X. „Normalisierung“ in der Praxis: Modellfälle

 X. „Normalisierung“ in der Praxis: Modellfälle

1. Anzeigen im Börsenblatt. Behinderungen am Beispiel E.P. Tal und Herbert Reichner Verlag

Es gehört zu den vielverbreiteten Fehlmeinungen, daß der Nationalsozialismus bei der Machtergreifung im Jahre 1933 über einen verbindlichen Gesamtplan seiner künftigen Rassenpolitik gegenüber den Juden verfügte. Genausowenig aber verfügte er über konkrete Vorstellungen, was die künstlerische und kulturelle Betätigung der Juden betrifft.[1] Man kann wohl sagen, daß Übereinstimmung in der Frage herrschte, daß „Nicht-Arier“ aus dem deutschen Kulturleben zu entfernen wären. Auch die vielzitierten Bücherverbrennungen und Ächtungen von bestimmten Schriftstellern konnten die Existenz eines solchen Gesamtplans nicht vortäuschen, richtungsweisend, wie sie gewesen sein mögen. Man muß vielmehr die Entwicklung in ihrem historischen, chronologischen Ablauf verfolgen,[2] denn die Judenpolitik im künstlerisch-literarischen Bereich war voll von Kompromissen, Sachzwängen und Inkongruenzen, wodurch Theorie (Ideologie, Gesetze, Erlässe usw.) und Praxis (Ausschaltung der Juden) oft weit auseinanderklafften.

Ein anschauliches Beispiel für sachliche wie auch zeitliche Inkongruenzen liefert die Angelegenheit Anzeigen österreichischer Verleger im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel.

Die statistisch belegte Binsenweisheit von der Abhängigkeit österreichischer Verleger vom reichsdeutschen Absatzmarkt rückt die Frage von Verlagsanzeigen im offiziellen Organ des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, dem Börsenblatt, in den Vordergrund. Ins Reich wurden ja etwa 65-75% (in Einzelfällen, z.B. bei speziellen Bildbänden lag die Zahl bei bis zu 95%) der Produktion geliefert und dort verkauft. Banal ausgedruckt, war also Werbung im Reich von großer Notwendigkeit.

Man kann der These Dahms zustimmen, daß Buchhandelsfirmen und Verlagsanstalten im Ausland, also z.B. in Österreich, die sich in jüdischem Besitz befanden oder von Juden geleitet wurden, eine Zeit lang eine „privilegierte Stellung“, eine „Sonderstellung“ genossen. Woran lag diese „Freizügigkeit“ auf deutscher Seite und wie wirkte sie sich aus? Dazu muß man ein paar Worte über den Börsenverein sagen, denn diese „privilegierte Stellung“ war auf die Natur, besser gesagt, auf die Struktur des Börsenvereins zu Leipzig zurückzuführen.

Im November 1933 wurde der Börsenverein als Ganzes in die RSK einbezogen, d.h. eingegliedert. Doch diese Organisation des Buchhandels sollte zwar „zu einem brauchbaren Instrument für das Dritte Reich“ (W. Baur) gestattet werden, war aber von Haus aus keine rein innerdeutsche Organisation, sondern eine supranationale Vertretung. Und eben aus der besonderen Struktur entwickelten sich die Schwierigkeiten und die Gefahr, daß der Börsenverein hiedurch „zerschlagen“ werde. Schwierigkeit Nummer eins lag in der Tatsache, daß das Vereinsgebiet weit über die Reichsgrenze hinausreichte, also im Zusammenschluß des Börsenvereins mit einer größeren Anzahl ausländischer Vereine, darunter dem österreichischen, und in der Zugehörigkeit ausländischer Buchhändler zum Börsenverein. Es herrschte nach Ankündigung der Zweiten Durchführungsverordnung zum RKK-Gesetz am 9. November 1933, nach der die Eingliederung in die Einzelkammern künftig als Voraussetzung der Berufsausübung zu gelten hatte, Unklarheit darüber, ob österreichische Buchhändler, Autoren und Verleger zur Zwangsmitgliedschaft verpflichtet seien oder nicht. Die Mitgliedschaft in der RSK stand ausländischen Buchhändlern frei, war aber wiederum keine Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Börsenverein. Der österreichische Verein sah daher für heimische Buchhändler keine Veranlassung zum Beitritt zur RSK.[3] Nach der Eingliederung des Börsenvereins in die RSK gab der Börsenverein bekannt, daß er beauftragt sei, „die Eingliederung des Buchhandels in die RSK durchzuführen“[4] und daß „Buchhändler, die bereits Mitglied des Börsenvereins sind, (…) sich selbstverständlich nicht nochmals besonders zu melden“ brauchen. (ebda.) Verwirrung herrschte noch darüber, wie die RSK-Mitgliedschaft außerhalb des Reichsgebiets zu funktionieren habe. Diese Frage wurde durch die Bekanntmachung des Präsidenten der RSK vom 30. Juli 1934 (BBl., Nr. 180 vom 4. August 1934) beantwortet.[5] Hievon betroffen waren nur Schriftsteller, die innerhalb des Deutschen Reichs ihren Wohnsitz hatten. Reichsdeutsche Verleger im Ausland lebender Autoren hatten sich deshalb nicht um deren allfällige Mitgliedschaft zu kümmern. Darüber hinaus hatte das RKK-Gesetz als deutsches Recht nur innerhalb der deutschen Reichsgrenzen Gültigkeit.

Durch die Eingliederung wurde der Börsenverein praktisch zum Zwangskartell gemacht, aber dieser Zustand war mit der geltenden Gesetzgebung nicht vereinbar, genausowenig wie ein Arierparagraph in die RKK-Gesetzgebung des Jahres 1933 aufgenommen werden konnte.[6] Aus Rücksicht auf den Börsenverein, also als „freier und über die Grenzen des Reiches hinausreichender Verband“[7] wurde er 1934 wieder „ausgegliedert“. An Stelle des Börsenvereins war nunmehr der „Reichsbund der Deutschen Buchhändler“ als Fachverband in der RSK vertreten. Fazit: „Der Börsenverein werde als freier Verband im Einverständnis mit der Reichskulturkammer eine Art Zweckverband werden, in dem wieder alle buchhändlerischen Zweige im Reichsgebiet und diejenigen Teile des ausländischen Buchhandels zusammengeschlossen würden, die am Absatz des deutschen Geistesgutes besonders interessiert sind.“ (ebda.)

Aus diesem Zustand heraus ist die folgende mißmutige Feststellung des Judenhetzers Will Vesper Anfang 1938 zu verstehen:

Nach den bestehenden notwendigen Verträgen mit dem deutschen Auslandsbuchhandel ist das „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“ nicht in der Lage die Börsenanzeigen von jüdischen Autoren und jüdischen Verlagen des Auslandes abzulehnen, oder sie als jüdisch zu kennzeichnen.[8]

Dahm ortet ebenfalls zu Recht eine „unterschiedliche Behandlung“ der in- und ausländischen Buchhändler (und Verleger) und sieht dies einerseits in der Tatsache, daß sie nicht aus der Neuausgabe des Adreßbuchs für den deutschen Buchhandel für 1936 gestrichen wurden,[9] andererseits in den Anzeigen aufnahmen:

Die jüdischen Verleger in Österreich konnten bis zum „Anschluß“ Österreichs ungehindert[10] im Börsenblatt inserieren.

Das Problematische an dieser apodiktischen Aussage – etwas, was Dahm sonst bei anderen häufig und völlig zu Recht bekrittelt – ist, daß sie nicht stimmt. Die Verweigerung von Annoncen österreichischer Verleger, die – wie es der Zufall oder die Berechnung haben will – ausschließlich, so scheint es, entweder kürzlich aus Deutschland emigriert und noch dazu „Judenverlage“ (Vesper) waren oder nur „Judenverlage“ waren, gehörte nämlich zum „Behinderungsarsenal“ gegen österreichische Verlagsanstalten. Das läßt sich auch mehrfach konkret belegen. Zuerst aber muß man unterstreichen, daß hier keine konsequente, kontinuierliche Politik von Anfang an vorlag. Die nationalsozialistische Literaturpolitik, vom Bedürfnis ausgehend, Nichtarier aus dem Buch- und Verlagswesen auszuschalten, war das Produkt von Improvisation und Evolution. Dazu ein Beispiel von einem Verlag im Jahre 1934 und demselben Verlag in Jahre 1937.

Der junge Wiener Verleger Herbert Reichner stieg in das Geschäft mit der Belletristik mit der ersten Buchveröffentlichung des im Reich geächteten Schriftstellers Stefan Zweig ein, und zwar nach dessen Trennung vom Insel-Verlag. Reichner, der relativ selten im Börsenblatt annoncierte, konnte am 15. Mai 1934 ein ganzseitiges Inserat für das neue Zweig-Buch Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam publizieren. Das war Mitte 1934 möglich, obwohl a) Stefan Zweig zu den verbrannten Dichtern der ersten Stunde gehörte und Jude war und b) Herbert Reichner nicht Mitglied des Börsenvereins war und einen „jüdischen Verlag“ führte.[11] Die Zeiten und Sitten änderten sich: 1937 war hingegen nach der vom Börsenverein (Börsenblatt-Anzeigenverwaltung) gehandhabten Politik die Gegebenheit „jüdischer Verfasser“ im ausländischen Verlag ausreichender Grund, eine Anzeige des österreichischen Verlags zu verweigern. So hat die Schriftleitung des Börsenblatts am 8. September 1937 dem Herbert Reichner Verlag eine Anzeige des Buches von Paul Stefan Die Zauberflöte abgelehnt, einzig und allein, weil der Verfasser Jude war. Reichners Antwort auf die Ablehnung wies auf eine Inkonsequenz nationalsozialistischer Literaturpolitik hin, und zwar „mit dem Hinweis, daß das Buch in der Parteizeitung [!] ‚Bayerische Ostmark’ in Bayreuth am 8. August 1937 eine glänzende Besprechung erfahren habe“.[12] Auf eine entsprechende Erkundigung des Börsenvereins bei der Schriftleitung der genannten Zeitung wurde mitgeteilt, „daß dem Besprecher nicht bekannt war, daß Paul Stefan Jude ist“ (ebda.). „Dem Verlag Reichner gegenüber haben wir auf der Ablehnung bestanden, und er hat sich damit zufriedengegeben“, heißt es abschließend zu diesem Fall.

Daß die Schriftleitung des Börsenvereins überfordert war, zeigen weitere Ungereimtheiten, wie sie etwa von der Auswahl von Autoren und Werken in der „Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ bekannt sind. So „mußte“ das Börsenblatt eine Anzeige über ein Buch Franz Molnars (Der grüneHusar) aus dem Herbert Reichner Verlag ablehnen, „da der Verfasser Jude ist“. Reichner konterte, „daß Molnar genau so ein reiner Ungar sei wie z.B. Körmendi.“ Dessen Bücher durften aber von dem der NSDAP gehörenden Ullstein-Verlag sowie von den Verlagen Universitas und Bermann-Fischer „ruhig angezeigt und verkauft werden“ (Reichner). „Molnar unterscheide sich in nichts von Körmendi“, meinte er außerdem. Nur war es der Schriftleitung des Börsenblatts „bisher nicht bekannt, daß Körmendi Jude ist, und wir haben daher dem Verlag Reichner geschrieben, daß wir in Zukunft auch Anzeigen über Bücher von Körmendi ablehnen werden“. Diese Frage der Anzeigenverweigerung löste sodann einen Schriftwechsel mit dem Bermann-Fischer Verlag in Wien aus, denn es lag eine Anzeige für Franz Körmendis Liebesroman Die Begegnung bei der Schriftleitung vor.

Am 29. September 1937 wurde Bermann-Fischer die Ablehnung auf Grund von Körmendis nichtarischer Abstammung mitgeteilt. Bermann legte am 1. Oktober „Berufung“ ein, wies darauf hin, daß er keine Möglichkeit habe, „den ungarischen Schriftsteller Körmendi bezüglich seiner arischen Abstammung zu fragen“. Körmendi sei aber von Mussolini ausgezeichnet worden und nehme eine große Stellung in Ungarn ein.[13] Dem Börsenblatt wurde „anheimgestellt“, „die Anzeige erscheinen zu lassen“. Sie erschien nicht.

Das sichere Auftreten mit Ablehnungen von Anzeigen im Umgang mit österreichischen Verlagen war mit beträchtlicher interner Unsicherheit gekoppelt. In einem Schriftstück der Geschäftsleitung des Börsenblatts „Betr. Jüdisches Schrifttum aus dem Ausland“ vom 7. Oktober 1937 ist das Problem ganz konkret formuliert. Einen deutlicheren Beweis für die Unrichtigkeit der Ansicht Dahms, daß österreichische Verlage im Börsenblatt ungehindert inserieren konnten, ist kaum vorstellbar. Da liest man:

Wir sind in den letzten Wochen wieder mehrmals in die Lage gekommen, Anzeigen von Büchern jüdischer Verfasser besonders von österreichischen jüdischen Verlegern zurückzuweisen.

(…)

Aus den meisten dieser Ablehnungen hat sich ein langwieriger Briefwechsel entwickelt, der z.Zt. noch nicht abgeschlossen ist. Die genannten Fälle stellten uns von neuem vor die Entscheidung, ob wir in besonderen Fällen Bücher jüdischer Verfasser, die von ausländischen Verlegern kommen, anzeigen oder ob wir, soweit es sich um schöngeistiges Schrifttum handelt, auf unserem ablehnenden Standpunkt bleiben.

Die Frage des wissenschaftlichen Schrifttums will ich dabei zunächst nicht anschneiden, denn sie würde uns mit fast allen ausländischen Verlagen in Konflikt bringen, abgesehen davon, daß es, wie sich herausgestellt hat, nahezu unmöglich ist, über die Abstammung eines ausländischen Autors etwas festzustellen.

(…)

Die aufgezählten Fälle, die sich alle in der letzten Zeit abgespielt haben, zeigen deutlich, wie oft wir Anzeigen über jüdische Bücher ablehnen müssen, denn wir können uns nicht dazu hergeben, ausländisches jüdisches Schrifttum im Börsenblatt zu propagieren.

Aus dieser Politik der Anzeigenverweigerung geht hervor, daß man generell nach dem rassischen Kriterium „jüdische Autoren“, „ausländisches jüdisches Schrifttum“ vorging, und zwar offensichtlich unabhängig vom Inhalt wie auch unabhängig davon, ob es sich um „traditionell“ nicht genehme Literatur handelte. Oberste Entscheidungsinstanz war der NSDAP-Eher Verlag-Funktionär und Erster Vorsteher des Börsenvereins (seit 21. 9. 34) Wilhelm Baur.

Die Frage, ob Werke nichtarischer Autoren von der Verbreitung im Deutschen Reich ausgeschlossen waren – eine Frage, die, wie erinnerlich, von den deutschen Behörden verneint wurde – stand somit auf einem anderen Blatt.

Bevor wir aber auf offizielle Reaktionen auf die Anzeigenverweigerung durch das Börsenblatt eingehen, sehen wir uns einen Modellfall für diese Spielart der Behinderung österreichischer Verlage näher an. Er betrifft den E.P. Tal & Co. Verlag und war selbst Lesern der amtlichen Wiener Zeitung bekannt.[14] Seit Februar 1935 hatte der Tal-Verlag wiederholt Schwierigkeiten hinsichtlich der Aufnahme seiner Verlagsanzeigen im Börsenblatt gehabt. Ernst Peter Tal wandte sich nicht – was im Fall von diversen Schwierigkeiten einzelner österreichischer Verlage allgemein üblich war – an österreichische Regierungsstellen, sondern versuchte eigenhändig, den Grund für die Verweigerung seiner Inserate in Erfahrung zu bringen, allerdings ohne Erfolg. Im August dieses Jahres wandte er sich an den ihm persönlich bekannten Vorsitzenden des österreichischen Buchhändlervereins, Wilhelm Frick, in der Hoffnung, dieser könnte eine befriedigende Antwort aus Leipzig erhalten.[15] Tal war der Überzeugung, daß es sich bei der monatelangen Verweigerung nicht um ein „Definitivum“ handle, er habe ja ein Schreiben der Anzeigenverwaltung des Börsenblatts vom 9. September erhalten, in dem seine Firma zur Beteiligung an der Weihnachtsnummer aufgefordert worden war. Es bedürfe, schreibt er am 11. September an Frick persönlich, wahrscheinlich „nur eines äußeren Anstosses (…) damit die Sache in Ordnung gebracht wird“. Die Schriftleitung des Börsenblatts hat Tals Anzeigen mit der Begründung zurückgewiesen, „daß von irgendeiner amtlichen Stelle die Aufnahme von Anzeigen dieses Verlages untersagt sei. Eine nähere Begründung soll die Firma nicht erhalten haben“ (Frick an den BV, 13.9.35). Es möge Tal, als BV-Mitglied, gestattet werden, seine satzungsmäßigen Rechte wieder auszuüben, heißt es da ferner. Von der Geschäftsleitung kam erst zwei Wochen später eine Antwort, die kurz ausfiel:

Auf Ihre Anfrage teilen wir Ihnen streng vertraulich mit, daß wir die Anweisung erhalten haben, Anzeigen des genannten Verlages abzulehnen, weil er im dringenden Verdacht steht, Verlage zu fördern, die gegen Deutschland gerichtete hetzerische Literatur herausbringen.

Hierauf kapitulierte der Verein und teilte Tal am 30. September mit, daß „wir (…) ebenfalls nur die Mitteilung erhalten können, daß er (der Börsenverein) die Weisung habe, Anzeigen Ihres Verlages abzulehnen“. Tal gab sich damit nicht zufrieden. Am 4. Oktober schrieb er folgenden privaten Brief an Wilhelm Frick, der hier auszugsweise wiedergegeben wird:

(…)

Der Verein sieht sich anscheinend außerstande, weitere Schritte in dieser Sache zu unternehmen.

Ich weiß nicht, sehr verehrter Herr Kommerzialrat, ob diese Anschauung richtig ist. Es ist ein Mitglied des Vereines in seinen Rechten als Mitglied des Börsenvereines beeinträchtigt worden, ohne daß dieses Mitglied sich etwas zuschulden kommen ließ. Denn, wäre dieses der Fall, so wären die entsprechenden Tatsachen mindestens dem Verein der österreichischen Buchhändler gegenüber, wenn auch vielleicht nur vertraulich, bekanntgegeben worden. Ich bin daher der Meinung, daß der Verein, gestützt auf diese Tatsache, wohl in die Lage gesetzt wäre, dem Börsenverein entsprechend entgegenzutreten und zu verlangen, daß die Rechte seiner Mitglieder anerkannt werden, solange sich diese nichts zuschulden kommen lassen. Ich denke, daß derlei überall auf der Welt geschieht.

(…)

Ich bitte Sie, sehr verehrter und lieber Herr Kommerzialrat, nochmals zu bedenken, daß die Nichtaufnahme meiner Anzeigen im Börsenblatt nicht nur eine moralische Schädigung für mich bedeutet, sondern auch eine materielle, deren Ausmass gar nicht zu unterschätzen ist.

Ich gebe mich der Hoffnung hin, sehr verehrter Herr Kommerzialrat, daß Sie gewiß, aber eigentlich auch der Verein, sich der Gewichtigkeit der Sache für mich und mein Unternehmen bewußt sind und daß doch noch ernsthafte Versuche gemacht werden, die deutschen Stellen von der Ungerechtfertigtheit und der Unmöglichkeit ihrer Haltung zu überzeugen, ebenso wie es meiner Meinung nach unschwer sein kann, die deutschen Stellen davon zu überzeugen, daß dieses Verfahren zu einem Zeitpunkt, wo zwischen den beiden Staaten alle Bemühungen gemacht werden, um vorhandene Spannungen abzubauen, durchaus unpassend ist.

(…)

Frick wandte sich am 26. Oktober vertraulich an Ernst Reinhardt in München, Mitglied des Gesamtvorstands des Börsenvereins und selber Verleger, um somit weitere Schritte zu unternehmen, „die zum Schutz und zur Wahrung der Rechte des Tal-Verlages als Mitglied des österreichischen Vereines und des Börsenvereines dienen sollten“. Da auch der Verein „keine präzise Begründung“ für die Ablehnung erhalten habe, möge Reinhardt die Angelegenheit genau prüfen. Eine Antwort kam nicht, so daß Frick am 18. November 1935 Reinhardt ein zweites Mal schrieb. Dann kam endlich am 26. November eine Antwort vom Generaldirektor des Börsenvereins Albert Heß höchstpersönlich. Sie zeigt, inwieweit das Propagandaministerium über die RSK sich in solchen Dingen einschaltete und inwieweit der Börsenverein „zu einem brauchbaren Instrument für das Dritte Reich“ gestaltet worden und die vom Min. Rat Dr. Heinrich Wismann ausgedrückte „Hoffnung auf gute Zusammenarbeit zwischen dem von ihm [Wilhelm Baur] geleiteten Börsenverein und der Reichsschrifttumskammer“[16] in Erfüllung gegangen war. Hier der volle Wortlaut:

(…)

Sehr geehrter Herr Kommerzialrat!

Herr Reinhardt hat mir die frühere Korrespondenz und neuerdings auch Ihren eingeschriebenen Brief übersandt. Ich konnte Ihnen noch nicht antworten, da ich in der Angelegenheit Verhandlungen in Berlin führen mußte. In diesen Dingen liegt die Entscheidung nicht bei uns, sondern wir müssen uns an die Weisungen, die uns gegeben werden, halten. Es läßt sich von uns aus wegen der Aufträge auf Anzeigenaufnahmen durch Herrn Tal nichts tun. Die Verbindung des Herrn Tal mit Emigrantenverlagen ist unbestreitbar. Wir können deshalb seinen Anspruch auf Erfüllung der Mitgliedspflichten nicht erkennen. Im übrigen werden die Bestimmungen über die Verwaltung des Börsenblattes eine entsprechende Änderung erfahren.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

gez. HESS

Die Feststellung über die „unbestreitbare Verbindung“ von Tal mit „Emigrantenverlagen“ war in Wirklichkeit gar nicht so abwegig, nur erfuhr Tal von diesem Sachverhalt offiziell nichts. Interessant war die Art und Weise, wie die deutschen Propagandaherren sich an Tal rächen wollten. Zu dieser „Verbindung“ gefragt, schrieb die Witwe des Ende 1936 früh verstorbenen Verlegers:

Ich glaube zwar nicht, dass jene Verlage direkt hetzerisch waren, aber vom Nazi Standpunkt, da sie jüdische Autoren brachten etc. ist also Span dran. Es hat sich so verhalten: Talverlag war in enger Verbindung mit Verlag Allert de Lange in Holland. Um unsere jewish authors vorläufig vor dem verhungern zu schuetzen, wagten wir den kuehnen Sprung unsere Autoren unter getarnten Namen bei Allert de Lange herauszubringen und in Deutschland zu verkaufen. (…) Es blieb wohl nicht ewig geheim.[17]

Wie ein Blick auf die Erscheinungen des E.P. Tal Verlags in den Jahren 1934 bis 1936 beweist, veröffentlichte Tal selber eine ganze Reihe von unerwünschten bzw. nicht genehmen Autoren und schuf somit im Gegensatz zu seinem Kollegen Paul Zsolnay keinen „Ghettoverlag“.[18] Tal war sich aber wohl dessen bewußt, „daß es auch in Österreich bereits eine unwillkürliche Zweiteilung der Verlage gäbe, nach dem Gesichtspunkt, ob sie im Dritten Reich ‚rassisch’ genehm sind oder nicht“.[19] Wenn die Herren vom Propagandaministerium die österreichische Verlagsszene genau beobachteten – und das ist wohl anzunehmen – müßten sie allerdings einen größeren „Feind“ hinsichtlich der Förderung der Hetzliteratur erspäht haben, nämlich einen Buchhändler namens Josef Kende.[20]

Die Gründe für die neuerliche Zulassung waren nicht zu ermitteln. Der E.P. Tal & Co. Verlag konnte später bis zum „Anschluß“ weiterhin im Börsenblatt inserieren.

Unter den als „Judenverlag“ apostrophierten österreichischen Verlagsanstalten scheint ein Verlag hinsichtlich Anzeigen im Börsenblatt keinerlei Schwierigkeiten gehabt zu haben. Im Gegenteil. Es war dies der Paul Zsolnay Verlag, der von allen österreichischen Verlagen am häufigsten und am meisten im Börsenblatt ankündigte. Was die Plazierung dieser Anzeigen betrifft, hatte Zsolnay eine Vorliebe für die erste Umschlagseite (Titelseite). Solche Annoncen im Börsenblatt waren mit beträchtlichen Werbeausgaben verbunden. Billiger kamen Annoncen im österreichischen Anzeiger, doch galt solche Werbung dort allgemein für „wertlos“. Nach dem Anzeigentarif 1934 kostete eine ganze Seite 84 RM, eine halbe Seite 42 RM und eine Viertelseite 21 RM. Zuzüglich Platzaufschlag (71¼%) kostete die erste Umschlagseite stolze 105 RM. Diese wurde üblicherweise jeweils am 1. Oktober für das kommende Jahr vergeben. in einer konkreten Relation gesehen, kostete eine Einzelnummer des Börsenblatts 20 Pfg. (für Mitglieder) bzw. 40 Pfg. (für Nicht-Mitglieder).

Daß jüdische Verleger in Österreich bis zum „Anschluß“ nicht ungehindert inserieren konnten, war sowohl der Standesvertretung wie auch Regierungsstellen in Österreich spätestens im Jahr 1937 bekannt. Nur: die Angelegenheit kam in den Sitzungen des Kulturausschusses nicht zur Sprache.

Die Anzeigen im Börsenblatt hatten für ins Reich exportierende österreichische Verlage die Bedeutung, daß sie den gesamten deutschsprachigen Buchhandel mit Neuerscheinungen bekannt machten. Im Reich selber hatten sie eine weitere Bedeutung. Sie waren so etwas wie ein „Unbedenklichkeitsausweis“. Die angezeigten Werke hatten sozusagen das Placet höherer Stellen, und man konnte sie also ohne weiteres bestellen und verkaufen. Der Sturm über Österreich formulierte das so:

In der für die Propaganda wichtigsten Zeit verweigert das „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ die Annahme von Anzeigen ganz unbedenklicher und völlig harmloser Bücher, nur um den reichsdeutschen Buchhandel in Unkenntnis österreichischer Neuerscheinungen zu lassen. Es gibt ja tausende deutsche Buchhändler, die nur das zu bestellen sich getrauen, was durch die Anzeige im „Börsenblatt“ quasi legitimiert ist. Eine glänzende Idee ist’s auch, daß die meisten deutschen Tageszeitungen, wenn sie schon ein wertvolles österreichisches Buch besprechen, den österreichischen Verlag undeutlich, ja oft gar nicht nennen. Diese Gewohnheit haben auch reichsdeutsche Sender. Das macht manche Würdigung praktisch wertlos.[21]

Und als ein betroffener Verlag vom Unterrichtsministerium gebeten wurde, zu dieser Problematik vertraulich Stellung zu nehmen – es handelt sich um den E.P. Tal Verlag – konnte man lesen:

Ein gesondertes Problem wäre noch das „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“, das unsere Anzeigen nach Belieben aufnimmt oder ablehnt.

Der österreichische Anzeiger ist eine ganz interne Angelegenheit, aber wertlos. Wenn das „Börsenblatt“ eine Anzeige ablehnt, so ist ein solches Buch vom Weltmarkt abgeriegelt und geht sogar in Österreich unbemerkt unter. Nur die Anzeige im „Börsenblatt“ gilt.[22]

Der Verein lenkte zwar die Aufmerksamkeit österreichischer Regierungsstellen auf das Problem,[23] doch geschah in den zwischenstaatlichen Verhandlungen in dieser Richtung nichts. Wohl kam es im Oktober 1937 zu Verhandlungen in Berlin zwischen Emmerich Morawa, dem Vertreter des Österr. Vereins, und dem Börsenverein (Geschäftsführer Heß, Vorsteher Baur), nur waren den deutschen Herren im allgemeinen „nirgends Schwierigkeiten bekannt“.[24] Sonst gab man die übliche Praxis nicht zu. Das Thema „Anzeigen im Börsenblatt“ hing nach deutscher Auffassung ausschließlich mit der Frage „Nicht genehme Literatur“ zusammen. Die Annoncenverweigerung wurde folgendermaßen begründet:

Deutscherseits stößt man sich daran, daß gewisse Verlage und Autoren, die aus Deutschland abgewandert sind, nun auf einem neuen Wege in Deutschland Eingang zu finden trachten. Es handelt ich hiebei nicht nur um wirtschaftliche Fragen, sondern vor allem um die nichtgenehme Geistesrichtung dieser Publikationen. (ebda.)

Dies ist nur der erste Hinweis dafür, daß es, gemäß den Wünschen Will Vespers, den sog. „Emigrantenverlagen“ besonders an den Kragen gehen sollte. Die betroffenen Verlage verlegten unerwünschte Literatur (Tal, Reichner, Saturn-Verlag) oder waren das, was man gemeinhin als emigrierte Verlage bezeichnen könnte (Thomas-Verlag Jakob Hegner, Bermann-Fischer Verlag, Bastei-Verlag). Es handelte sich mit Ausnahme der vorübergehenden Sperre von E.P. Tal keineswegs um die Verweigerung aller Anzeigen dieser Firmen, sondern nur um Werke jüdischer Autoren. So konnten nicht nur der Paul Zsolnay Verlag, sondern auch der unter kommissarische Leitung gestellte Bermann-Fischer Verlag nach dem „Anschluß“ weiterhin inserieren. Schwierigkeiten „genehmer“ österreichischer Verlage – sofern sie das Börsenblatt als Werbemittel gebrauchten – sind nicht bekannt.

2. Deutsche Autoren und die Devisenstelle

Neben der Behinderung österreichischer Verlage auf dem Werbesektor konnte man im Reich auch sonst indirekt das Programm österreichischer Verlage beeinflussen. Das geschah, indem man es reichsdeutschen Autoren finanziell unattraktiv machte, mit österreichischen Verlagen Verträge abzuschließen. Details über diese „Variante“ kann man einem Schreiben des Inhabers des emigrierten Verlags „Thomas-Verlag Jakob Hegner“ an einen seiner Autoren, den österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg[25], entnehmen:

P.S. Wie wir soeben hören, macht die Devisenstelle deutschen Autoren Schwierigkeiten, mit österreichischen Verlagen Verträge abzuschließen. Sollte diese Praxis allgemein angewendet werden, so werden österreichische Verlage deutsche Autoren nicht mehr bringen können. Der österreichische Verlag würde dadurch zu einer Art Emigrantenverlag abgestempelt, oder er wird nur Übersetzungen bringen können.

Wir erlauben uns daher, Sie hochverehrter Herr Bundeskanzler, auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, da Abhilfe vielleicht jetzt noch möglich, später jedoch, wenn die Praxis einmal eingerissen ist, kaum mehr durchführbar sein wird. Sicher ist, daß jeder deutsche Autor einen Vertrag mit einem ausländischen Verlag der Devisenstelle vorlegen muß, der es freistellt, die Erlaubnis zu geben oder nicht zu geben.[26]

3. „…auf kalte Weise“: der versteckte Boykott, am Beispiel PHAIDON-VERLAG

„Die Schwierigkeiten des österreichischen Verlages im Verkehr mit Deutschland bestehen aus vielen geschickt angewandten Bedrängungen, gegen die man im einzelnen und als einzelner nicht aufkommt.“[27] So schätzte ein Vertreter des E.P. Tal Verlags die Lage im August 1937 ein. Es werde „niemals gerade vorgegangen“. Drüben stehe eine geschlossene Einheit, hier sei aber jeder nur auf sich gestellt. Es könne „kein Zweifel darüber bestehen, wer nachgeben muß“. (ebda.)

Es steht also den Deutschen frei, durch diese indirekten Methoden jederzeit den Verkauf im Reich zu drosseln, ja schon die Einfuhr zu verhindern. (ebda.)

Die Palette der Möglichkeiten war sehr breit, und dazu gehörte auch der mehr oder minder offene oder versteckte Boykott österreichischer Bücher. Ein Musterbeispiel hiefür liefert der Phaidon-Verlag.

Einen Aspekt der Boykott-Variante umriß der Sturm über Österreich, dessen Darstellung (wie auch weitere anzuführende Beispiele) zeigt, wie die höchste Instanz im Buchwesen, die Reichsschrifttumskammer, jederzeit ihre Hände in Unschuld waschen konnte, folgendermaßen:

Die Existenz „schwarzer Listen“, die im Buchhandel kursieren, ist nicht wegzuleugnen. Sie sind da! Aber auch öffentlich wird zum Boykott österreichischer Bücher aufgefordert. So hat Will Vesper neulich einen blutrünstigen Artikel in der stark verbreiteten „Neuen Literatur“ losgelassen, der bewirkte, daß die Buchhändler, die es überhaupt noch wagen, österreichische Bücher zu beziehen, in Angst und Schrecken versetzt werden. Diese Angst ist überhaupt das Charakteristikum des reichsdeutschen Buchhändlers. Den Reisenden österreichischer Verleger wird immer wieder gesagt – „Ja, ich möchte gern die Bücher Ihrer Firma beziehen. Aber mein Konkurrent zeigt mich dann an und ich riskiere…“ Und wie oft kommt es in jüngster Zeit vor, daß die Reisenden österreichischer Firmen einfach hinauskomplimentiert werden! (22.8.37, S. 5)[28]

Der Verfasser eines „Memorandums zu den Einfuhrschwierigkeiten österreichischer Bücher nach Deutschland“,[29] das am 3. August 1937 u.a. an Staatssekretär Guido Zernatto übergeben wurde, meinte, daß neben anderen Hindernissen „der Absatz des österreichischen Buches in Deutschland ‚auf kalte Weise’ auf das empfindlichste gestört“ werde (ebda.). Hier der Sachverhalt:

In den verschiedensten, für den Absatz wichtigen Städten Deutschlands, haben die Gauobmänner des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler den ihnen unterstehenden Sortimentsbuchhandlungen die Weisung erteilt, bestimmte namentlich bezeichnete österreichische Verlage zu sabotieren und ihnen untersagt, die Werke dieser Verlage auszustellen oder anzubieten. Auf diese Weise ist großen österreichischen Verlagen von Weltruf in einzelnen Gebieten Deutschlands unmöglich, ihre an sich unbeanstandeten und völlig unpolitischen Bücher zu verkaufen. Den großen Barsortimenten (sic), wie z.B. dem Barsortiment Koehler & Volckmar in Leipzig, wurde von der Reichsschrifttumskammer mitgeteilt, daß es nicht erwünscht ist, die Bücher bestimmter österreichischer Verlage in den Barsortiments-Katalogen zu führen. Bei der Bedeutung, die diese Kataloge, insbesondere für das kleinere Sortiment haben, erwächst den betroffenen Verlegern aus diesem Umstande größter Schaden. (ebda.)

Und als im November 1937 die Zwangsgilde der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler den befaßten Regierungsstellen ein „pro memoria in der Angelegenheit der Schwierigkeiten des österreichischen Buchhandels im Verkehr mit dem Deutschen Reich“ vorlegte, führte sie unter „politischen Beschwerden“ an:

c) Allgemeine Weisungen, Bücher bestimmter Verlage nicht zu verkaufen, z.B. in München durch Gauleiter Berg, in Hamburg durch Gauleiter Riegel, z.B. für folgende Verlage:

Anzengruber-Verlag, C. Barth, Bermann-Fischer, Fiba-Verlag, [Internationaler] Psychoanalytischer Verlag, Löwit, Phaidon-Verlag, Perles, Thomas-Verlag, [Jakob Hegner] Vienna, Zsolnay.[30]

Den Vorwurf, etwas damit zu tun zu haben, konnte die RSK von sich freilich zurückweisen.

Ein „Opfer“ dieser „inoffiziellen“ Boykott-Politik war, wie erwähnt, der Phaidon-Verlag in Wien, der Bücher produzierte, „die zu große Erfolge aufzuweisen haben und damit den Neid derer in der Reichsschrifttumskammer erregen“ (Sturm über Österreich, 22.8.1937, S. 5). Der Neid kommt auch in Äußerungen Will Vespers vor, dem es nicht entgangen war, daß Phaidon auffallend aufwendig und häufig im Börsenblatt annoncierte. So „kündete der jüdische Phaidon-Verlag, Wien, seine dicken Sammelbände an, in denen er die honorarfreie Kunst und Dichtung der Vergangenheit ausschlachtet“.[31] Ein anderes Mal heißt es in ähnlichem Sinne:

Man kennt sie doch alle: Den Phaidon-Verlag, ein Aasgeierverlag, der die Toten, die honorarfreie Kunst, Dichtung und (vielfach veraltete) Wissenschaft des Abendlandes immer noch einmal mit Warenhausgeist ausschlachtet;[32]

Der Erfolgsneid scheint auch das einzige Kriterium für die Boykottierung gewesen zu sein. Ausgelöst wurde der „Fall Phaidon-Verlag“ durch folgendes Dokument:

Bund Reichsdeutscher Buchhändler
Gau Franken
Nürnberg, 5. Februar 1936.
An alle Buchhandlungen im Gau Franken!
In einer heute eingetroffenen Mitteilung der Abteilung „Volksbildung im Gauschulungsamt Franken der N.S.D.A.P.“ wird ersucht, die Bücher des
Phaidon-Verlages, Wien
nicht mehr auszustellen und zu verkaufen. Da es sich bekanntlich um Erzeugnisse eines jüdischen Verlages handelt, scheiden wirtschaftliche Erwägungen aus.
Es bedarf wohl nur dieses Hinweises, daß alle Kollegen im Gau Franken jegliche Verwendung für den jüdischen Verlag Phaidon ab sofort einstellen.
gez. Theodor Zeiser
Gauobmann für Franken[33]

Als der Inhaber des Phaidon-Verlags, Dr. Béla Horovitz, von diesem Boykottaufruf erfuhr, wandte er sich an die Zwangsgilde, und diese machte beim Bundeskommissär für Heimatdienst, Oberst Walter Adam, Anzeige. Es kam nun die ganze diplomatische Maschinerie in Bewegung: involviert waren nun neben dem Bundeskommissariat für Heimatdienst mehrere Abteilungen des Bundeskanzleramts[34] sowie die Gesandtschaft in Berlin und die Generalkonsulate in Köln und München.

Heimatdienst-Chef Adam erstattete einen umfassenden Bericht für das BKA (AA), Abt. 13 pol. am 27. Februar 1936 und brachte somit eine Untersuchung ins Rollen.[35] Er wies darauf hin, daß Horovitz „ein Jude von untadeligem Charakter, seit Jahrzehnten in Wien bodenständig“ sei und daß dessen Buchabsatz „zu 70% nach Deutschland“ gehe. Fazit: „Wenn also der Boykott im Gau Franken keine lokale Maßnahme ist, sondern für das ganze Reichsgebiet gilt, so ist die Existenz des Unternehmens bedroht.“ (ebda.) Nach der Erklärung der Zwangsgilde sei der Verlag in keiner Weise politisch hervorgetreten und bringe seit Anbeginn seiner Tätigkeit wertvolle, kulturell einwandfreie Werke heraus. Das konnte Adam auch persönlich bestätigen: „Eine Spezialität des Verlages bilden illustrierte Prachtausgaben bekannter geschichtlicher, kulturgeschichtlicher und kunstgeschichtlicher Werke zu sehr billigen Preisen; (…) Politische Bücher habe ich in dem mir vorgelegten Verlagsverzeichnis überhaupt nicht gefunden.“ Es sei

bekannt, daß gute Prachtausgaben zu billigen Preisen in Deutschland gerne gekauft werden. Der Boykott dürfte daher in erster Linie mit geschäftlichen Interessen zu erklären sein. Anderenfalls hätte der „Bund reichsdeutscher Buchhändler“ den ersten Boykott über irgend einen Verlag verhängt, der politische Werke herausbringt. Immerhin rechnet der „Verein der österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhändler“ mit der Möglichkeit, daß auch gegen andere österreichische Verlage mit jüdischen Inhabern oder Teilhabern ähnliche Maßnahmen erfolgen. (ebda.)

Das BKA (AA) wolle, so Adam, „zunächst auf diplomatischem Wege eine Klärung herbeiführen, insbesondere feststellen, ob der im Gau Franken verhängte Boykott auch für andere Gebiete gilt und von einer Berliner Zentralstelle gedeckt wird“. (ebda.) Unmittelbar darauf wurde die österreichische Gesandtschaft in Berlin beauftragt, dies festzustellen. Am 19. März 1936 erfolgte der erste Bericht in dieser Angelegenheit vom Gesandten Stephan Tauschitz.[36] Die Erhebungen, ob der im Gau Franken über den Phaidon-Verlag verhängte Boykott auch für andere Gebiete gelte, hätten bisher „ein negatives Ergebnis“. Erst etwa einen Monat später bequemte sich das Außenamt in Berlin zu einer Antwort. Mit einer Verbalnote vom 21. April 1936 wurde dem österreichischen Gesandten in Berlin Nachstehendes mitgeteilt:

„Die für die Angelegenheit des Bundes reichsdeutscher Buchhändler zuständige Reichskulturkammer erklärt ebenso wie das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, die Aufsichtsbehörde der Reichskulturkammer, mit einem Boykott über die Werke des genannten Verlages nichts zu tun zu haben.

Ein Boykott über den Phaidon-Verlag ist also von keiner amtlichen Stelle verhängt worden.

Das Rundschreiben des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler, Gau Franken vom 5. Februar l.J. ist also eine private Maßnahme ohne gegenständliche Bedeutung.

Über das Vorstehende sind die in Frage kommenden Buchhändler unterrichtet worden.“ (ebda.)

Phrasen wie „von keiner amtlichen Stelle“ und „private Maßnahme“ wurden zum „topos“, als es darum ging, die Verantwortung der „in Betracht kommenden Berliner Zentralstellen“ von sich zu weisen. Es war zwar sehr schön, daß die „private Maßnahme ohne gegenständliche Bedeutung“ sei, nur Trost war es keiner für den Verleger, dessen Bücher boykottiert wurden. Den vorläufigen Schlußpunkt unter den Fall Phaidon-Verlag setzte Gesandter Tauschitz am 4. Juni 1936, als er sich zu dieser Angelegenheit aus Berlin beim BKA (AA) meldete.[37] Die in Berlin bei verschiedenen Buchhandlungen angestellten Erhebungen hätten „keine Anhaltspunkte dafür ergeben (…), daß ein Auftrag vorläge, die Erzeugnisse des Phaidon-Verlages nicht auszuliefern“. (ebda.) Die Generalkonsulate in Köln und München konnten auch keinen offiziellen-inoffiziellen Boykott feststellen. Aus Köln wurde z.B. berichtet, daß die neueren Werke des Phaidon-Verlags „ständig auf Lager gehalten werden, und beim Publikum sehr beliebt seien, einen regen Absatz fänden“ (ebda.). Somit seien Phaidon-Bücher ohne weiteres erhältlich.

Vom Boykott zur Beschlagnahme

Etwas mehr als ein Jahr, nachdem der Boykott, „den es nicht gab“, offenbar aufgehoben wurde, mußte Phaidon-Verlag-Inhaber Horovitz sich erneut an die politische Abteilung (13) des BKA wenden. In der „Bekämpfung“ seines erfolgreichen Verlags war man nun einen Schritt weitergegangen – vom Boykott zur Beschlagnahme. Im August 1937 waren Verlagserzeugnisse in verschiedenen Buchhandlungen in Frankfurt am Main beschlagnahmt worden. Über die Gründe dieser Maßnahme war dem Verlag allerdings nichts bekannt. „Der Verlag fühlt(e) sich durch diese willkürlichen Beschlagnahmen in seinem Bestand bedroht und betont(e) außerdem, daß es ihm unmöglich gemacht sei, in Deutschland größere Mengen von Büchern einzulagern.“[38]

Horovitz legte den Fall, der für andere österreichische Verleger stellvertretend sein mag, folgendermaßen dar:

Wir sind es gewohnt im Deutschen Reich gesetzliche und ungesetzliche Schikanen zu erdulden und auch Beleidigungen und Verdächtigungen zu überhören. Es scheint aber jetzt so weit gekommen zu sein, daß auch das Eigentum österreichischer Staatsbürger vor Zugriffen nicht mehr sicher ist, ohne daß man es auch für notwendig hielte, hiefür zuvor wenigstens eine gesetzliche Handhabe zu schaffen. (ebda. Schreiben Horovitz’ an das Generalsekretariat für auswärtige Angelegenheiten vom 27. August 1937)

Die Aktion in Frankfurt sei „angeblich in Auftrag“ der Gestapo durchgeführt worden, und ähnliche Aktionen seien auch in anderen Buchhandlungen und in anderen Städten zu erwarten. Die beschlagnahmten Werke waren – wie eine Liste zeigt[39] – vollkommen unpolitisch und bisher in Deutschland niemals verboten worden. „Sie wurden sogar von den radikalsten nationalsozialistischen Blättern als besondere verlegerische und kulturschaffende Leistung begrüßt“, meinte Horovitz (27. August 1937) in einem 4seitigen Schreiben. Die Umstände um die Konfiskation waren derart dubios, daß Zweifel entstehen konnten, ob der betreffende Herr, der sich als Beamter und Beauftragter der Gestapo ausgab, befugt gewesen sei oder nicht. So oder so war der Effekt derselbe.

Die österreichische Gesandtschaft in Berlin wurde vom BKA eingeladen, „zuständigen Ortes gegen die obenerwähnten Beschlagnahmen nachdrücklich Einspruch zu erheben“.

Hiebei wäre zu betonen, daß es sich nicht allein um die Wiedergutmachung des dem Verlage bisher zugefügten – verhältnismäßig nicht sehr bedeutenden – Schadens handelt, sondern hauptsächlich um die Gewährleistung, daß willkürliche Handlungen der gedachten Art in Hinkunft sich nicht mehr ereignen können.

Die Abteilung 13 Pol. schaltete auf einen harten Kurs:

Wir müßten daher auf eheste Klarstellung des vorliegenden Falles dringen, da wir sonst nicht umhin könnten, sofort wirksame Maßnahmen zur Einschränkung der deutschen Büchereinfuhr nach Österreich zu treffen.[40]

Der Gesandte Tauschitz hat daraufhin „unverzüglich im Auswärtigen Amte energisch Vorstellungen erhoben“. Dessen Gesprächspartner „setzte sich sofort mit der Geheimen Staatspolizei in Verbindung, der jedoch über die Angelegenheit nichts bekannt war“. Einen Monat später wurde die Angelegenheit „nachdrücklichst urgiert“.[41] Erst am 17. Dezember, gut vier Monate nach Bekanntwerden des Vorfalls, beehrte sich das Auswärtige Amt in Berlin, mittels Verbalnote der österreichischen Gesandtschaft mitzuteilen,

daß nach den angestellten Ermittlungen der zuständigen inneren Stelle durch den Irrtum einer unteren Dienststelle tatsächlich einige nicht verbotene Werke des Verlages einstweilen sichergestellt wurden. Die Bücher sind bereits Ende Oktober wieder freigegeben worden.[42]

Man gab wenigstens zu, daß Phaidon-Verlagswerke „irrtümlich“ beschlagnahmt worden waren, obwohl sie niemals verboten worden waren. Wie bereits mehrmals betont, war ein höchstoffizielles Vorgehen gegen ein österreichisches Buch nicht notwendig. Leipziger Kommissionäre teilten österreichischen Verlegern einfach mit, daß die Verbreitung von diesem oder jenem Buch „nicht angängig“ sei. Stellvertretend sei das Beispiel des Wiener „Verlag Dr. Rolf Passer“ zitiert. Es zeigt wiederum, wie das Propagandaministerium oder die ihr untergeordnete RSK ihre Spuren verwischen und sich auf die einzelnen Kommissionäre in Leipzig ausreden konnten. So konnte das F. Volckmar Kommissionsgeschäft in einem Schreiben an Passers Verlag vom 1. September 1937 einzelne Erscheinungen im Verlag Dr. Rolf Passer wie auch in dem von ihm geführten Zeitbild-Verlag, wie z.B. Herta Paulis Nur eine Frau (ein Suttner-Roman), nicht ausliefern, nicht etwa, weil das Werk vielleicht verboten worden wäre, sondern weil „die Verbreitung dieser Bücher wegen ihres Inhaltes innerhalb Deutschlands nicht angängig ist“.[43] Volckmar schreibt weiters:

Auch das neue Werk des Autors Franz Theodor Csokor, „Über die Schwelle“ kann ich leider nicht einfuhren und in Deutschland ausliefern, da die Verbreitung der Werke Csokor’s ebenfalls nicht angängig ist.

Ich bitte Sie daher, die Auslieferung dieser Bücher auf außerdeutsche Länder zu beschränken. (ebda.)

Erstens ist festzustellen, daß dieses Csokor-Werk weder bereits verboten worden war noch in der Zukunft offiziell verboten wurde, und zweitens, daß ein Kommissionsgeschäft eben daran interessiert war, Bücher, die sich verkaufen ließen, auch zu verkaufen. Eigeninitiative in einzelnen Fällen hinsichtlich Zurückweisungen kann man zwar nicht ausschließen, aber das Prädikat „nicht angängig“ ist zweifelsohne auf die RSK zurückzuführen.

So kam das Thema „Einfuhrbehinderungen nicht verbotener Bücher“ anläßlich der zweiten Tagung des Ausschusses für kulturelle Angelegenheiten zwischen dem Deutschen Reich und Österreich Ende November/Anfang Dezember in Berlin zweimal zur Sprache. Zuerst hieß es, „eine entsprechende Aufklärung der zur Kenntnis gebrachten Einzelfälle“ sei zu erwarten, und dann bei der „Besprechung zur Klärung wirtschaftlicher Fragen im Bereich des Bücher- und Zeitschriftenvertriebes am 1. Dezember 1937 in Berlin“ heißt es:

Von reichsdeutscher Seite wird erklärt, daß diese Mitteilungen einzelner Leipziger Kommissionäre einer beschleunigten Nachprüfung unterzogen werden.[44]

Es seien also „Mitteilungen einzelner Leipziger Kommissionäre“ verantwortlich. Es darf nicht verschwiegen werden, daß hochrangige österreichische Ministerialbeamte, die mit Buchfragen befaßt waren und österreichische Interessen den Deutschen gegenüber zu vertreten hatten, was ihr Wissen über die Mechanismen der schon seit vier Jahren existierenden RSK betraf, von einer unsagbaren Ahnungslosigkeit waren. Dazu ein Beispiel. Am 24. November 1937 fand – nach der Sitzung über Buchfragen am 6. Oktober – eine neuerliche Besprechung der wichtigsten Vertreter der österreichischen Regierung[45] und der Zwangsgilde statt, um österreichische Standpunkte zu präzisieren. Dabei stellte Hofrat Dr. Konrad Thomasberger, jahrelang hochrangiger Beamter der Abteilung 6b (Literatur, Musik, darstellende Kunst) im Unterrichtsministerium (Kunstabteilung), die unglaublich naive Frage:

Welche Rolle spielt die Reichsschrifttumskammer bei der Zulassung von Büchern in Deutschland?[46]

Nach vier Jahren Reichsschrifttumskammer in Deutschland wußte keiner der 13 anwesenden Herren – weder Franz Morenzi von der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit (G.D. 2) noch Sektionsrat Dr. Wilhelm Wolf vom Bundespressedienst – darauf eine Antwort zu geben, obwohl ja viele der Kompetenzen der RSK wirklich nicht „geheim“ waren. So wurde

allgemein der Ansicht Ausdruck gegeben, daß die immerhin wichtige Rolle der Reichsschrifttumskammer, die hinter den Kulissen arbeitet und bestimmt einen fühlbaren Einfluß ausübt, unbedingt geklärt werden müsse, weshalb diese Frage im Kulturausschuß behandelt werden soll. (ebda.)

Die Frage wurde allerdings bei der Gelegenheit nicht einmal angeschnitten, geschweige denn „unbedingt geklärt“.

Die Angelegenheit der Boykottierung österreichischer Verlage im Deutschen Reich, die – so wurde offiziell argumentiert – nicht auf amtliche Mitteilungen zurückzuführen war, erreichte ihren Höhepunkt nach der zweiten (und letzten) Tagung des Kulturausschusses in Berlin.

Kaum war der österreichische Chefdelegierte Wolf nach Wien zurückgekehrt, als er in Erfahrung bringen mußte, was von den Unschuldsbeteuerungen auf reichsdeutscher Seite zu halten war, nämlich nichts. Ein Schreiben von Wolf an Dr. Karl Megerle vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Berlin setzt zugleich den Schlußpunkt unter das Thema „Boykottierung“ und wird auf Grund seiner Bedeutung hier in vollem Wortlaut zitiert. Der sicherlich unbestreitbare Sachverhalt beantwortet die oben zitierte Frage Thomasbergers nach der Rolle der RSK und wirft – rückblickend – ein anderes Licht auf die Aktionen „untergeordneter Dienststellen“ mit „nicht amtlichen Mitteilungen“ und „Mitteilungen einzelner Leipziger Kommissionäre“. Als die Drahtzieherpolitik einmal entlarvt war, war sie von deutscher Seite nicht mehr aus der Welt zu leugnen:

Wien, am 6. Dezember 1937.

In unmittelbarem Zusammenhang mit der von österreichischer Seite in der letzten Sitzung des Unterausschusses für Buchfragen in Berlin vorgebrachten Klage über die Behinderung der Verbreitung von in Deutschland nicht verbotenen österreichischen Verlagswerken bringe ich soeben in Erfahrung, daß in den letzten Novembertagen die deutschen Sortimentsbuchhändler im Wege der zuständigen Fachschaft den Auftrag erhielten, von nun an die Verlagserzeugnisse nachstehender österreichischer Buchverleger nicht mehr zu vertreiben, keine Bestellungen dafür zu übernehmen, nicht mehr in die Auslage oder auf dem Verkaufstisch auszulegen und über etwaige Anfrage der betreffenden Verleger zu erklären, daß das deutsche Publikum derartige Bücher nicht mehr kauft. Keinesfalls aber sei hiebei von einer Weisung der Schrifttumskammer zu sprechen.

Es handelt sich um die folgenden Verlage: Paul Zsolnay-Verlag, Thomas J. Hegner-Verlag, Bastei-Verlag und Reichner-Verlag.

Die Kenntnisnahme der Weisung der Fachschaft war auf dem Zirkular zu bestätigen, die Weisung selbst sofort zurückzustellen.

In der Weisung war noch enthalten, daß lediglich noch die Lagerexemplare abverkauft werden dürfen. Diese Maßnahme der Schrifttumskammer, an deren Tatsächlichkeit nicht zu zweifeln ist, steht, darin stimmen wir sicherlich völlig überein, durchaus im Widerspruche zu den bisherigen Besprechungen im Rahmen des Ausschusses und des Unterausschusses für Buchfragen. Ich richte deshalb an Sie, sehr geehrter Herr Doktor, das Ersuchen, diese Angelegenheit verfolgen zu wollen und im Interesse unseres Ausschusses eine ehetunliche befriedigende Lösung herbeizuführen. Von österreichischer Seite wird erwartet, daß alsbald der Widerruf der obigen Weisung an die Sortimentsbuchhändler erfolgen wird. Mit dein Ausdrucke besonderer Hochschätzung und in freundlicher Erinnerung an alle in Berlin erwiesene Aufmerksamkeit

Ihr sehr ergebener[47]

Ob dieses Schreiben an Megerle eine Auswirkung hatte, ließ sich mangels Antwortschreiben nicht beantworten. Es ist eher unwahrscheinlich, daß sich etwas änderte, denn bei einer Tagung des Unterausschusses für Buchfragen des Ausschusses für die kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland in Berlin am 7. Februar 1938, der letzten vor dem „Anschluß“, gab Megerle als Antwort, daß er – zwei Monate lang – „wegen Abwesenheit des einzig mit diesen Fragen befaßten Dr. Hövel noch nicht Stellung nehmen“ konnte.[48] Die österreichische Reaktion darauf:

Der österreichische Vertreter erklärte, daß gerade auf diesen Punkt von österreichischer Seite das größte Gewicht gelegt werde, da an der Tatsächlichkeit der Verbreitungsbehinderung von in Deutschland zugelassenen Werken nicht gezweifelt werden könne.

Fünf Wochen später waren alle Proteste durch die Ereignisse überholt.

4. Die Prüfstelle und das „Leipziger Loch“ (Reichner, Tal)

Eine weitere solche Methode, die Anwendung fand, um österreichische Verlage zu behindern und die Einfuhr nach Deutschland entsprechend zu drosseln, ging über die Prüfstelle in Leipzig. Freilich handelte es sich um kein direktes Vorgehen oder ein Verbot. Das war ja alles nicht notwendig.

Nach 1933/34, als das Reichspropagandaministerium den Buchhandel in andere Bahnen zu lenken begann und die Devisenbewirtschaftung eingeführt wurde, kam der Verlagsmetropole Leipzig noch mehr Bedeutung zu. Bis dahin gab es praktisch keine Absatzschwierigkeiten für das österreichische Buch im Reich. Der deutsche Buchhändler bestellte das gewünschte Werk direkt beim österreichischen Verlag, der österreichische Verlag lieferte ihm das Werk direkt, und der deutsche Buchhändler bezahlte dem österreichischen Verlag direkt. Graphisch dargestellt sah das so aus:

Grafik die Prüfstelle

In graphischer Darstellung sah der Verkehr zwischen österreichischem Verlag und reichsdeutschem Buchhandel nunmehr so aus:Dann trat eine wesentliche Änderung ein. Die sog. „10 Mark-Grenze“, auf Grund deren bis zum Betrag von 10 Mark Buchhandlungen und Privatpersonen ohne besondere Devisengenehmigung Bücher und Zeitschriften (Abonnements!) direkt bezahlen konnten, wurde mit 1. Juni 1936 abgeschafft. (Hauptleidtragende waren die Zeitschriftenverlage und deren Abonnenten im Reich). Zahlungen solcher Kleinstbeträge waren also auch nicht mehr direkt möglich. Das bedeutete eine Bucheinfuhrmöglichkeit weniger. Gleichzeitig wurde allen deutschen Buchhändlern die Einfuhrerlaubnis entzogen und damit auch die Möglichkeit der direkten Zahlung an den Verlag. Die Einfuhr wurde nur einigen sog. Kommissionären in Leipzig freigegeben – für genehme Bücher, versteht sich. „Zu diesem Zwecke wurde eine Abteilung der Reichsschrifttumskammer nach Leipzig verlegt und ihre Aufsichtsorgane in die Betriebe der Kommissionäre gesetzt.“ [49]

Grafik die Prüfstelle 2

In der eigentlichen Saison – also den Monaten vor Weihnachten und Ostern – griffen die Leipziger Herren alljährlich zu besonderen Mitteln. Uns sind Fälle bekannt, wo österreichische Verleger zunächst einmal aufgefordert wurden, das erste Exemplar eines neu erschienenen Buches der Reichsschrifttumskammer zur Prüfung nach Leipzig zu schicken. Es fiel aber der Reichsschrifttumskammer nicht im Traume ein, das völlig unbedenkliche Buch zu prüfen, es blieb monatelang liegen, Weihnachten oder Ostern gingen vorbei und der österreichische Verleger konnte von Glück reden, wenn sein Buch post festum Gnade fand. Dann war die Saison vorbei und der eigentliche Zweck dieses Hinhaltens erreicht! (ebda.)Der deutsche Buchhändler konnte das gewünschte Buch wohl immer noch direkt beim österreichischen Verlag bestellen, der Verlag konnte es ihm nur mehr „durch das einzige Loch liefern, das offengelassen worden ist: den Leipziger Kommissionär, der unter der Diktatur des Propagandaministeriums steht“ (ebda.). Diese erzwungene Ablenkung der Büchereinfuhr machte es unmöglich, Bücher ins Reich zu liefern, die – im Gegensatz zu den tatsächlich offiziell verbotenen Büchern – „unerwünscht“ oder deren „Verbreitung nicht angängig“ war. So konnte es vorkommen, daß Büchersendungen aus Österreich zunächst einmal in Leipzig „aufs Eis gelegt“ und Bestellungen nicht ausgefüllt wurden. Das Weitere spielte sich folgendermaßen ab:

Diese Prozedur mit der Prüfungsstelle konnten auch zwei Wiener Verleger aus eigener Erfahrung bestätigen. Hier die Darstellung des E.P. Tal Verlags:

(…) der Kommissionär erklärt plötzlich bei einem neuen Buch, es sei Unterhaltungsschrifttum, also für Leihbüchereien bestimmt, und er traue sich nicht, es ungeprüft zu verkaufen. Da man aber ohne Kommissionär Deutschland nicht beliefern kann, muß man das Buch also freiwillig zur Prüfung vorlegen. Ein Zwang besteht nicht, o nein!!! Aber da der Kommissionär es nicht wagt, das Buch zu vertreiben, legt man (es) eben freiwillig vor.

Hier muß ich aber der Wahrheit die Ehre geben. Wir wurden bisher von der Prüfungsstelle hochanständig behandelt. Alles wurde zugelassen. Wie es bei anderen Verlagen steht, wissen wir nicht. Es wird alles geheim gehalten. Man steht unter einem so großen Druck, daß man sowohl Erfolg als auch Mißerfolg verschweigt.

Da diese Urteile der Prüfungsstelle für uns inapellabel sind, ist da natürlich die Möglichkeit gegeben, einen Verlag auch zu ruinieren.[50]

Herbert Reichner machte mit dieser Praxis Bekanntschaft, als er Paul Stefans Bruno-Walter-Biographie und Bruno Walters Gustav-Mahler-Buch auf den Markt brachte. Auf die bloße Ankündigung des Erscheinens letzteren Werkes hin wurde Reichner aufgefordert,

sofort ein Prüfungsexemplar nach Leipzig zu schicken. Solange das Ergebnis dieser Prüfung nicht feststeht, darf ich kein einziges Exemplar – trotz vielen vorliegenden Bestellungen – ins Reich liefern. Sie werden zugeben, daß dies eine Maßnahme ist, die letzten Endes darauf hinausgeht, in der für den Bücherabsatz wichtigsten Zeit vor Weihnachten den österreichischen Bücherabsatz nahezu zu unterbinden. Denn es ist bloß nötig, die Vorprüfung genügend lange hinauszuziehen, um dann selbst im Falle der Zulässigkeit einen Bucherfolg zu einem Mißerfolg zu gestalten.[51]

5. Beschlagnahme und Vernichtung (Reichner, St. Josef Bücherbruderschaft)

War es noch im Fall der Konfiskation von Werken des Phaidon-Verlags unklar, ob die Deckung der Zentralstellen in Berlin vorlag, konnte in einem anderen Fall, der sich im Jahr 1936 abspielte, nicht der geringste Zweifel bestehen. Betroffen war der Herbert Reichner Verlag, der seit 1933 die Werke Stefan Zweigs betreute.

Wir müssen davon ausgehen, daß dieser „in jüdischem Besitz“ befindliche, ausländische Verlag im Deutschen Reich zumindest bis zum hier zu schildernden Vorfall eine Sonderstellung genoß. Denn wie läßt es sich anders erklären, daß – bis März 1936, also drei Jahre nach den Bücherverbrennungen und den bekannten Folgen – Reichner im Börsenblatt verbotene Werke Zweigs anpreisen und offenkundig ungehindert die diversen im Reichner Verlag 1933-36 erschienenen Bücher Zweigs an das Leipziger Kommissionsgeschäft Koehler & Volckmar liefern konnte? Das mögliche Argument, diese Bücher wären eben für den Vertrieb über Volckmar außerhalb Deutschlands bestimmt – was noch erlaubt war – , erweist sich als unrichtig. Daher ist anzunehmen, daß die Werke Zweigs noch im Reich gekauft werden durften und konnten, obwohl sie nach den „Schwarzen Listen“ und der Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums (Stand vom Oktober 1935) eigentlich verboten waren. Ohne Präzedenz im Reich war die Behandlung allerdings nicht ganz, wie das Beispiel des „jüdischen“ Schocken Verlags beweist.[52]

Im April 1936 sind beim Verein der österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhändler in Wien Berichte eingelangt, wonach „während der vergangenen Wochen Bücher österreichischer Verlage im Deutschen Reiche beschlagnahmt [wurden], oder es wurde von Zwischenstellen österreichischen Verlegern nahegelegt, bestimmte Werke ihres Verlages von den reichsdeutschen Auslieferungen zurückzurufen und somit aus dem reichsdeutschen Handel zu ziehen. Es handelt sich dabei um Autoren, die angeblich laut einer unbekannten und neu zusammengestellten Liste von reichsdeutschen Stellen als „unerwünschte“ angesehen werden, denen aber, soweit dies den österreichischen Verlegern bekannt ist, ein besonderes Verschulden im politischen Sinne nicht angelastet wird.[53]

Der 1899 in Wien geborene Verleger Herbert Reichner antwortete auf die Anregung zu einer Aussprache zwischen den betroffenen Mitgliedern, daß seines Wissens „der Paul Zsolnay Verlag, der Psychoanalytische Verlag, der E.P. Tal Verlag, der Verlag Deuticke[54] durch die erwähnten Vorgänge betroffen sind“ (Schreiben Reichners an den Verein vom 24. April 1936, ebda.). Die Teilnahme an der am 7. Mai stattgefundenen Sitzung war allerdings ausgesprochen mager.[55]

In einem Brief aus London vom 2. August 1936 schrieb Stefan Zweig an Hans Carossa, daß „meine Bücher in Deutschland (ohne jede politische Gründe, ohne persönliche) nicht mehr circulieren sollen“.[56] Die Wendung „nicht mehr“ scheint darauf hinzuweisen, daß nicht generell seit 1933 gemeint ist, sondern erst seit relativ kurzer Zeit. Denn am 19. März kam es zu einem Nazi-Anschlag gegen den Herbert Reichner Verlag. An diesem Tag, so hieß es zunächst, wurde Reichners in Leipzig befindliches rechtmäßig eingeführtes Bücherlager auf Anordnung der Reichsschrifttumskammer durch den Polizeipräsidenten zu Leipzig beschlagnahmt und sieben Tage später eingezogen.

Genau eine Woche nach der polizeilichen Beschlagnahmeaktion wurde Reichners Leipziger Kommissionär Koehler & Volckmar, der bis auf Deuticke alle Werke der obengenannten Verlage im Deutschen Reich wie von dort aus auch ins Ausland auslieferte, mittels „Verfügung“ über die Vorgänge informiert. Betroffen waren einzig und allein die Werke von Stefan Zweig. Im Akt des Bundeskanzleramts findet sich ein Schreiben des Polizeipräsidenten zu Leipzig (Pt. R. Dr. 683/36 vom 26. März 1936).[57] Hier heißt es:

Auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze vom Volk und Staat vom 28.2.33 (§ 1) verfüge ich hiermit

die Einziehung

der bei Ihnen am 19. 3. 1936 beschlagnahmten, auf der Rückseite verzeichneten Gegenstände.

Die gesetzliche Basis für diesen Schritt sah folgendermaßen aus:

(1) Druckschriften, deren Inhalt geeignet ist, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden, können polizeilich beschlagnahmt und eingezogen werden.[58]

Paragraph 1 der Verordnung vom 28. Februar 1933 setzte mehrere Artikel der Verfassung des Deutschen Reiches „bis auf weiteres“ außer Kraft und machte „Anordnungen von Hausdurchsuchungen und von Beschlagnahmen“ zulässig.[59]

Die „Zweig-Beute“ des „19. März“ ließ sich mengen- wie auch wertmäßig sehen. Sie umfaßte:

511 Exemplare Maria Stuart
736 Exemplare Marie Antoinette
292 Exemplare Baumeister der Welt
320 Exemplare Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam
87 Exemplare Sinn und Schönheit der Autographen
264 Exemplare Jeremias und
37 Exemplare Toscanini sowie die Bücher betreffenden Prospekte.

Doch wie sich einige Monate später herausstellen sollte, stimmte die „Chronologie“ der obigen Darstellung nicht ganz, denn

die Beschlagnahme der Stefan Zweig-Werke [ist] nicht gemeinsam mit der allgemeinen Sicherstellung am 14. März erfolgt, sondern bereits am 12. März. In der Verfügung wird das Datum der Beschlagnahme allerdings mit dem 19. März angegeben. jedenfalls ist die Beschlagnahme von Stefan Zweig aber eine Sonderaktion gewesen, die auch in einem besonderen Aktenstück 683/36 seitens der Polizeibehörden behandelt worden ist.[60]

Wie dem auch sei, der von den Vorgängen in Kenntnis gesetzte Reichner erhob von Wien aus am 2. April 1936 schriftlich Einspruch beim Polizeipräsidium in Leipzig und verlangte die sofortige Freigabe. Fünf Tage später fuhr er sogar nach Berlin, wo er im Propaganda-Ministerium vorsprach. Ministerialrat Dr. Heinrich Wismann, Leiter der Abteilung VIII (Schrifttum), zugleich Vizepräsident der Reichsschrifttumskammer, sagte Reichner ausdrücklich „sofortige Freigabe“ zu. Sie sollte sich aber über mehr als drei Monate hinziehen. Schuld an der „Misere“ war offenbar der Kompetenzdschungel in Nazi-Deutschland. Wieder nach Wien zurückgekehrt, ließ sich Reichner den Empfang seines Gedächtnisprotokolls der Aussprache mittels Rückschein durch Wismann bestätigen.

Obwohl die größte „Beute“ von der Gestapo in Leipzig sichergestellt wurde, kam es auch noch April/Mai zu einer Beschlagnahme in Hamburg.

Und obwohl der Verein sich, wie erwähnt, mit dem Problem der Beschlagnahme befaßte, unternahm Reichner weitere Schritte im Alleingang.

Hier ein Auszug aus seiner eigenen „Zeitlichen Darstellung“ des Falles Stefan Zweig:

5.5.1936: Mein Kommissionär F. Volckmar teilt mir mit, daß die Leipziger Polizeibehörden aus Berlin bereits Anweisung zur Aufhebung der Beschlagnahme erhalten haben.
13. 5. 1936: Mein Kommissionär F. Volckmar teilt mir mit, daß ihm die Freigabe bestätigt worden ist.
16.6.1936: Mein Kommissionär F. Volckmar teilt mir mit, daß er soeben von maßgeblichen Herren der Berliner Behörde unterrichtet wurde, daß die Freigabe-Erklärung sich bestimmt bei der Geheimen Staatspolizei befindet, sodaß nun in den nächsten Tagen die endgültige Freigabe zu erwarten sei.
22.6.1936: Mein Kommissionär F. Volckmar teilt mir mit, daß nunmehr die Anweisung der Reichsschrifttumskammer auf Freigabe im Sinne meiner Vereinbarung mit Herrn Ministerialrat Dr. Wismann erfolgt ist.
8.7.1936: Die Freigabe ist tatsächlich zur Ausführung von Bestellungen aus außerdeutschen Ländern erfolgt. Die Firma F. Volckmar wünscht Ergänzung des Lagervorrates, um solche Bestellungen ausfahren zu können.

Am 14. Juli 1936 schließlich lieferte Reichner im Vertrauen auf die ausdrückliche Freigabe weiteren Lagervorrat nach Leipzig, bestehend aus den in der Zwischenzeit neu erschienenen Büchern.

Doch die Schikanen – wesentlicher Bestandteil der Politik der Reichsschrifttumskammer, Verlage in Österreich zugrundezurichten, – nahmen kein Ende. Zwischen dem 8. und 14. Juli 1936 lag das bereits erwähnte Geheimabkommen zwischen Hitler und Schuschnigg. Und wie konnte oder könnte man den „guten Willen“ deutscherseits besser zeigen und den Bücherverkehr zwischen Österreich und dem Deutschen Reich augenscheinlicher „normalisieren“, als just an diesem Tag im fernen Leipzig mit der Verfügung 747/36[61] die Freigabe zur Ausfuhr der im März beschlagnahmten Bücher österreichischer Verlage bekanntzugeben? Nur bezog sich die Freigabe nicht auf Stefan Zweig, diese Beschlagnahme war ja eine „Sonderaktion“ gewesen. Am 8. Juli waren die im März 1936 beschlagnahmten Bücher Stefan Zweigs bloß zur Rücksendung nach Wien freigegeben worden; der Kommissionär meinte, wieder in der Lage zu sein, Bestellungen für Reichner-Verlagswerke aus außerdeutschen Ländern entgegennehmen zu können. Am 29. Juli 1936 – das „Juli-Abkommen“ war noch in frischer Erinnerung – folgte eine neuerliche Beschlagnahme der Werke Stefan Zweigs beim Kommissionär Volckmar in Leipzig, nun waren es 10 verschiedene Werke und das vergrößerte Lager.[62] Reichner glaubte, „annehmen zu dürfen, daß diese wenig erfreulichen Ereignisse nicht im Sinne des österreichisch-deutschen Vertrages vom Juli d. J. geschehen (…)“ wären.[63]

Da 70-75% des gesamten österreichischen Bücherabsatzes erfahrungsgemäß auf das Deutsche Reich entfielen, trugen nicht nur einzelne Verleger wie Reichner (von den Autoren ganz zu schweigen) den Schaden, sondern auch das österreichische graphische Gewerbe – Papierfabriken, Buchdrucker, Buchbinder usw. Dazu Reichner in seiner Eingabe an das Bundeskanzleramt:

Ich bin bereit, zahlenmäßig nachzuweisen, daß durch die Unterbindung meines eigenen Absatzes im Reiche die bedeutendsten graphischen Betriebe in Wien Schaden erleiden, der in die Hunderttausende Schilling geht.[64]

Er bat das Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, ihm geeignet erscheinende Schritte zu unternehmen und verwies auf die Meriten seiner eigenen Firma:

Wenn ich ganz bescheiden auf meine eigenen Verdienste hinweise, so muß gesagt werden, daß die Bücher meines Verlags im In- und Auslande als Beispiele höchster Buchkultur gediegenen Geschmacks gelten. Mein Verlag ist oft als der „österreichische Insel-Verlag“ bezeichnet worden und das bedeutet höchstes Lob! Auch gestatte ich mir, darauf hinzuweisen, daß in meinem Verlag seit 9 Jahren die Monatsschrift Philobiblon erscheint, diejenige Bücherzeitschrift, die allein internationale Verbreitung hat und für das Ansehen des gesamtdeutschen Buches mehr getan hat als irgendein anderes Organ.

Da Reichner wiederholt nichts über diese Schritte in Erfahrung bringen konnte, wandte er sich am 14. September erneut an Staatssekretär Zernatto und eröffnete ihm:

Ich erhalte aber soeben von meinem Kommissionär F. Volckmar in Leipzig die eingeschriebene Verständigung, daß der Polizeipräsident in Leipzig mit Pt. Dr. 2158/36 vom 8.9.36 die Einziehung und damit Vernichtung meines dort als mein Eigentum befindlichen Bücherlagers angeordnet hat. Ob diese Maßnahme vor oder infolge der Schritte des Bundeskanzleramtes erfolgte, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber jedenfalls ist die Gefahr für mein Eigentum so sehr groß, daß ich Sie bitte, sogleich telegraphisch oder telephonisch Einspruch zu erheben, bzw. erheben zu lassen und nicht die Rückkunft des Herrn Staatssekretärs Dr. Guido Schmidt abzuwarten.

Am folgenden Tag schickte er ein Telegramm an Bundeskanzler Schuschnigg, in dem es u.a. heißt:

(…) bitte ich um kenntnisnahme daß soeben Leipziger polizeipräsident einziehung und vernichtung beschlagnahmter bücher anordnet stop da höchste gefahr besteht und unbedingt augenblickliche Intervention erforderlich bitte ich von eurer exzellenz möglichst noch heute empfangen zu werden. ergebenst herbert reichner-verlag

Nicht einmal einen Monat später spitzten sich die Ereignisse um die Beschlagnahmen der Bücher Stefan Zweigs zu. Der Bitte Reichners, die am 29. Juli neuerlich beschlagnahmten Vorräte seines Bücherlagers freizugeben, und zwar nur zur Rücksendung nach Wien bzw. zur Ausfuhr nach außerdeutschen Ländern, wurde nicht entsprochen. Am 21. Oktober schickte er wieder eine Depesche an Bundeskanzler Schuschnigg:

(…) bitte um kenntnisnahme dass am 16 oktober polizeipräsidium Leipzig meine lagervorräte zur vernichtung abholen lies stop erbitte dringendst sofortige intervention in berlin da sonst grosser wirtschaftlicher schaden unabwendbar ergebenst herbert reichner verlag

Von Legationsrat Dr. Zeileisen im Bundeskanzleramt wünschte er am selben Tag auch noch entsprechende Schritte:

Ich bitte dringendst um sofortige möglichst telephonische Intervention beim Außenamt in Berlin, da sonst großer wirtschaftlicher Schaden unabwendbar ist.

Am selben Tag alarmierte Zeileisen die Gesandtschaft in Berlin telephonisch und forderte sie zur sofortigen Klärung bzw. Intervention beim Außenamt in Berlin auf. Durch Eilbrief erstattete die Gesandtschaft in Berlin am nächsten Tag über die Intervention beim zuständigen Referenten des Berliner Außenamtes an das Bundeskanzleramt Wien Bericht. Der österreichische Referent teilte mit, daß, nach den vom Propaganda-Ministerium erhaltenen Informationen, von diesem am 17. Oktober telegraphische Anweisung im Sinne der Freigabe der Büchersendung an das Polizeipräsidium Leipzig ergangen sei. Es sei daher eher unwahrscheinlich, daß die Vernichtung der Bücher Zweigs bereits erfolgt wäre, da diese jedenfalls nicht sofort nach der Abholung vorgenommen worden sein dürfte.

Ende gut, alles gut? Am 29. Oktober teilt Reichner Zeileisen mit:

Ihre Bemühungen um Freigabe der bereits zur Vernichtung eingezogenen Bücherbestände unseres Leipziger Auslieferungslagers sind von gutem Erfolg gekrönt und wir beeilen uns, nicht nur Ihnen diese Tatsache zu berichten, sondern Ihnen gleichzeitig auch für Ihre Intervention herzlichst zu danken.

Unser Leipziger Kommissionär teilt uns soeben mit, daß das Leipziger Polizeipräsidium die Rückgabe und Freigabe unter der Bedingung des geschlossenen Büchertransportes bewilligt hat.

Im Mai des folgenden Jahres brachte der Präsident der Reichsschrifttumskammer in Berlin in Erfahrung, wie sich Theodor Volckmar-Frentzel – immerhin Leiter des größten gesamtbuchhändlerischen Unternehmens im Deutschen Reich – in der Angelegenheit Zweig-Reichner verhalten hatte. Denn die polizeilichen Verfügungen aus Leipzig betreffend Beschlagnahme der Bücher Stefan Zweigs gelangten nicht nur in photokopierter Form in die Hand von Reichner, sie gelangten auch in die Hände der politischen Abteilung des Bundeskanzleramts in Wien! In einem langen Schreiben des Goebbels-Stellvertreters, Dr. Heinz Wismann, vom 25. Mai 1937 wollte dieser die Peinlichkeit aufgeklärt haben. Da wurden Schlag auf Schlag dem Reichner wohlgesinnten Kommissionär schwierige, ja rügende Fragen gestellt: Zu welchem Zweck geschah die Übersendung? Warum in Form einer Photokopie? Wo ist diese hergestellt worden? Wer erteilte den Auftrag hierzu? „War Ihnen damals bekannt, daß der Herbert Reichner-Verlag jüdisch ist?“ Wenn die Übersendung nicht mit seinem Wissen bzw. auf seine Veranlassung geschah, hatte er dann die Möglichkeit, die Übersendung zu verhindern? „Wenn nicht: Haben Sie den oder die Schuldigen und in welcher Form zur Verantwortung gezogen?“[65] Das Schreiben Wismanns zeigt, in welcher oft schwierigen Lage sich die Leipziger Kommissionäre befanden. Einerseits mußten sie als Vollzugsorgane der Nazi-Schrifttumskammer funktionieren, andererseits hatten sie ein geschäftliches Interesse, die Verbreitung und den Verkauf von gutgehenden Büchern zu fördern. Die Tatsache, daß Beamte des Außenamtes in Wien im Besitz einer Photokopie der Zweig-Verfügung waren, die deutscherseits nicht mehr aus der Welt geleugnet werden konnte, mag durchaus zum relativ günstigen Ausgang des Falls für Reichner und Zweig beigetragen haben.

Während Herbert Reichner Glück im Unglück hatte, indem seine Büchersendungen nicht vernichtet, sondern unversehrt zurückgesandt wurden, hatte eine Verlagsorganisation, die sich „St. Josef Buchbruderschaft Klagenfurt“ nannte, Pech. Auch in diesem Fall wurde die österreichische Gesandtschaft Berlin eingeschaltet. Büchersendungen dieses religiösen Verlags wurden beschlagnahmt und vernichtet, obwohl sie offenbar nicht verboten waren. Der österreichische Gesandte, Tauschitz, intervenierte im Herbst 1936 beim Reichsaußenminister Neurath, der meinte,

daß wohl wenig Aussicht dafür bestünde, für die verbrannten Bücher eine Entschädigung zu erlangen, da man wohl die Vernichtung der Sendung nicht vorgenommen hätte, wenn man hiezu nicht berechtigt gewesen wäre. Ich vertrat natürlich den Standpunkt, daß eine Berechtigung der Gestapo nicht vorlag und man höchstens den Verkauf hätte verbieten können, die Bücher jedoch unbedingt zur Rücksendung freizugeben gewesen wären. Auf jeden Fall sei der Bücherbruderschaft sowohl an einer Entschädigung als auch insbesondere einer weiteren Ablieferung ihrer Werke an ihre deutschen Bezieher außerordentlich viel gelegen (…).[66]

Das Beispiel zeigt erneut, wie relativ schutzlos österreichische Verlage den deutschen Behörden ausgeliefert waren.

Die wohl schwerwiegendste Behinderung österreichischer Verlage bei der Einfuhr nach Deutschland war eine Auswirkung der handels- und wirtschaftspolitischen Beziehungen zu Deutschland. Der Sturm über Österreich beschrieb das Problem drastisch, aber sehr treffend folgendermaßen: „Dem österreichischen Verleger, der ja auf den deutschen Markt angewiesen ist, wird die Brechzange der Devisenvorschriften um den Hals gepreßt“ (25.4.1937, S. 6).

Um dieses Problem, das sich im Jahre 1937 aus Anlaß des Handelsabkommens vom Jänner zuspitzte und bis zum „Anschluß“ und auch später effektiv ungelöst blieb, verstehen zu können, müssen wir uns zunächst ein wenig mit dem reichsdeutschen System der Devisenbewirtschaftung befassen. Dann können wir die konkreten Auswirkungen auf österreichische Schriftsteller und auf österreichische Verlage in der Praxis erkennen.

Anmerkungen

[1] Dazu VOLKER DAHM, Das jüdische Buch im Dritten Reich. Frankfurt/Main 1979, Sp. 72.

[2] Der Mangel eines solchen methodischen Ansatzes läßt die vielzitierte Arbeit von Dietrich Strothmann heute überholt erscheinen. Diese erstmals 1960, dann 1963 in 2. Auflage erschienene gedruckte Dissertation, beruht einerseits ausschließlich auf publizierten Quellen bzw. Einzelbefragungen, verzichtet andererseits darauf, Entwicklungstendenzen kenntlich zu machen. Stattdessen erscheint der Zeitraum 1933 bis 1945 als homogen: hier ein Beleg aus dem Jahre 1934, da eine Aussage aus dem Jahre 1943, und beide verbindlich für die „nationalsozialistische Literaturpolitik“ dieses Zeitraums. S. DIETRICH STROTHMANN, Nationalsozialistische Literaturpolitik. Ein Beitrag zur Publizistik im Dritten Reich. Bonn: H. Bouvier u. Co. Verlag, 1960. 2., verb. und mit einem Register ausgestattete Auflage, 1963.

[3] Anzeiger, 74. Jg., Nr. 43, 16. Dezember 1933, S. 207.

[4] Börsenblatt, 100. Jg., Nr. 280, 2. Dezember 1933.

[5] S. Börsenblatt, 101. Jg., Nr. 228, 29. September 1934, S. 852. Die Bekanntmachung verpflichtete Verlagsunternehmen, sich zu vergewissern, ob die Firmen, mit denen sie in Geschäftsverbindung oder die Autoren, mit denen sie in einem Vertragsverhältnis standen, ihre Verpflichtung gegenüber der Reichskulturkammergesetzgebung hinsichtlich der zuständigen Eingliederung zu erfüllen.

[6] Siehe DAHM, zit. Anm. 1, S. 60.

[7] Börsenblatt, 101. Jg., Nr. 224, 25. September 1934, S. 834.

[8] „Nachrichten für Buchhändler und Buchkritiker“. In: Die Neue Literatur, Heft 1, Januar 1938, S. 45. Vesper fühlte sich daher bemüßigt, „künftig von Zeit zu Zeit einen Hinweis auf die Börsenblattanzeigen, die unseres Wissens für jüdische Verlage und jüdische Autoren werben“, zu bringen (ebda.).

[9] DAHM zitierte dabei: Paul Zsolnay Verlag, Phaidon-Verlag, Deutsch-österreichischer Verlag, Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Fiba-Verlag, E.P. Tal & Co., Verlagsbuchhandlung R. Löwit. (Sp. 154.) In seiner sonst ausgezeichneten, wohlfundierten Arbeit ist der Abschnitt über Österreich etwas schwach.

[10] Sperre vom Verf.

[11] Ein ähnlicher Widerspruch: der Wiener „Internationale Psychoanalytische Verlag“ Martin Freuds konnte am 7. Dezember 1934 im Börsenblatt ein ganzseitiges Inserat für den indizierten „Almanach der Psychoanalyse 1935“ veröffentlichen. Alle Jahrgänge dieses Almanachs befanden sich im Verzeichnis der seit 1933 verbotenen Werke österreichischer Verlage.

[12] Alle im folgenden zitierten Dokumente, Stellungnahmen, Schreiben usw. aus dem Jahre 1937, die Anzeigen betreffend, befinden sich im Berlin Document Center (BDC)/RKK/Leitzordner „Jüdische Buchhändler, Verleger, Schriftsteller“. Verf. dankt dem Direktor des BDC für die Übersendung der betreffenden Kopien.

[13] Originalschreiben des Bermann-Fischer Verlags vom 1. Oktober 1937.

[14] Im Herbst 1935, als die Aufregung über das deutsche „Buchdumping“ ihrem Höhepunkt zusteuerte, lancierte die Wiener Zeitung eine Kampagne, um dem österreichischen Buch den gebührenden Platz in den Auslagen der Buchhandlungen zuzuweisen. Sie führte positive und negative Beispiele an. In einer katholischen Buchhandlung (Tyrolia) fehle in deren Auslage ein Werk „ebenso wie die dem Nationalsozialismus gegenüber negativ eingestellten Werke der ‚Emigrantenverlage’ einzig deshalb, weil es in dem übrigens sehr rührigen E.P. Tal-Verlag erschienen ist, der bekanntlich seit langem im ‚Börsenblatt’ nicht mehr ankündigen darf“. (WZ, Nr. 339, So., 8. Dezember 1935, S. 7.)

[15] Sämtliche hier zitierte Korrespondenz befindet sich im „Personalakt E.P. Tal“, Archiv, Buchgewerbehaus Wien. Für die Unterstützung meiner Forschungen bin ich dem Archivar, Herrn Dr. Karl Megner, zu Dank verpflichtet.

[16] Börsenblatt, 101. Jg., Nr. 224, 25. September 1934, S. 834.

[17] Brief an den Verf. vom 8. September 1981. Um welche Tal-Autoren es sich konkret handelte, war vorläufig nicht zu eruieren.

[18] Zu den Tal-Verlagsautoren zählten u.a. Max Brod, Ferdinand Bruckner, Arnold Höllriegel, Gina Kaus, Richard Lewinsohn (Morus), E.A. Rheinhardt, Roda Roda und Alfred Neumann.

[19] Der Morgen (Wien), 8. April 1935, S. 11.

[20] Sucht man seinen Namen im Verzeichnis der Wiener Auslieferungs- und Bezugsstellen für in- und ausländische Verlagsprodukte, findet man ihn zehnmal. Kendes Buchhandlung und Antiquariat (gegr. Anfang 1932) war die Wiener Auslieferung von sämtlichen „Emigrantenverlagen“ bzw. Anti-Nazi-Verlagen im Ausland. Diese Liste umfaßt: Humanitas (Zürich), Allert de Lange (Amsterdam), Querido-Verlag (Amsterdam), Editions du Carrefour (Paris), Europa Verlag (Zürich), Europäischer Merkur-Verlag (Paris), Malik-Verlag A.G. (Prag), Schocken Verlag (Berlin), Soziologische Verlagsanstalt (Brünn) und schließlich Paul Gerin (Wien = Buchhandlung). in einem Brief Robert Musils an den Schweizer Verleger (Humanitas) Simon Menzel 1936 ist vom Auslieferer Kende die Rede. (Robert Musil, Briefe 1901-1942. Herausgegeben von ADOLF FRISÉ. Unter Mithilfe von MURRAY G. HALL. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1981, I, 706 und II, 412.)

[21] „Glanz und Elend des österreichischen Buches.“ In Sturm über Österreich, Folge 33, So., 22. August 1937, S. 5.

[22] AVA, BMU, Ges. Zl. 25.962-37. Schreiben vom 24. August 1937, S. 5f.

[23] „promemoria“ der Zwangsgilde der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler, Wien, vom 12. November 1937, bes. Blatt 4f. AVA, BMU, Zl. 39.644-37.

[24] Bericht über die Verhandlungen Morawas in Berlin am 22. Oktober 1937, in: HHSta, N.P.A., Karton 131, BKA 35.119-13/1937.

[25] In diesem Verlag erschien 1937 das SCHUSCHNIGG-Werk Dreimal Österreich.

[26] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 629, BKA, Abt. 14 HP, BKA. Zl. 215.810-14a-37. Nur das 2. Blatt dieses Schreibens Hegners an Schuschnigg (um den 23. September 1937) liegt diesem Akt bei. Es wurde von Schuschnigg an Staatssekretär Guido Schmidt zwecks Intervention weitergegeben.

[27] Vertrauliches Schreiben des E.P. Tal Verlags vom 24. August 1937 an Hofrat Dr. Konrad Thomasberger vom Unterrichtsministerium. AVA, BMU, Zl. 25.962-37.

[28] Die im deutschen Buchhandel kursierenden „schwarzen Listen“ waren den österreichischen Regierungsstellen und der Standesvertretung wohl bekannt. Bei einer interministeriellen Besprechung am 6. Oktober, die als Vorbereitung für die zweite Tagung des Kulturausschusses gedacht war, wies der Zwangsgilde-Syndikus Wisloschill daraufhin, „daß tatsächlich neben der offiziellen Liste verbotener Werke in Deutschland, Geheimlisten der Partei bei den einzelnen Gauleitungen bestehen, die von Gau zu Gau oft verschieden angewendet werden“. (ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 134, BKA 42.418-13/1937). Der Essay „Glanz und Elend des österreichischen Buches“, der am 22. August 1937 in der Wochenzeitung Sturm über Österreich erschien, wurde kurz darauf als gehefteter Sonderdruck herausgebracht. Der Umschlag trug den gelben Aufkleber „Zurück Verbreitung in Deutschland nicht angängig“. Der Druck fand in Regierungskreisen weite Verbreitung und in Verlegerkreisen breite Zustimmung, zumal er eine umfassende Auseinandersetzung mit der Existenzgrundlage des österreichischen Buchhandels präsentierte. Nicht einverstanden mit dieser Publizität war Dr. Wisloschill, Syndikus und Sprecher der Zwangsgilde der Buchhändler. In der soeben erwähnten Sitzung trug Wisloschill „den Wunsch des Buchhandels vor, daß Veröffentlichungen über die Beziehungen des österreichischen Buchhandels mit dem des Deutschen Reiches durch Einwirkung des Bundespressedienstes nur im Einvernehmen mit den zuständigen Fachorganisationen in Hinkunft erfolgen. Veröffentlichungen wie etwa in ‚Sturm über Österreich’ (als Broschüre unter dem Titel ‚Glanz und Elend des österreichischen Buches’ erschienen) würden eher störend wirken“. (loc. cit.) Verleger waren da anderer Meinung. Hier die treffende Analyse eines Vertreters des E.P. Tal Verlags: „Unsere Korporation, die ja das Beste zu tun sich bemüht, hat unter anderem gleichzeitig den Buchhändler und den Verlag zu vertreten. Die Interessen des Buchhändlers und des Verlags aber gehen großenteils auseinander. Die Buchhändler denken gar nicht daran, den österreichischen Verlag in den Vordergrund zu schieben. Im Gegenteil. Sie sind zum Teil Nazis, und wenn schon nicht das, so doch natürlich Geschäftsleute; das gedumpte deutsche Buch ist ihnen bequem, weil billiger und die Verdienstspanne größer. Wir sind also auch auf dem Inlandsmarkt ungeschützt.“ (Quelle: S. Anm. 27.)

[29] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 134, BKA 43.118-13/1937.

[30] „pro memoria“, Wien, 12. November 1937. Diese 5seitige Zusammenfassung befindet sich in den Aktenbeständen mehrerer Ministerien. Zitiert wird nach: AVA, BMU, Zl. 39.644-37. Sie war das Produkt einer Anregung des Gesandten Max Hoffinger, der die Sitzung am 6. Oktober leitete: „Um die Interessen der österreichischen Buchhändlerschaft aber auch nach außen bei Verhandlungen mit dem Deutschen Reich wirksam vertreten zu können, sei die schriftliche Einbringung der Stellungnahme der Buchhändlerschaft bis Ende dieses Monates erwünscht.“ Quelle: S. Anm. 28. Die nächste Sitzung fand am 24. November statt. Nun wurde die Frage „politische Beschwerden“ den Verhandlungen im Kulturausschuß Ende November/Anfang Dezember überlassen. In den betreffenden Protokollen ist darüber jedoch kein Wort zu lesen.

[31] Die Neue Literatur, Heft 3, März 1938, S. 154.

[32] Ebenda, Heft 2, Februar 1937, S. 104.

[33] Diese Abschrift ist einem relativ umfangreichen Gesamtakt über die Behinderungen des Phaidon-Verlags entnommen (ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 125). Die Aktenstücke reichen vom 5. Februar 1936 bis 23. Dezember 1937 und werden – soweit aus ihnen zitiert wird – im folgenden einzeln angeführt.

[34] Hier einige Hinweise zur Zuständigkeit der betreffenden Abteilungen: Abt. 13 war Teil der Sektion IV (Auswärtige Angelegenheiten). Sie war für Angelegenheiten der auswärtigen Politik, soweit sie nicht zur Abt. 14 gehörten, Verkehr mit dem Ausland in Angelegenheiten von Kunst und Wissenschaft, Unterricht und Kultus zuständig. Abt. 14 (Wirtschaftspolitik) 14/A hatte als Agenden: Politische Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungen mit dem Ausland auf dem Gebiete der Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrspolitik. Die Abt. 15, die hier eher irrtümlich konsultiert wurde, war für den Verkehr mit dem Ausland auf dem Gebiete des Personenstands-, Polizei- und Bevölkerungswesens u.a. verantwortlich (= Abt. 15/R. S.).

[35] S. Anm. 33. BKA, Der Bundeskommissär für Heimatdienst, Zl. 184/HD/36. Wien, den 27. Februar 1936. (= BKA 35.745-13/36)

[36] S. Anm. 33. Österreichische Gesandtschaft Berlin, 22. April 1936. Bericht Zl. 465/Res 1. BKA 37.666-13/36)

[37] S. Anm. 33. Österreichische Gesandtschaft Berlin, 4. Juni 1936. Zl. 648/Res 1.

[38] Schreiben der Abt. 13 pol. vom 1. September 1937 an die Österreichische Gesandtschaft Berlin. BKA 43.147-13/37.

[39] Diese Liste befindet sich in der Beilage (C) zu einem Brief Horovitz’ an das Generalsekretariat für auswärtige Angelegenheiten vom 27. August 1937. (Anm. 33, BKA 43.147-13/37.) Diese Liste umfaßte Werke wie: Van Gogh, Gemälde und Zeichnungen; Tizian, Band I/Il; Rembrandt, Gemälde; Frobenius, Kulturgeschichte Afrikas; Petrarca, Die Triumphe; usw. Ein beschlagnahmtes Werk (Forel, Rückblick auf mein Leben) war nicht im Phaidon-Verlag erschienen.

[40] S. Anm. 38.

[41] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 14, Österreichische Gesandtschaft Berlin, 7. Oktober 1937. Zl. 1595/Res 1. (= BKA 44.268-13/1937).

[42] S. Anm. 33. Auswärtiges Amt. Pol. IV 6617 (in: BKA 44.268-13/1937). Die Wendung „einige nicht verbotene Werke des Verlages“ impliziert entgegen den Tatsachen, daß mehr verboten als erlaubt war. In Wirklichkeit befinden sich im Verzeichnis der seit 1933 im Deutschen Reich verbotenen Werke österreichischer Verlage kaum ein halbes Dutzend Bücher des Phaidon-Verlags, darunter Robert Neumanns (Panoptikum, Passion).

[43] Der Fall war an den Bundeskommissär für Kulturpropaganda, Hans vom Hammerstein-Equord, der am 5. Dezember 1936 zu diesem Posten ernannt worden war, herangetragen und in der „Sitzung über Buchfragen am 6. Oktober 1937“ zur Kenntnis gebracht worden.

[44] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 131, BKA 96.690-13/1937. Protokoll über die zweite Tagung des Ausschusses für kulturelle Angelegenheiten zwischen dem Deutschen Reich und Österreich, abgehalten zu Berlin vom 29. November bis 3. Dezember 1937, S. 4.

[45] Darunter: Gesandter Hoffinger, Bundeskommissär Hammerstein-Equord, Min.-Rat Herget (BMfHuV), Franz Marenzi (G.D. 2), Leg. Sekr. Siegmar Lurtz (BKA, Abt. 14a) usw.

[46] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 629, BKA, Abt. 14 HP, Gdzl. u. Ges. Zl. 215.810-14a/37. „Amtsvermerk“ vom 24. November 1937.

[47] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 134, BKA 96.706-13/1937. Gegenstand: Behinderung der Verbreitung österreichischer Verlagswerke in Deutschland.

[48] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 131, BKA 51.715-13/1938. Gegenstand: Unterausschuß für Buchfragen des Ausschusses für die kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland. Besprechung in Berlin am 7. II. fol. 19.614.

[49] Glanz und Elend des österreichischen Buches. In: Sturm über Österreich, 22. August 1937, S. 5. Die zwei hier abgebildeten Graphiken sind diesem Artikel entnommen.

[50] Schreiben an Hofrat Dr. Konrad Thomasberger (BMU) vom 24. August 1937. BMU, 25.962-37.

[51] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 119, Akt Bücherbeschlagnahme Herbert Reichner Verlag. Schreiben an Guido Zernatto vom 28. August 1936.

[52] Dazu Volker Dahm: „Widersprüchlichkeiten ergaben sich schließlich auch daraus, daß die RSK den Ausschluß der ‚nichtarischen’ Verleger zunächst aufgeschoben hatte. Zwar war den jüdischen Autoren mit dem Ausschluß aus der RSK bzw. der Ablehnung ihrer Eingliederung nach dem RKK-Gesetz jede weitere schriftstellerische Betätigung im Bereich der Kammer untersagt, weshalb sie aufgefordert wurden, bestehende Verlagsverträge in kürzester Frist abzuwickeln. Die RSK kam aber nicht umhin, jüdischen Autoren unter der Hand – d.h. bis Juli 1937 ohne geschriebenes Recht – die Möglichkeit zuzugestehen, in programmatisch jüdischen Verlagen zu publizieren, da diese nach wie vor der Kammer angehörenden Verlage ansonsten gezwungen gewesen wären, ihre Produktion einzustellen oder aber auf Bücher ausländischer Verfasser zu beschränken.“ (Anm. 1, Sp. 71.) Dahm zitiert das Beispiel Schocken Verlag (Sp. 54). Zur Gründung und zum Programm des Schocken Verlags siehe GOTTFRIED BERMANN-FISCHER, Bedroht – Bewahrt. Weg eines Verlegers. Frankfurt/Main: Fischer Bücherei, Band 1169, 1971, S. 273 f. Dazu INGRID BELKE, In den Katakomben. jüdische Verlage in Deutschland. 1933 bis 1938 (Marbacher Magazin, 25/1983).

[53] Archiv, Buchgewerbehaus Wien, Verein 1936, Mappe 433. Rundschreiben vom 22. April 1936.

[54] Dieser war allerdings kein „Judenverlag“. Franz Deuticke, zeitweiliger Verleger Sigmund Freuds, klärte dieses Mißverständnis etwas verspätet – nämlich am 21. März 1938 – auf, als er eine halbe Seite im Börsenblatt kaufte. Da liest man: „Wie ich erfahren habe, sollen im deutschen Buchhandel falsche Anschauungen über meine Firma in Umlauf gebracht worden sein. Ich erkläre daher ausdrücklich, daß meine Firma seit ihrer Gründung in arischem Besitze ist und niemals einen jüdischen Gehilfen oder Angestellten beschäftigt hat. Heil Hitler! Leipzig und Wien, März 1938 Franz Deuticke.“ (Börsenblatt, Nr. 67, vom 21. März 1938, S. 1150.)

[55] S. Anm. 53. Die Anwesenheitsliste ist etwas mißverständlich, aber neun Verleger (von ca. 130) dürften teilgenommen haben, darunter Franz Deuticke, O. Bauer (Fiba-Verlag), L. Heidrich, Dr. Passer, Reichner, E.P. Tal, Dr. Robert Freund (Bastei-Verlag). Ein Protokoll dieser Sitzung war leider nicht auffindbar.

[56] Stefan Zweig. Briefe an Freunde. Hrsg. von RICHARD FRIEDENTHAL. Frankfurt/Main: S. Fischer, 1978, S. 275.

[57] ÖSta, HHSta, N. P. A., Karton 119, BKA 43.578-13/36. Die folgende Darstellung stützt sich auf diesen Akt, in dem sich die Angaben über die Beschlagnahmen, die Korrespondenz Volckmars mit Reichner und dessen Eingaben an die österreichischen Behörden befinden. Sie bildet einen Auszug aus dem Aufsatz „Literatur- und Verlagspolitik der dreißiger Jahre in Österreich. Am Beispiel Stefan Zweigs und seines Wiener Verlegers Herbert Reichner“. In: Stefan Zweig 1881/1981. Aufsätze und Dokumente. Hrsg. von der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur. Zirkular. Sondernummer 2, Oktober 1981, S. 113-136.

[58] Reichsgesetzblatt, Teil 1, Nr. 8/1933, Ausgegeben zu Berlin, den 6. Februar 1933, Abschnitt II, Druckschriften.

[59] Reichsgesetzblatt, Teil 1, Nr. 17/1933, Ausgegeben zu Berlin, den 28. Februar 1933.

[60] Schreiben von F. Volckmar an Herbert Reichner vom 12. August 1936. Zu diesem Themenkomplex siehe die Arbeit von DIETRICH AIGNER, Die Indizierung „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ im Dritten Reich. Frankfurt/Main 1979, Sp. 933-1034, bes. Sp. 953 ff.

[61] Abschrift eines Briefs vom 12. August 1936 von Volckmar an Reichner.

[62] 483 Ex. Maria Stuart; 714 Ex. Marie Antoinette; 284 Ex. Baumeister der Welt; 344 Ex. Erasmus von Rotterdam; 94 Ex. Sinn und Schönheit der Autographen; 57 Ex. Jeremias, broschiert; 173 Ex. Jeremias, Leinen; 37 Ex. Toscanini; 59 Ex. Castellio; 40 Ex. Fouché; 40 Ex. Heilung.

[63] Schreiben von Reichner an Schuschnigg, 28. August 1936.

[64] Ebenda.

[65] Bundesarchiv Koblenz, R 56 V/27 folio 110-115. Für diesen interessanten Hinweis bin ich Gerhard Renner dankbar.

[66] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 13, Österr. Gesandtschaft Berlin, den 5. November 1936, Zl 1383/Res I (BKA 43.797-13/36).

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