Baar-Baarenfels leitete die Nachricht ohne Angabe der ihm nahestehenden „Quelle“ an das Staatspolizeiliche Büro der Generaldirektion. Diese bat sowohl den Bundespressedienst als auch das Bundeskommissariat für Heimatdienst um eine Stellungnahme. Auch wurden Staatssekretär Schmidt und sein Kollege Staatssekretär Zernatto eingeweiht. Auf Wunsch der Generaldirektion führte die Bundes-Polizeidirektion Wien Erhebungen durch, und diese lieferten allerlei interessante Auskünfte. So pikant eine derartige Enthüllung hätte ausfallen können, die Polizei mußte statt dessen berichten:

Eine Einstellung nationalsozialistischer Emissäre in österreichischen Verlagen konnte bisher nicht festgestellt werden und sind derartige Vorgänge auch der Buchkaufmannschaft Wien – Gruppe Wiener Buch- Kunst- und Musikalienhändler mit dem Sitze in Wien, 1., Grünangergasse Nr. 4, nicht bekannt geworden, obwohl diese Organisation über sämtliche Vorgänge im Wiener Buchhandel gut informiert zu sein scheint.[30]

Trotzdem zeigt dieser Fall, daß die Infiltration von österreichischen Verlagen eine reelle Möglichkeit reichsdeutscher Propaganda in Österreich darstellte. So eindeutig, wie die Polizei sie darstellte, war die Situation allerdings auch nicht. Daß solche Vorgänge der Buchkaufmannschaft nicht „bekannt“ geworden waren, sagt an sich gar nichts. Der Verlagsredakteur Theodor Görlitz, der im Frühjahr 1936 die Gunst des Direktors der Ravag, Dr. Rudolf Henz, erwarb und über diesen dem Bundeskommissär für Heimatdienst seine Dienste als Schriftsteller anbot, konnte einige Artikel über die Verhältnisse im Dritten Reich in der Reichspost veröffentlichen. Er war nicht unbedingt über jeden Verdacht erhaben. Görlitz, 1908 in München geboren, war mit seiner Frau Anfang dieses Jahres nach Österreich eingereist. Drei Tage (!) nach seiner Ankunft wurde er Mitglied der V.F. (Ortsgruppe Währing). Zuvor war er Lyrikreferent der Rheinisch-Westfälischen Zeitung in Essen (1933-35), Referent der Reichsschrifttumskammer in Berlin (1934), Redakteur des Berliner Tageblatt (1935) und schließlich Verlagspropagandist im Ullstein Verlag in Berlin. Im ersten Jahr in Wien erhielt er sogar den Julius-Reich-Preis. Görlitz machte aber auch im österreichischen Verlagsgeschäft Karriere. Er wurde beim „Saturn-Verlag“ (Inhaber: Dr. Frederick Ungar) angestellt, einem Verlag, der vorwiegend Werke jüdischer, liberaler und sozialistischer Autoren druckte. Als der „Saturn-Verlag“ im Sommer 1938 „arisiert“ wurde, fiel Görlitz, dem einzigen arischen Angestellten, die Aufgabe zu, den Verlag als neuer Besitzer weiterzuführen.[31]

9. Die Juli-Verhandlungen 1937

Wiewohl „Buchfragen“ unser Hauptinteresse darstellen, darf keineswegs unerwähnt bleiben, daß diese Frage im Rahmen der „Normalisierung“ – man ist versucht zu sagen „Nazifizierung“ – der kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland eigentlich nur eine unter vielen war. Es darf aber gleichzeitig nicht der falsche Eindruck entstehen, daß Österreich, was das völkische Gedankengut und die nationale Bewegung betrifft, vor dem 11. Juli 1936 eine „tabula rasa“ war. Der Nährboden für den Nationalsozialismus in Österreich war schon seit dem 19. Jahrhundert bereit gewesen.

Gemeinsamer Nenner der reichsdeutschen Taktik in den Kulturverhandlungen war: Österreich, d.h. österreichischen Behörden und öffentlichen Institutionen, einfach vorzuschreiben, was sie im Geiste des Nationalsozialismus zu tun hatten. Wenn dies nicht nach Wunsch ging, dann beschwerte sich die deutsche Delegation. Dafür zwei Beispiele für die Einmischung, zu der sich Österreich durch das Juli-Abkommen mehr oder weniger bekannt hatte (gemeinsame deutsche Kultur!): „Bezüglich der Filmzensur wurde von deutscher Seite vorgebracht, daß entgegen den Zusagen im Protokoll vom 2. März die österreichischen Zensurstellen nach wie vor äußerst rigoros gegen reichsdeutsche Filme insbesondere gegen reichsdeutsche Wochenschauen vorgingen.“[32] Die für die Filmzensur zuständigen Bundesländer werden zwar gewußt haben, warum sie auch ganz unterschiedlich – einzelne Wochenschauen nicht zur Vorführung zuließen, nur „ersuchten“ die deutschen Mitglieder unter Berufung auf das Gentlemen-Agreement vom 11. Juli 1936 die österreichische Regierung, „allgemeine Instruktionen an die Zensurbehörden der Bundesländer zu erlassen, daß der Aufführung reichsdeutscher Filme und Wochenschauen keine Hindernisse in den Weg gelegt werden, insofern sie nicht eine gegen Österreich gerichtete Tendenz oder speziell für Österreich bestimmte Propagandaabsichten beinhalten“. Auch bei den Programmen der Ravag. wollten die Deutschen ein Mitspracherecht haben. Sie beschwerten sich, „daß die österreichischen Programme nur sehr wenige reichsdeutsche Sendungen kultureller und unpolitischer Art enthielten“ (ebda.). Im Geiste des Gentlemen-Agreement kannte das reichsdeutsche Kulturdiktat keine Grenzen. Genauso trog der Schein, daß die deutsche Seite, was Bücherverkehr betraf, nur auf die Zulassung von bislang verbotenen Druckschriften in Österreich erpicht war.

Das zweite Zusammentreffen des Unterausschusses für Buchfragen sollte sich im Rahmen einer verabredeten Tagesordnung mit allen mit den Bücherverboten, ihrer Handhabung sowie den wirtschaftlichen Fragen (Ein- und Ausfuhr von Büchern) des beiderseitigen Schrifttums zusammenhängenden Problemen befassen. Auf beiden Seiten waren Vorbereitungen notwendig.

Am 12. Mai 1937 konnte die Deutsche Gesandtschaft in Wien dem Außenamt die reichsdeutsche Wunschliste auf Grund der österreichischen Liste 1 übermitteln. Sie umfaßte: 1. 69 Bücher bzw. Titel, 2. 5 Werke aus dem NSDAP-eigenen Eher-Verlag, 3. 8 verschiedene Kalender. Von den über 600 verbotenen Titeln war das wohl ein bescheidener, zumutbarer Anfang. Bei gleicher Gelegenheit wies die Deutsche Gesandtschaft darauf hin, „daß die österreichische Gegenliste in Berlin erwartet wird“.[33]

Mittels Verbalnote vom 4. Juni übermittelte die Deutsche Gesandtschaft dem Bundeskanzleramt (Ausw. Angel.) mehrere Kisten mit Belegexemplaren (je 2) der soeben erwähnten Druckwerke, die gegen Monatsmitte beim Preßbüro der Bundes-Polizeidirektion Wien landeten. Fehlende Belegexemplare würden laufend nachgeschickt werden.

Die österreichische Seite war nun wieder einmal in Zugzwang geraten, und das in doppelter Hinsicht: 1. Ihre Wunschliste auf Grund des „Verzeichnisses der seit 1933 in Deutschland verbotenen Werke österreichischer Verlage“ wurde in Berlin erwartet. 2. Eine aus Fachleuten zusammengesetzte Kommission, die gemeinsam mit der Staatspolizei die Durchsicht der reichsdeutschen Bücher durchfuhren sollte, mußte gebildet werden.

Sehen wir uns die Einstellung der mit dem Problem befaßten österreichischen Stellen näher an. Die Frage der Zulassung deutscher Bücher in Österreich bzw. der Aufhebung bestehender Verbote stand in engem Zusammenhang mit der Frage österreichischer Wünsche hinsichtlich der Freigabe österreichischer Bücher zur Einfuhr nach Deutschland. Aber wie Sektionsrat Dr. Richard Kreis von der Generaldirektion (GD 2) bemerkte „bestehe ein starkes Mißverhältnis, da die Möglichkeit der Einfuhr einiger weniger Bücher nach Deutschland, deren Absatz stark eingeschränkt werden könne, in keinem Verhältnis stehe zu der propagandistischen Bedeutung und dem Interesse, das an der Verbreitung gewisser bisher verbotener deutscher Bücher in Österreich bestehe“.[34] Die Generaldirektion wollte also weder österreichische Wünsche geltend machen noch bislang verbotene reichsdeutsche Bücher zulassen müssen. Der Standpunkt wörtlich:

Die Abteilung GD 2 habe daher auch gar kein Interesse, österreichische Wünsche geltend zu machen, schon um dann nicht deutsche Wünsche erfüllen zu müssen. Abgesehen von diesem Standpunkt enthalte die deutsche Wunschliste bei flüchtiger Durchsicht lauter Werke ausgesprochen propagandistischen Inhaltes. (ebda.)

Diese Einstellung wird in weiteren Aktenvermerken der Generaldirektion festgehalten:

(…) Der größere Teil der in der inliegenden Verbotsliste aufgezeichneten Werke stammt teils von jüdischen Autoren, teils handelt es sich um erotische oder sexualwissenschaftliche Bücher, welch letztere wahrscheinlich auch in Österreich dzt. nicht mehr zugelassen würden, außerdem Bücher sozialistischer Autoren.[35]

Obwohl es also offenbar keine Werke gab, für die man sich einsetzen wollte, war man zumindest von der Notwendigkeit überzeugt, Werke heraussuchen zu müssen, „um irgendwelche Gegenforderungen stellen zu können!“ (Amtsvermerk, ebda.) Die österreichischen Stellen scheinen davon ausgegangen zu sein, daß sie nichts zu gewinnen und alles zu verlieren hatten. Immerhin bestand das Verzeichnis größtenteils aus Werken solcher Art, daß an ihrer Zulassung österreichischerseits kein Interesse vorhanden war. „Überdies wird hiedurch vermieden, daß deutscherseits entsprechende Forderungen nach Zulassung von Literaturprodukten des Dritten Reiches gestellt werden, die für Österreich äußerst unerwünscht sind.“ (Aktenvermerk, ebda.)

Rein von den diplomatischen Gepflogenheiten her war das ein kaum haltbarer Standpunkt, vor allem in Anbetracht der Tatsache, daß die deutsche Seite bei der ersten Runde über 80 Zulassungen beantragt hatte. Das wußte auch der federführende österreichische Delegierte Dr. Wilhelm Wolf vom Bundespressedienst: „Billiger Weise muß bei Verhandlungen von dem Grundsatz ausgegangen werden, daß man dem Vertragspartner ungefähr dasselbe einräumt, was man selbst für sich verlangt“ (Stellungnahme vom 23. Juli 1937, ebda.). Nun plagte man sich, eine „Wunschliste“ aufzustellen. Sie bestand aus acht (8) „Gegenforderungen“, war also keine beachtliche, wohl aber eine der Taktik gerechte Lösung. Es handelte sich um folgende Werke:

1. Josef Fattinger, Der Katechet erzählt. Ried i. Innkreis: Verlag katholischer Press-Verein.
2. Hanns Koren, Volkskunde als gläubige Wissenschaft. Salzburg: Verlag Anton Pustet.
3. Eric M. Kühnelt-Leddhin, Jesuiten, Spießer und Bolschewiken. Salzburg: Verlag Anton Pustet.
4. Josef Liener, Die Zukunft der Religion. Innsbruck: Tyrolia Verlag.
5. Otto Mauer, Auferstandene. Salzburg: Verlag Anton Pustet.
6. Hans Saßmann, Kulturgeschichte Österreichs vom Urzustand bis zur Gegenwart. Wien: Verlag Amonesta & Co.
7. Wilhelm Schmidt, Rasse und Volk. Ihre allgemeine Bedeutung, ihre Gestalt im deutschen Raum. Salzburg: Verlag Anton Pustet.
8. Max Springer, Österreich Eine deutschchristliche vaterländische Gedichte-Sammlung. Wien: Max Springer-Verlag.

Einzelne bekannte Interventionen seitens österreichischer Verleger bei den staatlichen Behörden fruchteten nichts. So z.B. die Bitte des Inhabers des Verlags Dr. Rolf Passer, Wien, der vorwiegend junge Belletristik verlegte. Vier neuere Werke seines Verlags standen z.B. nicht auf dem Index in Deutschland (auch nicht später), durften aber nicht ausgeliefert werden. Zwei der Neuerscheinungen stammten von Alfred Adler (Der Sinn des Lebens; Religion und Individualpsychologie). Das Unterrichtsministerium möge, so heißt es, im Rahmen des Ausschusses für Buchfragen eine Zulassung für Deutschland ermöglichen. Die Antwort des Ministeriums 6 Wochen später: „Die in der zweiten beiliegenden Eingabe des Verlages PASSER genannten Bücher von ADLER kommen wohl nicht für eine Intervention unsererseits in Frage, da ADLER in New York tätig ist.“[36] Weiteren Interventionen ging es nicht anders: Die Sektion I des BMU, das das Verzeichnis durchzusehen hatte, lehnte eine Intervention österreichischerseits mit der Begründung ab, das Buch (eines Hochschulprofessors) sei auch in Österreich stark umstritten oder der Verfasser eines anderen Buches (ebenfalls ein Hochschulprofessor) sei „derzeit in Prag tätig“! (ebda.) Was konnten österreichische Autoren und Verleger denn von ihren Behörden erwarten? Offenkundig nicht viel. Nicht einmal der Schuschnigg-Intimus und Standarte des Paul Zsolnay Verlags, Franz Werfel, konnte sich Hoffnungen machen. „Von der Nennung Werfels muß wohl abgesehen werden, da er tschechoslowakischer Staatsbürger ist“, heißt es in einem lapidaren Vermerk von Sektionsrat Dr. Wolf.[37]

a) Die Tagung

Der Unterausschuß für Buchfragen des Ausschusses für kulturelle Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland tagte in Wien vom 21. bis 24. Juli 1937. An den Beratungen nahmen teil auf österreichischer Seite: Dr. Wilhelm Wolf (BKA), Dr. Franz Morenzi (BKA-Gendion), Dr. Konrad Thomasberger (BMU); und auf deutscher Seite: Dr. Karl Megerle und Dr. Paul Hövel, beide vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.

Ein Blick auf die sieben „reichsdeutschen Programmpunkte“, die bei dieser Gelegenheit erörtert werden sollten, machte nun einmal deutlich, worauf die deutsche Seite hinaus wollte. Man begnügte sich keineswegs mit Verbotsaufhebungen nationalsozialistischer Propagandawerke (Punkt I). Das war nur der Anfang. So geschah es, daß die österreichische Seite die Zulassung von 50 der 69 bislang verbotenen Bücher, von dreien der 5 Eher-Verlag-Bücher und allen 8 Kalendern (z.B. Deutscher Luftfahrtkalender (1937), Jahrweiser für die deutsche Wehrmacht (1937) usw.) genehmigte. Im Fall der anderen Werke war die Prüfung noch nicht abgeschlossen. Von der acht Werke starken österreichischen Wunschliste wurden bis auf zwei (Schmidt, Springer) „alle“ Bücher für Deutschland zugelassen. Zu diesem Punkt wurde abschließend vereinbart, daß binnen vier Wochen die beiderseitigen Wunschlisten Nr. 2 sowie die Nachträge zu den Verbotslisten gegenseitig bekanntzugeben seien.

b) Weitere Programmpunkte als Forderungen

Punkt II auf dem Programm war der

Antrag, die gegen den Führer und Reichskanzler oder seine engsten Mitarbeiter gerichteten Hetzbücher in Österreich zu verbieten; von dem Verbot sollen Druckschriften österreichischer wie außerösterreichischer Verlage getroffen werden, sofern auf sie die oben genannte Begriffsbestimmung Anwendung finden kann.[38]

Diese Liste „antideutscher Hetzliteratur“ umfaßte 14 Titel, darunter 3 Anti-Hitler-Bücher von Konrad Heiden, Rudolf Oldens Buch Hitler sowie mehrere Broschüren. Ein Verbot möge erlassen werden, da die Werke „geeignet sind, die freundschaftlichen Beziehungen zum Deutschen Reich zu stören“, heißt es in der deutschen Begründung.[39]

Diesem „Wunsch“ kam Österreich, wie wir bereits gesehen haben, größtenteils nach, allerdings mit zeitlichem Abstand und nach Inkrafttreten des „Ordnungs-Gesetzes“.[40] Somit verschwanden auch die Werke vom Markt, die einst sozusagen Paradewerke der offiziellen österreichischen Abwehr des Nationalsozialismus waren – oder was von ihnen noch übriggeblieben war.[41]

Auch die österreichischen und deutschen „Buchwelten“ sollten einander näherkommen:

III. Zulassung der „Woche des Deutschen Buches“, die alljährlich im Herbst veranstaltet wird, für die reichsdeutschen Organisationen in Österreich; in Frage kommen Buchausstellungen und festliche Veranstaltungen mit Vorträgen oder Vorlesungen reichsdeutscher Dichter.

IV. Beteiligung eines autorisierten Vertreters des österreichischen Buchhandels an den Hauptveranstaltungen der „Woche des deutschen Buches“ in Weimar und Berlin; dafür stellt die deutsche Reichsregierung in Aussicht, einen autorisierten Vertreter des reichsdeutschen Buchhandels zu den Hauptveranstaltungen der „Woche des österreichischen Buches“ zu entsenden.

Ob das Bedürfnis zu diesem Austausch auf beiden Seiten gleich groß war, kann sehr bezweifelt werden. Nach dem Schock, der im Herbst 1935 durch das reichsdeutsche Buchdumping ausgelöst wurde, haben der Buchhändlerverein und die V.F. Werbung für das österreichische Buch forciert. Diese gemeinsamen Bemühungen gipfelten im April 1937 in der ersten österreichischen „Woche des Buches“. Dieser deutsche Vorschlag, die beiden Vereine einander näherzubringen, war etwas problematisch, zumindest aus österreichischer Sicht. Während der Börsenverein in Leipzig zum Vollzugsorgan der RSK und somit des Propagandaministeriums geworden war, war der österreichische Verein eine öffentliche Körperschaft, über die man selbst im autoritären Regime nicht einfach so verfügte. Demnach bestand „Einvernehmen darüber, daß anzustreben ist, im Rahmen der Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen die Repräsentation des deutschen (!) Buches in der Welt durch die beiden deutschen Staaten auf eine gemeinsame (!) Linie zu bringen“ (Bericht, S. 3). Die österreichische Seite traute sich wenigstens den Wunsch vorzubringen, „daß bei den großzügigen reichsdeutschen Werbungsaktionen für das deutsche Buch die Werke österreichischer Autoren weitgehende Berücksichtigung finden, und daß bei der Auswahl der Bücher nicht nur der Charakter des Verlages, sondern auch die Gesamtleistung und die Bedeutung des Autors berücksichtigt werden sollen“ (ebda.). Diese Anregung zugunsten österreichischer Autoren und Verlage blieb übrigens eine Rarität.

Während der reichsdeutsche Programmpunkt VI (Unklarheiten bei Einhebung von Zollgebühren bei der Einfuhr reichsdeutscher Zeitschriften) von eher untergeordneter Bedeutung war, zeigte der letzte Punkt, nämlich „Bezug des nationalsozialistischen Schrifttums durch die in Österreich ansässigen Reichsangehörigen auf dem Wege über reichsdeutsche Buchhandlungen in Österreich“, wie weit das Tor für Nazi-Propagandawerke durch das Gentlemen-Agreement geöffnet worden war. Nur bedeutete eine Regelung dieser Frage die Halblegalisierung eines herrschenden Zustands, denn wer in Wien verbotene NS-Schriften kaufen wollte, der wußte ganz genau, zu welchen Buchhandlungen er gehen konnte. Um die „großen technischen Schwierigkeiten“, mit denen in Österreich ansässige Reichsangehörige beim Bezug von NS-Schrifttum zu kämpfen hatten, zu überwinden, regte die deutsche Seite an, den Bezug über reichsdeutsche Buchhandlungen in Österreich zu gestatten. Diese würden die einzelnen Bücher nur gegen Vorzeigen des deutschen Reisepasses und gegen Unterzeichnung einer Empfangsbestätigung ausfolgen. Somit könnten die österreichischen Behörden die Praxis jederzeit nachkontrollieren. Diese baten um Bedenkzeit.

Ihre Anliegen auf der Tagesordnung – drei an der Zahl – nehmen sich fast lächerlich aus. Sie standen somit der „Wunschliste“ keineswegs nach. Man beschwerte sich über „Österreichfeindliche Abschnitte“ in einem deutschen Schulgeschichtsbuch und über die „Propaganda von Vertretern des Verlags Eher gegen den Vertrieb österreichischer Verlagswerke durch reichsdeutsche Buchhandlungen“ In dieser letzten Beschwerde näherte sich die österreichische Seite schließlich den echten Problemen der exportierenden heimischen Verlage. Nur nach der Devise „was nicht sein darf, kann nicht sein“ – einer Devise, die für Repliken der deutschen Kulturunterhändler überhaupt kennzeichnend ist, wurde der „Tatbestand“ in Abrede gestellt:

Von reichsdeutscher Seite wird zu dieser Beschwerde die Erklärung abgegeben, daß einer etwaigen Verkaufsbehinderung der für den Buchhandel zugelassenen österreichischen Verlagswerke entgegengetreten wird; Nachforschungen im berichteten Fall e haben jedoch keine Anhaltspunkte für einen Zusammenhang mit dem angeführten Verlag ergeben. (Bericht, S. 5)

Unter dem letzten österreichischen Punkt „Verschiedenes“ sollten „insbesondere“ die den Buchhandel betreffenden gegenseitigem wirtschaftlichen Beanstandungen besprochen werden“. Konkret wurde man hiebei aber nicht: so wurden „befriedigende Auskünfte“ erteilt und die „notwendigen Erhebungen in kurzer Frist in Aussicht gestellt“ (Bericht, S. 5).

Der diplomatische Grundsatz, nach dem man „dem Vertragspartner ungefähr dasselbe einräumt, was man selbst für sich verlangt“ (Wolf), war anläßlich der Juli-Verhandlungen des Ausschusses für Buchfragen etwas – und zwar zugunsten der deutschen Seite – aus dem Gleichgewicht geraten.

Was das Los österreichischer Verlage im Deutschen Reich anbelangt, war es schon lange nicht mehr bei der „Propaganda“ gegen den Vertrieb österreichischer Verlagswerke durch deutsche Buchhandlungen geblieben.

Bevor wir uns mit den weiteren Tagungen dieses Ausschusses befassen, ist es notwendig, auf die konkreten Schwierigkeiten einzugehen, die österreichischen Verlagen im Geschäftsverkehr mit Deutschland widerfuhren. Daß dies hier vorgenommen wird, scheint nicht nur auf Grund der zeitlichen Abfolge opportun, sondern auch aus dem Grund, daß österreichische Behörden eigentlich erst infolge dieser Verhandlungen auf die diversen Behinderungen, auf die Existenzgrundlagen, aufmerksam gemacht wurden.

Anmerkungen

[1] Sowohl dieses Zitat wie auch die vorangegangenen Einzelheiten sind den „Dokumenten zum Abkommen vom 11. Juli 1936“ entnommen. Diese sind in: „Der Hochverratsprozeß gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht, Wien, 1947“, abgedruckt. Die zitierte Stelle ist auf S. 476 zu finden. Diese Quelle wird im folgenden als „Hochverratsprozeß“ mit Seitenzahl abgekürzt.

[2] HHSta, N.P.A., Karton 121, BKA 40.510-13/36, Protokoll, S. 2 f.

[3] Ein Beispiel: In seiner gefühlvollen und aus damaliger Nachkriegssicht durchaus verständlich apodiktischen Zeugenaussage anläßlich des Hochverratsprozesses gegen Dr. Guido Schmidt in Wien zwischen März und Juni 1947 behauptete Dr. Viktor Matejka z.B.: „So wurde eines der bedeutendsten Bücher in der Gegenliteratur gegen den Kampf, ein Werk KONRAD HEYDENS (sic!), unter dem Einfluß des Juliabkommens verboten. Auch bei einer Reihe anderer Bücher, die vom österreichischen Standpunkt aus eine wirksame Waffen bedeutet hätten, war dies der Fall.“ (Hochverratsprozeß, zit. Anm. 1, S. 276) Während man dem zweiten Teil der Aussage durchaus zustimmen kann, muß man auch einschränken, daß die „Ausschaltung“ der „wirksamen Waffen“ nicht erst unter dem Einfluß des Juliabkommens erfolgte, sondern bereits 1933/34. Und das war eigentlich der große Widerspruch, oder, anders formuliert, die selbst verschuldete Schwachstelle der offiziellen österreichischen Abwehr gegen den Nationalsozialismus. Was die erste Aussage betrifft, so war sie, wie aus dem zitierten Protokoll der interministeriellen Besprechung hervorgeht, objektiv unrichtig. Im Hochverratsprozeß entwickelte sich folgender Dialog zwischen Matejka und dem Verteidiger Schmidts: „Verteidiger: Woher wissen Sie, daß das Buch Heydens verboten war? Zeuge: ich kann nur sagen, daß es eben verboten war. Verteidiger: Dies ist nicht wahr. Im Akt erliegt ein Brief des Schweizer Verlegers an den Angeklagten mit der Frage, ob er über das Buch Heydens (sic!) eine Neuauflage erscheinen lassen könne. Der Angeklagte hat sich der Verbreitung des Buches nicht entgegengestellt. Zeuge: Später war das Buch jedenfalls verboten, praktisch zumindest.“ (Anm. 1, S. 281) Auch ein Jahr nach dem Abkommen waren die diversen Bücher Heidens (noch) nicht verboten, denn sie standen anläßlich der Juli-Verhandlungen 1937 auf der reichsdeutschen Liste von „Hetzliteratur“, die Österreich verbieten möge. Wenn das Werk nicht „verbreitet“ wurde, dann kann es nur an der politischen Einstellung mancher Wiener Buchhändler und Sortimenter gelegen haben. Spät aber doch wurden drei Werke Konrad Heidens von Österreich verboten, aber mit dem notwendigen zeitlichen Abstand zum Antrag der Deutschen. Das Verbot erfolgte im November 1937. Der Grund: das Bundesgesetz zum Schutz der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit (Ordnungsgesetz – O. G.). Dies war ein Monstergesetz, das am 18. August 1937 verlautbart wurde (BGBl. 282/1937), ein wahrhaftes Konglomerat von so ziemlich allen Verbotsgesetzen, die seit 1933 erlassen worden waren. Der konkrete Grund war § 4 des Gesetzes, d.h. „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes“.

[4] HHSta, N.P.A., Karton 123, BKA 42.468-13/36. Liegt bei BKA 43.913-13/36. In der „Verantwortung des Angeklagten“ Guido Schmidt im Hochverratsprozeß 1947 gab dieser folgendes zu Protokoll: „Der Kulturausschuß, der im September 1936 ins Leben gerufen wurde, hatte nur die Aufgabe, die Verbindungen so weit vorzubereiten, daß man unter diesem Dach ungestört arbeiten konnte. Der Austausch von Künstlern war in der Konfliktzeit vielfach nicht mehr er folgt. Wir mußten lange Zeit deutsche und Auslandskünstler bei uns vermissen. Im Kulturverkehr kam ferner der Austausch von Büchern in Frage. Ich habe mich in erster Linie für den Austausch belletristischer Literatur eingesetzt.“ (S. 33) Das Datum ist ein Irrtum. Der Kulturausschuß wurde erst im November d. J. anläßlich des Besuches in Berlin ins Leben gerufen.

[5] HHSta, N.P.A., Karton 123, BKA 42.468-13/36. Liegt bei BKA 43.913-13/36 bzw. BKA 41.296-13/37 als Gesamtakt.

[6] HHSta, N.P.A., Karton 123, BKA 42.468-13/36. Das Schreiben war von Franz Peters, Generalsekretär des Außenamts, an Sektionsrat Dr. Wilhelm Krechler in der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit gerichtet.

[7] Zl. 360.337-GD. 2. Wiederzulassung verbotener reichsdeutscher Bücher; Vorschläge der deutschen Gesandtschaft. Zur Zahl 42.468 vom 30. September 1936 (HHSta, s. Anm. 6).

[8] BKA, 43.913-13/36. Liegt bei BKA 44.970-13/1937.

[9] Das Unwissen reichsdeutscher Stellen, selbst der in Wien ansässigen, über die Verbotsweise in Österreich ist verblüffend. Wie bereits dargelegt, gab es zwei Rahmenkriterien für Verbote: a) ab 1933 erlassene Bundesgesetze, b) das Strafgesetz. Während man im ersteren Fall bei Verbotsaufhebungen Nachsicht walten lassen konnte, war dies sowohl rechtlich problematischer als auch komplizierter bei gerichtlich verbotenen Büchern. Solche Verbote aufzuheben, hätte einen bedenklichen Eingriff in das System der Rechtssprechung bedeutet.

[10] Liegt bei BKA 41.296-13/1937.

[11] BKA 44.970-13/1936.

[12] Zitiert nach dem vertraulichen Protokoll vom 21. November 1936. Es kann in diesem Rahmen nicht auf die weiteren, unser Thema nicht betreffenden Punkte der Vereinbarungen eingegangen werden. Auf die Bedeutung des Schmidt-Besuchs ist in der zeitgeschichtlichen Literatur mehrfach hingewiesen worden. Das Protokoll liegt lose in der Mappe „Kulturausschuß“ in HHSta, N.P.A, Karton 131.

[13]„ Die beiden Regierungen anerkennen, daß der Kommunismus den Frieden und die Sicherheit Europas gefährdet und bestätigen ihre Absicht, die kommunistische Propaganda in ihren Ländern mit allen Kräften zu bekämpfen.“ (wie Anm. 12)

[14] Neue, weitergehende wirtschaftliche Kombinationen im Donauraum hätten sich an den deutschen Kurs zu halten.

[15] Im Vordergrund der Berliner Gespräche standen wirtschaftliche Fragen, und hier vor allem der Ausbau der Handelsbeziehungen und die geplante beträchtliche gegenseitige Erweiterung vom Umfang des Handelsverkehrs. Diesbezügliche Verhandlungen sollten bereits am 7. Dezember in Wien begonnen werden. Die konkreten Vereinbarungen wurden am 27. Jänner 1937 in Wien abgeschlossen. Für Details zu diesem Thema siehe u.a.: KARL STUHLPFARRER, Der deutsche Plan einer Währungsunion mit Österreich. In: Anschluß 1938. Wien 1981 sowie NORBERT SCHAUSBERGER, Ökonomisch-politische Interdependenzen im Sommer 1936. In: Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen. Wien 1977, S. 280-298.

[16] Österr. Staatsarchiv, AVA, BMFU, Ges.zl. 25.962/1937.

[17] Der Hochverratsprozeß, zit. Anm. 1: Zeuge Max Hoffinger, S. 138 und Zeuge Albin Eugen Lennkh, S. 73. Bei der Abfahrt Neuraths wurde sodann „Hoch Schuschnigg“ und „Hoch Österreich“ gerufen. Ebda, S. 73.

[18] Keesings Archiv der Gegenwart vom 24. Februar 1937, S. 2946A.

[19] HHSta, N.P.A., Karton 123, BKA 36.585-13/37.

[20] HHSta, N.P.A., Karton 131, BKA 35.730-13/1937.

[21] Der Fall wurde auch aktenkundig (HHSta, N.P.A., Karton 131, BKA 36.657-13/1937). Kaum 24 Stunden nach der zitierten Abmachung mißachtete sie die deutsche Seite. Anlaß zu dieser Mißstimmung war wohl der Eigenbericht des Korrespondenten des Völkischen Beobachters in Wien, der anderntags am 3. März 1937 (S. 2) in der Berliner Ausgabe erschien. Der VB begnügte sich nicht mit einem Abdruck des offiziellen Kommuniqués. Es wurde auch in überschwenglich-propagandistischen Tönen von einem Frühstück berichtet, das der deutsche Gesandte Papen aus Anlaß des Abschlusses der Verhandlungen gab. Hier wurde sowohl Propaganda als auch Politik gemacht. Die verbale Umarmung Österreichs hörte sich in der indirekten Rede folgendermaßen an: „Die Kommission habe es als ihre Aufgabe betrachtet, das große gemeinsame Erbe zu vertiefen und es in den Mittelpunkt der volksdeutschen Mission im abendländischen Raum zu stellen. Das unterscheide ihre Arbeit grundsätzlich von den Kulturabmachungen, die sonst zwischen befreundeten Staaten getroffen würden. Auf eine Rede des Bundesministers a.D. Baron Hammerstein-Equord zurückkommend, sagte der Botschafter, es sei ein großer Irrtum zu glauben, daß das Deutsche Reich sich kulturell abschließen wolle. Die Zusammenfassung aller nationalen Energien, durch die der Führer dem Deutschen Volke den Weg in die Zukunft gewiesen habe, die Herstellung eines deutschen Volksbewußtseins weit über die Reichsgrenzen seien nicht nur eine große geschichtliche Tat, sondern auch ein außerordentlicher Beitrag für die Gesamtheit der abendländischen Kultur.“ Auch das inzwischen zum Bundeskommissär für Kulturpropaganda (dem Unterrichts-Ministerium untergeordnet) avancierte Ausschußmitglied Hammerstein-Equord kam zu Wort, ohne wohl zu ahnen, daß die diplomatischen Floskeln guten Willens mitstenographiert würden. Er „erwiderte, die Arbeiten der Kommission, die einen so versprechenden Anfang nahmen, hätten auf beiden Seiten das lang entbehrte Gefühl wieder verlebendigt, daß hier Deutsche zu Deutschen über gemeinsame große Aufgaben im abendländischen Raum gesprochen hätten“. Diese reichsdeutsche Entgleisung war für die österreichische Seite mehr als diplomatisch peinlich, und das Außenamt reagierte auch dementsprechend.

[22] Zu dieser Thematik siehe VOLKER DAHM, Das jüdische Buch im Dritten Reich. Erster Teil. Die Ausschaltung der jüdischen Autoren, Verleger und Buchhändler. Frankfurt/Main 1979, bes. Sp. 52.

[23] DIETRICH AIGNER, Die Indizierung „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ im Dritten Reich. Frankfurt/Main 1971, bes. Sp. 986.

[24] HHSta, N.P.A., Karton 131, Mappe „Kulturausschuß“. Darin „Bericht über die Sitzungen des Unterausschusses für Kulturfragen am 7. und 8. Juli 1937“. Fol. 19.642-19.645; fol.19.645.

[25] HHSta, N.P.A., Karton 121, Mappe Deutschland 1/12 E, Juliverhandlungen, Wien, 6.-10. Juli 1937. Die Frage der Salzburger Festspiele führte die Liste der „österreichischen Wünsche“ an die deutsche Seite. Verlangt wurde: „Vollkommene generelle Freigabe der für die Salzburger Festspiele heuer und für die nächsten Jahre benötigten, im Reiche engagierten Künstler – insoweit sie nicht durch anderweitige Engagements und sonstige natürliche Hindernisse behindert sind.“ (ebda.)

[26] Österr. Staatsarchiv, Abt. AVA, BKA (Gendion), Beilage zu Zahl 314.780-G.D. 2. in: BMU, Ges.zl. 13.687-I-1937. Diese 16seitige Liste wurde durch eine Seite „nach dem Stande von Ende August 1937“ ergänzt. (Siehe HHSTa, N.P.A., Karton 134, BKA 43.617-13/1937. Gegenstand: Verzeichnis der in Deutschland verbotenen österreichischen Schriften.)

[27] Siehe den Beschluß der Besprechung im BKA (AA) am 27. Februar 1937 (BKA 35.730-13/1937).

[28] Der Hochverratsprozeß, zit. Anm. 1, S. 467-474 („Dokumente zum Abkommen vom 11. Juli 1936“).

[29] Österr. Staatsarchiv, Abt. AVA, BKA (Gendion), 22 gen, Karton 5.006, BKA 360.863-St. B.-G.D. 36. (Gesamtakt: BKA (Gendion), 359.662-St.B.-G.D. 37). Der Parallelakt (Außenamt) befindet sich in HHSta, N.P.A., Karton 122, BKA 34.972-13/37. Inhaber des hier angesprochenen, 1922 aus dem „Deutschen Schulverein“ hervorgegangenen Wiener Verlags war der aus Mähren gebürtige Adolf Luser (1886-1941). Luser war einer der prononciertesten nationalsozialistischen Verleger im Wien der 30er Jahre. Der 1922 gegründete und seinen Namen tragende Adolf Luser Verlag war Heim- und Brutstätte für eine Reihe von nationalen Autoren wie Robert Hohlbaum, Karl Maria Grimme, Erwin Stranik, Bruno Brehm, Maria Grengg, Karl Wache, Josef Weinheber u.v.a. Als es in Wien 1933 für kurze Zeit zu einer Flut von neugegründeten und kurzlebigen Nazi-Zeitungen kam, tat sich Luser z.B. zuerst mit dem „Unabhängigen Tagblatt für bodenständige Politik und Kultur“, Der Adler, das es auf 19 Folgen brachte und anschließend mit dem „Unabhängigen Tagblatt für deutsche Politik und Kultur“, Ostmark, hervor. „Prominenter“ Mitarbeiter dieser ebenfalls kurzlebigen Zeitung war Hans von Hammerstein(-Equord). Ob Görlitz beim Eckart-Verlag als Lektor beschäftigt war, ist nicht bekannt.

[30] Bundes-Polizeidirektion Wien, Pr.Zl. IV-11.496/2/35. Liegt bei AVA, BKA, 22 gen, Karton 5.006, Gendion 373.601 G.D.-St.B.-35.

[31] Auskünfte von Dr. Frederick Ungar, New York. In Beantwortung der Frage, ob Görlitz ein solcher Nazi-Emissär gewesen sein könnte, schrieb mir der einstige Gründer und Inhaber des Verlags, er glaube „rückblickend“, daß dieser ein „Infiltrator“ war. Da heißt es u.a.: “I am certain he did not praise his good connections with the Nazi party bosses or that he had worked for the Reichsschrifttumskammer. This would not have been a reason for hire him. How good an editor he was, I don’t remember. Had he done anything conspicuously useful, I would probably remember. He was employed only for a very short time, most likely late 1937 or even early 1938.“ (Brief an den Verf. vom 8. September 1981) Görlitz hat den Verlag allerdings nicht lange behalten können. Er wird als am 1. Februar 1943 „vermißt“ bezeichnet.

[32] HHSta, N.P.A., Karton 131, Mappe „Kulturausschuß“. Bericht über die Sitzungen des Unterausschusses für Kulturfragen am 7. und 8. Juli 1937, S. 2. Nicht nur in Buchfragen gingen die österr. Stellen dilatorisch vor. So beschwerte sich die deutsche Seite Anfang Juli 1937, daß von acht Verbalnoten, die von der deutschen Gesandtschaft seit dem 23. September 1936 wegen der Filmzensur an die österreichische Regierung gerichtet wurden, sieben bislang unbeantwortet geblieben wären.

[33] Verbalnote der Deutschen Gesandtschaft A 2.989 vom 12.5.37. HHSta, N.P.A., Karton 123, BKA 39.225-13/37.

[34] Ebda., BKA 40.555-13/37. Gegenstand: Bücherverbote im Verhältnis zu Deutschland.

[35] Ebda., BKA 40.600-13/1937. Das von deutscher Seite übermittelte „Verzeichnis der seit 1933 im Deutschen Reich verbotenen Werke österreichischer Verlage“ basierte zwar auf der Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums der RSK nach dem Stand vom Oktober 1935 (weitere veröffentlichte Listen gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht), war aber zwangsläufig nicht mit ihr identisch. War ein (österreichischer) Autor z.B. im Reich mit einem Gesamtverbot belegt, schienen hingegen nur diejenigen Werke im „Verzeichnis“ auf, die in österreichischen Verlagen erschienen waren. Das Verzeichnis umfaßte – wenn man etwa Buchreihen als einen Titel zählt – ca. 465 Titel. Der Bundesminister für Sicherheit, Odo Neustädter-Stürmer, schickte dieses Verzeichnis am 8. März 1937 an vier Stellen: das BMFU, das Generalsekretariat der Vaterländischen Front, den Herrn Bundeskommissär für Kulturpropaganda, Bundesminister a. D. Hans Hammerstein-Equord und schließlich den Herrn Bundeskommissär für Heimatdienst. Diese Liste verbotener österr. Bücher wurde dadurch „geschmälert“, daß – wie Neustädter-Stürmer bemerkte – „Druckwerke jener Art, die sich direkt gegen das derzeitige Regime in Deutschland wenden, naturgemäß nicht in Betracht kommen, (… )“. (AVA, BMU, 13.687-1937: Begleitschreiben Zl. 314.780- G. D. 2 der Generaldirektion). Einige österreichische Verlage, die marxistisch-sozialistische Autoren verlegten (Agis-Verlag; Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, Verlag für Literatur und Politik) oder auf Psychoanalyse spezialisiert waren (internationaler Psychoanalytischer Verlag) waren, nach diesem Verzeichnis zu schließen, vom deutschen Markt so gut wie ausgeschlossen. Der Bermann-Fischer Verlag (Wien) ist der einzige Verlag, dessen Autoren (es werden neun genannt: Alfred Döblin, S. Bing, Harry Graf Kessler, René Schickele, Arthur Schnitzler, Richard Specht, Siegfried Trebitsch, Jakob Wassermann, Carl Zuckmayer) mit einem Gesamtverbot belegt waren. Es sind durchwegs Autoren des früheren S. Fischer Verlags. Von Karl Kraus andererseits werden nur die „Zeitstrophen“ als verboten verzeichnet. An der propagandistischen Natur der in Österreich bislang verbotenen und dann wieder zugelassenen Bücher kann kein Zweifel bestehen. Mit Ausnahme von vielleicht zwei Titeln – einer Bearbeitung von BUCHMANNs Geflügelten Worten, das einzige, was man in dieser Liste entfernt mit Belletristik in Verbindung bringen kann – und PETER RAABES Die Musik im Dritten Reich – waren die Werke ausgesprochen politischen und/oder militärischen Inhalts.

[36] AVA, BMU, 24 D Zeitschriften, Zl. 13.687-I-1/1937.

[37] HHSta, N.P.A., Karton 134, BKA 40.600-13/1937. Werfel war im Reich mit einem Gesamtverbot belegt. Drei Werke, die bei Zsolnay erschienen waren, standen im deutschen Verzeichnis. Werfel war auch sonst im Reich unerwünschter Autor. So war ein Werk von ERNST BENEDIKT, Karl Josef Fürst von Ligne, das 1935 beim Wiener Verlag Gerold & Co. erschienen war, im Reich verboten worden. Der Grund dafür lag nicht am Inhalt, sondern am Verfasser des Vorworts, und dieses stammte von Franz Werfel. Über diplomatische Kanäle konnte 1936 erreicht werden, daß eine 2. Auflage, diesmal ohne Werfels Vorwort, anstandslos im Reich zugelassen wurde.

[38] HHSta, N.P.A., Karton 131, Mappe „Kulturausschuß“, fol. 19.633.

[39] „Bericht über die Sitzung des Unterausschusses für Buchfragen des Ausschusses für die kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland vom 21.-24. Juli 1937 in Wien“, S. 3. (HHSta, N. P. A., Karton 134, BKA 42.418-13/37.) Im folgenden als „Bericht“ mit Seitenzahl zitiert.

[40] Auf Grund des § 4 des Ordnungs-Gesetzes (BGBl. Nr. 282/37) war die Verbreitung von sieben Büchern, von denen fünf im Zürcher Europa-Verlag erschienen, in Österreich nunmehr verboten. (Siehe Anzeiger, Nr. 26, 27. XI. 37, S. 170.)

[41] Die Bundes-Polizeidirektion Wien hat mit Zahl P.B. 64/13/37 am 11. September die komplette Liste der wieder zugelassenen Bücher an die vielen betroffenen Ministerien, Organisationen, Bibliotheken und dgl. ausgesandt. Eine Woche später hat das offizielle Organ der Buchhändler, der Anzeiger, in der Nr. 20 vom 18. September die Liste abgedruckt (S. 124). Schon am 26. August hatte der Anzeiger die Liste der 6 aufgehobenen Buchverbote im Reich veröffentlicht.

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