Bermann-Fischer Verlag

Bermann-Fischer Verlag

Bermannfischer SignetDie Ereignisse, die zur Gründung des Wiener „Bermann-Fischer Verlags“ führten, sind bereits mehrmals beschrieben, die Geschichte des Verlags ebensooft geschildert worden. Auch an anderer Stelle dieser Arbeit sind teils unter Heranziehung neuer Dokumente sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch die Beziehungen zum Deutschen Reich ganz generell sowie die Liquidation behandelt worden. Aus diesem Grund werden die Vorgänge aus Wiener Sicht grob skizziert und einige Fehlansichten richtiggestellt.

In seinen Erinnerungen[1] schreibt Gottfried Bermann-Fischer, er habe im März 1935 den entscheidenden Entschluß gefaßt, den Nazis das in den Rachen zu werfen, „was sie haben wollen“, und dafür die „Freigabe der verfemten Verlagsautoren zur Auswanderung“ zu erkaufen (S. 94). Was sich aus dieser Auswanderung in den nächsten 12 Monaten entwickelte, war – auf die Wiener Zeit bezogen – kein „Exilverlag“ im üblichen Sinn. Das Entgegenkommen, das Bermann im Propagandaministerium erfuhr, war, wie mehrfach festgestellt, in Wahrheit erstaunlich, was allerdings nicht bedeutet, der neue Sezessions-Verlag in Wien stieß im Reich überall auf Gegenliebe. [2]

Das alte, seit dem Jahre 1886 bestehende Verlagsunternehmen S. Fischer sollte in zwei Bestandteile aufgelöst werden. Am 18. Dezember 1936 hat sodann eine wenige Tage zuvor gegründete Kommanditgesellschaft von der S. Fischer Verlag A.G. den Verlag unter Beibehaltung des Namens erworben. [3] Die Leitung lag in den Händen Peter Suhrkamps. Durch die effektive „Arisierung“ der S. Fischer Verlag A.G. blieben neben einem beträchtlichen Warenlager auch die Verlagsrechte von einer Reihe im Reich „unerwünschter“ Autoren über. Diese schufen die Basis für einen im Ausland zu gründenden Verlag. Bermann-Fischer hat sodann nicht nur Erlaubnis bekommen, den Buchbestand von über 780.000 Bänden mit einem Verkaufswert von RM 1,572.000 „mitnehmen“ zu dürfen, sondern es wurde ihm ausdrücklich gestattet, den Vertrieb seiner Verlagsproduktion mit noch zu nennenden Ausnahmen zu propagieren. In der letzten Verhandlung zwischen Ministeriahrat Wismann vom Propagandaministerium, Bermann und Suhrkamp über die Modalitäten am 16. April 1936 wurde vielmehr festgestellt, „daß der von Ihnen im Ausland gegründete Verlag von der Kammer [= Reichsschrifttumskammer] grundsätzlich nicht anders behandelt werden wird als jeder andere ausländische Verlag“. [4] Dieses Schreiben der RSK wirft demgemäß auf die Gründung des Bermann-Fischer Verlags im Ausland ein relativierendes Licht. Doch bis es so weit war, gab es ein bewegtes Hin und Her in der Standortfrage.

Schon Anfang November 1935 begann sich die seit 1934 erscheinende Wiener Tageszeitung Das Echo als eines der wenigen Wiener Blätter mit dem Thema der „Übersiedlung deutscher Verleger nach Wien“ regelmäßig zu befassen. So heißt es etwa am 8. November:

In kurzen Abständen wiederholen sich die Meldungen über Abwanderungspläne großer deutscher Verlage nach Österreich. Es werden Namen wie S. Fischer. Berlin, Rütten & Loening, Frankfurt am Main, Jakob Hegner, Hellerau, Piper & Co., München und auch Ernst Rowohlt genannt.

Von „informierter Seite“ erhielt Das Echo die Mitteilung, daß der S. Fischer Verlag „vor kurzem von dem Ullstein-Verlag (lies: von dem nationalsozialistischen Zentralverlag, an dem Hitler selbst hervorragend beteiligt ist) aufgekauft“ worden sei.

Die Machthaber des Zentralverlages wollten sich die Verlags rechte und das Geschäft mit den zahlreichen verstorbenen, aber noch der Schutzfrist unterworfenen Autoren S. Fischers sichern. Auch verschiedene noch lebende Autoren, wie Gerhart Hauptmann, Lagerlöf, Hamsun wünschten sie in ihre Interessensphäre einzubeziehen.

Beim Verkauf sei Bermann-Fischer ausbezahlt worden und habe „seine Absicht kundgetan, mit diesem Kapital im Ausland, vermutlich in Österreich, eine neue Verlagsanstalt zu gründen, in die ihm zweifellos ein bedeutender Prozentsatz der bisher bei ihm verlegten jungen Autoren folgen würde“. Ende Dezember 1935 konnte Das Echo über die in weitesten Kreisen beachteten Vorgänge weiteres berichten:

Zuerst hieß es, daß dieser neue S. Fischer-Verlag – unter welchem Namen steht noch nicht fest – in Wien etabliert werden soll. Von diesem Plan ist man nunmehr abgekommen. Als neuer Verlagsort ist augenblicklich vielmehr Zürich in ernste Erwägung gezogen.
Es ist anzunehmen, daß Dr. Bermann-Fischer die nicht-arischen Autoren des S. Fischer-Verlags übernehmen und nun in Zürich verlegen wird. Dies soll sich sowohl auf die bereits verstorbenen, wie eben Schnitzler und Altenberg, als auch auf die lebenden beziehen. [5]

Dazu brauchte Bermann die Genehmigung der Schweizer Behörden. Er war allerdings optimistisch: „Den berühmten Verlag mit den Werken seiner großen Autoren, finanziell gesichert, als Schweizer Unternehmen zu etablieren, konnte doch wohl auf keine Schwierigkeiten stoßen. Aber ich hatte mich geirrt.“ (Bedroht, S. 101). Doch: „Gegen ein selbständiges Unternehmen (…), wie ich es wollte, erhob sich der schweizerische Verlagsbuchhandel, unterstützt von dem damaligen Feuilletonredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Eduard Korrodi, mit der Begründung, die Niederlassung eines so potenten ausländischen Verlages in Zürich würde die Interessen des schweizerischen Verlagswesens schwer gefährden.“ (S. 101)

Noch am 24. Februar 1936 meldete die Wiener Wochenzeitung Der Morgen, daß der künftige Sitz des Verlags Zürich sein dürfte. Erschwernisse bei der Niederlassung in Wien, die schon Ende März in die Wege geleitet wurde, scheinen sich darauf beschränkt zu haben, daß die von Deutschland verhängte „Tausendmarksperre“ die Einreise Bermanns etwas kompliziert machte. Aber einmal in Österreich, erfolgte die Neugründung sehr rasch und unkompliziert. „Der gegenwärtige Eigentümer des weltberühmten S. Fischer-Verlages in Berlin, Dr. Gottfried Bermann-Fischer, ist vor einigen Tagen in Wien eingetroffen. Der Wiener Aufenthalt Dr. Bermann-Fischers ist insoferne von Bedeutung, als er im Zusammenhang mit den notwendig gewordenen Änderungen des Besitzverhältnisses in dem berühmten Verlag im Zusammenhang steht.“

Dr. Bermann-Fischer will den neuen Verlag nicht in Zürich, sondern vielmehr in Wien gründen. Dies ist auch der Zweck seines gegenwärtigen Wiener Aufenthaltes. Er steht bereits in eingehenden Unterhandlungen, die sich auf die Eröffnung dieses neuen Verlages beziehen, der, wie Dr. Bermann-Fischer ausdrücklich betont, in der alten Tradition des bisherigen S.-Fischer-Verlages geführt werden wird.

Dr. Bermann-Fischer fährt schon in den allernächsten Tagen wieder nach Berlin, um dort die Verkaufsverhandlungen zu perfektuieren und kehrt dann nach Wien zurück, um seinen Wiener Plänen konkrete Form zu geben. [6]

Bereits am 1. April 1936 waren die Verhandlungen so weit gediehen, daß Bermann an diesem Tag bei einem Wiener Notar erscheinen und rechtmäßig sowohl den Mantel (genau: sämtliche Anteile) einer bestehenden Verlags Ges.m.b.H. als auch die erforderliche Konzession erwerben konnte. [7] Es handelt sich um die am 5.12.1930 ins Wiener Handelsregister eingetragene Firma „Zentraleuropäische Verlags- und Werbe-Gesellschaft“. Hiebei ist die Firmenbezeichnung etwas irreführend, denn dachte die Österreichische Völkerbundliga (zunächst) an die Schaffung eines selbständigen Verlags zur Herausgabe und Verbreitung ihrer publizistischen Werke, so lautete der neue Betriebsgegenstand im März 1933 nunmehr „Gemischtwarenhandel mit Ausschluß des Handels in Lebensmitteln“!

In offiziellen Eingaben an die österreichische Regierung gibt Bermann das Gründungsdatum mit 1. Mai 1936 an, wobei nicht einsichtig ist, worauf er sich konkret bezieht. Die Chronologie sieht dem Aktenverlauf nach folgendermaßen aus: Erwerb durch Notariatsakt vom 1. April 1936; Befürwortung der Übernahme am 8. Mai in einem Gutachten der Buchkaufmannschaft Wien mit Hinweis darauf, daß Dr. Gottfried Bermann-Fischer (langjähriger Leiter des S. Fischer Verlags in Berlin gewesen sei; Befürwortung der Übernahme und des Firmawortlauts „Bermann-Fischer Verlag Ges.m.b.H.“ durch die Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie in Wien vom 22. Mai. Die Eintragung bzw. die „Änderung bei einer bereits eingetragenen Firma“ im Register C, Band 4, pagina 40 erfolgte am 9. Juni 1936. Sitz der Firma war Wien III., Esteplatz 5, und Bermann wurde als nunmehr alleiniger Geschäftsführer eingetragen. Bereits Anfang Mai erfuhren Wiener Zeitungsleser, welche Autoren Bermann vom Berliner Stammhaus übernehmen sollte. [8] Außerdem enthält der Registerakt des Handelsgerichts ein Verzeichnis der Autoren und Werke, die von S. Fischer Berlin an Bermann abgetreten wurden.

Für die „teilweise Abfindung“ von Bermanns Vertrag mit dem S. Fischer Verlag erhob dieser Anspruch auf die Autorenrechte und Lagerbestände folgender 26 Autoren: Peter Altenberg, R. Beer-Hoffmann, Alice Berend, Siegmund Bing, Alfred Döblin, Arthur Eloesser, Martin Gumpert, Moritz Heimann, Friedrich Heydenau, H. v. Hofmannsthal, Marta Karlweis, Harry Kessler, Annette Kolb, Mechtilde Lichnowsky, Thomas Mann, André Maurois, Carl Rössler, René Schickel, Arthur Schnitzler, Bernard Shaw, Richard Specht, Siegfried Trebitsch, Jakob Wassermann, Carl Zuckmayer, R. Auernheimer, H. Chlumberg [9]

In einem Schreiben des Präsidenten der RSK vom 30. April 1936 an Bermann heißt es einschränkend in diesem Zusammenhang: „Vorbehaltlich der devisenrechtlichen Zustimmung bestehen hiergegen seitens der Reichsschrifttumskammer keine Bedenken; es wird aber ausdrücklich festgestellt, daß das Ausscheiden der genannten Autoren aus der S. Fischer-Verlags A.G. auf Ihre unmittelbare Veranlassung unter freiwilliger Zustimmung der Autoren oder deren Erben geschieht.“ (ebda.) Gleichzeitig wurde Bermann darauf aufmerksam gemacht, daß die Werke folgender von ihm übernommener Autoren „gegenwärtig vom Vertrieb innerhalb Deutschlands ausgeschlossen“ seien, also mit einem Gesamtverbot belegt waren:

Siegmund Bing, Alfred Döblin, Harry Graf Kessler, René Schickele, Arthur Schnitzler, Richard Specht: Arthur Schnitzler, Siegfried Trebitsch, Jakob Wassermann. (ebda.)

Es fehlt hier nur der Name Carl Zuckmayer, dessen bei Bermann erschienene Werke mit einem Gesamtverbot belegt waren. Zum Schluß wird noch betont, wie zuvorkommend die RSK sich verhalten hatte:

Es wird Ihnen ausnahmsweise gestattet, die gesamten Buchvorräte einschl. der Rohbestände von Werken dieser Schriftsteller bis zum 31. Mai 1936 nach Wien abzutransportieren; Sie sind verpflichtet, der Reichsschrifttumskammer den erfolgten Abtransport zu melden. Nach diesem Termin kann dieses Zugeständnis nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Der Vertrieb der Werke der übrigen Autoren innerhalb Deutschlands ist z.Zt. frei. Neue einschränkende Maßnahmen des Reiches würden, soweit sie die von Ihnen übernommenen anderen Autoren betreffen, selbstverständlich dieses Recht zum Vertrieb in Deutschland entsprechend einschränken. (ebda.)

Bermannfischer Signet

Erst am 25. Juli war Bermann offenbar so weit, daß er dem geehrten österreichischen Buchhandel die „Begründung eines neuen Verlagsunternehmens“ anzeigen konnte. [10] Die Liste der übernommenen Autoren, die hier angezeigt werden, umfaßt allerdings nur 19 Namen, und zwar:

Peter Altenberg, Richard Beer-Hofmann, Alice Berend, Alfred Döblin, Martin Gumpert, Moritz Heimann, Friedrich Heydenau, Hugo v. Hofmannsthal, Marta Karlweis, Graf Harry Kessler, Annette Kolb, Mechtilde Lichnowsky, Thomas Mann, André Maurois, Carl Rössler, Arthur Schnitzler, Bernard Shaw, Siegfried Trebitsch, Carl Zuckmayer.

Bereits im August 1936 begann der neue Verlag mit seiner Herstellungstätigkeit. Die Neuproduktion für den Herbst 1936 (zur Gänze in Österreich hergestellt) umfaßte 10 Werke, und zwar:

Thomas Mann, Joseph in Ägypten; Carl Zuckmayer, Salware; Hermann Hesse, Stunden im Garten; Hans v. Hammerstein, Die gelbe Mauer; Mechtilde Lichnowsky, Der Lauf der Asdur; Johannes V. Jensen, Dr. Renaults Versuchung; Ralph Roeder, Savonarola; Thomas Mann, Freud und die Zukunft; Jean Giraudoux, Kein Krieg in Troja; Julien Green, Mitternacht. [11]

Wenn man aber den ersten Bermann-Fischer-Verlagsprospekt mit „Neuerscheinungen“ vom „Herbst 1936“ näher ansieht, stellt man fest, daß zwei Neuerscheinungen nicht aufscheinen, zumal sie in Deutschhand von vornherein nicht vertrieben werden durften. Es sind dies Thomas Manns Freud und die Zukunft und Zuckmayers Salware.

Gerade was die Entwicklung des Verlags in den zwei Jahren 1936-38, in denen Bermann in Wien aktiv sein konnte, betrifft, ist es erforderlich, einer Legendenbildung, die nicht zuletzt von Bermann-Fischer ausgegangen ist, entgegenzutreten, ohne das Verdienst Bermanns um die deutsche und österreichische Literatur in irgendeiner Weise zu schmälern. So ist es nicht zutreffend, wenn Bermann in seinen Erinnerungen von einem „Exilverlag“ spricht (S. 104). Daß er Autoren und Werke verlegte, die im Reich verboten waren, reicht nicht aus, um dieses Prädikat zu beanspruchen: zum wirklichen Emigranten wurde er anläßlich des „Anschlusses“. Er war zu sehr gefinkelter Geschäftsmann, zu vorsichtig, um sein einträgliches Geschäft im Reich zu ruinieren oder aufs Spiel zu setzen im Gegensatz zu den wirklichen Exilverlagen war das Deutsche Reich für Bermann doch das Hauptabsatzgebiet. Er hielt sich an die Abmachung mit der RSK. In seinen Memoiren heißt es diesbezüglich:

In Deutschland übernahm nicht ohne politisches Risiko die mutige Firma Fleischer in Leipzig die Belieferung des deutschen Buchhandels und tat alles, um den Verkauf der „gefährlichen“ Geistesware nach Kräften zu fördern. Der deutsche Sortimentsbuchhandel spielte noch mit, stellte die Bermann-Fischer Bücher sogar noch aus, bis sie langsam unter den Ladentisch und später ganz verschwanden. Aber damit hatte es noch einige Weile. (S. 107)

Im Lichte des Wiener Archivmaterials hält diese Überdramatisierung, die mit dem letzten Satz abgeschwächt wird, einem Vergleich mit den Fakten nicht stand. Der Verlag wurde nicht in Deutschland stigmatisiert. Im Gegenteil: er war im Adreßbuch des deutschen Buchhandels 1937 verzeichnet, nahm an der Leipziger Frühjahrsbuchmesse 1937 ganz normal teil und stellte gar einen nicht geringen Teil seiner Produktion bis zum „Anschluß“ im Deutschen Reich her. Er sorgte somit für die Auslastung deutscher Druckereien und Bindereien und war insofern willkommen, als die Wertschöpfung seines Verlags in Deutschland eben im Land blieb und nicht ins Ausland gebracht werden konnte. Wie an anderer Stelle dieser Arbeit erläutert, genoß der Bermann-Fischer Verlag innerhalb des Devisenkontingentensystems eine Sonderstellung. Allfällige Schwierigkeiten, die Bermann im Reich gemacht wurden, betrafen auch andere Verlage und scheinen sich lediglich auf die Ablehnung von Anzeigen neuerschienener Werke ausländischer Juden durch das Börsenblatt beschränkt zu haben. Auch scheinen inoffizielle Boykottmaßnahmen im Reich Ende 1937 Bermann betroffen zu haben.

Die Frühjahrsproduktion im Jahre 1937 umfaßte 14 Werke, teils von älteren, dem Verlag angehörigen Autoren, teils von neuen, jungen Autoren, die zum größeren Teil Österreicher waren. So umfaßte das neue Verlagsprogramm folgende Werke:

Bermannfischer Anzeige KolbAnnette Kolb, Mozart; Franz Körmendi, Die Sündigen; Van Gogh-Briefe; Jean Giono, Novellen; Vincent Sheean, Sanfelice; Walther Schneider, Arthur Schopenhauer; Julius Vogel, Der ewige Wind; Rudolf Borchardt, Die mageren Jahre; Robert Musil, Über die Dummheit; Paul Valéry, Die Politik des Geistes; Moritz Heimann, Die Spindel; Arthur Schnitzler, Abenteurernovelle; Carl Zuckmayer, Gedichte. Ultima Thule.

In dieser Liste schon berücksichtigt sind die ersten Publikationen der neugegründeten Schriftenreihe „Ausblicke“, zu der auch Manns Freud-Essay gehörte. Dazu Bermann: „Da ich die ‚Neue Rundschau“ in meinem kleinen Verlag nicht weiterführen und mir eine eigene Zeitschrift, die die politische und kulturpolitische Gesinnung des Verlages zum Ausdruck bringen sollte, nicht leisten konnte, begründete ich die Schriftenreihe ‚Ausblicke“, die in unregelmäßigen Abständen Aufsätze zur geistigen Situation der Zeit brachte“ (S. 112). „In zwangloser Folge [werden] Aufsätze hervorragender Schriftsteller veröffentlicht – Ausschnitte aus dem Geistesleben der Gegenwart und ihrem Bemühen um Klarheit und Menschlichkeit“, heißt es in einer Verlagsanzeige. [12] In dieser Reihe erschienen z.B. die erwähnte Schrift Thomas Manns, Valérys Die Politik des Geistes, Robert Musils Über die Dummheit, Hans von Hammersteins Wiedergeburt der Menschlichkeit, Johannes Hollnsteiners Christentum und Abendland, Paul Claudels Vom Wesen der holländischen Malerei, Nikolai Berdiaeffs Die menschliche Persönlichkeit und die überpersönlichen Werte. Zu den nach Bermann 29 Titeln der Jahresproduktion 1937 zählte auch Die Rappen. Jahrbuch 1937, dessen Vorwort die Ergebenheit Bermanns den Kultur- und Politikmächtigen des Gastlandes gegenüber demonstriert. Zu den Neuerscheinungen im Herbst zählten die sehr erfolgreiche Biographie Madame Curie, Thomas Manns Der Zauberberg, Vincent van Goghs Briefe an den Maler van Rappard, H. v. Hofmannsthals Briefe 1900-1909, E.P. O“Donnells Roman Das große Delta, Jean Gionos Roman Bleibe, meine Freude, Hammersteins ‚Roman aus dem alten Österreich“ Wald, Frank Körmendis Roman Begegnung, Valentin Richters Roman Ein Leben und ein Augenblick, der Roman Der Verjüngte von Siegfried Trebitsch sowie Der kranke Nietzsche. Bermann-Fischer übernahm die Werke und Autorenrechte des eigenwilligen Robert Musil vom Rowohlt Verlag. Dazu gehörten sämtliche Werke, darunter die ersten zwei Bände des Mann ohne Eigenschaften. Ein dritter Band wurde für November bzw. Herbst 1937, dann für Ende Februar 1938 angekündigt. Aus einer Reihe von Gründen, die allgemein bekannt sind und auf die hier nicht eingegangen wird, erschien er nicht. Unrichtig ist es allerdings, wenn Bermann-Fischer in seinen Erinnerungen behauptet, die ersten zwei Bände des Mann ohne Eigenschaften wären (vor dem „Anschluß“) in Deutschland verboten gewesen (S. 112). Worauf sich Bermann hier stützt, ist unbekannt, aber es hieße den Stellenwert Musils in der Literaturszene stark überschätzen, ginge man davon aus, Musil wäre vor dem März 1938 generell verboten gewesen. Sonst wäre unerklärlich, daß die letzte Verlagsanzeige, die Bermann-Fischer vor dem „Anschluß“ im Börsenblatt plazierte – am 15. Februar 1938 – den 3. Band des Mann ohne Eigenschaften für Ende des Monats ankündigte und die ersten zwei Bände als wieder lieferbar anpries.

Zu den Werbemitteln des Bermann-Fischer Verlags gehörten in den zwei Jahren neben Annoncen im österreichischen Anzeiger und im Börsenblatt mehrere- mehr als ein halbes Dutzend-Verlagsprospekte, drei davon im Jahre 1936 (Juli 1936; August 1936; Herbst 1936). Im nächsten Jahr gab es einen „Gesamtkatalog Frühjahr 1937“, einen „Gesamt-Katalog 1937“ und „Die Neuerscheinungen aus dem Bermann-Fischer Verlag Wien Herbst 1937“. Noch im Jänner 1938 gab es einen „Gesamtkatalog Frühjahr 1938“.

Bermannfischer Karte

Das einzige Hindernis im Verkauf und Vertrieb der Verlagswerke im Deutschen Reich war, wie erwähnt, das Kontingentensystem, durch das Bermann-Fischer ohnehin bevorzugt wurde. Dies ist auch der einzige Grund, weshalb es zu einer temporären „Einfuhrsperre“ gegen seine Verlagswerke kam. Fazit: Bermann konnte – von den zur Gänze in Österreich hergestellten Werken im Deutschen Reich abgesehen – weitaus mehr absetzen, als seinem Verlag an Devisen zustand. Bermann zog – wie übrigens andere Verleger auch – die Konsequenzen und verlegte einen ansehnlichen Teil seiner Produktion nach Deutschland. Hier ließ er drucken und binden, hier kaufte er Papier ein, und so wurde der Vertrieb und Verkauf dieser zur Gänze im Reich hergestellten Werke (und auch der alten S. Fischer-Lagerbestände) in keiner Weise eingeschränkt.

Was sich Mitte März 1938 im Verlag in Wien abspielte, hat Bermann in seinen Erinnerungen geschildert. Aber wenn nun de Mendelssohn behauptet, der Verlag wäre von der Regierung geschlossen worden, so ist dies nicht nur ungenau, sondern schlicht und einfach unrichtig. Die „Regierung“ hat expressis verbis keine Verlage „geschlossen“. Die Praxis sah völlig anders aus. Der Bermann-Fischer Verlag wurde in Wahrheit überhaupt nicht „geschlossen“, ja er war noch bis April 1939 aktiv. Obwohl weniger eindeutig als im Fall anderer Verlage, kann man annehmen, daß eine Liquidation des „Judenverlags“ früher oder später erfolgen würde, doch zunächst hat sich ein „kommissarischer Leiter“ namens Alfred Böhme in den Verlag eingesetzt. Das will heißen, daß Böhme nicht offiziell ernannt und auch nicht ins Handelsregister eingetragen wurde. Etwas verspätet erfuhren Leser des Börsenblatts am 17. Juni 1938, daß der Bermann-Fischer Verlag in Wien „seit dem 18. März 1938 unter kommissarischer Leitung“ stehe. Der Betrieb wurde weiterhin aufrecht erhalten, trotz Abwesenheit des Inhabers. Am 28. Juli 1938 richtete Böhme ein Ansuchen an den Staatskommissar in der Privatwirtschaft mit der Bitte um Enthebung von seiner Funktion als kommissarischer Verwalter. Am 25. August wurde Theodor Hahn jun. (9.9.1903-9.8.1941) offiziell zum Nachfolger bestimmt. Es erschienen weiterhin Anzeigen des Wiener Bermann-Fischer Verlags im Börsenblatt (z.B. 8. und 20.6.1938), so daß von „geschlossen“ allein deshalb keine Rede sein kann.

Am 25. Februar 1939, also etwa einen Monat, bevor Hahn seines Postens als kommissarischer Verwalter enthoben wurde, wurde beim Handelsgericht Wien der Antrag auf Eröffnung des Ausgleichsverfahrens über das Vermögen der Bermann-Fischer Verlag Ges.m.b.H. Wien gestellt. Einzelheiten über den Ausgleich werden in Zusammenhang mit der Liquidation des Verlags an anderer Stelle erörtert. Der Verlag wurde allerdings erst 1944 aus dem Handelsregister gelöscht. Abschließend soll aber auf einen genialen Schachzug Bermanns hingewiesen werden, der den Verlust des Wiener Verlags etwas verminderte. Der Eindruck da und dort, daß nach dem „Anschluß“ nun gänzlich die Barbarei, etwa durch wilde Kommissare, Raub und Plünderung, ins Geschäftsleben einzog, wird gerade durch den Fall Bermann-Fischer Verlag widerlegt. Denn hätten hier barbarische Zustände geherrscht, dann hätte die Auflösung des Verlags nicht sechs Jahre gedauert und wären Gläubiger meistens nicht zu ihrem Recht gekommen. Obwohl in den meisten Fällen von „Arisierung“ lediglich dem Schein der Rechtmäßigkeit Genüge getan wurde, hatte bei Verfahren des Handelsgerichts alles seinen vorgeschriebenen Verlauf. Der Clou zum Ausgleich war die Tatsache, daß die Autorenrechte des Bermann-Fischer Verlags nicht dem Verlag in Wien, sondern der „A.G. für Verlagsrechte“ im schweizerischen Chur gehörten, und diese konnte im Rahmen des Ausgleichs Forderungen stellen, die erfüllt werden mußten. Entscheidend war, daß die Verlagswerke nun in zwei geteilt wurden. Zum einen handelt es sich um in Deutschland zum Vertrieb zugelassene Werke, über die der Abwickler des Verlags in Wien verfügen konnte, und zwar unter folgenden Bedingungen: Einverständnis der Autoren, Urheber oder deren Bevollmächtigter, Zahlung der Autorenhonorare direkt an die Berechtigten, Zahlung der Lizenzgebühr an die A.G. in Chur. In diesem Fall handelte es sich um folgende Werke:

Bardiaeff, Persönlichkeit; Claudel, Malerei; Giono, Taube Blüten; Giono, Bleibe, meine Freude; Van Gogh, Briefe; Green, Mitternacht; Gumpert, Hahnemann; Gumpert, Leben; Hammerstein, Gelbe Mauer; Hammerstein, Wald; Harrison, Elisabeth; Hesse, Stunden; Hofmannsthal, Werke und Alles; Hollnsteiner, Christentum; Jensen, Dr. Renault; Lichnowsky, Leine; Lichnowsky, Kindheit, Lichnowsky, Delaide, Lichnowsky, Asdur; O“Donnell, Delta; Podach, Nietzsche; Richter, Leben; Roeder, Savonarola; Schneider, Schopenhauer; Sheean, San Felice; Valéry, Politik; Vogel, Wind; Shaw, Alles. [13]

Hinzu kam ein zweites Verzeichnis von Autoren, die als unerwünscht vom Vertrieb in Deutschland ausgeschlossen waren und die die A.G. für Verlagsrechte in Chur von Bermann-Fischer übernahm:

Rudolf Borchardt, Vereinigung durch den Feind hindurch.
Giono, Kampf in den Bergen.
Hammerstein, Wiedergeburt der Menschlichkeit.
Stephan Hudson, Eine wahre Geschichte.
Robert Lehr, Der Mensch des 20. Jahrhunderts.
Robert Musil, Vereinigungen, Die Schwärmer, Drei Frauen, Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer, Rede zur Rilke-Feier, Die Verwirrungen des Zöglings Törleß, Der Mann ohne Eigenschaften, Über die Dummheit.
Richter, Ein Leben und ein Augenblick.
Voegelin, Die politischen Religionen.
Vogel, Der ewige Wind.
Jakob Wassermann, Die Geschichte der jungen Renate Fuchs, Caspar Hauser, Der goldene Spiegel, Das Gänsemännchen, Christian Wahnschaffe, Historische Erzählungen, Fränkische Erzählungen, Laudin und die Seinen, Der Fall Maurizius, Die Lebensalter, Etzel Andergast, Golowin, Der Aufruhr um den Junker Ernst, Christoph Columbus, Hofmannsthal der Freund, Bula Matari, Rede an die Jugend, Der unbekannte Gast, Oberlins drei Stufen, Ulrike Woytich, Faber, Selbstbetrachtungen, Mein Weg als Deutscher und Jude, Sonette an M. (ebenda.)

Wesentlich scheint vor allem im Zusammenhang mit Robert Musil und dem Schicksal der Lagerbestände seiner Bücher die Vereinbarung zwischen Abwickler und A.G., daß der Bermann-Fischer Verlag diejenigen Werke, die zwar zur Ausfuhr an die A.G. freigegeben, von ihr aber nicht übernommen wurden, anderweitig vom Verlag verkauft werden durften. Darunter müßten sich die Werke Musils befunden haben.

Anmerkungen

[1] GOTTFRIED BERMANN-FISCIIER, Bedroht – Bewahrt. Der Weg eines Verlegers. Frankfurt am Main: Fischer-Bücherei, 1971.

[2] Damit gemeint ist die Verleihung des Prädikats „Judenverlag“ etwa durch Will Vesper in der Neuen Literatur (Heft 1 vom Januar 1938; Heft 3 vom März 1938). Siehe auch ebenda, Heft 2 vom Februar 1937.

[3] Börsenblatt, Nr. 42, 20.2.1937, S. 717.

[4] Zitiert nach der Abschrift eines Schreibens der RSK an Dr. Gottfried Bermann vom 30. April 1936. ÖSta, AVA, BMfHuV, Geschäftszeichen 552, Grundzahl 92.040-7/37, Geschäftszahl 96.067-7/37.

[5] Das Echo (Wien), Jg. 2, Nr. 298, Fr., 27.12.1935, S. 6.

[6] Das Echo (Wien), Jg. 3, Nr. 80, Sa., 4.4.1936, S. 5.

[7] Handelsgericht Wien. Registerakt Bermann-Fischer Verlag, Reg. C 4, 40 (WrStLa). Die folgende Chronologie beruht auf diesem Akt.

[8] Siehe Das Echo (Wien), Jg. 3, Nr. 126, 2.5.1936, S. 5.

[9] Folgt der Aufstellung im Schreiben der RSK vom 30.4.1936. Siehe Anm. 4.

[10] Anzeiger, 77. Jg., Nr. 18, 25.7.1936, S. 95. Die in G. BERMANN-FISCHER (zit. Anm. 1) wiedergegebene Anzeige trägt das Datum 15. Juni 1936 (S. 108).

[11] Zitiert nach einer Eingabe des Bermann-Fischer Verlags „Betrifft Einfuhr der in Österreich hergestellten Produktion“ an das Wiener Außenministerium. (ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 134, BKA 35.866-13/37)

[12] Anzeiger, 78. Jg., Nr. 10, 24.4.1937, S. 65.

[13] Alle hier zitierten Vorgänge sind dem Ausgleichsakt des Wiener Handelsgerichts entnommen. (Handelsgericht Wien, Ausgleich Sa 3/39 (WrStLa).

Ergänzungen zur Buchveröffentlichung von 1985

  • Irene Nawrocka: Der S. Fischer Verlag. Von der Auswanderung aus Deutschland bis zur Rückkehr aus dem Exil. Diplomarbeit Universität Wien 1994.
  • Bermann Fischer, Gottfried: Wanderer durch ein Jahrhundert. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1995.
  • Irene Nawrocka: Verlagssitz: Wien, Stockholm, New York, Amsterdam. Der Bermann-Fischer Verlag im Exil (1933–1950). Ein Abschnitt aus der Geschichte des S. Fischer Verlages. Diss. Wien 1998. (Gedruckt in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 53 (2000), S. 1-216.) PDF
  • Carl Zuckmayer – Gottfried Bermann Fischer: Briefwechsel. Mit den Briefen von Alice Herdan-Zuckmayer und Brigitte Bermann Fischer. Band I: Briefe 1935 – 1977. Herausgegeben von Irene Nawrocka. Band II: Kommentar. Herausgegeben von Irene Nawrocka. Göttingen: Wallstein Verlag 2004, bzw. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag 2007.
  • Irene Nawrocka: Deutschsprachige Exilautoren und der Bermann-Fischer Verlag in Stockholm. In: Irene Nawrocka (Hrsg.): Im Exil in Schweden. Österreichische Erfahrungen und Perspektiven in den 1930er und 1940er Jahren. Wien: Mandelbaum Verlag 2013, S. 148–167.
  • Irene Nawrocka: Gottfried Bermann Fischer und seine Zusammenarbeit mit der schwedischen Verlegerfamilie Bonnier. In: Olaf Glöckner und Helmut Müssener (Hrsg.): Deutschsprachige jüdische Migration nach Schweden 1774 bis 1945. Oldenburg: De Gruyter 2017, S. 167–184. (= Europäisch-jüdische Studien – Beiträge 33)
  • Irene Nawrocka: Österreichische und deutsche Autoren im Bermann-Fischer Verlag in Wien 1936–1938. In: Aneta Jachimovicz (Hrsg.): Gegen den Kanon – Literatur der Zwischenkriegszeit in Österreich. Frankfurt am Main: Peter Lang 2017, S. 97–116. (= Warschauer Studien zur Kultur- und Literaturwissenschaft, hrsg. von Karol Sauerland, Band 10)

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