Avalun-Verlag (Wien-Leipzig)
Der Avalun-Verlag trat im Frühjahr 1919 in Wien in Form der ersten „Avalun-Drucke“ erstmals in Erscheinung. Im Grunde genommen war dieser Verlag zunächst kein eigenständiges Unternehmen, denn er war eine Abteilung des „Verlags für Technik und Industrie Julius Brüll in Wien“, der am 1. Oktober 1915 als „Selbstverlag für Technik und Industrie Julius Brüll Wien“ unter Reg. A, Band 31, pagina 166 ins Wiener Handelsregister eingetragen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Betriebsgegenstand noch Herausgabe und Vertrieb von Zeitschriften und Jahrbüchern von technischen und industriellen Verbänden und Genossenschaften im Selbstverlag. [1]
Außer daß ein gewisser Franz Brüll Anfang des folgenden Jahres als Prokurist in die Firma eintrat, sagt der Handelsregisterakt nichts aus. (Auch die Erwähnung „Avalun-Verlag“ fehlt völlig.) Am 31. Jänner 1919 scheint offenbar die Grundlage für die folgende Verlagsunternehmung geschaffen worden zu sein. Der Betriebsgegenstand wurde nun umgeändert in: Verlag-, Buch- und Kunsthandel mit Ausschluß des offenen Ladengeschäftes. Sitz der Firma war Wien, IX., Peregringasse 1. Bereits am 7. Jänner 1919 wurde die Verlagsmarke „AVALUN“ unter Schutz gestellt, im Zentral- Marken-Anzeiger abgebildet, [2] letztlich aber nicht als Signet verwendet.
Wie lange der Verlag in Wien geschäftlich tätig war, d.h. wie lange er als Wiener Unternehmen anzusehen ist, ist nicht genau festzustellen. Vermutlich war er hier bis Mitte der 20er Jahre, jedenfalls bis 1923 aktiv. [3] Infolge einer Erwerbssteuerabschreibung wurde die Firma am 2. Jänner 1931 aus dem Handelsregister gelöscht.
Wer außer dem Inhaber Julius Brüll und Bruder Franz Brüll im Verlag beschäftigt war, geht freilich nicht aus dem Akt des Handelsgerichts hervor. Doch wissen wir aus anderen Quellen, [4] daß der Kunstkritiker und Schiele-Förderer Arthur Roessler sowohl als „Begründer“ wie auch als Geschäftsführer der Wiener Zentrale des Avalun-Verlags[5] genannt wird. Und es ist tatsächlich so, daß Roessler schon im ersten Geschäftsjahr mit dem Verlag durch eine Publikation in Verbindung stand.
Da sich dieser Verlag, der sich erst im Laufe des Jahres 1919 Avalun-Verlag nannte, auf Luxusdrucke, Mappenwerke, bibliophile Ausgaben und dgl. spezialisiert war und daher streng genommen nicht als „belletristischer Verlag“ gelten kann, wird hier weitgehend auf eine Aufzählung der Verlagswerke verzichtet. Im Grunde genommen bestand die Produktion aus viererlei: aus den sogenannten „Avalun-Drucken“, die ab April 1919 zu erscheinen begannen, aus der Reihe „Avalun-Tausend-Drucke“, die ab Oktober 1919 zu erscheinen begannen, aus einzelnen, diesen Reihen nicht zuzuzählenden Mappen- und Blattwerken sowie aus „Verschiedenem“.
1. Avalun-Drucke[6]
Die Serie „Avalun-Drucke“ wurde erstmals in einer Anzeige am 19. März 1919 in der Österreichisch-ungarischen Buchhändler-Correspondenz angekündigt. [7]
AVALUN-DRUCKE sind in kleiner, streng limitierter Auflage hergestellte bibliophile Bücher, originalgraphische Mappenwerke und Einzelblätter, künstlerisch formvollendet gestaltete Gefäße aus edlem Stoff, die zeitlos wertvollen, einzigartigen geistigen und künstlerischen Inhalt bergen.
In die Avalun-BÜCHER ist das originalgraphische Bild durch die Künstler nicht willkürlich von außen hineingetragen, sondern aus dem Urgrund gemeinsamen Geistinnern geschöpft; Wort und Bild schließen wahlverwandte Verbindung, schmelzen ineinander zu organischer Einheit.
Die originalgraphischen Avalun-MAPPENWERKE und EINZELBLÄTTER sind Leistungen rein künstlerischen Schaffens, in denen die Urheber nicht aufgetragene „Aufgaben gelöst“, sondern Probleme bewältigt haben, vor die sie sich aus eigenem Trieb und Drang gestellt haben. (BC, Nr. 12, 19.3.1919, 165)
Der „Erste Avalun-Druck“ – Hans Christian Andersen: Reiseblätter aus Österreich mit 12 Original-Radierungen von Luigi Kasimir – wurde am 2. April 1919 in der BC angezeigt. Die einmaligen numerierten Ausgaben, von denen es jeweils mindestens zwei Ausführungen gab, erschienen in Auflagen zwischen 110 und 450 Exemplaren. Der Druck erfolgte über die Jahre in verschiedenen prominenten Pressen und Druckereien – von der Österreichischen Staatsdruckerei in Wien bis zu Jakob Hegner in Hellerau bei Dresden. Insgesamt sind nach einer verläßlichen Aufstellung 40 Ausgaben erschienen, [8] bei denen auch namhafte (österreichische) Künstler beteiligt waren.
2. Avalun-Tausend-Drucke
„Neben den bibliophilen originalgraphischen AVALUN-DRUCKEN erscheint nunmehr eine Reihe von Büchern bedeutender Verfasser, die Avalun-Tausend-Drucke. EINMALIGE AUFLAGE JEDES DRUCKES TAUSEND EXEMPLARE. Den Grundsätzen des Avalun-Verlages gemäß bieten auch diese Werke dauernd wertvollen Inhalt in buchtechnisch mustergültiger Form durch die Satz- und Druckausstattung sowie durch das verwendete Material an Papier und Einband.“ (BC, Nr. 43, 22.10.1919, 639)
Nachweisen ließen sich nur ganz wenige Titel, und es ist fraglich, ob viel mehr erschienen ist:
Franz Blei, Das Evangelium des Apollonios. 1919
Franz Dirsztay, Zwei Welten. Eine Novelle. 1919
Arthur Rössler, Ein Abend mit Gottfried Keller und Böcklin. 1919
Franz Blei, Der bestrafte Wollüstling. Eine Arabeske. Mit einer Umschlag-Lithographie von Paris Gütersloh. 1921. (= Avalun-Tausenddruck. [9]
3. Mappenwerke
Außerhalb dieser beiden Reihen bzw. Serien erschienen auch Mappenwerke und Einzelblattzeichnungen. Das wohl erste Werk, das im März 1919 noch im „Verlag für Technik und Industrie Julius Brüll (Abteilung: Verlag für internationales Recht)“ erschien, war „das erste künstlerische Bild von Dr. Viktor Adler. Originalsteinzeichnung von Prof. Otto Friedrich“. [10] Zu den weiteren Publikationen zählten vier original-graphische Blätter (zwei Radierungen, zwei Lithographien) von Egon Schiele (April 1919), Karl Sterrers Mappenwerk Flieger im Hochgebirge (Mai 1919) und Die Insel. 10 Originalsteinzeichnungen von Carry Hauser (Oktober 1919) usw.
4. Diverses
Zu den wenigen weiteren nachweisbaren Publikationen des Avalun-Verlags zählt das Werk Johannes des österreichischen Arzt-Schriftstellers Burghard Breitner und Paul Stefans Werk Die Wiener Oper (1919).
Der Avalun-Verlag war, wie dieser kurze Überblick zeigt, primär ein Kunstverlag, der zum Unterschied von den meisten zeitgenössischen Unternehmen, die Prachtwerke und Luxusausgaben herstellten, nicht Teil eines großen Verlags war. Die diversen Drucke – sofern sie nicht schon um 1923 vergriffen waren, [11] hatten wohl angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung in Österreich und der steigenden Bücherpreise die Grenzen ihrer Absatzfähigkeit erreicht.
Der Avalun-Verlag hatte ein geniales Signet, auf das abschließend hingewiesen wird: die Marke bestand aus einer Zusammenschachtelung der Buchstaben AVA über die Buchstaben LUN (s. Abb.) Wer es entworfen hat, ist nicht bekannt.
Anmerkungen
[1] Handelsgericht Wien. Registerakt A 31, 166. (Deponiert im WrStLa) Über den Verlagsinhaber Julius Brüll konnte leider nichts in Erfahrung gebracht werden.
[2] Zentra1-Marken-Anzeiger (Wien), Herausgegeben vom Deutsch-österreichischen Staatsamt für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, Nr. 1, 1919, S. 11, ausgegeben am 30. Juni 1919.
[3] Die Annahme, daß der Avalun-Verlag bis 1923 in Wien tätig war, basiert auf einer (allerdings sehr lückenhaften) Liste der Avalun-Drucke 1919 bis 1923, die sich im Anhang zum weiter unten identifizierten Sammelband über Arthur Roessler findet. Verwirrend wird die Sache, wenn man von einer offensichtlich vollständigen Liste der ‚Avalun-Drucke“ in: JULIUS RODENBERG, Deutsche Pressen. Eine Bibliographie. Mit vielen Schriftproben. Zürich-Wien-Leipzig: Amalthea Verlag, 1925, S. 331-338, ausgeht. Klar ist die Tatsache, daß der Verlag, besser: das Geschäft der Avalun-Drucke, nach Dresden-Hellerau zu Jakob Hegner übersiedelte, nur ist nicht ersichtlich, wann dies geschah. Daß der Avalun-Verlag noch in den 30er Jahren, aber nur in Deutschland, existierte, zeigen Publikationen Franz Bleis aus den Jahren 1927, 1928 und 1931.
[4] HANS ANKWICZ-KLEEHOVEN, A. R-r. zum 20. Februar 1927. In: Würdigungen. Zwanzig Essays über Arthur Roessler. Unter Mitarbeit von Freunden. Hg. von Ida Roessler. Wien: Verlag der Buchhandlung Richard Lányi, 1929, S. 10-11 und JOSEF SOYKA, Ein Führer zu den Höhen der Kunst. In: ebenda, S. 64-66.
[5] Ankwicz-Kleehoven meint (S. 11), Roessler hätte mehrere Jahre die Geschäfte geführt, während Soyka schreibt, er wäre Begründer und „langjähriger Leiter“ (S. 65). Siehe außerdem den Nachruf auf Roessler von ANKWICZ-KLEEHOVEN, in: Das Antiquariat (Wien), XI. Jg., Nr. 13/16, Juli-August 1955, S. 174 f.
[6] Dazu FELIX SALTEN, Die Avalundrucke. In: Neue Freie Presse (Wien), Nr. 21109, So., 17.6.1923, S. 31 und BENEDIKT THEOPHRASTUS, Ein Intellektueller. In: Die Wage (Wien), IV. Jg., Nr. 13, 23.6.1923, S. 415 f.
[7] In diesem Jahrgang der BC sind nur die ersten vier angezeigt.
[8] Siehe RODENBERG (zit. Anm. 3), S. 331-338. Rodenberg geht in seinem Werk auf die Geschichte des Avalun-Verlags nicht ein und erwähnt (trotz Nachtrag der Jahre 1925 bis 1930) die Übersiedlung von Wien nach Deutschland nicht.
[9] Ob mehr als diese vier Bände erschienen, ist, wie gesagt, nicht bekannt. Das DBV gibt bei diesem letzten Werk als Impressum nicht Wien, sondern Hellerau bei Dresden an. Daß Blei zweimal Werke im Avalun-Verlag erschienen ließ, mag damit zusammenhängen, daß seine Wohnadresse (und die Wohnung seiner Tochter Sibylle, die vom Ehemann Ernst von Lieben eingerichtet wurde) zu dieser Zeit mit der Geschäftsadresse des Avalun-Verlags identisch war.
[10] BC, Nr. 12, 19.3.1919, S. 167.
[11] Im zitierten Zeitungsartikel von Felix Salten (Anm. 6) heißt es z.B. „Denn die meisten Avalundrucke sind längst schon vergriffen.“