XII. Das angeschlossene Österreich

XII. Das angeschlossene Österreich

1. Voraussetzungen für die Entwicklung in Buchhandel und Verlagswesen nach dem „Anschluß“

Der Jude muß restlos aus der wirtschaftlichen Sphäre heraus. Er muß aus Österreich, insbesondere aus Wien überhaupt verschwinden. (Gauleiter Josef Bürckel, 1938)[1]

Schon bevor das „Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“, auch ‚Linzer Gesetz’ genannt, in Druck ging, vollzog sich mit unglaublicher Geschwindigkeit ein Wandel in Handel und Gewerbe, vor allem in Wien. Die Beteiligung der Juden im wirtschaftlichen Leben, insbesondere in der Handelssphäre war, so wurde argumentiert, außerordentlich groß. Im März 1938 wurde die Zahl der jüdischen Geschäfte allein in Wien auf 50.000 bis 60.000 geschätzt. „Der Haß der Parteigenossen gegen die Juden in Österreich war mithin aufgrund ihrer Erfahrungen und Leiden besonders groß.“[2] Dieser „Haß“ entlud sich, wie bekannt, sehr prompt. Zigtausende Wiener traten in Erscheinung nach der Devise „Mir san wieder wer!“, um Handel und Gewerbe „in zuverlässige Hände“ zu bringen. Zahlenmäßig wurde die Zahl der sofort nach dem „Anschluß“ tätigen sogenannten „wilden Kommissare“, wie sie statt „Räuber“ genannt wurden, allein in Wien auf 20.000-30.000 geschätzt – die Zahl war niemals genau feststellbar.[3] Die „wilden Kommissare“ richteten zum Bedauern der reichsdeutschen Stellen, die das Problem erst nach und nach in den Griff bekamen, materiellen und wirtschaftlichen Schaden an, zumal sie in vielen belegbaren Fällen keinerlei Fachkenntnisse für den Gewerbezweig, in dem sie nach dem Raubgriff nun den Herrn spielen konnten, besaßen. Firmen, die über „Arisierung“ erhaltungswürdig oder für die Exportwirtschaft von Bedeutung gewesen wären, kamen in die Hände total Unfähiger.

Als die Nationalsozialisten im ‚Altreich’ nach dem Rechten in der „Ostmark“ sahen, herrschte vollkommene Konfusion. Kommissare waren „eingesetzt“ worden, bzw. sie hatten sich – illegal – selber eingesetzt, um zu verhindern, „daß weiterhin Juden die Betriebsführung innehaben.“[4] Die „nach dem Umbruch in der Ostmark von der ganzen Bevölkerung gestellte Forderung nach Vornahme einer sofortigen Entjudung“ wurde auch von Hermann Göring in seiner Rede am 28. März 1938 in der Nordwestbahnhalle in Wien bestätigt. Göring beauftragte den Reichsstatthalter für das Land Österreich, Seyß-Inquart, Maßnahmen zur Umleitung der jüdischen Wirtschaft, sprich: „Arisierung“ des Geschäfts- und Wirtschaftslebens, zu treffen. Diese Maßnahmen seien – so Göring – „in aller Ruhe zu treffen“ – eine Feststellung, die einer gewissen Ironie nicht entbehrt, zumal die erwähnten „wilden Kommissare“, die seit dem 10. März in Aktion traten, in genau der verkehrten Richtung agierten. Sie ‚arbeiteten’ ohne einheitliche Richtlinien, ohne einheitliche Überwachung und Führung, und standen einer „Entjudung nach sachlichen Gesichtspunkten“ im Weg. Ihr Traum war aus, als am 13. April 1938 Reichsstatthalter Seyß-Inquart das „Gesetz über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissarischen Überwachungspersonen“ (Gesetzblatt für das Land Österreich, 80/1938) kundmachen ließ. Somit war zwar eine nachträgliche gesetzliche Grundlage, eine Legalisierung der vorangegangenen Raubzüge geschaffen. Der Reichsstatthalter konnte jedoch „in Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen für Unternehmungen, die ihren Sitz im Lande Österreich haben, kommissarische Verwalter oder kommissarische Aufsichtspersonen bestellen“. (§ 1) Die Bestellung war nur bis zum 1. Oktober 1938 zulässig. Man war der irrigen Ansicht, man könne bis dahin mit dem Problem fertig werden. Die kommissarischen Verwalter waren „zu allen Rechtshandlungen für die Unternehmung befugt“. (§ 2) Um dem bloßen Raubbesitz einen Riegel vorzuschieben, waren die kommissarischen Verwalter „verpflichtet, bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden“. (§ 5) Sie hatten auch Anspruch auf eine entsprechende Entlohnung für ihre Tätigkeit. (§ 4) Um aber das Unwesen mit den „wilden Kommissaren“ unter Kontrolle zu bringen, nahm man folgenden Paragraphen in das Gesetz auf:

§ 7. Wer erst [!] nach dem 10. März 1938 in einem fremden Unternehmen allein oder mit anderen eine leitende Stellung oder die Aufsicht übernommen hat, hat dies binnen drei Tagen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes dem Reichsstatthalter zu melden.

Hierdurch sollte eine Erfassung aller „wilden Kommissare“ und die Einsetzung „ordnungsgemäßer Kommissare“ auf Grund des Gesetzes ermöglicht werden. Mit der Durchführung dieser Maßnahmen wurde der Staatskommissar in der Privatwirtschaft, Dipl.-Ing. Walter Rafelsberger, vom Reichsstatthalter für das Land Österreich, Seyss-Inquart, betraut, im Einvernehmen mit dem Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Gauleiter Josef Bürckel.

Schon nach wenigen Wochen war die Zahl der „wilden Kommissare“ auf weniger als 1.000 herabgesetzt worden. Um eine restlose Ausschaltung dieser Kommissare zu ermöglichen und die sachgemäße Verwaltung und Überführung des jüdischen Vermögens im Sinne des Auftrags Görings durch den Staatskommissar in der Privatwirtschaft zu gewährleisten, erließ Seyß-Inquart am 2. Juli 1938 (Gesetzblatt für das Land Österreich, Nr. 226/1938) eine Anordnung, wonach am 1. August 1938 alle bisher bestellten kommissarischen Verwalter aus ihrem Tätigkeitsbereich auszuscheiden hätten, sofern sie nicht vom Staatskommissar in der Privatwirtschaft erneut bestellt wurden. Von allen auszuscheidenden kommissarischen Verwaltern wurde eine genaue Rechnungslegung gefordert, ohne die keine Entlastung erteilt wurde. Die noch „wilden“ unter ihnen hätten ihre Tätigkeit sofort einzustellen. Die verbleibenden wurden gezwungen nach einheitlichen Richtlinien auf Grund einer strengen Überwachung durch die Abteilung „Prüfstelle für kommissarische Verwalter“ beim Staatskommissar in der Privatwirtschaft zu arbeiten. Rafelsberger meinte in seinem Schlußbericht über die Tätigkeit der kommissarischen Verwalter[5], es sei auf Grund dieser Anordnung „tatsächlich“ gelungen, „restlose Ordnung in das Kommissarwesen im Lande Österreich zu bringen“. Das Gesetz Nr. 80/1938 über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissarischen Überwachungspersonen erfuhr im Oktober 1938 eine geringfügige Änderung, insoferne als deren Bestellung nun „bis zum 1. April 1939 zulässig“ wurde (Gesetzblatt für das Land Österreich, Nr. 518/1938).

Die kommissarische Verwaltung nahm zusammenfassend folgenden Verlauf. Von den geschätzten 20.000-30.000 kommissarischen Verwaltern unmittelbar nach dem „Anschluß“ verblieben nach wenigen Wochen etwa 1.000. Nachdem im November dieses Jahres dann eine Spitze von 2787 Kommissaren auf gesetzlicher Basis erreicht wurde, sank diese Zahl im Dezember 1938 wieder unter 1.000. Im April 1939 waren es bereits weniger als 100, und am 30. Oktober 1939 hatte sich die Zahl der kommissarischen Verwalter in der ganzen ‚Ostmark’ auf 29 verringert. Am 1. November 1939 wurden weitere neun abberufen, so daß am 6. November, als Rafelsberger seinen Schlußbericht an Gauleiter Bürckel weiterleitete, nur mehr 20 kommissarische Verwalter, davon zehn in Wien und davon wiederum einer für den Herbert Reichner Verlag, tätig waren.[6]

Diese statistischen Angaben über die Entwicklung der kommissarischen Verwalter zwischen März 1938 und November 1939 verdecken in ihrer Nüchternheit freilich so manche Streitigkeiten zwischen Austronazi-Freibeutern und Nazi-Raubrittern aus dem ‚Altreich’. Auffassungsunterschiede bestanden im Bereich, der höhnisch „Wiedergutmachung“ genannt wurde, und im Bereich „Arisierung“, denn es galt für Bürckel bei der Arisierung einen eingerissenen Mißbrauch wieder abzustellen:

Die Parteigenossen erwarteten vielfach, daß aus Gründen der Wiedergutmachung die jüdischen Vermögenswerte an sie weit unter dem Werte zu verschleudern seien. Diese Auffassung hätte notwendigerweise dahin geführt, daß die wirtschaftliche Auswahl der künftigen Betriebsführer und Geschäftsinhaber nicht nach gesunden volkswirtschaftlichen Gesetzen erfolgt wäre. Es wären viele Parteigenossen hereingekommen, die ganz hervorragende Kameraden sind, die aber von wirtschaftlichen Dingen nichts verstehen und deshalb in kürzester Zeit scheitern mußten.[7]

Der Darstellung des Kommissarwesens in diesem Zeitraum, ob im Bereich Buchhandel, Verlag oder was auch immer, sind durch die unzureichende Quellenlage gewisse Grenzen gesetzt. Praktisch nur das, was aktenkundig wurde und sich noch dazu auffinden läßt, läßt sich im Detail darlegen.

Zu der vorhin zitierten „restlosen Ordnung“ trug ein weiteres, wesentliches Gesetzeswerk bei, das am 27. April 1938 kundgemacht wurde. Es war dies die „Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch de Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 bekanntgemacht wird“. Nach dieser Verordnung war jeder Jude (im Sinne der Nürnberger Rassengesetze) verpflichtet, sein gesamtes in- und ausländisches Vermögen nach dem Stand vom 27. April 1938 anzumelden und zu bewerten. Diese Anmeldung war unter Benützung eines amtlichen Formulars bis zum 30. Juni 1938 abzugeben. Der so geschaffene Überblick über Juden in Handel und Gewerbe schuf die Grundvoraussetzung für die spätere, offizielle Arisierung bzw. Liquidierung. Auf spezielle Fälle von österreichischen Verlegern gehen wir später ein.

Mit der Überwachung und Führung der Entjudung in der „Ostmark“ war die von Rafelsberger geleitete Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit (ehemals: Bundesministerium für Handel und Verkehr) betraut. „Dadurch war es möglich, die Verwaltung der jüdischen Unternehmungen durch die Kommissare im Zusammenhang mit dem der Vermögensverkehrsstelle übertragenen Genehmigungsverfahren anläßlich der Überführung der jüdischen Unternehmungen in nichtjüdisches Eigentum nach einheitlichen sachlichen Gesichtspunkten zur Ermöglichung einer planmäßigen Gesamtentjudung in der Ostmark im Sinne des Auftrages des Generalfeldmarschalls zu leiten.“[8]

Verwaltungstechnisch war die letzte Phase der Liquidierung oder Arisierung nicht mehr durch kommissarische Verwalter, sondern durch sog. „Abwickler“ gekennzeichnet. Die entsprechende „Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“[9] ging davon aus, daß

(1) Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäfte oder Bestellkontore von Juden grundsätzlich aufzulösen und abzuwickeln

seien. Auf die „Abwickler“ im Zusammenhang mit Buchhandel und Verlagswesen kommen wir noch zu sprechen, doch nun wenden wir uns weg von der eher abstrakten gesetzlichen Ebene zu den großen Veränderungen im Verlagswesen im konkreten.

2. Anschluß von Kunst und Kultur

Mit atemberaubendem Tempo wurde in den Stunden und Tagen nach dem „Anschluß“ mit der bisherigen ständestaatlichen und/oder jüdischen Leitung von öffentlichen kulturellen Institutionen usw. aufgeräumt. Am 15. März 1938 gab es schon eine kommissarische Leitung in der Österr. Nationalbibliothek (Pg. Dr. Paul Heigl). Die Leitung wurde aber ebenso geschwind in einer Reihe von Kunst- und Kulturstätten ausgetauscht, so z.B. in der Wiener Sezession, der Kunstgewerbeschule, bei den Wiener Symphonikern, den Wiener Philharmonikern, der Gesellschaft der Musikfreunde, der Universal-Edition, im Neuen Wiener Konservatorium, in der Ravag., der Gesellschaft der A.K.M., im Musikwissenschaftlichen Verlag, in der Akademie der Wissenschaften u.v.a.

Entsendet wurden die meisten, wenn vielleicht nicht alle kommissarischen Leiter vom Landeskulturleiter der NSDAP Österreich, Hermann Stuppäck. So meldeten die Wiener Neuesten Nachrichten am 17. März 1938, das Landeskulturamt der NSDAP Österreich habe den Verleger Heimito von Doderers und A.P. Güterslohs, Pg. Ing. Rudolf Haybach, zur kommissarischen Leitung der Österreichischen Kunststelle entsendet. Haybach war bereits seit 1933 illegales Mitglied der NSDAP in Österreich und daher besonders verläßlich.

Auch in Österreichs belletristischen Verlagen vollzog sich ein rascher Wandel. Am 16. März ernannte Stuppäck den akademischen Maler und langjährigen Buchillustrator u.a. des nationalen Staackmann-Verlags, Karl Alexander Wilke (16.7.1879, Leipzig – 27.2.1954, Wien), zum kommissarischen Leiter des Österreichischen Bundesverlages. Wenige Tage später bekundete Pg. Wilke die Veränderungen in einer ganzseitigen Annonce im Börsenblatt.

Bücher der Ostmark
Der Anschluß machte sich im österreichischen Verlagswesen nicht nur in dieser Form bemerkbar. Auch arische Verlage mußten ihre „nationale“ Farbe herausstreichen. Am Beispiel E.P. Tals aus dem Jahre 1935 (s. S. 332 ff.) konnten wir sehen, wie geschäftsschädigend Gerüchte in der Buchbranche sein konnten. Um nun schädigende Gerüchte aus der Welt zu schaffen, fühlten sich zwei österreichische Verleger gezwungen, den deutschen Buchhandel über ihre Rassenherkunft aufzuklären. Der eine Fall ereignete sich knapp zwei Monate vor dem „Anschluß“. Ein weiteres prominentes Opfer der neuen Zeit war der Bermann-Fischer Verlag, wobei man sagen kann, daß in der Wahl von Alfred Böhme, der gleich auch den Herbert Reichner Verlag zugeschanzt bekam, jemand „entsendet“ wurde, der über Mindestkenntnisse hinsichtlich der Führung eines (mittelgroßen)Verlags verfügte.[10] In manchen Fällen kamen Verlagskommissare aus völlig anderen Branchen. Vielmehr ist aus belegbaren Fällen ersichtlich, daß – so lange Austronazis das Sagen hatten und die reichsdeutsche (Kammer-)Gesetzgebung noch nicht in Kraft war – ausschließlich die Parteimitgliedschaft zur NSDAP maßgebend war. Nach einer Geschäftsanzeige im Börsenblatt stand der Bermann-Fischer Verlag „seit dem 18. März 1938 unter kommissarischer Leitung“.[11]

Bermann Fischer kommissarische Leitung (Börsenblatt, Nr. 14, 18.1.1938)

Während Swoboda, der ein ungeheuer florierendes Unternehmen führte, sich vom jüdischen Gründer und ehemaligen Inhaber Felix Speidel distanzieren wollte, gab der Wiener Verlagsbuchhändler und Antiquar Franz Deuticke kurz nach dem „Anschluß“ in einer Börsenblatt-Anzeige ausdrücklich an, daß seine Firma seit ihrer Gründung in arischem Besitz sei und „niemals einen jüdischen Gehilfen oder Angestellten beschäftigt hat“ (Nr. 67, 21. März 1938, S. 1.550).

Swoboda

Deuticke

Mit Riesenlettern „Deutschland wir glaubten an dich“ wurden gleicherweise die „Kampfgedichte aus Deutschösterreichs Not-, Verbots- und Befreiungszeit“ von einem Gottfried Nickl angekündigt: Wie etliche Verleger feierte Leopold Stocker in Graz ausgiebiger die „Heimkehr Österreichs ins Reich“ und pries eine Reihe von seinen Büchern an, die zeitweise in Österreich bis zum 13. März nicht vertrieben werden durften. Besonders hervorgehoben wurden die Werke des Oberösterreichers Karl Itzinger (1888-1948). Um einen Eindruck von der neuen-alten Verlagslinie Stockers zu gewinnen, hier eine Kostprobe aus der betreffenden Anzeige:

Heimkehr Ös ins Reich

Mit Riesenlettern „Deutschland wir glaubten an dich“ wurden gleicherweise die „Kampfgedichte aus Deutschösterreichs Not-, Verbots- und Befreiungszeit“ von einem Gottfried Nickl angekündigt:

Aus diesen illegalen Gedichten spricht der Ostmark gläubige Sehnsucht und entschlossener Wille zur Einheit im Großdeutschen Reiche, revolutionärer Trutz um deutsche Freiheit, Kampf gegen Volksverrat, unerschütterliche Treue zum deutschen Volke trotz Verbot und Not, Liebe zum Führer, dem Einiger und Befreier der deutschen Nation.

Jeder deutsche Buchhändler möge es sich zur Aufgabe machen, dieses einzigartige Buch weitest zu verbreiten, das ein treudeutscher Bekenntnis ist und Grüße der befreiten Ostmark an alle deutsche Volksgenossen vermittelt.

Mittels dieses Buches wollte der treudeutsche Grazer Verleger auch noch „Grüße der befreiten Ostmark an alle deutsche Volksgenossen vermittelt“ wissen (ebda.). Etwas weniger deutschnational und eher mit „heimatlicher“ Note reagierte der Grazer Styria Verlag auf die neue Zeit:

Das österr. Wanderbuch
Der erst kürzlich in das Geschäft mit der Belletristik eingestiegene Verlag Carl Fromme, der nun völkisch-anbiedernd Eduard Castles Geschichte der deutschen Literatur in Österreich-Ungarn anbot, stellte seine Werbung auch entsprechend um:

Österreichische Dichter
Der bäuerlich-deutschnationale „Verlag ‚Das Bergland-Buch’“ in Salzburg kaufte gar Anzeigenraum in der Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters am 20. März 1938 (S. 23), um seine Linie klarzumachen. Da liest man:

Das nationale Kampfblatt: „SALZBURGER VOLKSBLATT“
Der nationale Verlag: „DAS BERGLAND-BUCH“, Salzburg

Aber dieses Hervorheben, vielmehr das Unterstreichen des „Nationalen“ aus gegebenem Anlaß, trieb auch seine Blüten. Ein Beispiel, das nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik entbehrt, liefert der berechtigte „Amonesta-Verlag“, der mit einem noch berüchtigteren „Verlag für Kulturforschung Amonesta & Co.“ liiert war. In einem eindeutigen Kniefall vor den Machthabern im jungen christlich-deutschen Ständestaat hatte Amonesta im Jahre 1933 zur 250-Jahrfeier der Türkenbefreiung und zum großen Katholikentag „Ein(en) Starhemberg-Roman aus der Türkenzeit“ (Untertitel) von Erwin Weill mit dem Titel Gottes Bollwerk herausgebracht. Werbung dafür: „Österreichische Buchhändler, helfet mit, österreichische Bücher ins Volk zu tragen!“ (Anzeiger, 74. Jg., Nr. 31, 19. August 1933, S. 135). Und entgegen allen kaufmännischen Gepflogenheiten betrieb Amonesta auch noch Kundenwerbung unter den Lehrern in österreichischen Schulen, um dem „vaterländischen Gedanken“ besonders zu dienen. Das brachte Amonesta damals mit dem BM für Unterricht, dem Magistrat der Stadt Wien und vor allem mit der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler in Konflikt. Etwa einen Monat nach dem „Anschluß“ war eine Werbeschrift der Amonesta-Buchhandlung den Wiener Neuesten Nachrichten beigelegt worden, in der sie sich plötzlich als die „älteste nationale Buchhandlung Wiens“ ausgab. Neben den „wichtigsten Büchern“ aus dem Zentralverlag der NSDAP bot Amonesta seinen Kunden „die unerreichte, lebenswahre Bildnisbüste“ des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler. „Dieses Kunstwerk gehört in jedes deutsche Haus, es bildet den richtigsten Schmuck aber nicht nur des Heimes, sondern auch jedes Arbeitszimmers.“ Es sei dies schließlich: „Das sinnreichste Geschenk, welches Sie sich selbst und anderen machen können.“ Und man konnte es gar auf Raten kaufen … Der Buchhändlerverein wurde auf diese Umstände durch einen NS-Konkurrenten aufmerksam gemacht. Der kommissarische Leiter fand die Bezeichnung „älteste nationale Buchhandlung Wiens“ „unstatthaft“ und forderte Amonesta auf, diese bei einer Neuauflage wegzulassen.[12] Wie wir an späterer Stelle sehen werden, war diese Werbeepisode nur der Anfang vom Ende für den Katholiken Amonesta.

3. Die Standesvertretung nach dem „Anschluß“

Am 13. oder 14. März 1938 schickte der „österreichische Buchhandel“ ein Telegramm an den „Leiter des deutschen Buchhandels“, Pg. Wilhelm Baur, mit folgendem Inhalt:

Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel

Nr. 62 (Nr. 31) Leipzig, Dienstag den 15. März 1938, 105. Jg.

Telegrammwechsel zwischen dem österreichischen Buchhandel und dem Leiter des deutschen Buchhandels

Der österreichische Buchhandel hat an den Leiter des deutschen Buchhandels telegraphiert:

„In diesen geschichtlich bedeutungsvollen Tagen bekennt sich der deutsche Buchhandel der Ostmark zu seiner trotz Grenzen und äußerer Hemmnisse niemals unterbrochenen engsten inneren Verbundenheit mit dem ganzen Buchhandels des Deutschen Reiches und begrüßt Sie als Vorsteher in freudiger Erwartung der nun bald möglich werdenden völligen Vereinigung.

Sieg Heil dem großdeutschen Buchhandel!

Frick, Dr. Morawa, Peters, Wiedling“

Der Leiter des deutschen Buchhandels hat mit folgendem Telegramm erwidert:

„Ich danke Ihnen für Ihr Telegramm und begrüße den Buchhandel der deutschen Ostmark aufs herzlichste innerhalb unseres großdeutschen Reiches. Ich weiß, daß der Buchhandel Deutsch-Österreichs in Zukunft in engster Verbundenheit mit den übrigen deutschen Kameraden an dem unter Führung Adolf Hitlers stehenden nationalsozialistischen Reich mitarbeiten wird.

Heil Hitler!

Wilhelm Baur, Leiter des deutschen Buchhandels

Mitteilung des Leiters des deutschen Buchhandels

Der Leiter des deutschen Buchhandels, Hauptamtsleiter Wilhelm Baur, hat zwecks Klärung der durch die Ereignisse bedingten Lage seinen Stellvertreter, Herrn Verlagsbuchhändler Martin Wülfing, M.d.R., nach Wien entsandt.

In seine Begleitung befinden sich der Geschäftsführer des Börsenvereins Herr Dr. Heß und Herr R. Böhmler.

Unterschrieben wurde das Telegramm von Wilhelm Frick, Emmerich Morawa, Lambert Peters und Walter Wiedling – Herren, die wir bereits in Zusammenhang mit dem Verlagsförderungsfonds kennengelernt haben. Daß es diese vier Herren waren, erklärt sich daraus, daß sie im Zuge der Umwandlung des ehemaligen „Vereins“ in die „Zwangsgilde“ im Jänner 1937 zu Mitgliedern der Fachgruppe „Börsenverein“ berufen wurden.

In seiner Erwiderung wußte Hauptamtsleiter Baur, „daß der Buchhandel Deutsch-Österreichs in Zukunft in engster Verbundenheit mit den übrigen deutschen Kameraden an dem unter Führung Adolf Hitlers stehenden nationalsozialistischen Reich mitarbeiten wird“. (ebda.) Als ob er nun eine andere Wahl gehabt hätte.

Und um sicher zu gehen, daß dies auch geschähe, d.h. „zwecks Klärung der durch die Ereignisse bedingten Lage“, entsandte Baut seinen Stellvertreter, Martin Wülfing, zusammen mit dem Geschäftsführer des Börsenvereins Albert Heß und R. Böhmler nach Wien.

Die Heimkehr ins ersehnte Reich ließ nicht nur Frick, Morawa und Co. zur Feder greifen. Auch „unsere österreichischen Berufskameraden“ taten Gleiches in den Tagen nach dem „Anschluß“. Diese „Stimmen aus Österreich zur Wiedervereinigung mit dem Reich“ ließ die Geschäftsleitung des Börsenblatts den Börsenvereinsmitgliedern auch nicht entgehen. Hier kurze Auszüge aus den zwei Dutzend veröffentlichten, leider nicht identifizierten „Stimmen aus Österreich“:

Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 70 (Nr. 35) Leipzig, Donnerstag den 24. März 1938, 105. Jg.

Stimmen aus Österreich zur Wiedervereinigung mit dem Reich

Der herrliche Traum deutscher Geschlechter durch die Jahrhunderte: „Ein Volk – ein Reich – ein Führer“ ist durch die Tat Adolf Hitlers stolze, unvergängliche Tatsache geworden. Mit welch tiefer Ergriffenheit und mit welch herzlicher Freunde der deutsche Buchhändler in Österreich an diesem gewaltigen Ereignis teilgenommen hat, beweisen die nachstehenden Auszüge aus Briefe unserer österreichischen Berufskameraden.

„Es ist für uns ein beglückendes Gefühl, nun auch zum Deutschen Reich zu gehören, womit so plötzlich ein jahrehundertlanger Wunsch in Erfüllung gegangen ist, wofür ungezählte Tausende Deutsche in Österreich durch Generationen gekämpft haben. Und Adolf Hitler, unser Landsmann, führte uns so unerwartet heim ins Reich! Sie können sich kaum eine Vorstellung machen, welcher Jubel und welche stürmende Freude in Österreich über diese Tat herrscht! Wir können es noch gar nicht recht glauben, daß es Wahrheit geworden ist“.

„Schade, daß Deutschland diese Tage in Österreich nur durch den Rundfunk miterleben konnte! Das grenzenlose Vertrauen zu Adolf Hitler hat den österreichischen Nationalsozialismus auch während eines schrecklichen fünfjährigen Kampfes aufrechterhalten und gestärkt. Und nun ist der Erfolg da, der uns noch selbst wie ein Märchen anmutet.

„Die Angestellten des Verlages geben ihrer Freude Ausdruck, daß das deutsche Volk nunmehr in einem Reiche vereinigt ist und wir nicht nur Österreicher, sondern vor allem auch Deutsche sein können. Der uns viele Jahre quälende Druck ist nun von uns genommen und wir hoffen, daß sich unsere Volksgenossen in Ihrem Hause mit uns freuen. Allen dortigen Angestellten, hauptsächlich jenen, die unmittelbar mit uns arbeiteten, ein herzliches ‚Heil Hitler’.“

„Sie glauben nicht welche Tage der Begeisterung wir in der letzten Zeit erlebt haben und noch immer können wir es nicht fassen, daß für alle Zeit der böse Druck von uns genommen ist. Mit Staunen sieht man, wie ungeheuer rasch sich das Straßenbild geändert hat, es gibt endlich wieder fröhliche Gesichter.“

„Sie können überzeugt sein, daß wir alle in Österreich froh und glücklich sind, daß diese Vereinigung mit dem großen Deutschen Reich endlich erfolgt ist und das Schönste daran ist, daß alles so glatt und rasch gegangen ist. Es war ein großes, noch nie dagewesenes geschichtliches Ereignis!“

Das steht wohl heute noch außer Zweifel, nur, daß nicht alle „froh und glücklich“ waren, werden wir später sehen.

a) Die Zwangsgilde unter kommissarischer Verwaltung

In den Tagen nach dem „Anschluß“ hörte die „Zwangsgilde der österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhändler“, auf zu existieren. Die letzte Folge des Anzeigers (Umfang wie gewöhnlich 4 Seiten) war am 8. März erschienen. Er erschien wieder am 28. März, aber nicht mehr als „Organ des Vereines Österreichischer Buch-, Kunst- und Musikalienhändler“, sondern als „Mitteilungsblatt des Kommissarischen Leiters der österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhändler“. Inzwischen war der Buchhändler Karl Berger „von der Buchkaufmannschaft mit der kommissarischen Leitung des Buch-, Kunst- und Musikalienhandels in Deutschösterreich betraut“ worden. Wie diese Betrauung vor sich ging, ließ sich nicht genau ermitteln, daß er aber mit dem Posten betraut wurde, ist einleuchtend. Im Gegensatz zu den vier Telegrammverfassern, die nicht bzw. noch nicht NSDAP-Mitglieder oder zumindest bereits „Anwärter zur NSDAP“ waren, war Karl Berger bereits am 1. Oktober 1932 nach Auflösung der Großdeutschen Volkspartei der damals noch „legalen“ NSDAP beigetreten. (Seit Jänner 1934 war er zugleich Mitglied der Vaterländischen Front.)

Nachdem Berger am 19. März die Geschäfte aufnahm, appellierte er an die „Deutschösterreichischen Volks- und Fachgenossen“ um Unterstützung:

ANZEIGER für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel

79. Jahrgang

28. März 1938

Deutschösterreichische Volks- und Fachgenossen!

Der deutsche Buchhandel in Österreich begrüßt mit aufrichtiger Freude das Werden Großdeutschlands, das ihm eine bessere Zukunft eröffnet. Er tritt nunmehr in die Reihen der Kameraden des großen deutschen Vaterlandes, um mit ihnen als Vermittler echter deutscher Kultur zu arbeiten. Haben wir bisher oft unter schwierigen Verhältnissen die Zusammenarbeit mit dem Börsenverein aufrecht erhalten, so werden wir nunmehr als Glied des deutschen Buchhandels in eine wohlgeordnete Organisation eintreten, die das Vertrauen eines jeden deutschen Buchhändlers und Verlegers in Österreich hat. Unser Blick ist in die Zukunft gerichtet: Daß diese Zukunft eine bessere werde, dafür wollen und müssen alle arbeiten, die dazu berufen sein werden.

Wir begrüßen in dem Leiter des deutschen Buchhandels P.G. Wilhelm Baur unseren neuen Führer und geloben ihm treue unbedingte Gefolgschaft. Er hatte schon immer für den Buchhandel der Ostmark Verständnis gezeigt und wird uns bei der Erfüllung unserer Aufgabe ein treuer Helfer sein.

Die Heimkehr ins Reich ist uns Freude und Verpflichtung zugleich. Wir wissen, daß im Reiche Adolf Hitlers dem Buchhandel ein großes Arbeitsfeld gegeben ist, das zu erfüllen unsere oberste Aufgabe ist. Es ist noch zu früh, über organisatorische Fragen zu reden. Daß diese bald kommen und mit nationalsozialistischer Gründlichkeit durchgeführt werden, ist selbstverständlich. Einzelheiten stehen aber noch aus, sie werden zeitgerecht verlautbart werden.

Eine neue Zeit ist angebrochen. Der Buchhandel in Österreich tritt in eine wohlgefügte Gemeinschaft ein, die unter nationalsozialistischer Führung berufen ist, ihm den Weg in eine bessere Zukunft zu zeigen.

Heil Hitler!

Karl Berger

Kommissarischer Leiter.

b) Volksabstimmung

Es galt nun eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen zu treffen und eine Säuberung des Buch- und Verlagsbuchhandels in Angriff zu nehmen. So wurden die „volksbewußten Fachgenossen“ in Österreich aufgefordert, „sich voll und ganz in den Dienst der Volksabstimmung [am 10. April] zu stellen Berger ersuchte seine Gleichgesinnten,

ein Sonderschaufenster mit Blumen und Bildschmuck bis spätestens 4. April d. J. einzurichten, ferner für das reichhaltige Schrifttum der NSDAP und ihrer Gliederungen in besonderem Maße zu werben. (Anzeiger, Nr. 6, 28. März 1938, S. 32)

Einen Gestaltungsvorschlag für ein reines „Wahlfenster“ lieferte das Börsenblatt am 31. März:

Schaufenster
„Bisher verboten“ (8 Titel), „Ferner empfehlen wir:“ (16 Titel, darunter Fellner, Deutschland in uns. Bekenntnis und Aufruf aus Österreich; ders.: Wie es kommen sollte… Dokumentarische Belege über den Verrat Schuschniggs, sowie: Kernmayer, Ein Volk kehrt heim) und schließlich „Besonders wichtig:“ (mit 18 „Hitler-Gesetzen“). Etwas mehr als drei Wochen nach dem „Anschluß“ wurde Emmerich Morawa vom kommissarischen Leiter der österreichischen Pressekammer zum „Unterbevollmächtigten für die in der Fachgruppe III der Zwangsgilde der Buch-, Kunst- und Musikalienhändler zusammengefaßten Vertriebsorganisationen (Zeitungsgrossisten, Lesezirkelbesitzer und werbende Zeitschriftenhändler)“ bestellt.Zu denen, die bereit waren, für das reichhaltige Schrifttum der NSDAP, ihrer Gliederungen usw. „in besonderem Maße“ zu werben, gehörte die Buchhandlung Morawa & Co. in der Wollzeile. In der zweiten und letzten Folge des Anzeigers nach dem „Anschluß“ kaufte Morawa eine volle Inseratenseite, um „zeitgemäße Bücher“ anzupreisen. Diese Angebote wurden in drei geteilt:

c) Bücherbeschlagnahmen

Nach seiner Amtsübernahme hat Berger Verhandlungen „mit den maßgeblichen Stellen“ eingeleitet, „um eine einheitliche Regelung für die jetzt vom Vertrieb auszuschaltenden Werke herbeizuführen“. Wie bei den kommissarischen Verwaltern scheint auch in der „Säuberung“ des unerwünschten Schrifttums zunächst längere Zeit keine Klarheit geherrscht zu haben. Dennoch meinte Berger als „selbstverständlich“ vorausschicken zu können, „daß die deutschösterreichischen Fachgenossen jetzt schon solche Werke, die als in nationaler oder kultureller Hinsicht zersetzend und verhetzend anzusehen sind, aus dem Vertrieb ausschalten sowie aus den Schaufenstern sofort entfernen“. (Anzeiger, Nr. 6, 28. März 1938, S. 32) Die Sicherstellung des gegnerischen, schädlichen und unerwünschten Schrifttums erfolgte in den Stunden und Tagen nach dem 13. März. Zunächst haben – offensichtlich ohne Rücksprache mit Karl Berger – SA, SS und Gliederungen der Partei bei Buchhandlungen und Verlagen Schrifttum ausgeräumt und nach vier Stellen abtransportiert.[13] Es handelte sich dabei um mehr als zwei Millionen Bände. Die Frage der Zuständigkeit in dieser Frage war weder im Herbst dieses Jahres noch im März 1939 völlig geklärt. Statt dessen wurde der lange Machtkampf zwischen Goebbels, dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, und Alfred Rosenberg, dem Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP, prolongiert. Ohne sich um die Kompetenzen zu kümmern, hatte Goebbels’ „Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums. Reichsleitung der NSDAP“ in Wien eine Nebenstelle unter der Leitung von Dr. Lothar Kühne errichtet, und dieser hatte mit der Erfassung des sichergestellten Schrifttums begonnen. Im Februar 1939 schrieb Rosenberg an den „Stellvertreter des Führers“, um sich über die Tätigkeit der Kommission in Wien heftig zu beschweren. Er erblickte in den Methoden der Parteiamtlichen Prüfungskommission „eine Schädigung des Ansehens der Partei im höchsten Maße“ und verlangte, daß sie „mit sofortiger Wirkung“ liquidiert werde.[14] „Die Maßnahmen“, schreibt Rosenberg weiters, „die Pg. Kühne von der Parteiamtlichen Prüfungskommission in Wien ergriffen hat, verfolgen den Zweck, den mir vom Führer persönlich erteilten Auftrag herabzusetzen und bei staatlichen Stellen unmöglich zu machen“ (ebda.). Allem Anschein nach hatten die deutsch-österreichischen Fachgenossen, wie sie Berger nannte, überhaupt nichts zu sagen gehabt.

Zeitgemäße Bücher

d) Kommissarische Leitung und Vertrauensmänner

Karl Berger, der nicht als Beauftragter der RSK agierte, wurde als Kassenverwalter dem Vertrauensmann des Börsenvereins und österreichischen Pg. (seit 1933) Rudolf Bayer (11.12.1873, Wien – 3.2.1947, ebda.) als Berater zur Seite gestellt. Mit der kommissarischen Leitung der Geschäftsstelle wurde Dr. Karl Zartmann (17.3.1911 – 7.6.1983) betraut. Zartmann war Vertrauensmann der RSK in Berlin, war aber bis zur praktischen Auflösung der kommissarischen Leitung Ende Juli 1938 Berger untergeordnet – zumindest laut „Kanzleiordnung“.[15] Zartmann war nebenbei Geschäftsführer der RSK, Landesleitung Österreich, Fachschaft Buchhandel, in die die „Zwangsgilde“ aufging. Es gab mehrere personelle Umbesetzungen. Dr. Sigmund Wisloschill († 26.5.1945), der bisherige Geschäftsführer bzw. Syndikus des österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhandels, wurde von seinem Posten, den er seit dem Jahre 1921 innehatte, entfernt, jedoch blieb er in seiner Funktion als Geschäftsführer innerhalb des Verlagsförderungsfonds. Wiewohl Berger pflichtgemäß Wisloschills „Verdienste“ im Anzeiger würdigte, dürften weltanschauliche Differenzen zu dieser Kündigung geführt haben. Nach außen hin hieß es freilich anders: „Es erübrigt sich wohl, darauf hinzuweisen, daß das Dienstverhältnis in vollstem Einvernehmen gelöst wurde.“ (Nr. 6, 28. März 1938, S. 32) Wenn aber das Gegenteil nicht der Fall gewesen wäre, hätte sich dieser Hinweis tatsächlich erübrigt. Im Altreich bei der RSK bestanden gegen Wisloschill „berechtigte politische Bedenken“.[16]

Zu den vorhin erwähnten personellen Umbesetzungen kamen weitere Neuernennungen hinzu, eben um Buchhandel und Verlagswesen in „verläßliche Hände“ überzuleiten. So verschickte der „kommissarische Leiter des deutschösterreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhandels“, Karl Berger, am 31. März acht fast gleichlautende Schreiben an Verleger bzw. Buchhändler in den acht Bundesländern, in denen er den jeweiligen Adressaten „zum Vertrauensmann für Kärnten“, für Salzburg usw. ernannte.[17] In diesen Schreiben wurde dem Adressaten von Berger empfohlen, einen oder mehrere Pgs. „in meinem Auftrage zur Mitarbeit heranzuziehen“. Zum „Vertrauensmann für Steiermark“ wurde der Verleger Leopold Stocker ernannt und zu dessen „Mitarbeiter“ ein Pg. bei der Leykam Druckerei empfohlen. Für diese Vertrauensmänner der Bundesländer stand eine wichtige Aufgabe bevor:

Die vordringlichste Arbeit ist zunächst, in kürzester Zeit, längstens in 8 Tagen, die arischen buchhändlerischen Betriebe Ihres Bereiches einwandfrei festzustellen u. zw. auf Grund des Ihnen bereits bekannten vorläufigen Fragebogens, den Sie in der für Ihren Bereich benötigten Anzahl sofort, event. fernsprechamtl. von der Geschäftsstelle anfordern wollen.
Die jeweils bei Ihnen einlangenden, ausgefüllten Fragebogen wollen Sie mir dann in 3 Sammelsendungen von je 3 Tagen zugehen lassen, sie werden schon die Unterlagen für die Vorarbeiten in die Reichsschrifttums- bezw. anderen Kammern bilden.
Ich und meine Mitarbeiter sind mit Arbeit überlastet, wir leisten sie aber freudigen Herzens, was ich auch von Ihnen erwarte.
Mit „Heil Hitler“
Der kommissarische Leiter.
NB. Eine Liste der jüdischen buchhändlerischen Betriebe ist mitzusenden.

In Wien, wo die meisten Buchhandlungen und Verlage angesiedelt waren, gab es nicht bloß einen Vertrauensmann, sondern bezirksweise bis zu einem halben Dutzend.[18] Welchen Einfluß diese Personen in der Bestellung von kommissarischen Verwaltern für Buchhandlungen und Verlage hatten, ist nicht geklärt.

Die Aufforderung Bergers, Listen der arischen und jüdischen Betriebe (zwecks Entjudung des Buchhandels und Aufnahme in die RSK) einzusenden, war als Vorarbeit zu verstehen. Das Resultat war eine leider nicht datierte Liste der „Noch zu behandelnde(n) jüdische(n) Buchhandelsfirmen“. Sie umfaßte 82 Buchhandlungen und Verlage in Wien sowie zehn „jüdische Auslieferer“, die in „bodenständig“ und „gefährliche Juden“ eingeteilt wurden. Nicht alle diese „jüdischen Buchhandelsfirmen“ waren tatsächlich im Besitz von Juden, und die ausgesprochen dilettantische Ahnenforschung, die z.B. auch telephonisch betrieben wurde, verlief gelegentlich negativ („nichts zu eruieren“) oder brachte „getaufte Juden“ oder gar „Arier“ ans Tageslicht.[19]

Es wurde zugleich ein Verzeichnis der NSDAP-Mitglieder im Buchhandel und Verlag zusammengestellt.[20] Die Liste umfaßt 149 Firmen- bzw. Personennamen, die bezirksweise für Wien erfaßt wurden. In vielen Fällen sind Beitrittsdaten und Mitgliedsnummer der Pgs. vermerkt. Bei Firmen, die vor dem „Anschluß“ den „jüdischen Betrieben“ zuzurechnen waren, ist es meistens ein leitender Angestellter, Prokurist, Geschäftsführer oder Gesellschafter, der als Parteimitglied verzeichnet wird.

e) Probleme

Nach den Jubeltagen voller Ekstase sah sich der zu „entjudende“ deutschösterreichische Buchhandel mit schwierigen Problemen, die „ausnahmsweise“ nicht die „Juden“, sondern die Annexion mit sich gebracht hatte, konfrontiert. Der kommissarische Leiter Karl Berger nützte die Anwesenheit des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, in Wien gegen Ende März, um an ihn am 29. März die große Bitte um Unterstützung zu richten, „um die ihnen [den deutschösterreichischen Buchhändlern usw.] durch den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich entstandenen wirtschaftlichen Schäden erträglich zu machen“.[21] Die Schäden entstanden aus der Preisregelung für reichsdeutsche Bücher in Österreich nach dem 13. März. Der Börsenverein strich die Sondervergütung, und der Umrechnungsschlüssel für reichsdeutsche Bücher wurde einseitig gesenkt. Im Zuge der Währungsreform wurde ja der Markwert von 1 RM = 2 Schilling auf 1 RM = 1,50 S herabgesetzt. Diese Maßnahme mußte sich daher auch in umgekehrter Richtung, also beim Verkauf von österreichischen Büchern, die man nun in der Relation billiger hergeben mußte, auswirken. Hier die Beschreibung Bergers:

Der österreichische Verleger und sein Vertreiber der österreichische Buchhändler sind durch die Abänderung der Relation der Mark von eine Mark ist gleich zwei Schilling auf Mark 1.- = S 1.50 wirtschaftlich außerordentlich schwer getroffen, wobei die Gefahr besteht, daß ein großer Teil der österreichischen Verlage ohne sofortiges Eingreifen seine weitere Produktion sofort einstellen müßte. Die sich hier ergebenden Schäden an Lagerverlusten, den Außenständen im Reich, Abwicklung der bestehenden Verpflichtungen in ungeschützten Kursen sind derart, daß sie ohne sofortiges Eingreifen nicht überbrückt werden können, und so mannigfach, daß wir sie jetzt nicht feststellen können.
Wir grüßen mit
Heil Hitler!

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß die treudeutschen österreichischen Buchhändler und Verleger nach der Episode 1935 mit dem reichsdeutschen Buchdumping nun zum zweiten Mal Opfer ihrer „Befreier“, der Nationalsozialisten im Altreich, geworden waren. Die Schuld konnte man unter diesen Umständen nicht den „Juden“ anlasten, aber sie waren – da die Fachgenossen in Österreich ihre Wut an ihren deutschen Berufskollegen nicht auslassen konnten – dennoch „schuld“. Die unmittelbare Auswirkung dieses Schreibens an Goebbels war, daß Vertreter des österreichischen Buchhandels am 7. April ins Propagandaministerium in Berlin zitiert wurden.[22] Die österreichische Delegation bestand aus Rudolf Krey (seit September 1939 „Anwärter“), Wilhelm Maudrich (Parteimitglied), Emmerich Morawa (seit Juli 1938 „Anwärter“), Eugen Swoboda (seit Juni 1938 „Anwärter“), O.W. Lechner (Mitgliedschaft nicht bekannt) sowie „Herren von der österreichischen Pressekammer“. Neben dem Vorsitzenden Paul Hövel von der Wirtschaftsstelle der RSK nahmen auch die Herren Heß und Schulz vom Börsenverein teil. Die Besprechung war für die österreichischen Delegierten eine völlige Pleite. Das Schwärmen von jener „engsten inneren Verbundenheit“ des ganzen Buchhandels des Deutschen Reichs wich der Nüchternheit, denn die durch den Anschluß entstandenen Probleme interessierten die deutsche Seite kaum. Im Gegenteil: es wurde diktiert.

Der wichtigste Punkt der Tagesordnung war laut Hövel: „Eingliederung der österreichischen Verleger ins Buchexportverfahren des Deutschen Reiches.“ Hier führte Hövel fünf Punkte als Voraussetzung für die österreichische Teilnahme am 25%igen Rückvergütungsverfahren an. Der einzige anwesende österreichische Verleger, Eugen Swoboda (F. Speidel’sche Verlagsbuchhandlung), schilderte eingehend die Situation des österreichischen Verlags und zeigte auf, wie schwierig es sei, einen neuen RM-Ladenpreis zu finden: Der österreichische Verlag verliere unverschuldet an den Außenständen im bisherigen Ausland durch den Kurs S 1,50 = RM 1. Setze der Verlag den bisherigen RM-Ladenpreis für das Gesamtreich fest, so verliere der Verlag wieder aus Kursgründen. Dazu ein Beispiel: ein Buch mit dem Ladenpreis von RM 6 kostete bisher S 12; nun nach dem „Anschluß“ kostete dasselbe auf Grund des neuen Kurses aber nur mehr S 9. Der österreichische Verlag konnte den RM-Preis nicht erhöhen, um eben kaufmännisch sinnvoll zu kalkulieren und arbeiten zu können, denn die Preisstop-Verordnung im Vierjahresplan hatte auch für das Land Österreich Gültigkeit. Der Mangel an Verständnis und an Bereitschaft bei dieser Besprechung in Berlin, Probleme der Verleger zu lösen, ist nur Vorbote eines Systems, das nicht nur bislang prosperierende und nunmehr „arisierte“ Verlage (und Buchhandlungen) durch unglaubliche Bürokratie und Gleichgültigkeit zum Sterben verurteilte, sondern auch „bodenständigen“ Firmen ein Geschäft im Stil der Zeit vor 1938 unmöglich machte. Es gab nur sehr wenige arisierte wie auch bodenständige belletristische Verlage in Österreich, die die Nazi-Bürokratie, die Kriegswirrnisse samt Papierverknappung usw. oder gar das Jahr 1942 überlebten.

Aber auch die Schwärmer vom großen Deutschen Reich unter den Buchhändlern und Großsortimentern, die nach Berlin fuhren, kamen keineswegs besser davon. Sie hatten die Verlage nach dem alten, höheren Kurs bezahlt, sahen nun ihre Lager dadurch entwertet, daß sie die Bücher billiger abgeben mußten. Die Antwort des Börsenverein-Geschäftsführers hierauf: „Das Sortiment erleide dadurch keinen Verlust.“ (ebda.) Und eine Lagerrückvergütung komme kaum in Frage. Das Ergebnis dieses Bittgangs war – aus österreichischer Sicht gleich null.

Die allerletzte Folge des Anzeigers, deren zwei letzte Nummern auffallenderweise fast gänzlich in Fraktur gesetzt wurden, erschien, wie erwähnt, am 6. April 1938. Hierauf „regierte“ der kommissarische Leiter Berger mittels „Rundschreiben“, von denen es bis 25. Juni 1938 fünf gab.[23]

Die maßgebenden Stellen im Reich sahen das Vorpreschen Bergers in Sachen Umstellung und „Entjudung“ des Buchhandels und sein Vorgreifen auf die RKK-Gesetzgebung nicht ohne geteiltes Wohlwollen, denn Berger war zwar kommissarischer Leiter von eigenen Gnaden, nicht aber Beauftragter der RSK in Österreich. Er mußte Anfang Mai darauf hingewiesen werden, „daß Sie unbedingt den Erlaß der entsprechenden Anordnungen abwarten müssen“.[24] Und: „Vorher ist m.E. eine Verwendung amtlicher Formulare nicht zulässig. Im übrigen können Sie aber selbstverständlich von sich aus unbedingt die Erfüllung gewisser Voraussetzungen bei der Aufnahme verlangen.“ (ebda.)

f) KANTATE 1938: Neuaufflackern des Jubels

Mitte Mai 1938 fand in Leipzig die erste Großdeutsche Kantateversammlung statt, an der auch Österreich teilnahm. „Leipzig grüßt die Südostmark“ lautet die Überschrift eines der vielen Berichte im Börsenblatt über dieses freudige Ereignis:

Denn in allen herrscht vor die Freude darüber, daß in diesem Jahre zum ersten Male auch die Buchhändler der deutschen Ostmark als Buchhändler des Reiches hierhergekommen sind, um sich durch das große Erlebnis der Gemeinsamkeit ihres Berufes stärken zu lassen für die gewaltigen Aufgaben, die gerade dem Buchhandel der deutschen Ostmark gestellt sind.
(Börsenblatt, Nr. 113, 17. Mai 1938, S. 393)

Die Rhetorik des Börsenblatt-Leitartiklers wurde aber von zwei Vertretern aus der „Ostmark“ völlig in den Schatten gestellt. Da war einmal Herr Rudolf Krey als Vertreter der Buchhändler, der für Karl Berger, der „infolge plötzlicher Verkühlung durch Heiserkeit am Sprechen verhindert“ war, einsprang:

Nach Tagen unbeschreiblicher Freude, die wohl für uns alle diesseits und jenseits der nun endlich für immer beseitigten unnatürlichen Grenzen als die schönsten unseres Lebens zu gelten haben werden, sind wir Buchhändler aus der Ostmark zu euch, liebe Fachgenossen im Altreich gekommen, um mit euch die Heimkehr unseres geliebten, schönen und grunddeutschen Heimatlandes Österreich ins große Deutsche Reich auch hier zu feiern.
(…)
Der verehrte Herr Vorredner hat dem auch in beredten Worten Ausdruck zu verleihen gewußt, für die namens aller deutschbewußten Buchhändler in der Ostmark herzlich zu danken ich mich gedrungen fühle. Schwere, bittere Jahre liegen hinter uns in Österreich, Jahre eines harten Existenz- und Kulturkampfes schwerster Art, Jahre voller Sorgen um die Zukunft des deutschen Volkes in Österreich und um das Wohl jedes einzelnen deutschfühlenden Menschen in jener undeutschen unheilschwangeren Atmosphäre, deren Schwere und niederdrückende Dumpfheit nur jene mitzufühlen vermögen, die das politische, kulturelle und wirtschaftliche Elend der Ostmark in den vergangenen Jahren miterleben mußten. Und gerade für uns deutschbewußte Buchhändler in Österreich, die wir uns unserer Verantwortung dem Volke und unserem Nachwuchs gegenüber bewußt sind, waren diese Jahre Jahre des Leids und der Prüfung zugleich. Angefeindet, verleumdet und verfolgt von volksfremden Elementen, die alles andere, nur nicht Deutsche und Österreicher sich hätten nennen sollen, mußten wir in diesen langen Jahren zusehen, wie gerade unser Beruf systematisch zu einer Domäne heimatloser, volksfremder Gesellen gemacht wurde, mußten wir zusehen wie diese Geschäftemacher eines endlich beseitigten schmachvollen Systems gehegt und gepflegt wurden. (…)
Aber lassen wir diese mit soviel Bitternis erfüllten Jahre hinter uns liegen! Schauen wir vorwärts! Wir stehen vor großen, gewaltigen Aufgaben. (…)
Mit dem Schutt und Unrat des verflossenen Systems, der sich besonders in Wien in kaum je erlebtem Ausmaße breitgemacht hatte, mit dem freilich müssen und werden wir selbst fertig werden!
(…)
In diesen Worten sind unsere innigsten Wünsche und Gefühle für unseren heißgeliebten Führer, seine engere und seine große deutsche Heimat eingeschlossen.
Ihm und seinem Werk darum auch heute an dieser Stelle ein kräftiges und freudiges dreifaches
Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!
(Börsenblatt, Nr. 117, 21. Mai 1938)[25]

Krey hatte seine Gefühlsduselei zuvor mehrmals unter Beweis gestellt. Verwiesen sei auf sein „Gedicht“: „Erfüllung/Antwort aus Österreich/Zum 10. April 1938“, das sowohl im Anzeiger als auch im Börsenblatt abgedruckt wurde.[26] Und am 8. April 1938 hatte er seinem dichterischen Talent im Artikel „Der österreichische Buchhandel in Großdeutschland“ freien Lauf gelassen. Hier der erste Absatz:

Österreich ist frei! Die Mutter Germania – das Großdeutschland von heute – hat sein über alles geliebtes Schmerzenskind nach Jahren der Qual und unvorstellbarer seelischer und wirtschaftlicher Nöte und Heimsuchungen endlich in seine schätzenden Arme nehmen und an sein großgütiges Mutterherz drücken können, um es nie wieder loszulassen. Der höchste Traum aller Deutschen in Österreich ist über Nacht restlos in Erfüllung gegangen. (…)

Und der Schluß:

Gern wird unser heißgeliebter, genialer Führer mit seinen bewährten Mithelfern uns die Hand reichen, um nach all den schweren Leiden, die der Führer allein richtig ermessen wird, das Land, das seine geliebte engere Heimat ist, und das er sich mit allen Herzen seiner Bewohner in so überaus liebenswerter glückhafter Art im Fluge zurückzuerobern gewußt hat, nun wahrhaft glücklich zu machen.
(…)
Dies sei unser heiliges Bekenntnis zu unserem heißgeliebten, angestammten Führer, der jetzt endlich ganz und gar und von aller Welt unbestritten unser Führer auch in Österreich ist und ewig bleiben wird.
(Börsenblatt, Nr. 83, 8. April 1938, S. 294f.) [27]

Die Euphorie war von kurzer Dauer. Auch ein zweiter österreichischer Vertreter, über dessen Weltanschauung und politische Linie kein Zweifel herrschte, machte Krey rhetorische Konkurrenz. Leopold Stocker aus Graz vertritt den österreichischen Verlag:

Er spricht von der harten Zeit, die die deutschbewußten Verleger Österreichs in den letzten Jahren durchmachen mußten. Das Härteste sei jedoch nicht gewesen, daß Bücher verboten und die Verleger verfolgt wurden, sondern daß man sie zu Heuchlern machen wollte, von denen man verlangte, Greuelpropaganda gegen Deutschland zu treiben. Die deutschen Kollegen können sich daher wohl vorstellen, wie glücklich die österreichischen Verleger heute sind, nun wieder so schaffen zu können, wie es ihr Blut und ihre Verbundenheit mit dem deutschen Volke befiehlt. (Börsenblatt, Nr. 122, 28. Mal 1938, S. 430)

Aber wie sein Gesinnungsgenosse Krey scheint auch Stocker unter einem „Mutter-Komplex“ gelitten zu haben:

Er erinnerte daran, welch harte Zeit des Drangsals und des Kampfes hinter den deutschen Buchhändlern Österreichs liege, daß es aber auch eine unendlich stolze Zeit für sie gewesen wäre. Wie ein Kind, das gewaltsam von seiner Mutter ferngehalten werde, haben sie das deutsche Vaterland lieben gelernt, immer mit dem Glauben an den Führer, daß er seine Heimat nicht vergessen wird. Der deutschbewußte Buchhändler Österreichs sei der treue Hüter des deutschen Buches und deutschen Geistes gewesen.
(…)
(Börsenblatt, Nr. 113, 17. Mal 1938, S. 398)

Ein Blick auf die Produktion des Leopold Stocker Verlags beweist eindeutig, daß der Inhaber die Auszeichnung „treuer Hüter des deutschen Buches und deutschen Geistes“ für sich in Anspruch nehmen konnte. Die „Eingliederung der Südostmark“ stand aber erst am Anfang.

g) Probleme der Eingliederung und der „Gesundung“ des Buchhandels

Obwohl man eifrigst bemüht war, die triste Lage im Buchhandel auch nach dem „Anschluß“ auf die „Juden“ und die zügellose Verleihung von Konzessionen zurückzuführen, mußte man zumindest intern eingestehen, daß – wie wir bereits gesehen haben – die „Berufskameraden“ im
Altreich zur Verschlechterung der Lage beitrugen.Die Wiener NS-Buchhandlungen

Nach dem „Anschluß“ wurde eine Organisation gebildet, die aus Antisemiten und Austronazis zusammengesetzt war und die sich „Arbeitsgemeinschaft der Wiener NS.-Buchhändler“ nannte. Anführer dürfte der prominente Nazi-Verleger (Adolf Luser Verlag, Eckart Verlag) Adolf Luser gewesen sein. Ihr gehörten 17 Firmeninhaber bzw. Buchhandlungen, darunter Karl Berger, Rudolf Krey, Wilhelm Maudrich, Karl Mück, Rudolf Mück jun. und A. Pichler’s Witwe und Sohn an. „Die Wiener NS-Buchhandlungen der illegalen Kampfzeit“ – so priesen sie sich mit Namen und Adresse in Zeitungsannoncen an[28] – wähnten sich als Helden, Widerstandskämpfer, Hüter des Buchhandels. Um so herber war ihre Enttäuschung, als sie erfuhren, welchen Anschlag ihre „Berufskameraden“ bei der Partei im Altreich auf sie planten. Aus ihrer Sicht hatten sie nun jeden Grund, aufgebracht und verbittert zu sein, denn, wie sie in einem 4seitigen Schreiben an den kommissarischen Leiter und Kompagnon Karl Berger am 11. Juni 1938 ausführten:

In den fünf Jahren des Kampfes gegen das System der Volksbedrückung haben wir unterfertigten nationalsozialistischen Buchhändler wohl ohne Zweifel durch geheimen Vertrieb nationalsozialistischer Schriften und auch durch mündliche Werbung für die Partei einiges geleistet.[29]

Und jetzt wollte der Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachf. in München, in Wien ein Filialhaus mit Sortimentsbetrieb eröffnen. Für die Wiener NS-Buchhändler hätte das zur Folge gehabt, daß

dem ohnehin schwer kämpfenden nationalsozialistischen Sortimentsbuchhandel dem durch die Arisierung der vielen bisher jüdischen Buchhandlungen – statt diese überflüssigen, oberfaulen Betriebe zu liquidieren – jetzt ohnehin schon eine auf die Dauer bestimmt nicht tragbare Konkurrenz an den Hals gesetzt wird, überdies noch eine derartige direkte Konkurrenz zu machen beabsichtigt. (ebda.)

Es könne nicht Aufgabe des Eher Verlags sein, „dem nationalsozialistischen und nationalen Buchhändler hier zu Lande sein karges Brot wegzunehmen oder auch nur zu schmälern“. Das wäre ein Schlag „auf die Lebensinteressen des um den Nationalsozialismus verdienten österreichischen Buchhandels“ (ebda.). Die Wiener NS-Buchhändler argumentierten dann noch eindringlicher:

Der Umbruch in Österreich, an dem wir nationalen Buchhändler regsten Anteil hatten, hatte gewiß in all seiner Großartigkeit letzthin nicht auch zum Ziel und Zweck, daß es gerade auf Kosten des nationalsozialistischen Buchhandels der Ostmark, der während der fünf langen Kampfjahre immer auch in den gefährlichsten und kritischsten Augenblicken seinen Schädel hingehalten hat, gehen muß, um Firmen aus dem Altreich, die in jenen Zeiten der Gefahr fern vom Schuß waren, jetzt Gelegenheit zu geben, auch noch unsere Sortimentsgeschäfte an sich zu reißen. (ebda.)
(…)
Eine derartige Brüskierung nach fünf Jahren aufreibenden Kampfes für den Führer und sein Gedankengut würden wir nationalsozialistischen Buchhändler gewiß nicht als die Krone des Sieges, den wir in bescheidenem Maße gewiß miterkämpft haben, ansehen können, sondern nur als schlechten Lohn für unsere geleistete Arbeit für die Partei und deren gesamtes Schrifttum. (ebda.)

An diese „Brüskierung“, wie sie diplomatisch genannt wurde, mußten sich selbst eingefleischte NS-Buchhändler und -verleger in Österreich rasch gewöhnen. Das grundsätzliche Problem des opportunistischen Zuflusses von reichsdeutschem Kapital nach Österreich nach dem „Anschluß“ war höheren Orts und in Fachkreisen durchaus bekannt. Einer, der Wasser predigte und Wein trank, hieß Karl Heinrich Bischoff, Reichsdeutscher, der schon lange vor dem „Anschluß“ mit einer Übernahme des Zsolnay Verlags liebäugelte und ihn schließlich 1941 in den Griff bekam.[30] Dennoch mußte „verhindert werden, daß der Anschluß zu Störungen des Gleichgewichts führt“.31] Die auswärtigen Handelsbeziehungen Großdeutschlands müßten entsprechend abgestimmt werden. Ob jedoch der Eher Verlag sich in der vorgesehenen Form in Wien ansiedelte, war nicht zu ermitteln. Das war aber nicht die einzige Sorge der Wiener Hüter des NS-Schrifttums. Sie wandten sich erneut an Karl Berger mit einer Liste von Wünschen und Mißständen. Hier einige bezeichnende Beispiele, die die Lage des Buchhandels erhellen:

Die N.S. Buchhändler halten sich für berechtigt, zu verlangen, daß die kommiss. Leitung als Einrichtung des N.S. Staates auf Grund ihrer Erhebungen eine Liste der Parteibuchhändler verfaßt und diese allen Parteistellen in Stadt und Land, den Gauleitungen, Bezirksleitungen und deren Propagandastellen zur Verfügung stellt und diesen nahelegt, in erster Linie den verdienstvollen N.S. Buchhändler bei der Anschaffung von Büchern für Parteigliederungen und Mitglieder zu berücksichtigen.[32]

Sie forderten ferner die Überwachung der diversen Büchergilden und daß bei der Überleitung in die RSK „eine sehr einschneidende Verringerung der Buchhandlungen Platz“ greife. (ebda.) „Daß hiebei in erster Reihe Schädlinge des Buchhandels, Ramscher und seit jeher antideutsch eingestellte Firmen betroffen werden sollen, ist ganz selbstverständlich.“ (ebda.) Die NS-Buchhändler beschwerten sich auch noch, daß jüdische Buchhändler NS-Schrifttum noch verkaufen würden. Treu der Devise „Der Jude ist schuld“, machten die 21 die Eingabe unterzeichnenden Wiener NS-Buchhändler folgenden kuriosen Vorschlag:

Um den instinktlosen arischen Wiener vom Besuch jüdischer Buchhandlungen abzuhalten, erscheint uns die Aufstellung von SS-Posten vor solchen Geschäften zweckdienlich. (ebda.)

h) Bergers Denkschrift

Bevor wir auf einzelne, konkrete Beispiele der Liquidierung und Arisierung näher eingehen, gilt es, die spärlich vorhandenen Zeugnisse aus den Jahren 1938/39 anzusehen, die nicht dem Gefasel über die „große Aufgabe“, die dem österreichischen Buchhandel nun zukomme, huldigen. Nur so kann man sich ein Bild über die grundsätzliche Politik verschaffen, die verfolgt wurde bzw. verfolgt werden sollte.

Zunächst aber lohnt es sich, den Stand der buchhändlerischen Firmen (also: Verlage, Buchhandlungen, Leihbüchereien, Großsortimenter, Antiquariate, Buchversandgeschäfte usw.) in Österreich im März 1938 zu ermitteln, um später auftauchende Argumente zu entkräften und zu relativieren und überhaupt die Größenordnung zu bestimmen.

Im Adreßbuch des Deutschen Buchhandels 1938, das vor dem „Anschluß“ erschien, wurden für Österreich im ganzen 523 Firmen verzeichnet. Von diesen 523 waren 114 als Verlagsbuchhandlungen anzusehen, wobei weitere hinzukämen, würde man auch „gemischte Betriebe“, also Verlage mit Sortiment, mitberücksichtigen. Von der Gesamtzahl der im Adreßbuch verzeichneten österreichischen Firmen waren 333 oder ca. 64% in Wien, dem Hauptsitz des traditionell zentralisierten österreichischen Buchhandels, angesiedelt.

Nach Perles Adreßbuch für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel und verwandte Geschäftszweige in Österreich, 1937, dem letzten vor Ende des Zweiten Weltkrieges, gab es in Österreich hingegen 1077 buchhändlerische Firmen aller Art, d.h. Firmen, die sich mit der Herstellung oder dem Vertrieb von Druckschriften verschiedenster Art befaßten. Fast die Hälfte von ihnen wurde in das Adreßbuch des Deutschen Buchhandels schon vor dem „Anschluß“ aufgenommen. Von diesen 1077 Firmen waren 679 oder 63% in Wien ansässig. Diese Firmenstatistik für Österreich trennt nicht nach der Anzahl von Verlagsunternehmungen, Sortimentsbetrieben usw., so daß man eine andere Grundlage heranziehen muß, um die Relationen zu bestimmen.[33]

Zieht man die Zahl der österreichischen Firmen, die vom übrigen deutschen Buchhandel offiziell anerkannt wurden, in Betracht, so kommt man auf die Zahl von 333. Davon waren unter Wiener Firmen 87, die reine Verlagsunternehmen waren. Sechzehn Verlagsbuchhandlungen hatten sich ein Sortiment angegliedert, und 110 Wiener Buchhandlungen waren reine Sortimentsbetriebe. Nach einer Aufstellung derjenigen buchhändlerischen Firmen in Österreich, die im Jahre 1937 überwiegend mit dem alten reichsdeutschen Verlag in ständiger geschäftlicher Verbindung standen, gab es rund 480 Sortimentsbetriebe in 87 Orten Österreichs. Hievon waren 126 in Wien.

Am 9. Juni 1938 wurde eine vom kommissarischen Leiter des österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhandels, Karl Berger, verfaßte „Denkschrift“ „Arisierung oder Liquidierung jüdischer Buchhandlungen?“ hektographiert und verteilt.[34] Es war dies der Versuch, für die triste Lage des Buchhandels eine Erklärung oder zumindest einen Sündenbock zu finden und „Gesundungsvorschläge“ zu machen. Nach Berger sei es „während der marxistischen und auch während der sogenannten vaterländischen Periode“ zu einer zügellosen Erteilung von Konzessionen an jüdische Bewerber – „unbeschränkt und ohne Berücksichtigung des Lokalbedarfes“ – gekommen.

Gesetzliche Bestimmungen sowie die von der Standesvertretung der Buch-, Kunst- und Musikalienhändler gegebenen Gutachten wurden so gut wie gar nicht beachtet, ausschlaggebend waren wohl einzig und allein jüdisch-freimaurerische Querverbindungen, bei dem damaligen Behördenapparat z. T. wahrscheinlich auch Bestechungen.

Bergers Argumente sind zwar nicht stichhaltig, aber er mußte sich schließlich einen Pappkameraden zulegen. Die Konzessionserteilung wurde – vor allem nach 1934 (neue Gewerbeordnung, Gewerbesperre usw.) – sehr streng gehandhabt, und, was die Standesvertretung betrifft, durchaus unter arischer, nicht jüdischer Aufsicht. Häufig erfolgte die Erteilung einer Konzession an einen Bewerber erst, nachdem ein anderer seine Konzession zurückgelegt hatte. Es wurden absurderweise dieselben Gewerbeordnungsbestimmungen für einen Verlag (mit Ausschluß des offenen Ladengeschäftes) wie für eine Buchhandlung angewandt, obwohl a) eine Vermehrung solcher Konzessionen nicht wie bei Buchhandlungen sich auf die Wettbewerbsverhältnisse negativ, sondern neutral ausgewirkt hätte und b) das Kriterium „Lokalbedarf“ irrelevant war.

Dennoch war die Folge dieser Politik laut Berger, „daß der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhandel vollkommen überbesetzt“ sei. Ein „Gesundschrumpfen“ hätte seit Beginn der Republik nicht stattgefunden. Aber die ganze Schizophrenie den Juden gegenüber tritt in einer weiteren Feststellung Bergers zutage. Wie wir soeben gesehen haben, beschwerte sich die „Arbeitsgemeinschaft der Wiener NS-Buchhändler“, daß die Wiener Arier die jüdischen Buchhandlungen nicht boykottierten und daher die Aufstellung von SS-Posten vor solchen arischen Geschäften zu empfehlen sei. Nun aber waren die jüdischen Käufer neuerdings schuld, obwohl sie zu dieser Zeit wohl andere Sorgen hatten. Dazu Berger:

Durch den Boykott [!] der jüdischen Käuferkreise wurde nach dem Umbruch der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhandel neuerdings schwer betroffen. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die Umschichtung der Käuferkreise und die allgemeine Hebung der Kaufkraft fühlbar werden wird.

Um die vermeintliche oder tatsächliche Überbesetzung des Wiener Buchhandels noch krasser erscheinen zu lassen, gab Berger „zu bedenken, daß es in Wien 800 Buch-, Kunst- und Musikalienhandlungen gibt“. Die soeben zitierte sachliche Analyse hatte aber ergeben, daß in Wien bloß 679 buchhändlerische Firmen aller Art ansässig waren. Bergers Methode der Übertreibung, um das Problem noch dringlicher erscheinen zu lassen, hat durchaus eine Parallele in den „märchenhaften“ Schätzungen über die Zahl der Juden in Wien 1938/39.[35] Bergers Rezept für den notleidenden Buchhandel lautete folgendermaßen:

Die angeführten Zahlen beweisen, daß in Wien eine Gesundung des Buch-, Kunst- und Musikalienhandels durch eine Reduzierung der Betriebe unbedingt notwendig ist. Der Wiener Buchhandel war in seiner Gesamtheit niemals recht lebensfähig; vielmehr hatte das Judentum und seine Hintermänner in den früheren Behörden stets nur ein Ziel im Auge, nämlich die Ausrottung des deutsch-arischen Buchhandels, um nach Erreichung dieses Ziels den für das kulturelle Leben so bedeutenden Buchmarkt ganz zu beherrschen. Es bietet sich jetzt die Gelegenheit, den deutschbewußten Wiener Buchhandel wieder lebensfähig zu gestalten, damit er seiner ihm auferlegten Arbeit an der Kultur unseres Volkes voll nachkommen kann.

Als kommissarischer Leiter des österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhandels fühle ich mich verpflichtet, auf die Lage in diesem Beruf hinzuweisen. Eine Gesundung dieses volkswirtschaftlich und kulturell so ungemein wichtigen Berufes kann nur dann e folgen, wenn alle zuständigen Stellen mit mir bemüht sind, eine starke Verminderung der Betriebe herbeizuführen Es ist durchaus nicht damit beabsichtigt, etwa bestehende Werte zu zerstören, sondern planmäßig die jüdischen Betriebe zu liquidieren, bzw. dort, wo dies unmöglich ist, diese zu arisieren. Daß dies nur im Einvernehmen mit den am meisten betroffenen deutsch-arischen Berufsgenossen geschehen kann, brauche ich wohl nicht besonders begründen; ebensowenig glaube ich darauf hinweisen zu müssen, daß ich bei der Regelung dieser Fragen auf die tatkräftige Unterstützung aller zuständigen Stellen hoffe.
Heil Hitler!
Karl Berger, Kommissarischer Leiter.

Wichtig hiebei war also „eine starke Verminderung der Betriebe“, die planmäßige Liquidierung der jüdischen Betriebe und, wo unumgänglich, die Arisierung. Dieser ganze Prozeß könne „nur im Einvernehmen“ mit den österreichischen Berufsgenossen vorgenommen werden, heißt es im Wink mit dem Zaunpfahl an die RSK. So stellte sich das Berger jedenfalls vor, aber er täuschte sich gewaltig. Man erinnere sich, daß Bergers Wunsch, das Vermögen des Verlagsförderungsfonds unter den „deutsch-arischen Berufsgenossen“ aufzuteilen, am Einspruch der RSK im Altreich gescheitert war. Diese kassierte das Geld selber. Sie nahm nach Einführung der RKK-Gesetzgebung die Entscheidungsgewalt an sich.

Dennoch spiegelte Bergers Gegensatzpaar „Arisierung“ oder „Liquidierung“ auch die offizielle Politik der RSK im Grunde genommen wider. Im Mai 1939 zog Wilhelm Baur Bilanz:

Ein Kapitel ist im letzten Jahr restlos liquidiert worden: das des Judentums. Ich habe im schon im vorigen Jahr feststellen können, daß der jüdische Einfluß im Buchhandel im Altreich restlos beseitigt ist. Inzwischen ist auch die Ostmark in dieser Beziehung in Ordnung gekommen. Wir sind dabei bei der Kammer davon ausgegangen, daß es bis auf wenige Ausnahmen notwendig war, die jüdischen Betriebe zu beseitigen und nicht unter arischem Besitz fortfahren zu lassen. Die breite Masse hätte keinen Verständnis dafür gehabt, wenn wir Judenfirmen mit ihrem alten Namen unter neuen Besitzverhältnissen weiterhin die Möglichkeit zur Existenz gegeben hätten. So sind im Laufe des letzten Jahres in Österreich rund hundertundfünfzig jüdische Verlage und Buchhandlungen ausgemerzt und gleichzeitig ist damit den vorhandenen deutschen Betrieben eine raschere Möglichkeit zur Gesundung gegeben worden.
(Börsenblatt, Nr. 106, 9. Mai 1939, S. 380-382; bes. S. 382. „Aufstieg und Entwicklung des deutschen Buchhandels seit 1938“)

Ob tatsächlich 150 jüdische Verlage und Buchhandlungen in Österreich bis zu diesem Zeitpunkt „ausgemerzt“ worden waren, läßt sich schwer nachweisen. Die Zahl kann höher, aber auch tiefer liegen.

In einem Aktenvermerk vom 31. August 1938 über „Juden in Österreich“[36] schrieb Karl Heinrich Bischoff, es befänden sich zur Zeit „in Bearbeitung 109 buchhändlerische Judenfälle, zumeist in Wien“. Diese „Bearbeitung“ ging keineswegs so glatt über die Bühne, wie sich Bischoff oder die RSK es gewünscht hatten.

4. Reichskulturkammergesetz für Österreich

Zwei Tage nach dem Bericht Bergers wurde die Verordnung über die Einführung der Reichskulturkammer-Gesetzgebung im Lande Österreich kund- und am 24. Juni 1938 bekanntgemacht.[37] Bis zu diesem Zeitpunkt war der österreichische Buch-, Kunst- und Musikalienhandel noch vollkommen selbständig. Von nun an war die Ausübung einer kammerpflichtigen Tätigkeit von der Zugehörigkeit zur Reichskulturkammer, d.h. zu einer der sechs Einzelkammern, abhängig. Alle Personen, die eine solche Tätigkeit ausübten, mußten sich nach der Verordnung bis zum 30. Juni 1938 bei der für sie zuständigen Einzelkammer melden. Ferner mußte man eine Erklärung abgeben, daß dem Antragsteller keine Tatsachen bekannt wären, die auf eine nichtarische Abstammung hindeuteten. Wer diese Erklärung über die arische Abstammung nicht abgeben konnte, mußte eine Übergangsfrist beantragen. Alle zum Nachweis der arischen Abstammung erforderlichen Urkunden mußten spätestens bis zum 30. September nachgereicht werden. Wer auch dies nicht konnte, mußte unter Angabe der Gründe rechtzeitig um Fristverlängerung nachsuchen.[38] Erst nach Vorliegen der Nachweise und nach vollzogener und geprüfter Nachweisung konnte über die endgültige Aufnahme entschieden werden. So kam es häufig vor, daß ein Antragsteller z.B. im Mai 1939 erfuhr, daß er mit Wirkung vom Juli 1938 RSK-Mitglied sei. Oder auch nicht. Über die amtliche Bekanntmachung hinaus teilte Berger im diesbezüglichen Rundschreiben Nummer 5 mit, daß

bis zu dieser Entscheidung (…) der Angemeldete in der Ausübung seiner Tätigkeit nicht behindert sei, es sei denn, daß sie ihm ausdrücklich untersagt wird.

Ob Berger diese seine Feststellung nach Rücksprache mit der RSK traf, darf zumindest angezweifelt werden. Man kann es als eher unwahrscheinlich bezeichnen, daß die RSK längere Zeit so viel Entgegenkommen aufbrachte. Die Mühlen der allgegenwärtigen Nazi-Bürokratie sowohl im Wirtschafts- als auch im Kulturbereich mahlten sehr langsam und vermochten selbst Betriebe von strammen Austronazis zugrundezurichten.

Mit der Einführung der RKK-Gesetzgebung wurde am 29. Juli 1938[39] endgültig der Schlußstrich unter der kommissarischen Leitung der Zwangsgilde unter Karl Berger gezogen. Es erfolgte an diesem Tag nämlich die Aktenübernahme durch den Geschäftsführer der RSK Gauleitung Wien, Dr. Karl Zartmann.

Aber in den sechs Monaten nach dem „Anschluß“ lief keineswegs alles im österreichischen Buchhandel und Verlagswesen nach Wunsch der RSK im Altreich, die mit der RSK Landesleitung Österreich nicht verwechselt werden darf. Es waren z.B. nicht alle Kommissare mit der RSK-“Einmischung“ einverstanden. Einer, der meinte, vom fernen Berlin aus einen Oberblick über die Lage in Österreich zu haben, war K.H. Bischoff, Sonderreferent der RSK für „Nichtarierfragen“ und maßgeblich Beteiligter an der „Entjudung“ des Buchhandels. So mußte Bischoff am 2. Juni 1938, also vor Anwendung des RKK-Gesetzes in Österreich, in einem Aktenvermerk an Wilhelm Ihde, Geschäftsführer der RSK in Berlin, konstatieren, daß – ihm zugekommenen Meldungen zufolge – „in Österreich nach wie vor eine Konfusion herrscht“.[40] Bischoff regte daher an, „daß die Kammer den betreffenden Bearbeiter aus dem Landeskulturamt Österreich nach Berlin kommen läßt und daß wir uns ein paar Stunden lang mit ihm unterhalten, damit wenigstens dieser Mann einigermaßen im Bilde ist.“ (ebda.) Österreich-Geschäftsführer Dr. Karl Zartmann blieb allerdings auch in den kommenden Monaten trotz neuerlichen Vorschlägen in Wien. Die Verständigungsschwierigkeiten blieben bestehen. Am 31. August 1938 drückte Bischoff seinen Unmut über die österreichischen Probleme noch einmal aus:

Völlig ungeklärt sind noch die Fälle, in denen kommissarische Leiter eingesetzt wurden, also vor allem die Verlage Bermann-Fischer, Wien, Bastei-Verlag, Wien, (früherer Inhaber Dr. Freund), und Herbert Reichner, Wien. In diesen Fällen liegen auch nicht einmal Anträge vor. (…)

Es handelt sich um Verlage, die bisher in jüdischen Händen waren und für die kommissarische Leiter von österreichischen Stellen (Hervorhebung vom Verf.) eingesetzt wurden. Die kommissarischen Leiter haben ihre Anmeldungen noch nicht vollzogen.
(…)
Die Arisierung bisher jüdischer Buchhandelsunternehmungen in Österreich wird ohne Anhören des Präsidenten der RSK vorgenommen. Dadurch entstehen sehr große Schwierigkeiten. Es ist dringend erforderlich, hier eine klare Anordnung durch das Ministerium zu erlassen.[41]

Im gleichen Sinne empfahl die RSK in einem Schreiben an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Goebbels, vom 31. August 1938:

Ich empfehle hier eine klare Anordnung des Ministeriums, die die Zusammenarbeit der Wiener Stellen mit den Einzelkammern garantiert und spätere Schwierigkeiten von vornherein ausschaltet.[42]

Im Oktober 1938, also gut fünf Monate später, hatte sich die Lage in Österreich aus der Sicht Bischoffs noch immer nicht gebessert. Seine Quellen bekundeten „übereinstimmend, daß die Lage in Wien, besonders in unserem Arbeitsbereich völlig unübersichtlich geworden ist“.[43]

Es lohnt sich, nun auf den Bericht Bischoffs näher einzugehen, erstens, um den Stand der „Entjudung“ bestimmen zu können, zweitens, um die daraus entstehenden Probleme besser kennenzulernen, drittens, um zu zeigen, wie uninformiert Bischoff tatsächlich war, und schließlich, um den Übergang zu machen zwischen Arisierung und Liquidierung von Buchhandlungen und dem grundsätzlichen Standpunkt Verlagen gegenüber.

Unter den „andere(n) höchst ernst zu nehmende(n) Punkte(n)“ nach den Beobachtungen Bischoffs befand sich der Komplex „Kommissare“:

Ich habe das größte Bedenken gegen die Tätigkeit von Kommissaren. Diese Bedenken sind einmal darin begründet, daß die Kommissare meist über keinerlei Fachkenntnisse verfügen, zum anderen haben die Kommissare auch praktisch keinerlei Vollmachten. Sie sind ja keinen Tag sicher, ob nicht nachträglich der jüdische Besitzer über einen Zivilprozeß einen Vorstoß macht, den vielleicht, trotz besten Willens, nicht einmal ein Gericht abweisen kann. Sie haben keine Fachkenntnisse und können nicht auf lange Zeit disponieren. Sie können infolgedessen keinerlei Aktivität entwickeln. Sie haben andererseits ein gewisses Bestreben, die Dinge doch etwas hinzuziehen. Daher ergibt sich, daß Betriebe, deren Verschwinden feststeht, länger als notwendig erhalten bleiben, andererseits Betriebe, die vielleicht doch weiter bestehen könnten und sollten, aktionsunfähig werden. (ebda.)

Diese Ausführungen Bischoffs enthalten zwar viel Zutreffendes, vor allein was die „Qualität“ der kommissarischen Verwalter betrifft, die nach den Neubestellungen ab August 1938 nicht besser, sondern eher schlechter wurde.[44] Sie enthalten aber auch Falsches. Um die treffende Formulierung Dahms zu zitieren: „in dem so musterhaft hierarchischen Gefüge der RSK wußte die eine Hand nicht, was die andere tat“ (loc.cit., Sp. 117). Dahms weitere Feststellung über „die mangelnde Übersicht der Referenten über den Stand der Entjudung“ (ebda.) ist zwar auf reichsdeutsche Zustände vor 1938 gemünzt, jedoch durchaus auf die Situation in Österreich nach März 1938 anwendbar.

Es stimmte zwar, daß die Kommissare meist über keinerlei Fachkenntnisse und lediglich über die NSDAP-Mitgliedschaft verfügten, doch auch Bischoff hatte keinerlei Kenntnisse – so scheint es – vom „Gesetz über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissarischen Überwachungspersonen“ vom 13. April 1938. Und was „praktisch keinerlei Vollmachten“ anlangt, so lautete § 2 dieses Gesetzes: „Der kommissarische Verwalter ist zu allen Rechtshandlungen für die Unternehmung befugt.“ Lediglich der gesetzlichen Pflicht, die Bestellung oder Enthebung dem Handelsgericht bekanntzugeben, sind viele Verwalter nicht nachgekommen.

Es erschien Bischoff erforderlich, daß von der Kammer aus die Frage der Kommissare und ihre endgültige Ablösung aufgegriffen werde. Bischoff abschließend:

Man darf nicht übersehen, daß die Kommissare ja nicht einmal die Voraussetzungen des Reichskulturkammergesetzes erfüllen noch daß sie es erfüllen wollen. Sie sagen sogar ausdrücklich, daß die R.S.K. ihnen nichts zu sagen habe.

Die Koordination zwischen Nazi-Verwaltungsstellen in Wien (Staatskommissar für die Privatwirtschaft, Vermögensverkehrsstelle usw.) und der RSK Berlin muß im Oktober 1938 derart schlecht gewesen sein, daß es Bischoff unbedingt erforderlich erschien,

daß man einmal mit der Vermögensverwaltung in Wien spricht und diese Stelle über die Erfordernisse und die Prinzipien unserer Arbeit unterrichtet. Auch diese Stelle wird dafür dankbar sein, da eine solche Unterrichtung ihr einen unmittelbaren Dienst bei ihrer Arbeit leistet.

Es erhebt sich nun die Frage, welche Grundsätze in der „Entjudung“ des österreichischen Verlagswesens zu verfolgen waren. Die Tendenz ging eher in Richtung Auflösung und Liquidierung, wiewohl dieser Vorgang sich im Zeitlupentempo vollzog. Schon im Mai 1938 meinte der Vize-Präsident des Börsenvereins Wilhelm Baur, daß „die Frage der Entjudung des österreichischen Buchhandels (…) binnen kurzem ebenfalls in Angriff genommen [werde], und es ist zu erwarten, daß als einer der ersten Verleger dann der Verlag Zsolnay in deutsche Hände übergeht“.[45] Und Baur weiter: „Es scheint mir ein bestimmtes auch politisches Interesse vorzuliegen, daß in Wien ein großer schöngeistiger Verlag weiterhin besteht.“ (ebda., S. 265 f.) Tatsächlich war der Paul Zsolnay Verlag unter allen tatsächlich oder vermeintlich in jüdischem Besitz befindlichen belletristischen Verlagen in Österreich der einzige, an dessen Weiterexistenz überregionales Interesse vorhanden war. Die verwirrenden und recht verworrenen Umstände um dessen „Arisierung“ haben wir an späterer Stelle zu erläutern. Aufschlußreiches Zeugnis von der Politik gegenüber dem Verlagswesen in Österreich im allgemeinen, einer Politik, die auf die österreichischen Verleger keinerlei Rücksicht nahm, liefert wiederum K.H. Bischoff, für den „politisch gesehen (…) die Dinge sehr klar“ lagen:

a) Wir müssen als Großdeutsche ein unbedingtes Interesse daran haben, daß Wien auch als wichtiger Verlagsort weiterhin bestehen bleibt und sogar noch gestärkt wird. Die Aufgabe Wiens liegt auch geopolitisch eindeutig fest. So hat nicht nur der berühmte Buchhändler Trättner [sic!), sondern auch eine Reihe anderer Buchhändler den gesamten Balkan schrifttumsmäßig beherrschen können. Diese Beherrschung wird von Berlin aus nicht möglich sein. Wien ist eine Säule gegenüber dem Südosten. Die Stärkung dieser Säule auch vom Geistigen her, ist eine politische Forderung.
b)Wir können daher gar kein Interesse daran haben, daß wichtige Verlage aus Wien abwandern und so z.B. das Druckereigewerbe in Wien auch noch künstlich geschädigt wird. Es werden sich zwangsläufig bestimmt Zentralisierungen nach Berlin ergeben müssen, man sollte aber hier eine klare Trennung des notwendigen und sachlichen von den anderen durchführen.
c) Es scheint mir zu unseren Aufgaben zu gehören, auch diese Dinge klar zu sehen. Wir haben darum zu arbeiten, daß hier Schleusen gebaut werden, Deiche errichtet werden und vielleicht auch neues Land gewonnen wird. Ich bin mir bewußt, daß diese Meinung zunächst noch angegriffen oder aber als abwegig bezeichnet wird. Ich äußere sie auch auf diese Gefahr hin, weil ich davon überzeugt bin, daß man eines Tages doch dahin kommen wird. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß nun etwa die jüdischen Verlage in Wien unbedingt erhalten bleiben müßten. Es ist selbstverständlich, daß hier nur nationalsozialistisch gehandelt werden kann.
(…)

5. Arisierung, Liquidierung, Auflösung: Das Schicksal österreichischer Verlage

Damit unsere Ausführungen über das Kommissarwesen, Arisierung und Liquidierung nicht abstrakt und unverbindlich bleiben, scheint es geboten, das Schicksal einiger Verlage nach dem März 1938 – sowohl „jüdischer“ als auch „arischer“ – zu verfolgen. So widersprüchlich es klingt, die Behandlung in die eine oder andere Richtung war durch die NS-Gesetze unglaublich kompliziert gemacht. Es war leicht gewesen, kommissarische Verwalter zu bestellen, einen Verlag aber in „arische Hände“ zu geben oder zu liquidieren, konnte unter Umständen dank der Devise „Es muß alles seine Ordnung haben“ gute sechs Jahre dauern, wie z.B. im Fall des zu liquidierenden Bermann-Fischer Verlags. So gesehen, war die Jubelmeldung Will Vespers in der Neuen Literatur in Heft 5 vom Mai 1938 etwas verfrüht:

Unser jahrelanger Kampf gegen das jüdische und undeutsche Verlegertum in Wien war ein Teil des Kampfes um die Befreiung Österreichs von fremdem, vom jüdischen Joch. Der Kampf ist entschieden. Die endgültige Bereinigung dessen, was wir gestern von außen bekämpfen mußten, wird nun von innen her durchgeführt.
(…)
In Zukunft sind ja auch alle Wiener Verlage, soweit sie weiter bestehen werden, nun deutsche Verlage, die wir gerne mit allen Kräften fördern, wenn sie sich für deutsche Dichtung und deutsche Kultur einsetzen. (…)
Unser Freund, der Zsolnay-Verlag, ist in zuverlässige Betreuung genommen worden. Wie einst bei Ullstein, raten wir auch hier: Man lasse den besudelten Namen so schnell wie möglich verschwinden! Unter der Flagge eines Judennamens kann kein deutsches Unternehmen glückhaft weitersegeln. (…) (S. 264)

a) Der Paul Zsolnay Verlag. Eine Scheinarisierung?[46]

Am 16. März 1938 stand der Paul Zsolnay Verlag unter kommissarischer Leitung. Der neuernannte kommissarische Verwalter, Pg. Hannes Dietl, war „Organisationsleiter des Landeskulturamtes der NSDAP Österreich“. Hauptberuflich war er Beamter des Stahlkonzerns Böhler-Werke und, vielleicht noch wichtiger: Schulfreund des Leiters des Landeskulturamtes der NSDAP und ehemaligen Pressechefs der NSDAP im Gau Wien, Pg. Hermann Stuppäck. Er gehörte zu den Herren, die gleich nach dem „Anschluß“ als Funktionäre in das Landeskulturamt des Wiener Braunen Hauses eingezogen waren und anschließend vom Zsolnay Verlag Besitz ergriffen, ohne die nötigen Mittel zur Erwerbung dieses Verlags – von allfälligen fachlichen Qualifikationen ganz zu schweigen – zu besitzen. Der Verlag wurde von dem 1891 geborenen Dr. Ritter Jantsch von Streerbach übernommen. Streerbach – mit Zsolnay offensichtlich eng befreundet – war seit Juni 1933 NSDAP-Mitglied in Österreich, Mitglied des Reichsverbands deutscher Schriftsteller (Nr.4446) und zwischen Oktober 1935 und Juni 1938 neben Hermann Stuppäck stellvertretender Landeskulturleiter der NSDAP in Österreich. Es wurde sodann aus den Herren Jantsch, Dietl, Rudolf Penz (seit Jänner 1936 Prokurist des Zsolnay Verlags), Rudolf Geyer (für Buchillustration zuständig, 1933 bis 1936 Vorstandsmitglied des Zsolnay Verlags) und Otto Emmerich Groh (1905-1978) (ehemals Sprengelgruppenleiter der P.O. und Fachberater für Theater und dramatisches Schrifttum in der Landesleitung Österreich der NSDAP, seit 1935 „nationaler“ Zsolnay-Autor) ein Verwaltungsrat gebildet. Am 29. März 1938 wurden die neuen Vorstandsmitglieder bereits ins Wiener Handelsregister eingetragen (Reg. B 22, 85). Jantsch übernahm 75% der Aktien der Paul Zsolnay Verlags-A.G. während 25% noch in den Händen des „früheren“ Inhabers Zsolnay verblieben. Aber in den folgenden etwa 12 Monaten machte der „Verlagsleiter“ Jantsch keine Anstalten, einen Teil der „Kaufsumme“ zu bezahlen. Wichtiger war zunächst, ob die Firma nun als „arisch“ zu betrachten sei oder nicht. Auf Grund des von Jantsch und Zsolnay abgeschlossenen Vertrages stellten das Amt der Reichsstatthalterei von Österreich und der Staatskommissar in der Privatwirtschaft fest, daß das Unternehmen als „arisch“ anzusehen sei. Der Rest der noch in den Händen des „Juden“ Paul Zsolnay befindlichen Aktien[47] dürfte nur einem arischen Besitzer übertragen werden. Jantsch und Zsolnay vereinbarten im Vertrag die Bedingung, daß die tatsächliche Kaufsumme erst nach einem Jahr festzustellen sei, zumal Jantsch nicht in der Lage sei, unmittelbar nach Übernahme des Verlags auch nur annähernd den Wert des Unternehmens festzustellen. Aber so mir nichts, dir nichts „arisierte“ man Buchhandelsfirmen in der „Ostmark“ nicht.

Zsolnay

Die Herren hatten hier die Rechnung ohne die Wirte – denn es gab deren mehrere – gemacht. Der eine hieß in diesem Fall Reichsschrifttumskammer Berlin (Ihde, Bischoff) und der zweite Landesleitung Österreich (Stebich). Wie kam aber die RSK zu dieser Kompetenz? Dafür gibt es eine einfache und eine etwas verwickeltere Erklärung. Zum einen hatte die RKK-Gesetzgebung, wie wir bereits gesehen haben, erst etwa drei Monate nach dem „Anschluß“ im Lande Österreich Geltung. Die RSK mußte sich also nach und nach als Autorität in Sachen Schrifttum etablieren und überhaupt eine Einflußsphäre für sich reklamieren. Die RSK hatte ohnehin nur beschränkten Einfluß, zumal sie am 1. April 1938 ihre kulturpolitischen Kompetenzen an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda hatte abgeben müssen.[48] Außerdem herrschte unter österreichischen Genossen die Ansicht: Was kümmert mich die RSK? So beschwerte sich der Entjudungsreferent der RSK in Berlin, K.H. Bischoff, Ende August 1938, daß die „Arisierung bisher jüdischer Buchhandelsunternehmungen in Österreich (…) ohne Anhören des Präsidenten der RSK vorgenommen“ werde (loc.cit.). Der Einfluß, besser: die Kompetenz der RSK war anderswo indirekt verankert.

Hauptverantwortlich für die „Arisierung“ in Österreich im allgemeinen war die auf Grund des Gesetzes vom 18. Mai 1938 (GBl. für das Land Österreich, 139/1938) in Wien errichtete Vermögensverkehrsstelle. Mit diesem Gesetz wurden also die auf Grund der Verordnung vom 27. April 1938 über die Anmeldung des Vermögens von Juden dem Reichsstatthalter von Österreich (Seyß-Inquart) zustehenden Befugnisse (laut § 6 [2]) auf den Minister für Handel und Verkehr übertragen. Die Führung der Vermögensverkehrsstelle (im folgenden: VVSt) oblag in Unterordnung unter dem Minister für Handel und Verkehr dem Staatskommissar in der Privatwirtschaft (Rafelsberger) (GBl. für das Land Österreich, 139/1938, § 3). Der VVSt wurde sodann als Aufgabe zugewiesen: die Entgegennahme der Anmeldungen des Judenvermögens, die Genehmigung der Veräußerung gewerblicher, landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Betriebe sowie die Genehmigung der Erwerbung oder Neuerrichtung von Erwerbsunternehmen durch Altreichsdeutsche, Ausländer und „Ostmärker“. Für all diese Dinge gab es eigene Formulare.

Die Anmeldung des Judenvermögens per Gesetz vom 27. April 1938 hatte bis Ende Juni zu erfolgen, obwohl eine Stichprobe dieser „Verzeichnisse über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938“, wie sie genau hießen, ergab, daß die Frist bis Mitte Juli verlängert worden sein muß. Es haben dann 47.768 Juden ein Vermögen von mehr als RM 5.000 angemeldet.[49]

Insgesamt wurde ein Vermögen von etwas mehr als 2 Milliarden RM angemeldet. Die VVSt hatte 26.263 Betriebe, von denen ca. 90% in Wien angesiedelt waren, im Rahmen der „Arisierung“ bis Ende Dezember 1938 zu untersuchen.[50]

Eine der Hauptfragen hiebei war die, den Übernahmspreis des Geschäftes durch einen Ariseur zu regeln. Obwohl der Schein einen anderen Schluß zuließ, war man auf die Gewährleistung eines rechtlichen Zustands bedacht. Die Arisierung sollte nicht zu einer ungebührlichen Bereicherung führen. „Man wollte keine Arisierungsgewinner schaffen“ (NFP, loc.cit.). In der Beurteilung, ob es z.B. in der Buchhandelsbranche solche „Arisierungsgewinner“ gab, muß man eine Reihe von Aspekten, auf die wir auch später zurückkommen, berücksichtigen: I. die Entwertung eines Verlags oder einer Buchhandlung durch die Raubzüge (große Beschlagnahmungsaktionen durch die GESTAPO und sonstige „Behörden“) während der Märztage; 2. die Entwertung durch die effektive Betriebslahmlegung (die Inserierung im Börsenblatt setzte eine Arisierungsgenehmigung voraus!), während die zuständigen Behörden und Instanzen sich mit Gutachten, Betriebsprüfungen usw. monatelang befaßten; 3. die erzwungene Zahlung eines „Entjudungserlöses“ und einer „Entjudungsauflage“ durch den Ariseur an die „Allgemeinheit“ und 4. der Kriegsausbruch, der zu einer Papier- und Materialverknappung führte und zur Einteilung der Unternehmungen in sog. „W-Betriebe“ (d.i. Wehrwirtschaftsbetriebe). Das Prädikat „W-Betrieb“ bekam nur eine Handvoll der noch bestehenden Verlage, und diese mußten darum bangen, dieses Privileg zu verlieren.

Wie funktionierte dann die Arisierung im allgemeinen? Hier der betreffende Auszug aus einem Bericht über die Tätigkeit der VVSt 1938, der in der Neuen Freien Presse und im Völkischen Beobachter (4. 1. 1939) erschien:

Nach reichlicher Überlegung kam man zu folgendem Vorgang: Im Zuge des Arisierungsverfahrens wird jedes Unternehmen von Wirtschaftsprüfern eingehend untersucht und der Sachwert sowie der Verkehrswert festgelegt.
Der Kaufpreis kommt grundsätzlich durch freie Vereinbarung zustande, jedoch mit der Einschränkung, daß der Kaufpreis den Sachwert nicht übersteigen darf.
Über den Kaufpreis hinaus, der den Juden entrichtet wird, hat der Übernehmer die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Verkehrswert an die Vermögensverkehrsstelle abzugeben und wird dieser Betrag dann der Allgemeinheit gewidmet.

Obwohl die VVSt für Arisierung zuständig war, konnte die RSK manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Erfolg ihren Einfluß geltend machen. Hier die entsprechende Passage aus dem vorhin zitierten Bericht:

Die entsprechende Auswahl unter den Kaufwerbern bildete auch einen sehr wichtigen Punkt im Entjudungsverfahren. Vor allem mußte sich die Vermögensverkehrsstelle über die fachliche Eignung der Bewerber Klarheit verschaffen. Dann war eine Beurteilung der Kaufwerber durch die Partei notwendig, um nicht Personen zu den verantwortungsvollen Posten eines Betriebsführers gelangen zu lassen, die ihrer Einstellung nach hiezu ungeeignet sind. Die Vermögensverkehrsstelle unterzieht sich also durch eine sorgfältige Sichtung der Bewerber einer sehr wichtigen Aufgabe, nämlich durch entsprechende Auswahl neue, ihrer Verantwortung gegenüber der Volksgemeinschaft bewußte Unternehmer zu erziehen. (s. Anm. 49)

Über die „fachliche Eignung der Bewerber“ hatte also die RSK über die politische Eignung die Landes- oder Kreisleitung der NSDAP in Wien zu richten. Ein erstes Kriterium für die „fachliche Eignung“ war die Mitgliedschaft in der RSK noch wichtiger, nicht die bloße Mitgliedschaft als „Schriftsteller“ oder „Buchhändler“, sondern Mitgliedschaft in der „Fachschaft Verlag“. Und wenn ein Bewerber der RSK aus irgendwelchen Gründen sympathisch war, konnte er mit Nachsicht rechnen, wenn er aber unsympathisch war, wurden eben mangelnde Vorbildung und/oder fehlende RSK-Mitgliedschaft als Ablehnungsgrund geltend gemacht. Auch die Bearbeitung der Anmeldung zur Aufnahme in die RSK (für die es umfangreiche rosarote Formulare samt Ahnennachweisen gab) trug erheblich zur Verlangsamung des Arisierungs- und Liquidierungsprozesses bei. Bis einwandfrei geklärt war, daß der RSK-Bewerber deutscher Abstammung und fachlich geeignet war, konnte viel Zeit verstreichen. Die RSK war bemüht – im Gegensatz zum Landeskulturamt ab März 1938, nicht einfach verdiente Austronazis, die vom Buchhandel keine Ahnung hatten, mit Posten zu versorgen, sondern fähige Personen zu bestellen. Die Nazi-Bürokratie war der Hemmschuh für eine rasche „Entjudung“.

Durch einen Erlaß des Reichsstatthalters war der Zsolnay Verlag als „arisches“ Unternehmen bezeichnet worden, allerdings lag der Vertrag zwischen Jantsch und Zsolnay der RSK niemals zur Einsichtnahme vor. D.h. die RSK fühlte sich übergangen, und ganz besonders ungehalten war der Sachberater für die Abteilung Buchhandel in der RSK, K.H. Bischoff, der am Zsolnay Verlag mehr Interesse hatte, als seinem Aufgabenbereich zukam, und in einem Aktenvermerk zum Thema Zsolnay folgendes schrieb:

Nach den Unterlagen ist der Präsident der Reichsschrifttumskammer nicht in der Lage seinerseits den arischen Charakter dieses Unternehmens zu bestätigen, da hiermit ein Prinzip durchbrochen wäre, das bisher klar eingehalten wurde.[51]

Erst nach einem Jahr war eine Veränderung im Sinne den Wünsche der RSK und Bischoffs absehbar. Ausgelöst wurde die verstärkte Aufmerksamkeit für den Zsolnay Verlag offensichtlich durch einen Brief des nationalen Zsolnay-Autors, Egmont Colerus, der im Jänner 1939 ein Schreiben an die RSK in Berlin richtete. Colerus wollte wissen, ob es mit seiner nationalsozialistischen Einstellung vereinbar wäre, daß er sein neuestes Buch dem Zsolnay Verlag, der zum Teil doch noch dem Juden verpflichtet sei, zum Verlage und Vertriebe übergebe. Die Herren in Berlin mußten auf eine Lösung drängen. Inzwischen tauchten Immer mehr Anzeichen dafür auf, daß es sich bei der Transaktion Jantsch-Zsolnay bloß um eine „Scheinarisierung“ gehandelt hätte. Das war nicht bloß eine Ansicht des Geschäftsführers der RSK, Landesleitung Österreich, Max Stebich, sondern auch eine Ansicht, die über vierzig Jahre danach zu vertreten ist. Der Inhaber und Gründer, Paul Zsolnay, war nach dem März 1938 in Wien geblieben, und ihm blieb das Schicksal mancher Berufskollegen, die z.B. Anfang April 1938 in Schutzhaft nach Dachau transportiert wurden, erspart.[52] Er scheint auch nicht gefährdet gewesen zu sein. Einigermaßen „Glück im Unglück“ hatte hingegen die Witwe E.P. Tals, insofern als sie bereits geflohen war, als die Raubritter vor der Verlagstür standen.

Zsolnay lenkte den Verlag – z.T. von London aus, wo er in Zusammenarbeit mit William Heinemann sich erneut als Verleger etablierte – noch bis März 1939.

Die Weichen für die Entfernung Zsolnays aus dem Verlag bzw. für seinen freiwillig-unfreiwilligen Weggang vom Verlag waren bereits anläßlich der Verwaltungsratssitzung am 14. März 1938 gestellt worden. Er schied aus der Firma als „Vorstandsmitglied“ aus, blieb jedoch weiterhin Aktionär, wie die Präsenzliste im Protokoll über die am 26. April 1938 in den Räumen des Verlags abgehaltene a.o. Generalversammlung zeigt.[53] Im Rahmen einer kurzen Ansprache unter Punkt 3 „Allfälliges“ bedankte sich Paul Zsolnay bei den alten und neuen Verlagsmitarbeitern und bestätigte die Linie, die der Verlag seit dem Jahre 1934 verfolgt habe und die er in Zukunft verfolgen werde. Hier ein Auszug:

Sehr geehrte Herren!
Im Namen der Aktionäre des Verlages erlaube ich mir, Ihnen den Dank auszusprechen
(…)
Besonderen Dank aber ist das Unternehmen Herrn Dr. Hermann R. Leber schuldig, der ihm unter schwierigsten Umständen vier Jahre lang geholfen hat, die als notwendig erkannte Umstellung durchzuführen, und dies mit ebensoviel Takt wie Tatkraft getan hat. In Herrn Dr. Leber suchte und fand der Verlag jene Persönlichkeit, die den freiwillig gefaßten Entschluß der Verlagsleitung und -inhabung durchführen half, nach der nationalen Erhebung in Deutschland den neuen Richtlinien des erneuerten Deutschlands Rechnung zu tragen und so der gesamtdeutschen Kultur nach besten Kräften zu dienen. Die nunmehrige Eingliederung Deutschösterreichs in Deutschland gibt dem Verlag jetzt auch die rechtliche Grundlage, die völlige Gleichschaltung, die bisher nicht möglich war, durchzuführen, und der neugewählte Verwaltungsrat bietet die Gewähr, daß diese Durchführung restlos erfolgen werde. Daß dabei große ideelle und materielle Werte des Verlages in den Dienst seiner weiteren Entwicklung gestellt bleiben, bürgt dafür, daß für seine neue Tätigkeit eine sichere Grundlage geschaffen ist.[54]

Um aber den Verlag auch nach außen hin, offiziell und formal zu „entjuden“ mußten Zsolnay und Felix Kostia-Costa als Vorstandsmitglieder auch aus dem Handelsregister gelöscht werden. Dafür war eine persönlich unterschriebene Verzichtserklärung erforderlich. So unterschrieben Zsolnay und Costa jeweils das folgende gleichlautende Schreiben an den Verlag vom 20. August 1938:

(…)
In der am 14. März 1938 stattgefundenen Verwaltungsratssitzung brachte ich Ihnen zur Kenntnis, daß ich einen Urlaub antrete.
Ich teile Ihnen nunmehr mit, daß ich von diesem Urlaub nicht mehr zurückkehre und auf meine Funktion als Vorstandsmitglied Ihrer Gesellschaft verzichte. Ich bitte Sie daher, die Löschung meiner Eintragung im Handelsregister zu veranlassen.
Hochachtungsvoll
Paul Zsolnay [bzw.] Felix Kostia-Costa[55]

Der Brief war jeweils mit der Wiener Adresse der beiden verfaßt. Die Löschung erfolgte am 26. April 1938.

Zsolnay soll – nach Stebich – während dieser ganzen Zeit lediglich „vorübergehend“ von Wien abwesend gewesen, immer wieder in dem Verlag erschienen sein und seinen Einfluß auf die Geschäftsführung geltend gemacht haben. Nun war, wie erwähnt, nicht der gesamte Besitz in arische Hände übergeleitet worden. Die Teilerwerbung war nach Ansicht des nunmehrigen Geschäftsführers der RSK in Wien überhaupt unter Außerachtlassung aller Vorschriften vor sich gegangen. Das waren: genaue Überprüfung des Bestandes und der Bilanzen, die Vorlage eines Verkaufsangebotes des früheren Besitzers, eines Kaufvertrages des Bewerbers, die Stellungnahme der RSK und schließlich die Erledigung durch die VVSt.[56] Nach Stebich war es „einfach unerträglich, daß immer wieder Gerüchte auftauchen, wir würden uns in diesem Fall hinter das Licht führen lassen“. (Stebich, ebda.) Es wäre nach Meinung der Landesleitung Österreich der RSK richtig, „in diesen Verlag einen von der Reichsschrifttumskammer vorzuschlagenden kommissarischen Verwalter zu setzen“ (ebda.).

Am 12. April 1939 richtete RSK-Geschäftsführer Max Stebich einen fünfseitigen „Bericht der Reichsschrifttumskammer“ über den Stand der Dinge in Sachen Paul Zsolnay an das Reichspropagandaamt in Wien, um eine Wende vorzubereiten, eine „Wende“, die aber trotzdem noch mehr als zwei Jahre auf sich warten lassen sollte. Anfang Februar 1939 traf der Sachberater für die Abteilung Buchhandel in der RSK, Bischoff, in Wien ein, um Verhandlungen über die Arisierung der jüdischen, schrifttumskammerpflichtigen Unternehmen zu führen. Bei dieser Gelegenheit wurde neben dem Herbert Reichner Verlag und Bermann-Fischer Verlag auch der Zsolnay Verlag in die Diskussion einbezogen. Der Verlagsinhaber Jantsch sagte Bischoff eine Bereinigung der Angelegenheit im Sinne der RSK zu. Anfang März kam Bischoff neuerlich nach Wien, diesmal in Begleitung des Geschäftsführers der RSK, Wilhelm Ihde, um über den Zsolnay Verlag neuerlich zu verhandeln. Jantsch wurde eine letzte Frist zur Bezahlung der Aktien bis 31. März 1939 eingeräumt. Andernfalls war die Gestapo beauftragt, den Verlag zu schließen. Zuständig für einen solchen Schritt war nicht die RSK, sondern das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Am 1. April erhielt Stebich von seiner Kammer die Kopie eines Schreibens des Herrn Präsidenten der RSK an den Herrn Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, in dem der Minister ersucht wurde, die Schließung durchzuführen und über die Einsetzung eines kommissarischen Leiters zu entscheiden. Am gleichen Tag wurde Stebich vom Reichspropagandaamt Wien (Dr. von Breisky) aufgefordert, den Verlag sofort zu schließen und den Schriftsteller Erich Landgrebe als kommissarischen Leiter einzusetzen. Stebich weigerte sich, dem Antrag nachzukommen, nicht zuletzt deswegen, weil nach dem Gesetz über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern (G.Bl. Nr. 80/1938) in der geänderten Fassung vom Oktober 1938 (G.Bl. Nr. 518/1938) kommissarische Verwalter nach dem 31. März 1939 nicht mehr bestellt werden durften. Das Pokerspiel um den Zsolnay Verlag war um eine Facette reicher, aber noch lange nicht aus. Es traf am selben Tag ein hoher Beamter des Propagandaministeriums in Wien ein; es wurde weiter verhandelt, und Jantsch wurde eine letzte Frist eingeräumt, seinen Verlagsanteil zu bezahlen. Jantsch versuchte unterdessen andere Karten ins Spiel zu bringen und diese (z.B. das Reichspropagandaamt Wien und Gauleiter Bürckel) gegen die RSK auszuspielen, ohne Erfolg. Nachdem Jantsch aber noch immer nicht die Bezahlung vorgenommen hatte, wurde die Gestapo vom Propagandaministerium in Berlin beauftragt, die Schließung vorzunehmen. Dies geschah am 7. April 1939. Der Zsolnay Verlag hatte nun so lange geschlossen zu bleiben, bis sich der Verwaltungsrat über die Person eines dem Herrn Goebbels genehmen Treuhänders oder Geschäftsführers geeinigt hätte. Verwaltungsratsmitglied O.E. Groh schlug Stebich Herrn SA Sturmbannführer Dr. Hanns Schopper vor.[57] Dieser war „der Gaupresseamtsleiter von Niederdonau, verdientes illegales Parteimitglied, moralisch und menschlich vollkommen einwandfrei, außerdem auch Mitglied der Fachschaft Verlag in der RSK“. Schopper gehörte zum engen Freundeskreis um Hermann Stuppäck und wurde wohl deswegen nun „zum einstweiligen Geschäftsführer bestellt“.[58] Zwei Tage nach dieser Bestellung befand (am 13. April 1939) das Propagandaministerium in Berlin, daß Schopper als Geschäftsführer nicht in Betracht komme. Und außerdem: Die Schließung des Verlags bleibe solange aufrecht, als Jantsch im Verwaltungsrat tätig sei.

Aber es gab während jener „Scheinarisierung“ nicht nur mehrfache gesetzliche Unterlassungen, wie sie Stebich schilderte. Auf Grund seiner verläßlichen Informationen über die Vorgänge im Verlag zwischen März 1938 und März 1939 waren die praktizierten Geldsitten als eher locker zu bezeichnen und die allgemeine Entwicklung nicht nationalsozialistisch.[59] Außerdem war Jantsch zwar als „Schriftsteller“ RSK-Mitglied, doch hatte er sich nicht um Mitgliedschaft in der Fachschaft Verlag der RSK gekümmert. Auch Geschäftsführer Dietl hatte ein Jahr lang nicht um die entsprechende Mitgliedschaft angesucht. „Eine Aufnahme wäre auch nicht in Betracht gekommen, da er absolut keine Vorbildung für die Führung eines Verlages besitzt“ (Stebich).[60] Jantsch durfte ja auch nicht „auf Jahre hinaus Schuldner und Ratenzahler eines Juden sein“ (Stebich).

Nach Ansicht Stebichs war das Weiterverwenden von Felix Kostia-Costa im Verlag „eine schwere Belastung“. Der am 30.8.1887 in Wien geborene Costa, der 1919 den „Ilf-Verlag“ mitbegründete, war der literarische und finanzielle Leiter bzw. Direktor des Zsolnay Verlags und die eigentliche „Seele“ des literarischen Erfolgs. Nach dem „Anschluß“ war er kaufmännischer Leiter, bis er unter dem Druck, den die RSK nunmehr auf den Verlag ausübte, am 31. März 1939 entlassen wurde. Nun war Costa zwar römisch-katholisch, aber „Halbjude und mit einer Volljüdin verheiratet“. Nach dem Ausscheiden Zsolnays blieb Costa mit Wissen des Dr. Jantsch in schriftlicher Fühlung mit dem „früheren“ Inhaber. Es ist nicht überraschend, daß Jantsch von den Herren Bischoff und Ihde in der RSK wiederholt gedrängt wurde, Costa zu entlassen, „weil es nicht angehe, daß in einem kulturkammerpflichtigen Betriebe ein nach den Nürnberger Rassengesetzen als Jude geltender Angestellter tätig sei“ (Stebich, 12.4.1939). Genausowenig kam eine Anmeldung Costas in die Gruppe Verlag der RSK in Betracht.[61] Ende August 1941 wurde er zusammen mit seiner Gattin und seinem 12jährigen Sohn, Karl Hans, nach Minsk deportiert. Nach dem Krieg wurde er offiziell für tot erklärt.

Als nächstes wurde sodann Dr. Wilhelm Hofmann zum Treuhänder des Zsolnay Verlags bestellt und am 23. Mai 1939 ins Handelsregister eingetragen. Der seinerzeitige Beschluß der VVSt, mit welchem Jantsch die Übernahme des Paul Zsolnay Verlags bewilligt wurde, wurde – zumal eine „Scheinarisierung“ vorläge – wieder rückgängig gemacht. Dem Treuhänder oblag es nun, Ordnung in das organisatorische und finanzielle Chaos zu bringen. Hofmann amtierte noch bis Juni 1940.

Ohne daß „Inhaber“ Jantsch den Verlag aufgegeben hätte, gab es Anmeldungen von interessierten Käufern im Juni 1939. Laut Unterlagen der RSK in Wien hätten vier „Verleger“ Interesse am (rechtmäßigen) Erwerb des Paul Zsolnay Verlags gezeigt:

1) Karl Konrad Bauer, der 29jährige Inhaber des Adolf Luser Verlags[62]
2) der 31jähnge Erich Landgrebe, Schriftsteller und Geschäftsführer des Zsolnay Verlags
3) Hans Misar, Geschäftsführer des ‚Verlags „Das ‚Bergland-Buch“’ in Salzburg
4) der 44jährige Eugen Swoboda, Inhaber der F. Speidel’schen Verlagsbuchhandlung

Außerdem hatten sich zwei Interessenten aus dem Altreich gemeldet. Das Interesse hielt noch im November 1939 an: hinzu kamen zwei weitere Bewerber, darunter einer aus Wien, und zwar ein Herr Emil Kleibl in Zusammenarbeit mit Erich Landgrebe. Kleibl war zwar nicht aus der Verlagsbranche, aber trotzdem noch 1939 kommissarischer Verwalter und Abwickler des Herbert Reichner Verlags.

Die Besitzverhältnisse waren also noch immer nicht geregelt, obwohl noch allerhand Jonglieren mit den Aktien stattgefunden hatte. Am 21. Juli 1939 wurden die Zsolnay Verlags-Aktien durch die Gestapo aus dem Depot Jantsch’ bei der Länderbank in Wien behoben und galten danach als „verschwunden“.

Auf Dr. Hofmann folgte ein Steuerberater und Rechtsanwalt namens Dr. Oskar Samesch, der nach drei Monaten wieder von Hofmann abgelöst wurde.

Fast drei Jahre nach Übernahme des Zsolnay Verlags durch Jantsch und Konsorten wurde nun hochoffiziell versucht, reinen Tisch zu machen, denn trotz „jüdischen“ Namens produzierte der Zsolnay Verlag weiter und machte beträchtliche Umsätze (1940: ca. 1,200.000 RM; 1941: ca. 1,600.000 RM).[63] Die Bemühungen sind in einem Aktenvermerk der RSK (Herrn [Wilhelm] Ihde zur Kenntnis) festgehalten.

Am 6. März 1941 fand eine Art „Gipfeltreffen“ in Wien zum Thema Zsolnay Verlag unter der Leitung des Leiters des Reichspropagandaamts Wien, Gebietsführer Kauffmann, statt. An der Sitzung nahmen u.a. teil: Vertreter des Gaurechtsamts, der VVSt, des Reichswirtschaftsministeriums, der Gestapo, des Propagandaministeriums, des Gaugerichts, des Zsolnay Verlags und der RSK.[64]

Zweck der Sitzung war, „ein klares Protokoll der Vorgänge in dieser Sache aufzustellen, damit er [Gebietsführer Kauffmann] es dann dem Reichsstatthalter von Schirach vorlegen könne“ (ebda.). Es wurde zunächst kritisiert, daß die Beamten der VVSt in der Sache Jantsch „recht unklar gehandelt“ hätten. Auch spielte „seine [Jantsch] unklare Handlung gegenüber dem Juden Zsolnay eine große Rolle, die auch in einem Parteigerichtsverfahren verhandelt wurde“(ebda.).[65]

Da „eine restlose Arisierung effektiv noch nicht erfolgt wäre“, hatte nun der Reichswirtschaftsminister verfügt, daß der Paul Zsolnay Verlag zu liquidieren sei. Dem stand aber das Faktum entgegen, daß der Verlag „zur Zeit sehr aktiv ist“.[66] Es sollte also auf einen Zeitpunkt gewartet werden, wo Passiva und Aktiva ziemlich ausgeglichen seien, wofür es allerdings kein Anzeichen gab. Es gab aber eine andere Lösung:

Es liegt nun allerdings im Interesse des Reichsstatthalters von Wien, daß der Zsolnay Verlag zwar unter einem anderen Namen, aber doch möglichst mit dem Teil der Autoren, der heute zu verantworten, weiterbesteht und weiterarbeitet. (Protokoll, ebda.)

Man war sich im Falle einer Liquidation der Gefahr bewußt, daß die Autoren aus ihren bisherigen Verlagsverträgen herausspringen könnten, was dem „Anwärter“ schaden würde. Obwohl über diesen nicht gesprochen wurde, stand der Name wahrscheinlich schon fest. Somit dürfe man

erwarten, daß in nicht allzu ferner Zeit der Zsolnay Verlag unter diesem Namen verschwindet und ein neuer Verlag unter Leitung von Fachmännern mit Hilfe der wertvollen Autoren des Zsolnay Verlages zu arbeiten beginnen wird. (Protokoll, ebda.)

Kurz darauf erschien eine Verordnung bezüglich der Änderung jüdischer Firmennamen,[67] die das Weiterverwenden des Namens Paul Zsolnay Verlag unmöglich gemacht hätte.

Offensichtlich ohne Wissen der Herren in der RSK hatte der Verlag den Besitzer gewechselt. Der Schriftleiter Hermann Hess teilte der RSK Berlin am 14. April 1941 mit, daß er die Gesamtaktien des Zsolnay Verlags von dem bisherigen Inhaber Jantsch erworben hätte.[68] Hess war aber nur einige wenige Tage lang Besitzer, denn er erfuhr, daß der Leiter des Reichspropagandaamts Wien, Günter Kauffmann, den Treuhänder des Zsolnay Verlags beauftragt hätte, die in Hess’ Besitz befindlichen Aktien an Karl H. Bischoff, Berlin, abzutreten. Verständlicherweise vermutete Hess ein gesetz- und rechtswidriges Vorhaben.

Es herrschte Unklarheit darüber, wer hier das unbehinderte Verkaufsrecht habe. Zumal aber die Leitung des Verlagsunternehmens unter einem Treuhänder stand, war Aktienbesitzer Jantsch nach dem Gesetz nicht (mehr) befugt, den Verlag zu veräußern. Nach der Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich (G.Bl. Nr.633/1938), nach der Treuhänder von der Vermögensverkehrsstelle eingesetzt werden konnten, war der Zsolnay-Treuhänder „zu allen gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen ermächtigt, die der Betrieb des betreffenden Unternehmens, seine Abwicklung oder Veräußerung erforderlich machen“. Wie dem auch sei, Hess zog mit seiner Bitte an die RSK um Unterstützung den kürzeren.[69] Die Umstände um den nächsten Besitzerwechsel blieben nicht weniger dubios. Am 1. September 1941 schloß Zsolnay-Treuhänder Hofmann mit Karl H. Bischoff, „Buchhändler in Berlin-Rahnsdorf“ einen Kaufvertrag ab. Am 16. September wurde ein Antrag bei der Abwicklungsstelle der VVSt in Wien gestellt, und am 30. September wurde folgendes genehmigt:

die Veräußerung des gesamten Verlagsunternehmens der Paul Zsolnay Verlag Aktiengesellschaft, Wien IV., Prinz Eugenstraße 30, samt Aktiven und Passiven, insbesondere mit allen Rechten und Pflichten aus den bestehenden Verlagsverträgen nach dem Stand vom 19. April 1939 an Karl Heinrich Bischoff, Buchhändler in Berlin-Rahnsdorf, Buriger Weg 5.
Der Kaufpreis wird mit RM 41.561.82 (…) bestimmt und bleibt die Bestellung einer Auflage vorbehalten.[70]

Diese Kaufsumme als „Okkasionspreis“ zu bezeichnen, wäre eine gewaltige Untertreibung. Der Preis war bloß 1/14 des Betriebskapitals (zum Stand vom 31. Dezember 1940), das nun in den Besitz Bischoffs überging, und zwar rund RM 590.000. Und bis zum Tage der offiziellen Übernahme am 1. Oktober 1941 kann man sicher sein, daß der kapitalmäßige Wert noch wesentlich höher anzusetzen war. Um nicht ganz 42.000 RM hatte Bischoff ein Unternehmen übernommen, dessen Umsätze – trotz des Kriegs oder gar wegen des Kriegs – im Steigen waren und mit mindestens rund 100.000 RM monatlich eingeschätzt wurden.[71]

Bei der „Neugründung“ des Karl H. Bischoff Verlags (ab Oktober 1941) stellte sich heraus, daß Bischoff ganz schön abschöpfte.[72] Die „neue“ Firma wurde am 19. Juni 1942 ins Wiener Handelsregister eingetragen. Die Paul Zsolnay Verlag-A.G. lebte indessen auf Papier weiter, zumal nicht alle handelsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt worden waren, um sie zu löschen. Der Antrag auf amtswegige Löschung erfolgte vom Finanzamt für Körperschaften Wien am 9. November 1942. Der letzte Treuhänder, ein Dr. Fritz Bauer, gab dem Handelsgericht bekannt, „daß diese Firma ihren Betrieb bereits seit langer Zeit eingestellt hat und daß sie kein wie immer geartetes Vermögen besitzt“.[73] Während erstere Feststellung unrichtig war, entsprach die zweite nur sehr indirekt der Wahrheit. Und ob noch ein Vermögen vorhanden war, konnte weder die RSK Wien noch die Industrie- und Handelskammer Wien einwandfrei feststellen.[74] Handelsrechtlich hörte der Zsolnay Verlag am 23. Februar 1943 auf zu existieren.

Der Verleger K.H. Bischoff brauchte sich mit seinem florierenden Unternehmen während der Dauer des Weltkriegs dank seinem ehemaligen Brotgeber, der RSK, keine Sorgen zu machen. Sein Verlag wurde nämlich zu einem Zeitpunkt, als der totale Kriegsseinsatz erforderlich war, nämlich im August 1944, von dieser als „kriegswichtig erklärt“ und „von der Stillegung nicht betroffen“:[75]

(…)
Ich erwarte, daß Sie Ihre weitere Tätigkeit als Kriegsdienst auffassen und von sich und Ihrer auf das Mindestmaß zu beschränkenden Gefolgschaft ein Höchstmaß von Leistung fordern.
Im Auftrage:
gez. Gentz (ebda.)

Der Karl H. Bischoff Verlag nahm den Kriegsdienst sehr ernst und wird dabei finanziell gut abgeschnitten haben:

Wir haben ständig eine Reihe wichtiger Aufträge für die geistige Truppenbetreuung sowohl unmittelbar für das OKW. und für die Organisation Todt, wie für die einzelnen Wehrmachtsteile und die Waffen-SS zu erledigen. Wir haben ferner im Auftrage des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda laufend eine große Anzahl von Feldpostausgaben für die Soldaten herzustellen. (…)[76]

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte der Karl H. Bischoff Verlag in Wien eine ganze Reihe von öffentlichen Verwaltern, bis er am 7. Februar 1958 aus dem Handelsregister Wien gelöscht wurde. Im Jahre 1946 wurden durch die Gründung der Paul Zsolnay Verlag Ges.m.b.H. die alten Rechtsverhältnisse wieder hergestellt.

Und nun wenden wir uns einem Fall von „Arisierung“ zu, der weitaus weniger kompliziert war und die Prozedur klar zeigt.

b) Arisierung am Beispiel E.P. Tal & Co. Verlag

War der Zsolnay Verlag ein Beispiel für die „Arisierung“ sozusagen von außen, so waren der E.P. Tal & Co. Verlag und der Saturn-Verlag Beispiele für „interne“ Arisierung, wodurch die Einsetzung eines kommissarischen Verwalters überflüssig war.

Seit dem Gründungsjahr 1919 hatte der Wiener Verleger Ernst Peter Tal seinen Verlag, von gelegentlichen Kapitalbeteiligungen (stille Teilnehmer) in den 20er Jahren (z.B. Carl Seelig) abgesehen, als Alleininhaber geführt. Kurz nachdem er Ende November 1936 unerwartet starb, bestand mit dem 1902 in Saarbrücken geborenen Reichsdeutschen Dr. Alfred Ibach nach dessen eigener Angabe ein Beteiligungsverhältnis seit Anfang 1937 mit Optionskaufrecht.[77] Ibach hatte Kunstgeschichte und Germanistik studiert, als Regieassistent in Frankfurt (Schauspielhaus), ab 1927 als Mitarbeiter und Dramaturg am Deutschen Theater und an der Volksbühne in Berlin gearbeitet, Kurzgeschichten und Gedichte veröffentlicht sowie als Übersetzer gearbeitet. Anfang 1936 war er nach Wien gekommen.

Als Universalerbin übernahm die Witwe Ernst Peter Tals, Lucy Tal (* 1896), die Konzession und den Verlag bis zur Beendigung der Verlassenschaftsabhandlung. Am 14. März 1938 hatte Lucy Tal eine Vollmacht, die „insbesondere auch für Löschungen und Neueintragungen bei der Firma E.P. Tal & Co.“ galt, für den Rechtsanwalt und Schriftsteller Dr. Hugo Wolf (1888-1946) unterschrieben.[78]

Seit dem 19. März 1938 leitete also Dr. Alfred Ibach den Tal Verlag. Im Laufe der nächsten paar Wochen kam ein Kaufvertrag zwischen Ibach und Wolf (für Lucy Tal) zustande. Wolf „bestätigte“ den Verlag samt Text in einem Schreiben an Ibach am 12. Mai. Ibach übernahm hiernach sämtliche Rechte und Pflichten des E.P. Tal & Co. Verlags. Der auf Grund der per 31. März 1938 erstellten Bilanz vereinbarte „Kaufpreis“ betrug 13.333 RM und sollte in Monatsraten in der Höhe von 350 S = 233.33 RM „zu meinen Händen“ (Vertragstext), also zu Händen Lucy Tals bzw. Wolfs, abgestattet werden. Auf Grund dieser sehr kulanten Bedingungen hätte die Abzahlung ganze 57 Monate – fast fünf Jahre – und bis Mitte 1943 gedauert. Nun hatte Ibach also „diesen Verlag vorbehaltlich der Genehmigung seitens der Reichsstatthalterei sowie der Reichskulturkammer gekauft“. Ibach im Ansuchen um Genehmigung der Geschäftsübertragung vom 14. Mai 1938 an die Reichsstatthalterei:

Frau Lucy Tal ist Nichtarierin, ich bin Arier. Ich hatte bereits seit Jahresfrist die Absicht, den gegenständlichen Verlag nach Erledigung des Verlassenschaftsverfahrens käuflich zu erwerben und bin seit der genannten Frist auch finanziell als stiller Teilhaber beteiligt, um das Unternehmen kennen zu lernen.[79]

Aber zwei Wochen später hatte Ibach die Genehmigung noch nicht erhalten, und aus diesem Grund wandte er sich – naiven Glaubens – an die VVSt mit der Bitte um „beschleunigte Erledigung“ seines Gesuches:

Es handelt sich im vorliegenden Falle um ein Verlagsunternehmen, welches ungeachtet der tatsächlichen Leitung seit 19.III.38 durch mich als Arier formell solange als nichtarisches gilt, als die Genehmigung der Übertragung durch die Vermögensverkehrsstelle und sohin die Bewilligung der Konzessionsübertragung nicht vorliegt.

Da vor Erreichung dieser Genehmigung die Inserierung im Börsenblatte des Deutschen Buchhandels einerseits nicht zulässig ist, diese Inserierung jedoch andrerseits für die ungestörte, geschäftliche Fortentwicklung des Unternehmens die Voraussetzung bildet, bitte ich um eine beschleunigte Erledigung (…).[80]

Diesmal legte er zwei wichtige, ausgefüllte und an die VVSt adressierte Formulare bei:

1. „Ansuchen um Genehmigung der Veräußerung“, unterschrieben von Dr. Hugo Wolf am 31. Mai 1938
und
2. „Ansuchen um Genehmigung der Erwerbung“, unterschrieben von Dr. Alfred Ibach am 30. Mai 1938

Auf das „dringende“ Gesuch hin erhielt Ibach erst im August dieses Jahres eine Nachricht: der Kaufvertrag sei von der RSK Berlin abgelehnt worden (Aktennotiz, 10. August 1938):

Der Verlag E. P. Tal & Co. ist zwar zu arisieren, doch müssen andere Voraussetzungen geschaffen werden.
Eigene Beanstandung: Keine Zinsen, kürzere Raten
Neuer Kaufvertrag ist abzuwarten.[81]

Auf Weisung der RSK kam Ibach dem Ersuchen nach, doch verstrichen weitere Monate, Monate, in denen der designierte Besitzer trotz Veröffentlichung eines kleinen Verlagsverzeichnisses „im Mai 1938“ unter dem Firmennamen E.P. Tal noch immer nicht befugt war, die Verlagsarbeit aufzunehmen, und daher zur Untätigkeit verurteilt war. Mitte Oktober 1938 wurde mitgeteilt, daß der beabsichtigte Kaufabschluß zwischen Lucy Tal und Dr. Alfred Ibach „nicht genehmigt“ werde. Endlich, am 14. Dezember 1938, schrieb der Geschäftsführer der Gruppe Buchhandel in der RSK Landesleitung Österreich, Karl Zartmann, an die VVSt, daß der Reichspropagandaminister den Kaufvertrag des Herrn Ibach genehmigt habe. Nun waren also in den vorangegangenen 9 Monaten seit der „Übernahme“ drei „Arisierungshürden“ passiert: 1. Kaufvertrag, 2. Genehmigung der Veräußerung und 3. Genehmigung der Erwerbung. Aber es erhebt sich langsam die Frage, wozu alle diese Genehmigungen gut waren und warum auf so umständliche Weise der Schein einer ordentlichen Geschäftstransaktion vor allem mit einem „Verkäufer“, der rechtloser Jude war, aufrechterhalten wurde. Denn ein Kauf dürfte in diesem und anderen Fällen kaum freiwillig zustande gekommen sein, und bis alle – letzten Endes – Scheinhandlungen erledigt waren – war der jüdische Verkäufer ohnehin völlig entrechtet, ausgebeutet, außer Landes oder tot. So gesehen hatte die ausgehandelte „Kaufsumme“ ihre Bewandtnis: wer fliehen konnte, den kümmerte die „Kaufsumme“ nicht mehr, und selbst dann: Was hatte er davon, wenn er ganze 10 RM mitnehmen durfte?

Die nächste Hürde für die Arisierung des E. P. Tal Verlags betraf die Person des Käufers. Am 16. Jänner 1939 richtete die VVSt einvorgedrucktes Formschreiben an die Kreisleitung der NSDAP, Kreis I, Wien mit der Bitte um Erhebungen „über die politische und charakterielle [sic!] Eignung des Kaufwerbers“. Die Kreisleitung sprach sich gegen, die RSK und das Reichspropagandaamt Wien für Ibach aus. Am 7. Februar 1939 richtete das Reichspropagandaamt Wien folgendes bemerkenswerte Schreiben an die VVSt in Sachen Übernahme des Verlags durch Ibach:

Der Herr Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda legt Wert darauf, daß dieser Verlag durch Dr. Ibach möglichst bald übernommen werden kann. Ich bitte daher, den Akt einer raschen Erledigung zuzuführen.
(…)
Im Auftrag:
Dr. Gast. [82]

Nur: es mußte alles erst seinen bürokratischen Lauf nehmen … Der Antrag Ibachs vom 30. Mai 1938 wurde am 14. Februar 1939 gemäß Art. I, § 1 des Gesetzes vom 27. April 1938, GBl. Nr. 103/38 genehmigt.

Ende März 1939 nach einem Jahr Übernahmsprozedur bereitete die VVSt die nächste Hürde vor: der Leiter der Abteilung Auflagenberechnung ordnete die Bestellung eines Wirtschaftsprüfers an, der die Gebarung und die Bilanzen überprüfen sowie den Status, Sachwert und Verkehrswert per 14. Februar 1939 feststellen sollte. Doch der Auftrag wurde erst am 6. Juli erteilt und der Bericht am 26. Juli 1939 erstattet. Hauptergebnis: Der Sachwert der Firma E.P. Tal war null. Mittlerweile konnten Inhaber und Firma E.P. Tal aus dem Handelsregister (Reg. A 39, 102, umgeschrieben nach HRA 4474) gelöscht und der neue offizielle Besitzer, Ibach, und die „neue“ Firma „Alfred Ibach Verlag“ eingetragen werden.

Infolge der eineinhalb Jahre „Arisierung“ war der E.P. Tal & Co. Verlag (und nunmehrige Alfred Ibach Verlag) nach einem Durchschnittsumsatz zwischen 1935 und 1937 von 112.050 S und einem durchschnittlichen Reingewinn von 10% nichts mehr wert und noch dazu: überschuldet. Vor dem „Anschluß“ lagen die Aktiva um 13.268,28 RM höher als die Passiva. Dafür war aber der „vereinbarte Kaufpreis“ im Dezember 1938 verringert worden, als Dr. Hugo Wolf und Ibach mündlich übereinkamen, den Verkauf statt durch Ratenzahlung durch eine einmalige Barzahlung von 4.500 RM durchzuführen. Aber auf Grund des Berichts des Wirtschaftsprüfers war der Verlag zu 3.455,88 RM überschuldet.

Der vorläufige Schlußstrich unter der Arisierung des E. P. Tal Verlags erfolgte in Form der vorgedruckten „Verfügung“ der VVSt vom 21. September 1939. Ibach, dessen Verlagsgeschäft die Arisierungsbürokratie nun 1½ Jahre lang geschädigt hatte, erlebte nun eine böse Überraschung:

(…)
Auf Grund der Ihnen am 14. Feber 1939 erteilten Genehmigung zum Erwerbe und zur Übernahme obgenannter Firma und der von Ihnen durch Ihre Unterschrift mit Rechtsverbindlichkeit zur Kenntnis genommenen Grundsätze für die Berechnung des Wertausgleiches haben Sie als Entjudungsauflage einen Betrag von RM 4.482.- (in Worten: Viertausendvierhundertachtzigzwei) binnen 4 Wochen vom Tage des Erhaltes dieser Bemessung auf das Postsparkassen- Konto Nr.6526, Österr. Kontrollbank für Industrie und Handel, Abt. C, Wien, zur Einzahlung zu bringen. Die Zahlung kann durch Zwangsvollstreckung erzwungen werden. Die Höhe des Wertausgleiches wurde auf Grund des von der Vermögensverkehrsstelle eingeholten Wirtschaftsprüfergutachtens wie folgt ermittelt:
Durchschnittsumsatz der Jahre 1935-37 75.700,–
Branchenübliche Reingewinnquote 10%
Überschuldung RM 3.549,88
Bilanzsumme RM 58.959,12
Vereinbarter Kaufpreis RM 4.500,–
Zugelassener Kaufpreis RM– 0–
Mehrwert laut Formel RM 7.470,–
Auflage 1.) Unterschied zwischen
Kaufwert und Kaufpreis) RM ………………
Auflage 2.) 60% des Mehrwertes RM 4.482,-
Gesamtauflage RM 4.482,– [83]

Nach erzwungenem Verzicht auf die Ausübung der Verlagstätigkeit mußte Ibach nun der „Allgemeinheit“ eine „Entjudungsauflage“ zahlen, die – aus historischer Perspektive – eine Art „retributive justice“ darstellt. Da aber der „zugelassene Kaufpreis“ mit RM Null festgesetzt ist, fiel der „Entjudungserlös“ fort. Denn sonst hätte er ja

auf Grund des § 15, Absatz 1 der Kundmachung vom 3. Dezember 1938 Gbl. f. d. L. Öst. 633/38 auf ein auf den Namen des Verkäufers lautendes gemäß § 59 ff des Devisengesetzes gesperrtes mit der Bezeichnung „Entjudungserlös“ versehenes Konto bei einer in der Ostmark geführten Devisenbank zu bezahlen, über welches nur mit Genehmigung der Devisenstelle Wien, Überwachungsabteilung, verfügt werden darf.
(Text des Vordrucks „Verfügung“)

Das hieß im Klartext, daß – stellvertretend für viele andere Fälle – der bisherige Inhaber den Verlag nicht nur verlor, sondern auch nicht entschädigt wurde. Die ehemalige Inhaberin war jahrelang nicht mehr im Lande Österreich, und selbst derjenige, der für sie den „Verkauf“ arrangierte, Dr. Hugo (Israel) Wolf, war emigriert. Also kassierte der Staat …

Nach Erhalt der „Verfügung“ dürfte Ibach viel Lust am „Arisieren“ vergangen sein. Er richtete Anfang Oktober 1939 eine „Beschwerde“ an die VVSt wegen der vorgeschriebenen „Entjudungsauflage“ von 4.482 RM. Diese „Beschwerde“ ist sehr aufschlußreich für die Entwertung eines zu arisierenden Verlags und soll hier deshalb auszugsweise zitiert werden:

Der Auflagenberechnung wurde ein Durchschnittsumsatz von Rm 75.700.-, welcher von der jüdischen Firma in den früheren Jahren erzielt wurde, zu Grunde gelegt. Der Verlag verlegte in den früheren Jahren zum großen Teil Bücher nichtarischer oder nicht reinarischer und Kriminalromane zum Teil englischer Autoren.
Nach dem Umbruch und der Übernahme des Verlages durch mich waren nicht nur die Bücher jüdischer Autoren, sondern auch die Verlagsrechte wertlos geworden und der Umsatz beschränkte sich fast ausschließlich auf billige Kriminalromane. Durch diesen Umstand ist eine bedeutende Umsatzverminderung im Jahre 1938 eingetreten.
Es wurde von mir von April bis Dezember 1938 nur ein Umsatz von Rm 33.272.60 erzielt. Eine Gegenüberstellung dieses Umsatzes und der Verlagsspesen, ohne allgemeine Regie und Vertriebsspesen zeigt bereits einen Bruttoverlust von Rm 6.400.- rund. Die allgemeine Regie und die Vertriebsspesen beliefen sich im Jahre 1938 auf RM 16.138.-, sodaß sich ein sehr großer Verlust ergab.
Zu Beginn des Jahres 1939 hat sich der Umsatz zufolge von mir erworbener Neuerscheinungen erhöht. Diese Umsatzerhöhung ist ausschließlich auf neu erworbene Verlagsrechte zurückzuführen und kann bei der Auflagenberechnung auf keinen Fall berücksichtigt werden. Das von der Firma E.P. Tal & Co. übernommene Geschäft schrumpft ständig mehr ein und es sind derzeit auch die meisten ausländischen Rechte als wertlos zu bezeichnen, ebenso wie die übernommenen und noch unverkauften Büchervorräte, welche eine ziemlich große Bilanzpost ausmachen.
Aus den angeführten Gründen ergibt sich, daß ich bei der Übernahme des Verlages (es war eine Überschuldung vorhanden und außerdem sind nunmehr alle Büchervorräte und Rechte als wertlos zu bezeichnen) einen großen Kapitalverlust erlitten und keinerlei ideelle Werte übernommen habe. (…)[84]

Der Akt der VVSt sagt nichts darüber aus, ob der Beschwerde dann stattgegeben wurde. Im selben Jahr nahm Ibach die Produktion auf, u.a. mit einem finanziellen Grundpfeiler des ehemaligen E.P. Tal Verlags, der Reihe von höchst erfolgreichen Kriminalromanen „Die rotblauen Bücher“. Im Laufe des Jahres 1940 gab der Alfred Ibach Verlag 16 neue Werke heraus.[85] Es ließ sich zwar nicht ermitteln, wie lange noch der Verlag tätig war, doch kann angenommen werden, daß er nach 1941 stillgelegt wurde. Der Antrag auf Löschung des Alfred Ibach Verlags wurde, nachdem Ibach am 16. Juni 1948 verstorben war, im Dezember 1949 gestellt. Die Löschung erfolgte am 26. Juni 1950.

c) Arisierung am Beispiel Saturn-Verlag[86]

Der „Saturn-Verlag“ von Dr. Fritz Ungar ist ein weiteres Beispiel für „interne“ Arisierung und zeigt zugleich, wie man lediglich den Mantel des „jüdischen“ Verlags übernehmen und dennoch in die Schrifttumsmaschinerie geraten konnte. Inhaber und Leiter des Saturn-Verlags war seit dem 8. April 1938 nicht dessen Gründer und bisheriger Inhaber Fritz Ungar, sondern Theo L. Görlitz (* 1908). Görlitz, von dem bereits in Zusammenhang mit der vermeintlichen Einstellung von nationalsozialistischen Kommissären in österreichischen Verlagen 1935 die Rede war, hatte gar im ersten Jahr seines Aufenthaltes in Wien, 1936, nach Referententätigkeit in der RSK Berlin, den Julius-Reich-Preis erhalten. Wie nun die „Arisierung“ vor sich ging und warum ausgerechnet Görlitz der neue Inhaber wurde, erklärte der heute in New York lebende und erfolgreiche amerikanische Verleger Frederick Ungar folgendermaßen:

Since he was the only non-Jewish employee, there was simply no one else to carry on. Also, since my books were largely by Jewish, liberal, or socialist authors, my assets had considerably shrunk.
Görlitz had no money to compensate me. Also, no compensation would have done me any good. I had to leave the country with only ten marks.[87]

Auch in diesem Fall war also der Sachwert des Verlags durch den Nazi-Einmarsch erheblich verringert worden. Und wie Ungar indirekt andeutet, war die ganze „Arisierung“ mit „Kaufpreis“ und dgl. eine bürokratische Farce, denn Entschädigung für den ehemaligen Inhaber gab es keine.

Als Görlitz im Begriff war, eine neue, alte protokollierte Firma (Nunmehr: Saturn-Verlag Theo L. Görlitz) ins Handelsregister eintragen zu lassen, erhielt er Anfang Juli 1938 die strikte Aufforderung von der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels (Abteilung der RSK) in Berlin, „umgehend zwei vollständige Verlagsverzeichnisse an die Abteilung Sonderkontrolle der Wirtschaftsstelle zu senden“.[88] Die Sekretärin von Görlitz befolgte die Aufforderung sofort und schickte die noch vorhandenen Verlagsprospekte – de facto die Anmeldung der Verlagswerke – nach Berlin. Und damit fingen die Mißverständnisse richtig an. Denn es ging hier um einen Antrag hinsichtlich Buchexportsausgleichsverfahren, und es schien so, als ob Görlitz nun „belastete Bücher“ anmelden wollte. Um das Mißverständnis zu beseitigen, mußte Görlitz darauf hinweisen,

daß es sich hier um die Verlagsverzeichnisse der bisherigen Produktion des Verlages handelt. Der Verlag war vor dem Anschluß Österreichs in jüdischen Händen und ging am 8. April 1938 in arische Hände durch ordnungsgemäßen Kauf über. Alle Schritte zur Legalisierung der Arisierung wurden bei den zuständigen Stellen und zwar insbesondere beim „Reichspropagandaamt für das Land Österreich“, das die Genehmigung bereit erteilt hat, und bei der Vermögensverkehrsstelle eingeleitet; die Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle dürfte nunmehr in Kürze erfolgen.
Die frühere Verlagsproduktion wird von uns, soweit sie nicht beschlagnahmt wurde, liquidiert und größtenteils im In- und Auslande verramscht. Soweit wir unbelastete Werke der früheren Verlagsproduktion zum normalen Preise in das Ausland verkaufen oder verkauft haben, werden wir in ordnungsgemäßer Weise um die Exportvergütung ansuchen.
Wir möchten aber nochmals ausdrücklich darauf hinweisen, daß unser nunmehr rein arischer Verlag in diesen Tagen mit einer völlig neuen Produktion herauskommen wird, die den Forderungen der Deutschen Schrifttumspolitik und den Bestimmungen der Deutschen Reichsschrifttumskammer entspricht. Über diese neue Produktion wird in Kürze auch ein neues Verlagsverzeichnis erscheinen, das wir Ihnen unmittelbar nach dem Erscheinen zusenden.
Heil Hitler (ebda.)[89]

Görlitz mußte zusätzlich noch den Widerstand der RSK in Wien überwinden. Der Geschäftsführer der Abteilung Buchhandel machte die Tatsache deutlich, daß nicht ein jeder nichtarische Verlag zu arisieren bzw. zu erhalten sei:

1. Der Ankauf des Saturn-Verlages ist Ihre Privatangelegenheit. Ich habe mich damit in jeder Weise abgefunden, Ihnen lediglich zu verstehen gegeben, daß der Verlag als solcher in keiner Weise erhaltungswürdig war. Wenn ich trotzdem den Ankauf zustimmend zur Kenntnis nahm, so aus dem Grunde, weil ich Ihnen keine unnötigen Schwierigkeiten machen will.[90]

Am 19. September 1938 reagierte Görlitz auf den Brief Zartmanns folgendermaßen:

In Punkt I Ihres Schreibens bemerken Sie, daß der Saturn-Verlag in keiner Weise erhaltungswürdig war. Ich gebe Ihnen, was die Produktion des Saturn-Verlages anlangt, vollkommen recht und habe dem ja auch dadurch Rechnung getragen, daß ich diese Produktion bis auf wenige, völlig unangetastete Bücher restlos liquidiere und mit einer völlig neuen Produktion beginne. Andererseits hätten eine große Anzahl rein arischer Gläubiger ihre gesamten Gelder verloren, wenn der Verlag restlos liquidiert worden wäre. Ebenso hätten die Angestellten ihre Stellung verloren. Es war also gewiß für die deutsche Wirtschaft nur förderlich, das Unternehmen auf diese Weise zu halten, wie ich es getan habe. Ich bin darüber unterrichtet, daß man zahlreiche andere jüdische Unternehmungen, die vom kulturellen Standpunkt aus auch nicht erhaltungswürdig waren, aus wirtschaftspolitischen Gründen erhalten hat.
(…)

Am 21. Oktober 1938 – der Erwerb durch Görlitz war von der VVSt bereits genehmigt worden – wurde die „neue“ Firma Saturn-Verlag Theo L. Görlitz ins Wiener Handelsregister eingetragen. Ob Görlitz nun eine „völlig neue Produktion“ herausbrachte, war nicht zu ermitteln. Zwischen April und Juni 1938 verlegte Görlitz lediglich eine seit 1937 bestehende Publikation Theater der Welt. Zeitschrift für die gesamte Theaterwelt. Mit Heft 6 (1938) ging die Zeitschrift ein. Mit Sicherheit kann gesagt werden, daß der Verlag ab Anfang 1940 nicht mehr tätig war.[91] Görlitz mußte einrücken, und sein Sterbedatum wird mit 1. Februar 1943 (vermißt) im „Kürschner“ angegeben.

Der Saturn-Verlag Theo L. Görlitz wurde – offensichtlich weil „Karteileiche“ – am 1. Oktober 1953 von amtswegen aus dem Wiener Handelsregister gelöscht.

d) Liquidierung am Beispiel des Bermann-Fischer Verlags

Zwei renommierte, in „jüdischem“ Besitz befindliche Wiener Verlage – der Bermann-Fischer Verlag und der Herbert Reichner Verlag – scheinen von vornherein zum Liquidieren bestimmt gewesen zu sein. Während die unzureichende Quellenlage es nicht zuläßt, die Weiterentwicklung des Reichner Verlags nach dem „Anschluß“ zu verfolgen, kann man die Ereignisse rund um den Bermann-Fischer Verlag einigermaßen zuverlässig rekonstruieren.[92]

Wie wir gesehen haben, war die „Arisierung“ eines „jüdischen“ Verlags für den Käufer ein bürokratischer und hürdenreicher Weg. Nicht weniger kompliziert war die Liquidierung. Es ist ein Paradoxon, auf das man immer wieder stößt: Einerseits hat man den vom Ideologisch-Kulturellen getragenen Wunsch, „jüdische Verlage“ möglichst rasch verschwinden zu lassen, andererseits die rechtliche Lage, die Bewahrung des Rechts im Geschäftsleben. Denn so einfach, wie sich etwa der NS-Gralshüter Will Vesper die Entjudung des Verlagslebens in Österreich vorstellte, war es nicht. Eine große Firma mit Aktiven und Passiven, mit Forderungen von Autoren wie von Druck- und Bindeanstalten, mit allerlei Verbindlichkeiten, mit Warenlager in Leipzig, in Wien und in der Schweiz, mit Lohn- und Abfertigungsansprüchen der Angestellten usw. ließ sich nicht über Nacht auflösen, selbst unter NS-Verwaltung. Es bestanden rechtmäßige Verträge mit Dutzenden von Autoren, und trotz der Verbote ihrer Werke, trotz ihrer Flucht in die Emigration und trotz der grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber jüdischen und/oder unerwünschten Autoren bestand eine Rechtsunsicherheit. Was sollte oder könnte geschehen, wenn diese ihre Rechte einklagen oder ihre Forderungen geltend machen würden? Kam es zu einem Konkurs oder zu einem Ausgleich, wurde im NS-Staat Österreich genauso „handelsrechtlich“ gehandelt wie zu „normalen“ Zeiten. Diese Prozedur nahm viel Zeit in Anspruch, und bevor es zum rechtlichen und amtlichen „Tod“ einer Firma – eben durch Löschung aus dem Handelsregister – kam, mußte der im Handelsrecht festgehaltene Weg auch eingehalten werden. Hieraus ist erst zu erklären, wieso z.B. der Bermann-Fischer Verlag erst nach sechs Jahren aufhörte, rechtlich zu existieren. Inzwischen war es gleich zweimal zum gerichtlichen Ausgleich gekommen, wobei man sich jedes Mal streng an das Gesetz hielt und z.B. die Gläubigeraufforderung in den 3 oder 4 hiefür vorgesehenen Publikationen bekanntmachte. Freilich hat das Datum der Löschung nichts mehr mit der realen Existenz eines Verlags zu tun.

Liquidierung Berman Fischer

Seit dem 16. März 1938 stand der BFV unter der kommissarischen Leitung von Alfred Böhme. Der Inhaber Dr. Gottfried Bermann war rechtzeitig – am 13. März – aus Wien geflohen und entging somit einer Verhaftung. Alles scheint darauf hinzudeuten, daß Bermann nun seinen Wiener Verlag völlig abschrieb und sich keine Illusionen machte, auf irgendeine Weise entschädigt zu werden.[93]

Einer, der den Ernst der Lage in Wien nach dem „Anschluß“ nicht nur völlig verkannte, sondern auch gewaltig unterschätzte, war der BFV-Autor Robert Musil. Wer seine Briefe aus den Jahren 1938/39 in Sachen Bermann-Fischer liest, lernt einen verbitterten Autor und weltfremden Menschen kennen, an dem die neuesten politischen Entwicklungen scheinbar spurlos vorübergegangen waren.[94] Vor allem seine maßlos unqualifizierten Vorwürfe gegen Bermann-Fischer stimmen objektiv bedenklich, so subjektiv gerechtfertigt sie aus Musilscher Sicht gewesen sein mögen. Während Bermann sich das Leben rettete, sah Musil nur die Zeit, „als Dr. B. seinen Verlag im Stich verließ“ (ebda., I, 855).

Als der Verlag durch den kommissarischen Verwalter Böhme übernommen wurde, stand er auf finanziell schwachen Beinen. Erst im September 1938, als die Bilanz für 1937 erstellt wurde, kam man darauf, daß die Firma überschuldet war. Inzwischen war Alfred Böhme über eigenes Ersuchen vom 28. Juli 1938 seiner Funktion als kommissarischer Verwalter des Bermann-Fischer Verlags und des Herbert Reichner Verlags enthoben worden. Mit 25. August 1938 wurde Böhme durch den 1903 in Wien geborenen Buchhändler Theodor Hahn jun. ersetzt.[95] Am 25. Februar 1939 stellte Hahn den Antrag auf Eröffnung des Ausgleichsverfahrens beim Handelsgericht und begründete diesen Schritt folgendermaßen: es sei

aus den angegebenen Verhältnissen [mangelhafte Buchhaltung, verspätete Bilanzerstellung] heraus nicht möglich, dem Unternehmen einen entsprechenden Umsatz zu verschaffen, sodaß es sich seit dem Umbruch im wesentlichen um eine bloße Aufrechterhaltung des Betriebes unter möglichster Ersparung unnützer Auslagen und Regien handelte. Da nun die schließlich erstellte Bilanz für 1937 passiv war und auch die bisherigen Ergebnisse für das Geschäftsjahr 1938 eine Unterbilanz erwarten lassen, so ist zweifellos die in der vorläufigen Vermögensaufstellung gegebene Überschuldung eingetreten. Die Gesellschaft kann ihren laufenden Fälligkeiten nicht mehr entsprechen, ist daher derzeit auch als zahlungsunfähig anzusehen.[96]

Laut „Ausgleichsantrag“ vom 25. Februar 1939 war der BFV mit 33.670 RM überschuldet. Etwas mehr als die Hälfte der Gläubigerforderungen an den BFV stammte von der Bermann-Firma in der Schweiz, der „A.G. für Verlagsrechte, Chur“.[97] Und es war eben über diese Firma, daß Bermann zumindest hoffen konnte, ein kleines Stück des Wiener Verlags indirekt zurückzubekommen. Insgesamt betrug die Forderung – sie bestand aus Darlehen, Zinsen und Autorenhonoraren – 1.938,98 RM. Sie wurde im Rahmen des Ausgleichs voll anerkannt.

Bevor die Tagsatzung stattfand, wurde der kommissarische Verwalter Hahn durch den Abwickler Dr. Gottfried Linsmayer ersetzt.[98] Nach dem vorläufigen Abschluß des Ausgleichsverfahrens im Mai 1939 – der Betrieb war endgültig im April 1939 stillgelegt worden – kam es zu einer höchst interessanten Vereinbarung zwischen dem BFV, Wien, d.h. dem Abwickler Linsmayer, und der A.G. für Verlagsrechte in Chur.[99] Punkt 1 enthält die Feststellung, daß der Verlag liquidiert und handelsgerichtlich gelöscht werde. „Um den Ausgleich des Verlages zu erleichtern“, verzichtete die A.G. auf eine Reihe von Forderungen, u.a. unter der Bedingung, daß die Verlagsrechte auf eine Reihe von namentlich angeführten „und in Deutschland als unerwünscht zum Vertrieb nicht zugelassenen Werke(n) an die A.G. übertragen und die Verträge übergeben werden“. (Vereinbarung vom 23. Mai 1939) Unter den Autoren und Werken, die die A.G. für Verlagsrechte, Chur, vom BFV hiemit übernahm, befanden sich alle Werke von Robert Musil, obwohl Musil diese Vereinbarung nicht bekannt gewesen zu sein scheint. Auch die Rechte auf die meisten Werke von Jakob Wassermann befinden sich in dieser Liste.

Es gab aber eine zweite Liste, genauer ein „Verzeichnis der in Deutschland zum Vertrieb zugelassenen Werke“. Von den zwei Dutzend angeführten Autoren und Werken waren bis auf Hugo von Hofmannsthal (Werke und Alles), Hans von Hammerstein (Gelbe Mauer, Wald; nicht aber: Wiedergeburt der Menschlichkeit), Hollensteiner, Mechthilde Lichnowsky (4 Werke), Richter und Roeder alle Ausländer.

Im Fall all dieser in Deutschland noch zugelassenen Autoren und Werke stand es dem Abwickler des BFV frei, die Vertriebsrechte auf andere zu übertragen. Die Vereinbarung regelte auch eine Frage, mit der sich Robert Musil intensiv beschäftigte, nämlich den Abkauf der Lagerbestände seiner Werke in Wien. Da heißt es:

Sollten von den im Vertrieb des Verlages Bermann-Fischer gewesenen Werken, die heute als unerwünscht vom Vertriebe in Deutschland angeschlossen (sic.!) sind, ein Teil zur Ausfuhr freigegeben werden, so steht der A.G. das Wahlrecht zu, ob sie vorbehaltlich der Genehmigung der zuständigen Behörden und Stellen solche Werke bezieht und auf die Ausgleichsquote zur Anrechnung bringt. Es steht ihr ferner das Wahlrecht zu aus den freigegebenen Werken Titel und aus den freigegebenen Mengen die zu übernehmenden Mengen auszuwählen und zu bestimmen. Die A.G. erhebt aber keinen Einspruch, wenn die von ihr nicht übernommenen, aber zur Ausfuhr freigegebenen Werke anderweitig verkauft werden.

Auf die Freigabe bestand kein rechtlicher Anspruch. Ob sich die A.G. für Verlagsrechte, Chur, um die genannte Freigabe bemühte, ist nicht bekannt.[100] Im Fall Musil jedoch scheint sie nicht tätig geworden zu sein, denn er erhielt Ende Juni 1939 von Viktor Zuckerkandl die Nachricht, daß das gesamte Lager des Wiener Verlags an einen großen Berliner Antiquar verramscht worden wäre. Wenn man also Musils Vorwürfe gegen Bermann im Lichte der Vereinbarung vom 23. Mai 1939 sieht, so trägt nicht Bermann, sondern der Rechtsvertreter der A.G. für Verlagsrechte, Chur, die eigentliche Schuld.

Aber mit der vorläufigen Beendigung des Ausgleichsverfahrens im Mai 1939 konnte der BFV noch lange nicht aufgelöst werden. Das lag nämlich an den Forderungen von Bermanns A.G. für Verlagsrechte in der Schweiz an die sog. „Abwicklungsmasse“. Mittlerweilen war der Abwickler Linsmayer, der 1940 zum Wehrdienst einberufen wurde, durch die Wirtschaftsprüfungs- und Treuhandgesellschaft „Donau“ Ges.m.b.H. als Abwickler abgelöst worden. Wie diese Firma dem Handelsgericht im folgenden Jahr mitteilte, waren keine Warenbestände mehr vorhanden: „es handelt sich lediglich um die Einziehung ausländischer Guthaben“. In der Liquidations-Schlußbilanz zum 30. September 1941 wurde nun als Aktiva der Liquidationserlös von 9.553,97 RM angegeben. Dieser Betrag lag auf einem Spezialkonto der VVSt Wien. Im Jahre 1942 kam es erneut zu einer Gläubigeraufforderung des BFV in Liquidation, und schließlich, am 30. September 1943, mehr als vier Jahre nach Einstellung der Geschäftstätigkeit, teilte die Treuhandgesellschaft dem Registergericht mit:

Das Abwicklungsverfahren der obgenannten ehemaligen jüdischen Unternehmung ist noch nicht beendet, da die Frage der Höhe einer Forderung einer Schweizerischen Firma an die Abwicklungsmasse noch nicht bereinigt werden konnte.

Wir werden nicht verfehlen zum gegebenen Zeitpunkt die Löschung der genannten Firma zur Eintragung anzumelden. (Registerakt C 4, 40)

Der Antrag auf Löschung des BFV im Handelsregister konnte schließlich am 17. Jänner 1944 gestellt werden und die tatsächliche Löschung am 1. Februar 1944, fast sechs Jahre, nachdem Gottfried Bermann den Verlag verließ, erfolgen. Der Entschluß, einen Verlag zu liquidieren, war also, wie dieser Fall deutlich zeigt, schnell gefaßt, die oft recht komplizierte Prozedur der Liquidation allerdings an das Recht gebunden.

6. Versuch einer vorläufigen Bilanz: März 1938 und danach / Schicksale

Nach den vorangegangenen Beispielen von der Art und Weise, wie – nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich im März 1938 – Buchhandels- und Verlagsfirmen „arisiert“, „liquidiert“, aufgelöst und sonstwie umgestellt wurden, scheint es angebracht, eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Was ist aus den belletristischen Verlagen in Österreich geworden, die zur Zeit des „Anschlusses“ noch existierten? Was hat – und in welcher Form – den Anbruch der NS-Zeit überlebt? Welche Entwicklung zeichnete sich nun im Verlagswesen bis zum Kriegsende ab?

Daß hier der Liquidierung Vorrang gegeben wurde, und zwar aus der „Erkenntnis“ heraus, diese oder jene Firma wäre „nicht erhaltungswürdig“, ist aus mehreren zitierten Äußerungen bereits hervorgegangen. Und obwohl man bei der Verringerung der Zahl der Konzessionen vor allem bestehende große und kleine Buchhandlungen im Auge hatte, bestand bis auf wenige Ausnahmen auch geringes Interesse am Fortbestand „jüdischer“ belletristischer Verlage in Österreich. Die Konzessionseinschränkung war freilich nicht das Allheilmittel, für das sie mancherorts eine Zeitlang gehalten wurde. Die Überzahl – und das betrifft die Verlage an sich nicht – war nur ein einziger Aspekt des Gesamtproblems. Der „Anschluß“ hatte zwar manche Probleme theoretisch beseitigt, hatte aber zugleich einen hohen Preis, der zu Lasten der Österreicher ging, erfordert.

Einig war man zumindest, daß die „Juden“ aus Buchhandel und Verlagswesen „verschwinden“ mußten, doch die Fixation auf diesen Punkt kaschierte nur andere, nicht gelöste Probleme.

Hier folgt nun eine stichwortartige Darstellung der „Schicksale“ von etwa drei Dutzend belletristischen Verlagen nach dem „Anschluß“. Hinter manchen dieser Schicksale, die sich mit der Nüchternheit und Distanziertheit des Handelsregisters abhandeln lassen, verbirgt sich freilich unermeßlich viel persönliches Leid, persönliche Tragik, Entrechtung, Enteignung und Demütigung. Auch auf diese Seite ist man verpflichtet hinzuweisen. Manche Opfer verloren nicht nur – im Handstreich – eine langwierig aufgebaute Firma, ihr ganzes Vermögen, sondern auch: ihr Leben.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Man läuft in einer Arbeit dieser Art und über diese Zeit Gefahr, sich die damals amtlich gebräuchlichen Termini anzueignen, nicht zuletzt deshalb, weil der Arbeit größtenteils amtliche Quellen zugrundegelegt werden. Viele dieser Termini sind – glücklicherweise – überholt und negativ belegt, so z.B. „arisch“. Wenn hier also bei der Kennzeichnung diverser Verlage die Adjektiva „arisch“ bzw. „jüdisch“ verwendet werden, geht es nicht darum, nachträglich „Rassenforschung“ zu betreiben, fortzusetzen oder sich mit diesem Sprachduktus in irgendeiner Weise zu identifizieren. „Jüdisch“ war jenes Merkmal, das für die weitere Existenz eines Verlages das eigentliche Todesurteil bedeutete; es bedeutete, daß der jeweilige Inhaber im Sinne der Nürnberger Rassengesetze Jude war und dementsprechend behandelt wurde. Hinweise dafür, daß sonstige Verlage in Österreich aufzulösen waren, ließen sich nicht finden. Im Deutschen Reich hatte es bis Ende 1938 Sondergenehmigungen für jüdische Buchhändler und Verleger gegeben. Im „Lande Österreich“ war derartige „Toleranz“ allerdings nicht vorgesehen.

ANZENGRUBER VERLAG. BRÜDER SUSCHITZKY. Inhaber: Philipp und Adele Suschitzky. Jüdisch. Auf Weisung der RSK Betrieb mit 1. Oktober 1938 eingestellt. Inhaber vor den Nazis geflohen. Scheitern der Versuche, das Geschäft zu „arisieren“ oder zu liquidieren. Wegen Zahlungsunfähigkeit der Firma kam es im Oktober 1938 zur Konkurseröffnung. Aufhebung des Konkurses 17. März 1941.

AUGARTEN-VERLAG. Inhaber: Stephan Szabo. Arisch. Stillgelegt nach dem Tode des Gründers und Inhabers Szabo am 14. August 1941. Verlag besteht heute weiter.

C. BARTH VERLAG. Inhaber: Bela Hess. Jüdisch. Kommissarische Verwaltung. Liquidiert. Gewerberücklegung Juni 1938. Amtswegige Löschung 22. Juni 1944.

BASTEI-VERLAG. Gesellschafter: Paul Maric-Mariendol, Rudolf Lichy. Der (jüdische) Geschäftsführer (bis Ende Juli 1937), Dr. Robert Freund, war nicht bzw. nicht offiziell finanziell beteiligt, doch galt er in der Nazi-Verwaltung als Besitzer und die Firma als „jüdisch“. Anmeldung der Auflösung und Liquidation am 25. Mai 1938. Abwickler, Treuhänder. Gelöscht am 4. Oktober 1940 infolge Beendigung der Liquidation und Gewerberücklegung. Emigration Freunds über Paris nach New York (Gründung: „Twin Prints“). Vorräte und Rechte des Bastei-Verlags an Rascher Verlag (Zürich) verkauft.

VERLAG „DAS BERGLAND-BUCH“. Arisch. Weiterbestand durch den Krieg bis heute.

BERMANN-FISCHER VERLAG. Inhaber: Dr. Gottfried Bermann-Fischer Emigration 13. März 1938 über Italien in die Schweiz, später nach Schweden. Jüdisch. Liquidiert. Kommissarische Verwaltung, Treuhänder, Abwickler. Mai 1939 gerichtlicher Ausgleich. Liquidation. Gelöscht 17. Jänner 1944.

EUROPAISCHER VERLAG. Inhaber: Dr. Anton Popovici. Arisch. Stillgelegt im Oktober 1939. Aufnahme des Inhabers in RSK abgelehnt, da es diesem nicht gelang, seine arische Abstammung einwandfrei nachzuweisen. Vorgängerfirma war „Europäischer Verlag Dr. Friedrich Wallisch“, die 1932 von Popovici erworben und am 2. Jänner 1942 aus dem Handelsregister gelöscht wurde. Die Übernahme war dem Handelsgericht nicht mitgeteilt worden. Wiedererrichtung nach dem Zweiten Weltkrieg. Weiterbestand bis heute.

FIBA-VERLAG O. BAUER. Inhaberin: Olga Bauer. Jüdisch. Weiterbetrieb bis November 1938. Löschung aus dem Handelsregister infolge Kleinbetriebes am 20. Dezember 1938. Sachwert: RM null. Abwicklung beendet 1940.

S.L. GERSTEL VERLAG. Inhaberin: Dr. Sophie Gerstel. Arisch. Weiterbestand (Zusammenarbeit mit F. Speidel’scher Verlagsbuchhandlung und Augarten Verlag) bis 1941, danach firmierte das Unternehmen als „Karl Lang Verlag“.

GSUR-VERLAG. Inhaber: Dr. Ernst Karl Winter. Die Konzession zum Betrieb des Verlags war im Oktober 1937 zurückgelegt worden unter der Bedingung, daß die angesuchte Konzession an den Verein „Österreichische Katholische Liga“ erteilt werde. Winter war im Mai 1938 nach Zürich geflohen. Die Firma „Gsur & Co.“ wurde erst am 17. Oktober 1939 aus dem Handelsregister gelöscht.

VERLAG KARL HARBAUER. Inhaberin: Witwe nach Karl Harbauer. Arisch. Am 17. Juni 1938 infolge Kleinbetriebs gelöscht.

VERLAG HEROS. Inhaber: Rudolf Geyer-Angely. Arisch. Firma am 19. Oktober 1939 von amtswegen gelöscht.

RALPH A. HÖGER VERLAG. Inhaber: Ralph Höger. Arisch. Zwangsverwaltung (Zwangsverwalter: Eugen Swoboda, Inh. des Speidel Verlags) April 1938. Weiterentwicklung nicht ermittelt.

JAHODA & SIEGEL. Inhaber: Martin Jahoda, Dr. Friedrich Siegel. Jüdisch. Kommissarische Verwaltung. Arisiert.

VERLAG DER JOHANNES-PRESSE. Inhaber: Dr. Otto Kallir-Nirenstein. Jüdisch. Arisiert. Auf Grund des Kaufvertrags vom 14. Juni 1938 durch Dr. Viktoria Künstler übernommen. Genehmigungsbescheid der VVSt vom 13. Oktober 1938; da die Firma laut Bilanz vom Juni 1938 überschuldet war, gab es keinen „Kaufpreis“. Die neue Inhaberin mußte schließlich im Jahre 1942 eine Entjudungsauflage von RM 2.319,26 an das zuständige Wohnfinanzamt zahlen (AVA, VVSt, Ha 4.279). Letzte Buchveröffentlichung Anfang 1938. Verlagskonzession 1941 eingezogen, danach Bestand nur mehr als Kunsthandel. Emigrationsweg Kallirs: Mai 1938 in die Schweiz, später im selben Jahr nach Paris, Sommer 1939 nach New York.

KRYSTALL-VERLAG. Inhaber: Dr. Franz Juraschek. Arisch. Ab 1. Jänner 1939 vom Inhaber stillgelegt wegen beruflicher Überbürdung. Am 24. Dezember 1942 von amtswegen gelöscht.

VERLAG DER BUCHHANDLUNG RICHARD LÁNYI. Inhaber: Richard Lányi. Jüdisch. Arisiert. Geplante Übernahme Mai 1938 durch Johannes Katzler. Gesuch Lányis um Konkurseröffnung Ende November 1938. Beendigung des Konkurses März 1939. Tod des Inhabers im KZ Auschwitz am 28.5.1942.

R. LÖWIT VERLAG. Inhaber: Dr. Mayer (Max) Präger. Jüdisch. Liquidiert. Kommissarische Verwaltung, Abwickler. Gelöscht 24. Juli 1939. Tod des Inhabers im KZ (Jahr nicht bekannt).

ADOLF LUSER VERLAG. Inhaber: Adolf Luser (ab März 1938 Karl Bauer, Verlag der DAF). Arisch. Im Februar 1941 in „Wiener Verlagsgesellschaft m.b.H.“ aufgegangen. Juni 1945: „Wiener Verlag Ernst Sopper und Karl Bauer.“ 1950: Druck-und Verlagsanstalt „Wiener Verlag“ Ges.m.b.H. 1970: C. Bertelsmann.

VERLAG DR. ROLF PASSER. Inhaber: Dr. Rolf Passer. Jüdisch. Arisiert. Passer leitete den Verlag persönlich bis Juli 1938 (als Jude ausländischer Staatsangehörigkeit). Er verreiste vorerst nach Berlin und dann nach Prag, Mitte 1939 in Paris, von dort nach London. Kommissarische Verwaltung (14. November 1938 bis 22. Mai 1939). Treuhänder, Genehmigung der VVSt Verkauf an Therese Kirschner 2. Mai 1939. Wert des Verlags März 1938 (laut Passer): RM 33.000. Kaufpreis 1939: RM 1,031.59; Entjudungsauflage: RM 154.74. (75% des Umsatzes vor 1938 entfielen auf nach März 1938 unerwünschte Bücher). Als „Verlag Therese Kirschner“ weitergeführt.

PANEUROPA VERLAG. Inhaber: Richard N. Coudenhove-Kalergi. Arisch. Betrieb ab 1. April 1938 eingestellt. Löschung von amtswegen am 16. Mai 1942.

PHAIDON-VERLAG. Inhaber: Dr. Béla Horovitz. Jüdisch. Liquidiert. Kommissarische Verwaltung, Treuhänder. Bestände des Verlags bereits am 1. März 1938 nach England verkauft. Gelöscht 31. März 1939. Der Inhaber Horovitz hielt sich im Ausland auf, als der „Anschluß“ vollzogen wurde. Er verlegte seine Arbeit nach England, wo er zunächst mit der Firma Allen & Unwin zusammenarbeitete („Phaidon-Press“) und sich dann selbständig machte. Horovitz starb 1955 in New York.

EMMERICH PRAGER VERLAG. Inhaber: Emmerich Prager. (Nicht protokolliert) Jüdisch? Weiterbestand nicht bekannt.

SATURN-VERLAG. Inhaber: Dr. Fritz Ungar. Emigration Juni 1938 in die USA. Jüdisch. Arisiert. Übernahme durch Theo L. Görlitz. Neuer Firmenname: Saturn-Verlag Theo L. Görlitz (ab 21. Oktober 1938). Inhaber 1943 im Krieg als vermißt gemeldet. Firma am 1. Oktober 1953 von amtswegen gelöscht.

OTTO MÜLLER VERLAG. Inhaber: Otto Müller. Arisch. Inhaber Ende 1939 verhaftet. Betrieb 1941 stillgelegt, nachdem der Verlag zunächst durch den „Anschluß“ unbehelligt blieb. Wiedererrichtung nach dem Zweiten Weltkrieg, Weiterbestand bis heute.

VERLAG KARL SCHUSDEK. Inhaber: Karl Schusdek. Jüdisch. Inhaber inhaftiert. Liquidiert. Gelöscht 12. April 1938.

STEIN-VERLAG. Inhaber: Dr. Fritz Stein. Arisch? Firmenlöschung am 16. April 1938.

F. SPEIDEL’SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG. Inhaber: Eugen Swoboda. Arisch. 1938: Trennung von jüdischen bzw. unerwünschten Autoren, Weiterbestand durch den Krieg und nach dem Krieg (zunächst unter öffentlicher Verwaltung). 1964: durch R. Kremayr und W. Scheriau übernommen. 1965: nunmehr: „Speidel-Verlag“. 1966 an Bertelsmann übergegangen. Gewerberücklegung 1969.

LEOPOLD STOCKER VERLAG. Inhaber: Leopold Stocker. Arisch. Weiterbestand während des Kriegs und bis heute.

E.P. TAL & CO. Inhaber: Lucy Tal. Floh März 1938 vor den Nazis. Jüdisch. Arisiert. Übernahme durch Dr. Alfred Ibach, ab 1939 „Alfred Ibach Verlag“, gelöscht 1950.

THOMAS-VERLAG JAKOB HEGNER. Inhaber: Jakob Hegner. Arisch. Liquidiert. Inhaber wurde nach dem „Anschluß“ inhaftiert.** Kommissarische Verwaltung, Abwickler. Gelöscht 10. Jänner 1939. (**Hegner hatte Bundeskanzler Kurt Schuschniggs Drei Mal Österreich 1937 verlegt!)

TIECK-VERLAG. Inhaber: Mirko Jelusich, Walter Scheuermann. Arisch. Liquidiert 1938. Gelöscht 23. Jänner 1940. Nach einem Rechtsstreit zwischen Jelusich und Scheuermann beantragte jener die Bestellung eines Liquidators. Aus dem „Tieck-Verlag“ ging am 1. April 1938 der „Verlag Walter Scheuermann ,Die Tieck-Bücher’“ hervor. Scheuermann veröffentlichte seine äußerst erfolgreichen Werke u.d. Namen Heinrich Tieck. Die Rechte auf diese gingen 1971 an den Verlag „Das Bergland-Buch“, Salzburg. Firma erloschen 1971.

PAUL ZSOLNAY VERLAG A.G. Inhaber (Hauptaktionär): Paul Zsolnay. Jüdisch. Kommissarische Verwaltung. Arisiert. Aufgegangen in Karl H. Bischoff Verlag 1941 (gelöscht 1958). Wiedererrichtung der Firma Paul Zsolnay Verlag 1946.

Diejenigen Verlage, die sowohl vor als auch nach dem „Anschluß“ national ausgerichtet und zuweilen Brutstätten der nationalsozialistischen Belletristik in Österreich waren, erstanden nahezu vollzählig nach 1945 wieder. Sie und die entstehenden, mit diesen personalmäßig verflochtenen Buchgemeinschaften boten eine Heimstätte für viele der in dem 1946 vom Unterrichtsministerium erstellten Index des unerwünschten Schrifttums angeführten Schriftsteller und Werke.

Was aus den zuvor skizzierten „Schicksalen“ nicht oder höchstens indirekt hervorgeht, ist die Tatsache, daß Reichsdeutsche während der Kriegsjahre in Österreich sowohl das große Rennen als auch das große Geschäft machten. Das waren z.B. der Karl H. Bischoff Verlag, der das Zsolnay-Erbe angetreten hatte, und der 1941 aus Berlin übersiedelte „Wilhelm Andermann Verlag“.

Anmerkungen

[1] ÖSta, AVA, Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reiche (im folgenden: Rk.), Bürckel-Akten, Ordner 144. Vorbemerkung, Judenfrage in Österreich, S. 1. Die 7seitige Schrift ist nicht datiert. Terminus ante quem non ist der 18. Mai 1938.

[2] Ebenda, S. 1. Der „Haß“ war so groß, daß Bürckel kurz nach Übernahme seiner Tätigkeit einschreiten mußte. Die Entjudung sah er als Prozeß, als Übergang: „Dieser Übergang muß in einer Weise geschehen, daß das wirtschaftliche Leben dabei nicht zum Erliegen kommt und nicht in Krisen gerät und daß insbesondere der Export keinen allzuschweren Schlag erhält. 3.) Um diesen Übergang zu sichern, muß die Judenfrage in absolut gesetzlicher Bahn vor sich gehen. Dabei darf das Verlangen nach Gesetzlichkeit in keiner Weise etwa zu Weichlichkeit neigen. Die Gesetze sollen und müssen sehr hart sein. Aber es bedarf der gesetzlichen Regelung, weil so allein das ordnungsgemäße Abrollen der Frage gesichert und die volkswirtschaftlichen Werte gewahrt bleiben. Ich bin deshalb gegen Gewalttaten – das war während der ersten Wochen wegen der ungeheueren Verbitterung der Parteigenossen außerordentlich schwer – stets streng eingeschritten. Die ersten Wochen nach der Machtübernahme, während derer ich in Sektorstaat und Wirtschaft nur eine geringe Eingriffsmöglichkeit hatte, hatte sich das sogenannte Kommissarwesen herausgebildet. Das Kommissarsystem war, nachdem es einmal Platz gegriffen hatte, während der wirtschaftlichen Übergangszeit unentbehrlich. Es schließt manche wertvolle Sicherung gegen Übergriffe der Straße in sich. Ich habe das Kommissarsystem aber dadurch in die richtigen Bahnen gelenkt, daß ich die Zahl der Kommissare verringerte und zwar auf einen kleinen Bruchteil ihrer ursprünglichen Zahl, also nur in den notwendigen Fällen Kommissare wirken ließ und daß ich die Kommissare unter außerordentlich strenge Kontrolle nahm und ihnen insbesondere in finanziellen Dingen sehr auf die Finger sehen ließ. (…).“ Zum Thema Judenverfolgung und Entjudung in Österreich, vor allem aus wirtschaftlicher Perspektive, gibt es eine reichhaltige Literatur, von der hier nur wenige Arbeiten angegeben werden: ERIKA WEINZIERL, Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945. Graz 1969; JONNY MOSER, Die Katastrophe der Juden in Österreich 1938-1945 – ihre Voraussetzungen und ihre Überwindung. In: Der gelbe Stern in Österreich. Katalog und Einführung zu einer Dokumentation. (Studia judaica Austriaca. Band V) Eisenstadt, 1977, S. 67- 133; ders., Die Verfolgung der Juden. In: Widerstand und Verfolgung in Wien 1934-1945. – Eine Dokumentation. Wien 1975, 3. Band, S. 194-326; bes. S. 194-202.

[3] Diese Schätzung ist dem „Bericht über die kommissarischen Verwalter (Anlage, Tätigkeit, gesetzliche Bestimmungen und Statistik)“ des Staatskommissars in der Privatwirtschaft und Leiter der Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Walter Rafelsberger, vom 30. Oktober 1939 entnommen. (ÖSta, AVA, Rk., Ordner 145.) im folgenden als „Bericht RAFELSBERGER“ mit Seitenzahl zitiert. WEINZIERL (zit. Anm. 2) schreibt, daß es „zunächst 25.000“ kommissarische Verwalter gegeben habe (S. 33) und zieht einen „Bericht von Minister Fischböck in einer Sitzung im Reichswirtschaftsministerium am 14. Oktober 1938“ heran. In diesem Zusammenhang sei auf einen fundierten Aufsatz von GEORG WEIS (Arisierungen in Wien) verwiesen. In: Wien 1938. Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Band 2.(= Sonderreihe der Wiener Geschichtsblätter.) Wien 1978, S. 183-189. Der einzige Einwand gegen die Arbeit von Weis liegt darin, daß dieser es verabsäumt hat, die diversen von ihm herangezogenen offiziellen Quellen, die auch wir hier zitieren, zu nennen. Es sind dies die Aktenordner des Bestands „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ im AVA.

[4] Bericht RAFFELSBERGERS, zit. Anm. 3, S. 2.

[5] Zit. Anm. 3.

[6] Die hier zitierten Zahlen sind einem Begleitschreiben des Staatskommissars in der Privatwirtschaft, Rafelsberger, vom 6. November 1939 an Gauleiter Bürckel entnommen. (ÖSta, AVA, Rk., Ordner 145.) Daß von den wenigen noch kommissarisch verwalteten jüdischen Unternehmen ein Verlag, noch dazu der Herbert Reichner Verlag, übrigblieb, ist überraschend. Trotz der allgemeinen Grobheit war man in handelsrechtlichen Fragen dennoch sehr pingelig. Der Reichner Verlag konnte noch nicht liquidiert werden – und der kommissarische Verwalter mußte auf seinem Posten bleiben, weil eine Reihe von Prozessen im Ausland anhängig war und „eine Umwandlung zum Treuhänder für die Prozesse von Schaden wäre“. Quelle: „Namentliche Liste der am 30. Oktober 1939 noch kommissarisch verwalteten Betriebe.“ Bericht RAFELSBERGER, zit. Anm. 3, S. 27.

[7] BÜRCKEL., zit. Anm. 1, S, 3.

[8] Bericht RAFELSBERGER, zit. Anm. 3, S. 4 f.

[9] RGBl. Nr. 197, 1938 vom 23. November 1938 bzw. Gesetzblatt für das Land Österreich, Nr. 619/1938.

[10] Der 1888 in Stetteritz bei Leipzig geborene Alfred Böhme war seit Juli 1918 in Wien in leitender Position bei einer Reihe von Wiener Firmen, darunter der Universal-Edition, beschäftigt. Er war Geschäftsführer des 1922 in Wien gegründeten „Drei Masken Verlags“ und seit dem 1. September 1936 Teilhaber und Geschäftsführer der Firma R. Kiesel & Böhme, Bühnen- und Musikverlag, Salzburg-Wien. Neben dem Bermann-Fischer Verlag und dem Herbert Reichner Verlag war Böhme in der ersten Phase auch noch kommissarischer Leiter von: Josef Weinberger, Bühnen- und Musikverlag, und Max Pfeffer, Theaterverlag, beide in Wien. (S. Archiv, Verein, V 1938, Mappe 509.) Über eigenes Ersuchen am 28. Juli 1938 wurde Böhme seiner Funktion bei Bermann-Fischer und Reichner enthoben. Während des Kriegs gründete und leitete er die „Wiener Verlagsanstalt Ges.m.b.H.“. Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zu seinem Tod im Jahre 1967 betrieb er einen Bühnen- und Musikverlag in Wien.

[11] Börsenblatt, Nr. 138, 17. Juni 1938.

[12] Akt Amonesta bei der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler (später: Reichsschrifttumskammer, Leitung Wien) und heute: Gremium für den Handel mit Büchern in Wien.

[13] Diese waren das Hotel Metropol (nunmehr Sitz der Gestapo-Leitstelle), das frühere Palais Rothschild (nunmehr Sitz des SD-Oberabschnittes Wien), Grünangergasse 2 (recte: 4), früherer Sitz der Buchhändlerorganisation und I., Teinfaltstraße 4. (Quelle: Schreiben und Bericht der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums, Dr. Lothar Kühne vom 28. Oktober 1938 an Gauleiter Bürckel. ÖSta, AVA, Rk., Ordner 253.)

[14] ÖSta, AVA, Rk., Ordner 153.

[15] Archiv, Verein, V 1938, Mappe 502. „3.) Dem bevollmächtigten Beamten Dr. Karl Zartmann obliegt die Durchführung der Anordnungen und Beschlüsse der kommissarischen Leitung. Dr. Karl Zartmann erhält seine Weisungen vom kommissarischen Leiter bzw. seinem Bevollmächtigten; er ist für die Geschäftsführung verantwortlich und haftet für die kanzleimäßige Führung.“ Diese Kanzleiordnung ist nicht datiert.

[16] „Gegen Dr. Wisloschill bestehen berechtigte politische Bedenken, zu deren näheren Erläuterung Ihnen jederzeit (…) Dr. Karl Zartmann zur Verfügung steht.“ Schreiben Wilhelm Ihde, Vize-Präsident der RSK, an Reg.-Rat Dr. Gast, Reichspropagandahauptamt Wien vom 19. Juli 1938. Abschrift. ÖSta, AVA, BMfHuV, Geschäftszeichen: 568; Grundzahl: 93.964/9a-38; Geschäftszahl: 102.755-9a, 1938.

[17] Archiv, V 1938, Mappe 502. Durchschläge all dieser Schreiben.

[18] Archiv, V 1938, Mappe 510. „Vertrauensmänner Wien und Bundesländer“. Hier findet sich u.a. eine Tabelle mit den Namen der Vertrauensmänner der einzelnen Bezirke in Wien. Auf einem Zettel, datiert 21.3.38 mit Namen von Vertrauensmännern, steht Dr. Emmerich Morawa, obwohl dieser dann nicht in der Wiener Tabelle aufscheint. Er hatte andere Fachagenden wahrzunehmen.

[19] Archiv, V 1938, Mappe 507. Von den 82 verzeichneten Firmen sind etwa 35 durchgestrichen. Das kann bedeuten – wie aus den Beispielen Tal, Zsolnay, Saturn-Verlag bekannt ist – , daß diese Firmen, wenn auch nur provisorisch, in „verläßliche Hände“ übergegangen waren.

[20] Originaldurchschlag im Besitz des Verf. Die „Liste der Parteimitglieder“ ist zwar nicht datiert, dürfte aber im April oder Mai 1938 angefertigt worden sein, da sie Personen nicht berücksichtigt, die z.B. im Juni „Anwärter“ wurden. Terminus ante quem non ist der 29. Juli 1938.

[21] Abschrift vom 29. März 1938. Archiv, V 1938, Mappe 502.

[22] Siehe die „Gedächtnisschrift“ dieser Besprechung von Oskar Lechner, 11. April 1938. In: Archiv, V 1938, Mappe 502.

[23] Alle diese Rundschreiben in Archiv, V 1938, Mappe 503.

[24] Schreiben des Börsenvereins an Berger vom 9. Mai 1938 (Archiv, V 1938, Mappe 502).

[25] Kreys Entwurf für diese Rede, die sich in Archiv, V 1938, Mappe 502 befindet, weicht gewaltig von der Börsenblatt-Fassung ab.

[26] Anzeiger, 79. Jg., Nr. 7, 6. April 1938 und Börsenblatt, Nr. 83, 8. April 1938, S. 296.

[27] Krey war 1879 in Naumburg, Deutsches Reich, geboren, kam 1908 nach Wien und blieb bis Ende des Zweiten Weltkriegs reichsdeutscher Staatsangehöriger. Als Inhaber einer Buchhandlung am Wiener Graben war er Mitglied der „Arbeitsgemeinschaft der Wiener NS-Buchhändler“, die nach dem „Anschluß“ gebildet wurde und deren Angehörige ihre heimliche Werbung für den Nationalsozialismus in der „illegalen Zeit“ besonders hervorhoben. Dafür, daß Krey sich für die causa des Nationalsozialismus – wie z.B. durch sein Hervortreten als Literat im Jubel um das Werden Großdeutschlands – derart exponierte, wurde er mit einem nicht unbedeutenden Posten belohnt; er wurde zum Landesfachberater der Reichsschrifttumskammer in Österreich ernannt und blieb in dieser Funktion bis Oktober 1944. Im Frühjahr 1939 meldete er sich zum „Anwärter der NSDAP“ an und wurde Pg. im September desselben Jahres. Ein Sohn war bereits kurz nach dem „Anschluß“ bei der SS. Nach Ende der Nazi-Herrschaft unterstand Krey wie andere Berufskollegen der Registrierungspflicht als schwerer belasteter Nationalsozialist. Doch was sich dann abspielte, kann man so umschreiben: Keiner will es gewesen sein. Trotz eines Gedichtes auf den 10. April 1938 im Börsenblatt und im Anzeiger, trotz des begeisterten Begrüßungsartikels im Börsenblatt, trotz der Rede vor der Kantateversammlung in Leipzig, trotz der Mitgliedschaft in der NSDAP, trotz der Mitgliedschaft in der „Arbeitsgemeinschaft der Wiener NS-Buchhändler“ und nicht zuletzt trotz des Postens als Landesfachreferent der RSK 1938-1944 wollte Krey im Juli 1945 das alles nicht gewesen sein. Er, genauso wie Kollegen, für die er bloß stellvertretend ist, gab sich als „Opfer“ und als „Widerstandskämpfer“ gegen das NS-Regime aus; er habe sich überhaupt nicht politisch betätigt, sei jahrzehntelang gegenüber dem österreichischen Staat loyal gewesen, sogar in der „illegalen Kampfzeit“, er habe einen mutigen Kampf gegen die Partei ausgefochten, er habe für seine teure Wahlheimat ehrlich gekämpft, gelitten und gestritten, niemals den Parteistandpunkt geltend gemacht, niemals sich im nationalsozialistischen Sinne betätigt usw. usf. Unmittelbar nach Kriegsende wollte er österreichischer Staatsbürger werden. Krey starb im Jahre 1964.

[28] Zeitungsausschnitt, Archiv, V 1938, Mappe 507.

[29] Original vom 11. Juni 1938 mit Firmenstempeln und Unterschriften im Besitz des Verf. Siehe auch: Archiv, V 1938, Mappe 502.

[30] Auf diesen konkreten Fall kommen wir noch später zu sprechen. Bischoff drückt seine Besorgnis im Artikel „Österreichs Buchhandel in der deutschen Aufgabe“, Börsenblatt, Nr. 90, 20. April 1938, S. 318 aus.

[31] Prof. Dr. G. MENZ, Zur Wirtschaftslage. Die Eingliederung der Südostmark. In: Börsenblatt, Nr. 138, 11. Juni 1938, S. 472.

[32] Undatierte Eingabe (vor Juni 1938). Archiv, V 1938, Mappe 502.

[33] Ich übernehme hier vollinhaltlich die Analyse von Ludwig SCHÖNROCK, Vom Buchhandel im Lande Österreich. In: Börsenblatt, Nr. 76, Do., den 31. März 1938, S. 264-266.

[34] Original im Besitz des Verf. Der Bericht wurde gekürzt abgedruckt in: JOSEPH WULF, Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Hamburg 1966, S. 226- 227. Siehe auch Archiv, Buchgewerbehaus Wien, V 1938, Mappe 507.

[35] Göring hatte am 26. März 1938 in Wien in einer Rede die fiktive Zahl von 300.000 Juden genannt. Dieselbe Zahl gibt die Wiener Ausgabe des Völkiscben Beobachters am 14. Mai 1939 an. In Wahrheit lag die Zahl um ca.100.000 niedriger. Auch Gauleiter Joseph Bürckel kolportierte solche falsche Zahlen. In seinem bereits zitierten Bericht „Judenfrage in Österreich“ heißt es: „Man hat zu bedenken, daß Wien heute noch mehr als 300.000 Menschen zählt, die Juden sind oder aufgrund der Nürnberger Gesetze den Juden gleichzuachten sind. Man darf nie vergessen, will man arisieren und dem Juden seine Existenzgrundlage nehmen, dann muß man die Judenfrage total lösen. Ihn nämlich als Staatsrentner betrachten, das aber ist unmöglich. Also muß man die Voraussetzungen schaffen, daß er ins Ausland kommt.“ (S. Anm. 1)

[36] „Juden in Österreich“, Berlin Document Center, RKK, Leitzordner „Jüdische Buchhändler, Verleger, Schriftsteller“.

[37] 11.6.1938; Reichsgesetzblatt, Teil I, 1938, Nr. 90, Ausgegeben zu Berlin, den 14. Juni 1938; Gesetzblatt für das Land Österreich, Jg. 1938, 66. Stück, Nr. 191, Ausgegeben am 24. Juni 1938; Amtliche Bekanntmachung der Reichsschrifttumskammer, Nr. 128. ‚Eingliederung des österreichischen Schrifttums in die Reichsschrifttumskammer’, Börsenblatt, 105. Jg., Nr. 140, 20. Juni 1938, S. 456, sowie Rundschreiben Nr. 5 (739-67/38) vom 25. Juni 1938 der kommissarischen Leitung der Zwangsgilde der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler, Wien 1, Grünangergasse 4. (Archiv, V 1938, Mappe 503)

[38] Siehe Börsenblatt, 20. Juni 1938, S. 456. Es sind einige Fälle von arischen österreichischen Buchhändlern und Verlegern bekannt – die Namen werden aus Pietätgründen nicht genannt – , wo es trotz langwierigem und verzweifeltem Bemühen dem Antragsteller nicht gelang, zu den ersehnten Nachweisen zu kommen. Das Geschäft mußte daher stillgelegt werden.

[39] S. Anm. 37.

[40] Akt Berlin Document Center/Bischoff. Aktenvermerk für Herrn Ihde. Berlin, 2. Juni 1938.

[41] „Juden in Österreich. Meldung per 30. 8. 1938“. Aktenvermerk. Siehe Anm. 35.

[42] Quelle: wie Anm. 36. „I/Ju. Oe: Sammelbericht.“ Schreiben vom 31. August 1938 an den Herrn Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, „betr.: Kulturwirtschaftliche Unternehmen (Betriebe) im Lande Österreich.“

[43] Quelle: s. Anm. 40. Bericht Bischoffs „Oktober 1938“.

[44] Dafür einige Beispiele: Von Mitte März bis Ende Juli 1938 war Alfred Böhme kommissarischer Verwalter des Bermann-Fischer Verlags und des Herbert Reichner Verlags. Für den großen Bermann-Fischer Verlag wurde nun Böhme im August durch den 35jährigen Vorstadt-Kleinbuchhändler Theodor Hahn jun. ersetzt. Die kommissarische Leitung des Reichner Verlags ging an den branchenfremden Herrn Emil Kleibl über. Der Phaidon-Verlag wurde nach dem „Anschluß“ vom Geschäftsführer und Inhaber des „Tieck-Verlags“, Walter Scheuermann, übernommen. Er wurde Ende August durch die branchenfremde „Geschäftsfrau“ Irma Pasler ersetzt. Diese drei „jüdischen“ Verlage waren von vornherein auf die „Abschußliste“ gesetzt worden, und das war wahrscheinlich gut so, denn mit solcher Leitung wären sie in jedem Falle dem Untergang geweiht gewesen.

[45] Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Zit. Anm. 34, S. 165.

[46] Die hier nun folgende Darstellung beruht auf einer Reihe von offiziellen und amtlichen Quellen: a) dem Akt Paul Zsolnay Verlag im Landesgremium Wien für den Handel mit Büchern, b) dem Akt Paul Zsolnay Verlag im Berlin Document Center, c) dem Handelsregister Wien, d) dem Aktenvermerk K. H. Bischoffs vom 31. August 1938 (a.a.O.), e) dem Nachlaß Jantsch von Streerbach in Marbach sowie f) der Vermögensanmeldung Paul von Zsolnays (AVA, VVSt, VA. 05650). Diese Quellen ermöglichen zwar eine relativ lückenlose Darstellung der Vorgänge, lassen aber trotzdem einige Fragen noch offen. Der Verf. dankt Herrn Gerhard Renner für manche Details.

[47] In seiner Vermögensanmeldung (s. Anm. 46) gab der „Landwirt und Verleger“ Paul von Zsolnay am 15. Juli 1938 an, daß er 100 Aktien bzw. Interimsscheine der Paul Zsolnay Verlags A.G. Wien IV besitze. Nennbetrag: S 1,000.000, Wert: RM 400.000. „Zu diesem Preis laufen Verhandlungen.“ Vermutlich bezieht sich das auf die „25%“.

[48] Siehe Volker DAHM, Das jüdische Buch im Dritten Reich. I. Teil, Sp. 159. Dahm schreibt ebda. Sp. 95 von der „Entmachtung der RSK zugunsten des Propagandaministeriums“.

[49] „Die Arbeit der Vermögensverkehrsstelle in der Ostmark. 2 Milliarden RM angemeldetes Judenvermögen.” In: Neue Freie Presse, Nr. 26.696, Mi., 4.1.1939, S. 6 und Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 4.1.1939.

[50] Zum Themenkomplex „Judenverfolgung“ und „Arisierung“ in Österreich nach dem „Anschluß“ gibt es bereits sehr viel Literatur. Was jedoch die ,,Arisierung“ betrifft, so fehlt es zwar nicht an allgemeinen Darstellungen mit entsprechendem Zahlenmaterial, wohl aber an der Schilderung konkreter Fälle. In dieser Arbeit wird zumindest versucht, diese Forschungslücke für den Bereich Verlag und Buchhandel ein wenig zu schließen. Ein erster sehr informativer Versuch, die Arbeitsweise der Vermögensverkehrsstelle zu beschreiben, ist bereits in den 50er Jahren erschienen (FELIX ROMANIK, Der Leidensweg der österreichischen Wirtschaft 1933-1945. Wien: Österr. Bundesverlag 1957). In der Anlage zu seiner Arbeit finden sich mehrere aufschlußreiche Dokumente über die Richtlinien für Wirtschaftsprüfer bei Arisierungen etc. Einen Überblick über den materiellen Schaden durch Arisierungen, Plünderungen usw. bietet außerdem DIETMAR in seiner erschütternden Analyse der Versuche in den frühen 50er Jahren, die österreichische Regierung und Öffentlichkeit für so etwas wie eine „moralische Verpflichtung“ gegenüber den Juden in Österreich zu interessieren (D.W., Die jüdischen Bemühungen um die materielle Wiedergutmachung durch die Republik Österreich. Wien: Geyer-Edition, 1971). Ein sehr fundiertes Werk über die Judenverfolgung lieferte 1978 HERBERT ROSENKRANZ (Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945. Wien: Herold, 1978). Besonders eindringlich schildert Rosenkranz u.v.a. die wilden Raubzüge unmittelbar nach dem „Anschluß“ (S. 26-30) und die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben (S. 126-136). Verwiesen wird in diesem Zusammenhang ferner auf Arbeiten von JONNY MOSER, Die Katastrophe der Juden in Österreich 1938-1945, zit. Anm. 2, und Die Verfolgung der Juden. In: Widerstand und Verfolgung in Wien 1934-1945. Eine Dokumentation. Hrsg. Dokumentationsarchiv des Österr. Widerstands, Band 3, Wien 1975, S. 194-202. Von GERHARD BOTZ liegen auch mehrere eingehende Studien vor, darunter Arisierungen und nationalsozialistische Mittelstandspolitik in Wien (1938-40). In: Wiener Geschichtsblätter, 29. Jg., 1974, Heft 1, S. 122-136 und Wien vom „Anschluß“ zum Krieg. Nationalsozialistische Machtübernahme und politisch-soziale Umgestaltung am Beispiel der Stadt Wien 1938/39. Wien: Jugend und Volk, 1978.

[51] Quelle, s. Anm. 41.

[52] Beispiele: Bernhard Herzmansky jun., August Emil Amonesta, Josef Kende, Richard Lányi. Der „Arier“ Herzmansky konnte nach sechs Monaten Haft in Dachau nach Wien zurückkehren, um nun in den Dienst des Nationalsozialismus einzutreten. Dem „arischen“ Buchhändler und Verleger August Emil Amonesta (* 2.9.1893; Verlag für Kulturforschung Amonesta & Co., Zinnen-Verlag, Hagenberg-Verlag) wäre es beinahe gelungen, als Liquidator des in jüdischem Besitz (Bela Hess) befindlichen C. Barth Verlags bestellt zu werden, nachdem der Geschäftsführer der RSK, Landesleitung Österreich, Zartmann, am 13. August 1938 attestiert hatte, daß „hier keine Bedenken bestehen“. (Akt Gremium/Amonesta) Doch wurde Amonesta von der Gestapo in Schutzhaft genommen, nachdem sie ihn beschuldigte, nach dem „Umbruch“ noch mit unerlaubter pornographischer Literatur zu handeln, sie zu vertreiben und ins Ausland zu verkaufen. Amonesta wurde dann noch im Jahre 1938 nach Buchenwald abtransportiert, kam später nach Auschwitz und starb dort am 27.7.1942. Ein zweiter prominenter Buchhändler, dem die neuen Machthaber die „Sünden der Vergangenheit“ emphatisch nachtrugen, war Josef Kende. Kende, am 6.6.1868 geboren, war, wie an anderer Stelle dieser Arbeit angeführt, österreichischer Auslieferer praktisch sämtlicher Emigranten- bzw. Anti-Nazi-Verlage des deutschsprachigen Auslands (u.a. Querido, Allert de Lange, Europa-Verlag Zürich, Humanitas Zürich usw.) gewesen. Das vergaß man ihm nicht – weder im Altreich noch in der „Ostmark“. Im bereits zitierten Verzeichnis der jüdischen Auslieferer in Wien, das die kommissarische Leitung des österreichischen Buchhandels aufstellte, galt Kende als „gefährlich“ (Archiv, Verein, V 1938, Mappe 507). Trotz seines hohen Alters – er war fast 70 – wurde der mit einer Arierin verheiratete „getaufte Jude“ Kende in Schutzhaft genommen und nach Dachau transportiert. Er gehörte dem allerersten Transport von Schutzhäftlingen aus Österreich an, der am 1. April 1938 erfolgte. Dazu die entsprechende Liste im DÖW, Akt 1792. Kende starb im KZ Buchenwald im Oktober 1938. Sein Geschäft war „von der Behörde“ geplündert, die Lagerbestände von Querido, Allert de Lange, Europa-Verlag, Eminescu-Verlag (Czernowitz) u.a. beschlagnahmt worden. Die RSK (Zartmann) lehnte einen Fortbestand des übriggebliebenen Geschäfts durch Kendes „arische“ Witwe Isolde am 22. Oktober 1938 entschieden ab. (AVA, VVSt, Kt. 152, V.A. 41.589.) Der am 9. Dezember 1884 in Wien geborene Buchhändler, Verleger (Karl Kraus) und Theaterkartenbürobesitzer Richard Lányi hatte ein ähnliches Schicksal wie Josef Kende, insofern als seine Buchhandlung nach dem „Anschluß“ geplündert und Lagerbestände durch Beschlagnahme dezimiert wurden. Nach dem Umbruch hatte Lányi sein Geschäft einige Tage gesperrt, dann jedoch die Erlaubnis erhalten, den Betrieb weiter zu führen. Ansichten, wonach Lányi sofort nach dem „Anschluß“ verhaftet worden sei, scheinen damit widerlegt zu sein. Am 10. Mai erschien ein gewisser Johannes Katzler bei Lányi, und es wurde in einem Vorvertrag vereinbart, daß Lányis Firma samt allen Aktiven und Passiven von Katzler übernommen werde. Der Kaufpreis sollte RM 40.000 betragen. Die Verpflichtungen der Firma in der Höhe von rund RM 21.000 wollte Herr Katzler übernehmen. Die Übernahme erfolgte sofort. Wenige Tage darauf stand auf dem Geschäft „arische Firma Inhaber Johannes Katzler“, in einem Schaufenster stand eine Führerbüste, und es war vorwiegend nationalsozialistische Literatur zu sehen. Seit diesem Zeitpunkt betrat Lányi das Geschäft nicht mehr. Die Abmachung blieb auf recht, bis am 29. Juli 1938 die Inventur in der Kärntnerstraße 44 durchgeführt wurde. Es stellte sich heraus, daß die Gestapo so viel an Druckwerken mitgenommen hatte, daß das Unternehmen nun keinerlei Betriebsvermögen mehr aufwies. Nun sollte Katzler Lányi keinen Kaufpreis mehr zahlen, sondern lediglich das Geschäft zum Werte der Passiven übernehmen. (Siehe AVA, VVSt, Kt. 23, V.A. 5193.) Ende Oktober 1938 teilte Katzler Lányi mit, daß er das Geschäft doch nicht übernehmen könne. Er erklärte sich jedoch bereit, das Lager um den Betrag von RM 20.000 zu kaufen. Lányi war gezwungen, auf diesen Vorschlag einzugehen. Doch meldete Richard Lányi persönlich den Konkurs seiner Firma Ende 1938 beim Handelsgericht an. (S. Eintragung im Handelsregister vom 2. Dezember 1938 sowie Handelsgericht Wien. Konkursakt S 113/38, deponiert im Wiener Stadt- und Landesarchiv.) Lányi erschien noch bei Handelsgerichtsterminen im Februar und März 1939. Das Konkursverfahren wurde im März 1943 beendigt. Vom 13.8.1938 bis 21.4.1942 war Lányi in Wien 4, Mühlgasse 11/6 gemeldet. Am 28.5.1942 starb er im Konzentrationslager Auschwitz. Zu diesem Komplex siehe MURRAY G. HALL, Verlage um Karl Kraus. In: Kraus-Hefte, Heft 26/27, Juli 1983, S. 1-31; bes. S. 18ff.

Auch ein fünfter (jüdischer) Buchhändler und Verleger (Verlag Rich. Löwit) entkam den Nazi-Barbaren nicht: der am 2. Oktober 1889 in Galizien geborene Dr. Mayer Präger. Offenbar in völliger Verkennung der Lage der Wiener Juden beabsichtigte Präger sein Unternehmen als Buchhandlung für jüdisches Kulturgut weiterzuführen und suchte deshalb im Sommer 1938 bei einer Wiener Bank um Kreditgewährung an. Tatsächlich war es so, daß bis Ende 1938 im Deutschen Reich viele Buchverlage und Buchvertriebe zum „rein jüdischen Buchhandel“ zugelassen waren. („Jüdische Buchverleger und Buchverkäufer dürfen ihr Gewerbe im Reichsgebiet zukünftig nur unter Beschränkung ihrer Tätigkeit auf jüdisches Schrifttum und auf einen ausschließlich jüdischen Abnehmerkreis ausüben.“ Vert. Mitt. d. Fach. Verlag, Nr. 24 vom 6. Juli 1937; zitiert nach Dahm, zit. Anm. 48, Sp. 263 f.) Aber in Österreich, wo Gauleiter Bürckel bereits die totale „Entjudung“ gefordert hatte, war das Ansinnen Prägers unrealistisch. Die Österr. Creditanstalt richtete eine Anfrage an die RSK in Wien und bekam folgende Antwort:

„Wien, am 24. August 1938. Der Inhaber der Buchhandlung R. Löwit, Wien, 1., Fleischmarkt 1 ist der Jude Dr. Mayer Präger. Dr. Mayer Präger beabsichtigt sein Unternehmen als Buchhandlung für jüdisches Kulturgut weiterzuführen, es ist zweifelhaft, ob dem seitens der Reichsschrifttumskammer zugestimmt wird. Im gegenteiligen Falle müßte die Firma liquidiert werden. Unter den gegebenen Verhältnissen kann eine Kreditgewährung nicht empfohlen werden. Der Geschäftsführer: Dr. Karl Zartmann.“ (Quelle: Gremium Wien/R. Löwit) Am 16. September 1938 wurde der Lyriker und Maler Erich Landgrebe (18.1.1908–25.6.1979) als kommissarischer Verwalter für R. Löwit Buch- und Musikalienhandel und Leihbibliothek ins Handelsregister (Reg. A 26, 92) eingetragen, am 25. März 1939 gelöscht und am 10. Juli 1939 als Abwickler eingetragen. Im Jänner 1939 wurde Dr. Mayer Präger dem KZ Buchenwald überstellt. Sein Todesdatum ist nicht bekannt. Seine Frau Mirjam kam 1942 nach Theresienstadt. Landgrebe dürfte beim Reichspropagandaamt in Wien „Freunde“ gehabt haben, die ihm viel Vertrauen entgegenbrachten. Er war Anfang April 1939 für den Posten als kommissarischer Leiter des Paul Zsolnay Verlags auserkoren. Die Bestellung scheiterte letztlich daran, daß nach dem Gesetz über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern (G.Bl. Nr. 80/1938) in der geänderten Fassung (G.Bl. Nr. 518/1938, ausgegeben am 24. Oktober1938) nach dem 1. April 1939 keine kommissarischen Verwalter mehr bestellt werden durften.

[53] Handelsgericht Wien. Akt HRB 4698. Paul Zsolnay Verlag A.G. Anwesend waren: Staatskommissär Dr. Karl Hirsch-Stronstorff, Dr. Albert Jantsch-Streerbach, Paul Zsolnay, Felix Kostia-Costa, Rudolf Geyer, Rudolf Penz und Dr. Hermann Leber.

[54] Ebenda. Protokoll der a.o. Generalversammlung am 26. April 1938.

[55] Ebenda.

[56] Schreiben Max Stebich an RSK in Berlin vom 24. I. 1939. (Akt Zsolnay, Gremium Wien).

[57] Siehe HANNS SCHOPPER, Presse im Kampf. Geschichte der Presse während der Kampfjahre der NSDAP. (1933-1938) in Österreich. Wien/Brünn/Leipzig, Rudolf M. Rohrer Verlag (1940).

[58] Stebich meldete Bedenken an: 1. Schopper war, so scheint es, viele Monate nach der Übernahme des Verlags durch Jantsch noch im Verlag tätig. 2. Er war mit dem bisherigen Geschäftsführer, dem Stahlwerksbeamten und kommissarischen Leiter des Verlags, Dietl, „innig befreundet“ und daher nach Stebich wohl nicht in der Lage, die Geschäfte mit der nötigen Objektivität zu führen, und 3. Er hatte seine Stellung im Zsolnay Verlag schon wegen Überbürdung im Hauptberuf niederlegen müssen. (Bericht der RSK [Stebich] vom 12.4.1939.) (Gremium/Zsolnay)

[59] Stebich faßte eine Reihe von Vorwürfen zusammen, einmal in seinem Bericht an das Reichspropagandaamt Wien vom 12.4.39 und dann in einem Bericht an das Propagandaministerium In Berlin vom 26.4.1939 (beide: Gremium/Zsolnay). Es handle sich 1) um einen Flug des Geschäftsführers Dietl zu Zsolnay nach London im März 1939, für den er Reisespesen in der Höhe von RM 900,- in Rechnung stellte; 2) um die Übernahme von Schecks durch den Verlagsangestellten Körber, obwohl der Verlag geschlossen war; 3) um übermäßige Gehaltsabhebungen des Verlagsangestellten Dr. Costa für Reisen nach Berlin, die bis zu RM 200,- Tagesdiäten betrugen; 4) um die Benützung des Privatautos (eines Turiner Fiat Type 1500) von Zsolnay für außer-geschäftliche Vergnügungsfahrten durch die Leiter des Verlags; 5) um übermäßige Geldabhebungen der leitenden Angestellten, die in keinem Verhältnis zu ihrer Arbeitsleistung und Arbeitsdauer standen. Außerdem wäre Jantsch kürzlich nach Budapest gefahren, um die Mutter Zsolnays zu besuchen. Jantsch und Dietl hätten innerhalb eines Jahres RM 80.000 an Zsolnay und seine Mutter zur Auszahlung gebracht, eine Summe, die „keineswegs begründet erscheint“ (Stebich). Costa hätte innerhalb eines Jahres (März 1938 bis März 1939) nicht weniger als RM 24.000 und ein Darlehen in gleicher Höhe erhalten. Schließlich habe der kommissarische Verwalter, Dietl, der „in der Woche jedoch höchstens zwei Mal je eine halbe Stunde erschien (…) unter dem Titel verschiedener Spesen“ vom April 1938 bis März 1939 „insgesamt RM 15.000,-„ abgehoben. „Für seine kommissarische Tätigkeit hob er pro Monat RM 1.000,-ab.“ (Stebich) Jantsch hingegen müsse „lediglich der Vorwurf gemacht werden, eine solche Wirtschaft geduldet und Zsolnay und Costa gedeckt zu haben.“

[60] Schreiben Stebichs an RSK, Abt. III, Leipzig, vom 9. Juni 1939. (Gremium/Zsolnay)

[61] Felix Costa wurde nach dem „Anschluß“ Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Beim ersten Anlauf hatte er die Mitgliedschaft nicht erhalten und – laut Stebich, 26.4.39 – erst Erfolg, als der kommissarische Verwalter Dietl persönlich in der DAF vorsprach. Als seine Entlassung aus dem Zsolnay Verlag unmittelbar bevorstand, richtete Costa ein Gesuch um eine Sonderbewilligung an den Führer. Der Oberbürgermeister von Wien, Neubacher, soll es befürwortet haben. (Stebich, loc. cit. 12.4.39.) Aber all das hat Costa nicht vor einem tragischen Tod bewahrt. Costa soll während Zsolnays „nationaler“ Phase vor 1938 in der Frage Devisenzuteilung eine zentrale Rolle gespielt haben. Er soll nämlich in diesen Jahren mit K.H. Bischoff von der RSK an Ort und Stelle in Berlin eine intensive Tätigkeit gepflogen haben.

[62] Bauers verlegerische Qualifikationen als möglicher Chef des Zsolnay Verlags wie auch für seine Übernahme des Adolf Luser Verlags im März 1938 mit 28 Jahren: Tätigkeit seit 1924 im Deutschen Turnerbund und Deutschen Schulverein Südmark, Dietwart von Wien (1931), später Bundesdietwart, nach März 1938 vom Reichssportführer zum Gaudietwart des Gaues XVII, Ostmark, des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen ernannt, seit 1931 Mitglied der NSDAP und schließlich seitdem Jahre 1936 ehrenamtlicher Leiter der Buchhandlung des Deutschen Turnerbundes. Nach dieser Tätigkeit „entschied ich (Bauer) mich, vor die Berufswahl gestellt, für die Übernahme der Betriebsführung des Adolf Luser Verlages“ (Lebenslauf, KARL KONRAD BAUER, Wiener Verlagsgesellschaft m.b.H./Gremium)

[63] Quelle: Handelsgericht Wien. HRA 11.169 = HRA 14.909), Karl H. Bischoff Verlag. Gutachten Industrie- und Handelskammer in Wien („Betriebsumfang und Firmawortlaut“) vom 29.4.1942.

[64] BDC/Zsolnay. Aktenvermerk Betr. Paul Zsolnay Verlag A.G. Wien. 11. März 1941.

[65] Jantsch hielt zu Zsolnay auch nach Ende des 2. Weltkriegs, als es galt, die rechtlichen Verhältnisse des Verlags wieder herzustellen (sog. Rückstellungsverfahren).

[66] Protokoll, 1. März 1941, S. Anm. 64. Der bilanzmäßige Reingewinn lag 1939 bei RM 150.000, 1940 bei RM 240.000 und 1941 noch darüber bei ansehnlich hohen Umsätzen.

[67] Siehe RGBl., 1., Nr. 35/1941. Ausgegeben zu Berlin, den 31. März 1941. Verordnung über Firmen von entjudeten Gewerbebetrieben. Vom 27. März 1941. § 1: Wer einen jüdischen Gewerbebetrieb (…) übernommen hat und in der Firma den Namen eines früheren jüdischen Inhabers oder Gesellschafters (…) führt, ist verpflichtet, den Namen des Juden binnen vier Monaten nach Inkrafttreten dieser Verordnung aus der Firma des übernommenen Geschäfts zu entfernen und eine neue Firma zu bilden.

[68] BDC/Zsolnay. Hess gab als „ständigen Bevollmächtigten in Wien“ Pg. Karl Bauer, den Inhaber der Wiener Verlagsgesellschaft m.b.H. (vormals: Adolf Luser Verlag), an.

[69] Siehe ein Schreiben Wilhelm Baurs an die RSK vom 21. April 1941: „Hess sei übrigens nicht Buchhändler und könnte daher sein Inhaberrecht gar nicht buchhändlerisch ausüben. Ich persönlich sei im übrigen über Herrn Hess auch noch sehr verärgert, weil er, trotz einer ihm vor etwa 4 Wochen erteilten Warnung, sich um den Zsolnay-Verlag weiter gekümmert habe. Ich habe Herrn Hess damals gesagt, daß er als Schriftleiter seine Finger von verlegerischen Handlungen lassen solle, insbesondere auch deshalb, weil ihm die notwendigen Mittel fehlen würden. Jetzt hat er aber trotzdem die Aktien von Jantsch-Streerbach gekauft und laut Fräulein Witt dafür sogar einige hunderttausend Mark bezahlt.“

[70] Schreiben Abwicklungsstelle an den Zsolnay Verlag vom 30.9.1941. (Gremium/Zsolnay)

[71] Handelsgericht Wien. Registerakt Karl H. Bischoff Verlag. Wien – Berlin. HRA 14.909 (umgeschrieben von HRA 11.169). Über die finanzielle Seite der Gründung gibt ein Fragebogen des Amtsgerichts vom Juli 1942 Aufschluß.

[72] Siehe ebenda. Bischoff gab als „Wert des Firmenkapitals“ die Summe „rd. RM 10.000“, als „Eigenkapital“ RM 250.000 an. Dieses dürfte allerdings nicht ‚eigenes Kapital’, sondern Zsolnay-Erbe gewesen sein.

[73] Siehe Anm. 53.

[74] Siehe Anm. 53. Schreiben der Industrie- und Handelskammer Wien vom 10. Februar 1943. Das Prädikat „kein Vermögen” war u.a. eine Voraussetzung für die amtswegige Löschung, und daher dürfte das sehr wohl vorhandene Vermögen de jure nicht existieren.

[75] Der Präsident der Reichsschrifttumskammer. III Gf. L 10/0 vom 26. August 1944 an die Firma Karl H. Bischoff Verlag. (Gremium/Zsolnay).

[76] Schreiben Karl H. Bischoff Verlag an die Gauinspektion der NSDAP vom 5. Oktober 1944. (Gremium/Zsolnay).

[77] Diese Darstellung der Arisierung des Tal-Verlags beruht auf folgenden Quellen: Handelsgericht Wien. Registerakt E. P. Tal/Alfred Ibach Verlag (HRA 4.474; umgeschrieben von Reg. A 39,102); AVA, VVSt, Vermögensanmeldung Lucy Tal V.A. 25.457; AVA, VVSt, Handelsanmeldung, Ha 2.392, Tal/Ibach; Archiv, Buchgewerbehaus, Mappe V, XVI, 3, RSK, Produktionsübersicht Ibach-Verlag 1940; schriftliche Befragung der Witwe E.P. Tals, Lucy Tal, in New York. Ein Verlagsarchiv existiert nicht. Als der ,,Anschluß“ unmittelbar bevorstand, wurden Unterlagen, Verträge usw. dem Anwalt des Verlags, Dr. Hermann Löw, übergeben. Nach Einzug der Nazis ist Löw geflohen, und seine Angestellten haben wegen der großen Gefahr alles vernichtet (Mitteilung L. Tal). Zu Ibach siehe den Nachruf in: Das Antiquariat (Wien), IV. Jg., Nr. 13/16, Juli-August 1948, S. 7.

[78] Wolf war mit dem verstorbenen Ernst Peter Tal eng befreundet gewesen, und nach dessen Tod bot Wolf der Witwe moralische und finanzielle Hilfe an. (Mitteilung L. Tal.) Ende 1938 wurde Wolf aus der Kartei der Rechtsanwaltskammer in Wien gelöscht. Er konnte im September 1939 nach Budapest emigrieren und 1941 in die USA fliehen. Er starb in New York am 27. Mai 1946. Siehe dazu: VIKTOR SUCHY, Hugo Wolf. In: Kraus-Hefte, Heft 9, Januar 1979, S. 13-16, SIGURD PAUL SCHEICHL, Hugo Wolf (2), ebda., Heft 19, Juli 1981, S.10-14 und MURRAY G. HALL, Musil – ein Gründungsmitglied der ,,Gesellschaft der Filmfreunde Österreichs“. In: Musil-Forum, 2.1976, S. 26-28.

[79] AVA, VVSt, Ha 2.392.

[80] Ebenda. Schreiben vom 30. Mai 1938.

[81] Ebenda. In diesem Akt befindet sich das erste und letzte Verlagsverzeichnis des E.P. Tal & Co. Verlags nach dem „Anschluß“.

[82] Ebenda.

[83] Durchschläge dieser „Verfügung“ befinden sich ebenda und in V.A. 25.457.

[84] AVA, VVSt, Ha 2.392, Schreiben des Alfred Ibach Verlag vom 3. Oktober 1939.

[85] Nach der „Produktionsübersicht der Wiener Verlage 1940“. S. Anm. 77.

[86] Da manche Teilbereiche des Bestands VVSt im AVA noch nicht aufgearbeitet worden sind, waren mir die betreffenden nachgewiesenen Akten zum Gegenstand „Saturn-Verlag“ nicht zugänglich. Ein weiterer Fall von „interner“ Arisierung, der detailliert belegbar ist, ist der Verlag Dr. Rolf Passer (und Zeitbild-Verlag). Siehe dazu: AVA, VVSt, Ha 8.841 und V.A. 03550.

[87] Schreiben Frederick Ungars an den Verf. vom 8. September 1981.

[88] Saturn-Verlag/Gremium. Schreiben Görlitz an Zartmann, RSK, Gruppe Buchhandel, vom 13. September 1938.

[89] Die Herren bei der RSK in Berlin hatten es offensichtlich zur Gewohnheit gemacht, die Verlagsverzeichnisse österreichischer Verlage genauestens zu studieren, nicht allerdings mit Kenntnis der „österreichischen Literatur“. Das folgende Erlebnis hatte z.B. der Adolf Luser Verlag im Jahre 1940. Im März d.J. erhielt der junge Inhaber Karl Bauer von der RSK in Berlin eine Mitteilung, daß der Verfasser eines im Luser Verlag erschienenen Buches, nämlich „Leutnant Burda“ von einem Ferdinand von Saar, „weder Mitglied der Reichsschrifttumskammer noch im Besitze eines Befreiungsscheines für das genannte Buch sei“. Karl K. Bauer schrieb sofort an K.H. Bischoff-Berlin: „Wir haben uns hier in Wien immer wieder lustig gemacht, wenn von verschiedenen Schriftleitungen unsere erfolgreiche Neuauflage so besprochen wurde, als weilte Ferdinand von Saar noch unter den Lebenden. Vielleicht weisen Sie auf kurzem Wege einmal den unterzeichneten Referenten Maurer (?) an, in seine wahrscheinlich kleindeutsch zugeschnittene Literaturgeschichte auch die deutschen Erzähler des alten Österreich aufzunehmen.“ (Schreiben Bauers vom 11. März 1940.) Der angesprochene RSK-Referent, Abteilungsleiter Metzner, fand die Angelegenheit freilich weniger lustig und schrieb deshalb an den RSK-Geschäftsführer (Gruppe Schriftsteller) Max Stebich in Wien: „(…) Ich bin natürlich für jeden Hinweis dankbar, (…) Daß aber Herr Bauer von einer kleindeutschen Literatur spricht, die der unterzeichnete ,Referent’ benutzt und gar eine amtliche Mitteilung, wenn sie auch falsch ist, noch zur Bereicherung des Kameradschaftsabends verwendet, scheint mir doch weniger ein Hinweis, als eine Kritik zu sein und ich bitte Sie, doch Herrn Bauer kameradschaftlich einmal etwas von der Arbeit der Reichsschrifttumskammer zu erzählen und ihn im übrigen zu bitten, Dinge, die die Autoren angehen, grundsätzlich und möglichst unter Einhaltung des Dienstweges der Abteilung II, Gruppe Schriftsteller, unmittelbar zuzuleiten. Heil Hitler! [gez.: Metzner] (Schreiben vom 15. März 1940) (Beide Schreiben in Gremium/“Wiener Verlagsges.b.H.“)

[90] Saturn-Verlag/Gremium. Schreiben der RSK Wien, Gruppe Buchhandel (Zartmann) vom 16. September 1938.

[91] Er ist in der bereits zitierten „Produktionsübersicht der Wiener Verlage 1940“ nicht angeführt.

[92] Herbert Reichner verließ Wien am Tag des „Anschlusses“ und ging nach Zürich. Die Quellenlage zum Reichner-Verlag ist vor allem deshalb ausgesprochen ungünstig, weil 1) der vor einigen Jahren vorhandene Akt „Herbert Reichner Verlag“ beim Gremium für den Handel mit Büchern in Wien leider nicht mehr auffindbar ist, 2) die Firma Herbert Reichner Verlag bei der Wiener Standesvertretung zwar inkorporiert, nicht aber handelsgerichtlich protokolliert war. (Daher konnte kein Registerakt herangezogen werden) und 3) Reichner keine Vermögensanmeldung an die VVSt abgegeben hat und der Akt Gw 4.641 (Liquidierung der Firma) im Bestand VVSt nicht einliegt. Bekannt ist lediglich, daß der Verlag unter kommissarischer Leitung stand und daß der kommissarische Verwalter (Emil Kleibl) trotz Verstreichens der gesetzlichen Frist nicht enthoben werden konnte, da im Ausland noch immer wegen ungeklärter Verlagsrechte prozessiert wurde. Genausowenig sind Geschäftsunterlagen und dgl. vorhanden. Was den Bermann-Fischer Verlag anlangt, so heißt es in einem Aktenvermerk im Jänner 1942 (Registerakt C 4,40), daß Bücher und Schriften der Gesellschaft in Verwahrung des Reichsstatthalters der VVSt übergeben worden seien. Beim Bastei-Verlag ist die Quellenlage ähnlich. „Die Bücher und Schriften der aufgelösten Gesellschaft sind (…) anläßlich einer Übersiedlung zum Altpapier gekommen und (…) eingestampft worden.“ (Schreiben vom 28. September 1940, in Registerakt Bastei-Verlag, Reg. C 20, 45, deponiert in WrStLa.)

[93] Wie jeder Jude, nach § 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, war Dr. Gottfried Bermann verpflichtet, das „Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938“ abzugeben. Im Gegensatz zu anderen, ebenfalls geflohenen Wiener Verlegern (Herbert Reichner, Robert Freund), die dieser „Pflicht“ vom Ausland aus verständlicherweise nicht nachkamen – Vermögen und Eigentum waren sowieso automatisch verlorengegangen – übermittelte Bermann das „Verzeichnis“ von Stockholm aus am 19. August 1938, nachdem er von Wien aus als „Meldepflichtiger“ hiezu aufgefordert worden war. (Siehe AVA, VVSt, V.A. 09328). In der V.A. gab er lediglich seine Anteile an der A.G. für Verlagsrechte, Chur, sowie an der BFV-Ges.m.b.H., Wien, (öS 20.000) an. Der Akt der VVSt zum Verlag selber (Ha 5.109) konnte zwar nachgewiesen werden, doch lag er nicht ein. Bermann ist letzten Endes minimal und indirekt über die Gläubigerforderung der A.G. in Chur entschädigt worden.

[94] Siehe: Robert Musil. Briefe 1901–1942. Herausgegeben von ADOLF FRISÉ Unter Mithilfe von MURRAY G. HALL. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Verlag, 1981. Zwei Bände.

[95] 9.9.1903, Wien-9.8.1941, ebenda.

[96] Quelle: Handelsgericht Wien. Ausgleichsakt. Sa 3/39. Deponiert in WrStLa.

[97] Laut V.A. 09328 (s. Anm. 92) besaß Bermann Vorzugsaktien der A.G. für Verlagsrechte, Chur, im Wert von sfr 50.000 und Aktien dieser Firma im Wert von sfr 29.500.

[98] Linsmayer, der u.v.a. selber seit 1933 Inhaber des Johannes Müller & Co. Verlags in Klosterneuburg, Geschäftsführer der Bernina-Verlag A.G. Wien/Olten war, war der meistbeschäftigte Verlagsfachmann und Abwickler im Lande Österreich. Am 10. Februar 1939 wurde er z.B. von der VVSt zum Abwickler von nicht weniger als 32 Buchhandlungen und Verlagen bestellt. (Abschrift dieser Bestellung u.a. in Registerakt Bermann-Fischer Verlag, Reg. C 4, 40.) Deponiert im WrStLa.

[99] Enthalten in: Handelsgericht Wien. Ausgleichsakt Sa 3/39. Deponiert in WrStLa.

[100] Der Übernahmspreis freigegebener Werke betrug 5% vom Ladenpreis.

Ergänzungen zur Buchveröffentlichung von 1985

  • Sigrid Buchhas: Der österreichische Buchhandel im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Buchhandels unter besonderer Berücksichtigung Wiens. Diplomarbeit Univ. Wien 1993.
  • Iris Pawlitschko: Jüdische Buchhandlungen im Wien. „Arisierung“ und Liquidierung in den Jahren 1938-1945. Diplomarbeit Univ. Wien 1996.
  • Ulrike Felber/Peter Melichar/Markus Priller/Berthold Unfried/Fritz Weber: Ökonomie der Arisierung. Teil 2: Wirtschaftssektoren, Branchen, Falldarstellungen. Zwangsverkauf, Liquidierung und Restitution von Unternehmen in Österreich 1938 bis 1960 2. Wien u.a.: Oldenbourg, 2004. (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission, Band 10-2).

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