Verlag Dr. Hans Epstein (Verlag Dr. Rolf Passer)

Verlag Dr. Hans Epstein (Verlag Dr. Rolf Passer, Zeitbild-Verlag) (Wien-Leipzig)[1]

Der am 4. Juli 1897 in Wien geborene Dr. Hans Epstein gründete nach Absolvierung der Buchhandelslehre bei Ernst Peter Tal im Jänner 1927 in der elterlichen Wohnung einen Buchverlag unter seinem Namen. Zur Gründung stellte ihm sein Vater Kommerzialrat Berthold Epstein S 20.000 zur Verfügung. Mit diesem Kapital ausgestattet, begann der junge Epstein, der weder Angestellte noch Mitarbeiter hatte, Bücher kulturellen und kunstgeschichtlichen Inhalts, Biographien und Stadtbildsammlungen herauszugeben, die verhältnismäßig gute Erfolge hatten. Der Verlag wurde vorerst beim Handelsgericht nicht protokolliert, wohl aber war Epstein im Besitz der erforderlichen Konzession, die ihm am 4.3.1927 von der Korporation verliehen wurde.

Die Umsätze der ersten Jahre zeigen die wirtschaftliche Entwicklung des Verlags:[2]

Umsätze 1927-1931
1927 25.715,05 S
1928 51.158,70 S
1929 89.412,86 S
1930 117.741,12 S
1931 98.566,23 S

Nach kurzer Krankheit starb Hans Epstein unerwartet am 20. Februar 1932 in Wien, [3] ohne ein Testament zu hinterlassen. Es stellte sich heraus, daß die ganze Einrichtung des Verlags so stark auf die persönliche Note und die persönlichen Fähigkeiten des Leiters eingestellt war, daß ein Fortbestand des Verlags zunächst fraglich war. Aus diesem Grund wurde Epsteins ehemaliger Lehrer Ernst Peter Tal als sachverständiger Leiter und Kurator bestellt. Als nächstes wurde gegen die Hinterlassenschaft Epsteins beim Handelsgericht Wien ein Ausgleichsantrag gestellt. [4] Anläßlich der Ausgleichstagsatzung am 21. Juni 1932 stellte sich heraus, daß Aktiven in der Höhe von ca. S 64.000 Passiven von S 126.454 gegenüberstanden. [5] Aus der Befriedigung des Großgläubigers, der Buchdruckerei Franz Gogl’s Nachfolger Karl Scheibe, Wien, entstand unter Beibehaltung des Firmanamens und Weiterführung des Betriebs eine neue Rechtskonstruktion, eine Kommanditgesellschaft mit dem am 27. Oktober 1897 in Touseni, Bezirk Brandeis an der Elbe in Böhmen geborenen und in Prag zum Dr. phil. promovierten Dr. Rolf Passer als Kommanditist und persönlich haftendem Gesellschafter. Am 23. September 1932 wurde sodann die Firma „Verlag Dr. Hans Epstein“ mit Betriebsgegenstand Buch-, Kunst- und Musikalienhandel, beschränkt auf Verlag, Versand und Vertrieb unter Register A, Band 59, pagina 144a ins Wiener Handelsregister eingetragen. Passer, der tschechischer Staatsbürger war, hatte in seiner Heimat bereits Branchenerfahrungen gesammelt, so daß sein Antrag vom 8.8.1932 um Verleihung einer entsprechenden Konzession – nicht zuletzt, weil keine Konzessionsvermehrung damit verbunden war – durch die Verleihung am 25.11.1932 bewilligt wurde. Etwa ein Jahr später, nämlich am 17. November 1933 wurde der Firmenname in „Verlag Dr. Rolf Passer“ umgeändert. Dies war auch die letzte Veränderung im Handelsregister bis nach dem „Anschluß“. Passer führte den Verlag in gleicher Art weiter; er verlegte Kunst- und Kulturgeschichte, Biographien, Frauenromane, Werke sogenannter „schwerer Literatur“ und berücksichtigte besonders moderne tschechische Autoren. Anfänglich konnte der Verlag unter Passers Führung sich nur schwer durchsetzen und hatte besonders in den für den gesamten Buchhandel schwierigen Jahren 1934 und 1935 schwer zu kämpfen. So trat erst in den Jahren 1936 und 1937 eine wesentliche Besserung ein. Die Entwicklung der Umsätze sieht – bis 1938 – folgendermaßen aus:

Umsätze 1932-1938
1932 und 1933 80.592 S
1934 53.493 S
1935 46.882 S
1936 107.001 S
1937 126.497 S
1938 55.186 S

(Quelle: „Bericht“, Blatt 6)

Produktion bis zum „Anschluß“

Vom Beginn des Verlags unter Epstein und bis zu dessen Tod im Jahre 1932 erschienen etwas mehr als ein Dutzend Werke. Es sind, wie bereits angedeutet, noch nahezu ausschließlich Kunst- und Kulturführer mit Betonung auf Städten und Landschaften. Zwei Reihen deuten in diese Richtung: Der neue Stadtführer und Orbis Urbium. Schöne Städte in schönen Bildern. Eine der ersten Publikationen war der 1927 von Dagobert Frey herausgegebene Band Wien in Bildern mit „hundert großenteils unveröffentlichte(n) Photographien von Bruno Reiffenstein“. Eine englische Ausgabe (Vienna in Pictures) folgte 1929. Andere solche Werke waren der Wachau, Prag, Budapest, Wien, Florenz/Toskana gewidmet. Literatur bildet noch die Ausnahme von der Regel: so erscheinen 1931/32 etwa von Max Ermers Viktor Adler. Aufstieg und Größe einer sozialistischen Partei und von Johannes Urzidil Goethe in Böhmen (1932).

Passer führte die Kunstbücher fort und erweiterte die Palette mit Büchern wiederum über Wien (etwa: Hans Tietze) sowie über Prag, Venedig und Sizilien. Neu hinzu kamen parallel zur Entwicklung im Herbert Reichner Verlag Werke über Musiker und Musikgeschichte, wie etwa über Dvorak. Leben und Werk (1935) von Paul Stefan, Anton Dvorak (1934) von Stefan-Sourek, Karl Kobalds Haydn. Leben und Werk (1934). Einen besonderen Akzent setzte Passer ab 1937 mit einer neuen Buchreihe von Werken moderner tschechischer Autoren. Bereits Ende 1936 war Karel Capeks Aus einer Tasche in die andere erschienen. 1937 folgten Capeks Der Krieg mit dem Moloch und Der gestohlene Kaktus sowie V. Vancuras Der Bäcker Johann Marhoul. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang scheint die Tatsache, daß Karl Tschuppiks Elisabeth, Kaiserin von Österreich 1929 im Verlag Dr. Hans Epstein erschien und weiter von Passer verlegt wurde. Auch der aus Prag stammende Johannes Urzidil war ein zweites Mal, und zwar mit dem Werk Wenceslaus Hollar. Der Kupferstecher des Barock (1936), im Verlag vertreten.

Bevor wir auf eine weitere Besonderheit des Verlags Dr. Rudolf Passer zu sprechen kommen, erlauben uns die vorhandenen Quellen, einen näheren Blick hinter die Kulissen des Verlagsgeschäftes zu werfen. Der Blick mag zum Verständnis der Preis- und Kalkulationsbasis eines (österreichischen) Verlags der 30er Jahre beitragen.

Zunächst einmal wissen wir, daß Autoren des Verlags Dr. Rolf Passer vertraglich ein Honorar von 10% des verkauften Exemplares erhielten. Zu den vorhin zitierten Umsätzen der Jahre 1934 bis 1937 können wir auch über die Ertragslage des Verlags in diesem Zeitraum Aussagen machen und einschätzen, ob und wie einträglich das Verlagsgeschäft zunächst an einem konkreten Beispiel gewesen sein mag. Hier das entsprechende Bild:

GeschäftsjahrUmsatzBruttogewinnBruttogewinnquoteReingewinnReingewinnquote
SS%S%
193453.493,4725.541,2147.75
193546.882,9528.698,61612.474,035.3
1936107.001,2847.103,60441.184,901.1
1937126.497,4660.728,16482.165,861.7

(„Bericht“, Bl. 25)

Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß der durchschnittliche Jahresumsatz der Jahre 1935-37 etwa S 93.460, die durchschnittliche Bruttogewinnquote 48,7%, die durchschnittliche Reingewinnquote 2,1% betrugen. Also alles in allem: kein sehr ertragreiches Unternehmen. Der schleppende Geschäftsgang der Jahre 1934 und 1935 war nicht nur auf die allgemeine Absatzstagnation zurückzuführen, denn die in diesen Jahren verlegten, teilweise zur „schweren Literatur“ zählenden Bücher hatten nur schwachen und langsamen Absatz. Die Wende kam – wie die obenstehende Tabelle deutlich zeigt – 1936: gegenüber 1935 hat sich der Umsatz 1936 mehr als verzweifacht, 1937 fast verdreifacht. Auslösendes Moment für den Aufschwung war die Errichtung eines „Nebenverlags“ – er nennt sich „Zeitbild-Verlag“, Wien-Leipzig. Die Trennung vom Verlag Dr. Rolf Passer erfolgte aus Betriebs- und Vertriebsgründen.

Zeitbild-Verlag

Der Zeitbild-Verlag unter Passer verlegte nämlich Romane, hauptsächlich Frauenromane, d.h. Romane von und über Frauen. Mehr als zwei Drittel der etwa 1 1/2 Dutzend Werke dieses Verlags stammten – unter Vorbehalt möglicher nicht entschlüsselter Pseudonyme!! – von Frauen. Eben durch diese Trennung „schwere“ – „leichte“ Literatur sollte beiden Verlagsunternehmungen ein bestimmter Charakter gegeben und dabei die Geschäftsmöglichkeit nicht vermindert werden.

Der konkrete Anlaß zum florierenden Frauenromanverlag war jedoch ein anderer: In den Jahren 1936 und 1937 wurden nämlich vom Verlag „Universitas“ in Berlin die gesamten Verlagsrechte und Bücherbestände Joe Lederers (*12.9.1907, Wien) abgelöst sowie die erfolgreichen Bücher der sehr jungen Autorin Annemarie Selinko (*1.9.1914, Wien; Ps. für Annemarie Kristiansen) verlegt. Gut verkauft und von Passer verlegt wurden von Lederer, Blumen für Cornelia (1936; 2 Auflagen), Blatt im Wind (1936), Ein einfaches Herz (1937). Nicht minder erfolgreich waren die Bücher von Annemarie Selinko, vor allem der im Frühjahr 1937 erschienene Roman Ich war ein häßliches Mädchen. So konnte man in der verlagseigenen Werbung für dieses Buch u.a. folgendes lesen: „Zum erstenmal hat eine Frau den Mut, über die Hemmungen einer häßlichen Frau zu sprechen. (…) Zum erstenmal bilden die Qualen und die Technik moderner Schönheitspflege den Hintergrund eines Romans. Doch dieses Geschehen ist wirklich nur Hintergrund: der Autorin geht es darüber hinaus um den Weg eines jungen Menschen ins Leben.“ [6] Auf dieses „Buch der Mädchen von heute“ folgte anfangs 1938 der Roman Morgen ist alles besser, von welchem sofort 2.200 Stück abgesetzt werden konnten. Später wurde das Buch als „unerwünscht“ bezeichnet.

Der letzte der Frauenromane kam 1938 bzw. 1939 auf den Markt, nämlich Maria Osten-Sackens Du nennst es Liebe. Von der Startauflage von 3.000 Stück wurden in den ersten vier Monaten immerhin 1.200 Exemplare abgesetzt. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß Hertha Paulis Bertha von Suttner-Roman Nur eine Frau auch 1937 im Zeitbild-Verlag herauskam. Auffallend bei der Produktion des Zeitbild-Verlags ist die relativ kleine Anzahl von Übersetzungen (z.B. Colette, Die Katze), etwas, das bei anderen österreichischen Verlagen besonders nach Mitte der 30er Jahre gang und gäbe war.

Bevor wir nun auf die Ereignisse nach dem März 1938 und den „Verkauf“ des Verlags Dr. Rolf Passer näher eingehen, einige Hinweise zu den Marktbedingungen für diesen Verlag. Rolf Passer war zwar nicht „deutscher Jude“ bzw. „Jude deutscher Staatsangehörigkeit“ im Sinne der Nürnberger Rassengesetze, wohl aber tschechoslowakischer Jude. Auf den feinen Unterschied komme ich noch zu sprechen. Daher galt sein Unternehmen – neben vielen anderen – schon vor 1938 mit all den damit verbundenen Konsequenzen in den Augen völkischer Literaturbeobachter als „Judenverlag“. Mehr noch: Über die Hälfte der bei Passer erschienenen Bücher wurde entweder vor oder nach dem „Anschluß“ von der Reichsschrifttumskammer als „unerwünscht“ bezeichnet. Folglich waren sie – wie wir sehen werden – notgedrungen nach dem März 1938 „unverwertbar“. Noch schlimmer war die Tatsache, daß der Absatz dieser in Deutschland „unerwünschten“ Bücher rund 85% des Umsatzes ausmachte. Daß Passer beim Absatz seiner Bücher im Deutschen Reich erhebliche Schwierigkeiten hatte und daß er Opfer von Beschlagnahmungen gewesen sein dürfte, ist belegt. [7] Nur – und darin liegen eben die Tücken, das besondere Kalkül der Behinderungen österreichischer Verlage ganz allgemein – findet sich kein einziges Werk dieses Verlags im „Verzeichnis der seit 1933 im Deutschen Reich verbotenen Bücher österreichischer Verlage“ vom Frühjahr 1937, auch nicht im Nachtrag vom Ende August 1937. Der scheinbare Widerspruch ist leicht erklärt: offizielle Verbote im Sinne der Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums (Stand: Oktober 1935) waren – wie an anderer Stelle ausführlich dargestellt wird – nicht unbedingt erforderlich. Statt dessen schaffte man- bei der Einfuhr, beim Kontingent, beim Kommissionär, beim Ladenverkauf – „Schwierigkeiten“. Dafür ein paar Beispiele. Obwohl weder in dem oben zitierten „Verzeichnis“ noch in der soeben angesprochenen Liste 1 enthalten, machte Passer anläßlich der bevorstehenden Verhandlungen zwischen Deutschland und Österreich einen hohen Beamten des Unterrichts-Ministeriums in Wien im März 1937 darauf aufmerksam,

daß noch folgende drei Bücher unseres Verlages in Deutschland nicht ausgeliefert werden dürfen.

Karl Tschuppik, Elisabeth, Kaiserin von Österreich

Alfred Adler, Der Sinn des Lebens

Alfred Adler-Ernst Jahn, Religion und Individualpsychologie

Bei dem ersten Buche handelt es sich um den bekannten österreichischen Publizisten Karl Tschuppik. In diesem Buche ist in keiner wie immer gearteten Weise gegen Deutschland Stellung genommen. Das Buch, das in wirklich vornehmer Weise das Leben der Kaiserin und das Kulturmilieu am österreichischen Hof schildert, hat immer ein großes Publikum in Deutschland gehabt. Bei den beiden anderen Büchern handelt es sich um den österreichischen Neurologen [sic!] Dr. Alfred Adler, der jetzt Professor in New York ist und dessen Bücher sich nur mit menschlichen, psychologischen und erzieherischen Fragen befassen. Die Bücher sind in fast alle Kultursprachen übersetzt … [8]

Die ministerielle Reaktion auf die Bitte Passers ist nicht weniger interessant und außerdem für die allgemeine Einstellung der österreichischen Ministerialbürokratie leider sehr typisch:

(…)

Die in der zweiten beiliegenden Eingabe des Verlages PASSER genannten Bücher von ADLER kommen wohl nicht für eine Intervention unsererseits in Frage, da ADLER in New York tätig ist. Was TSCHUPPIKS „Kaiserin Elisabeth“ betrifft, so glaube ich gleichfalls von einer Intervention abraten zu müssen. [9]

Ähnliche Probleme hatte Passer zu dieser Zeit mit dem ersten Prosawerk Franz Theodor Csokors Über die Schwelle (1937), das weder zu diesem noch zu einem späteren Zeitpunkt je offiziell verboten war. Nur: seine Verbreitung war in Deutschland bloß nicht „angängig“. Selbst Anbiederungsversuche in Börsenblatt-Anzeigen konnten nichts Positives erwirken. [10]

Als „Judenverlag“ hatte der Verlag Dr. Rolf Passer einen entsprechenden Leumund. [11] Mit Branchenauskunft von österreichischen Herren wie Manfred Jasser und Josef Weinheber konnte der Herausgeber der Neuen Literatur, Will Vesper, ein gestrenges Urteil fällen,

über den Verlag Dr. Rolf Passer (früher Epstein), der die schlimmsten Deutschenhasser wie Urzidil und den üblen Geschichtsfälscher Tschuppik verlegt und Werke voll Fäulnis und Niedertracht nach Deutschland schmuggelt, wie das eben erschienene angeblich aus dem Amerikanischen übersetzte Buch „Die Asiaten“ von Frederic Prokosch, dem man sicher kein Unrecht tut, wenn man ihn für einen Juden hält. Jedenfalls sein „Roman einer Reise“ ist jüdisch, nihilistisch und voll zersetzenden Geschwätzes. Ein geistiger Warenhausschwindel für dumme Intellektuelle, der aber eine teuflische Müdigkeit und Lasterhaftigkeit ausstrahlt. (…)

Es genügt aber nun keineswegs, daß man eine einzelne solche Ratte erwischt und hinauswirft. Es gilt einen Weg zu finden, das deutsche Volk vor der schleichenden Hinterhältigkeit aller jüdischen Verlage der Welt unbedingt zu schützen. Bücher aus Judenverlagen müssen in deutschen Buchhandlungen als jüdisch gekennzeichnet werden. Kann man die Verleger draußen nicht fassen, dann müssen die deutschen Buchhändler selbst einen Weg finden, Bücher aus Judenverlagen deutlich als solche kenntlich zu machen. Die Liste der offenen und getarnten Judenverlage kann jeweils mitgeteilt werden. Die Bücher dieser Verlage müssen dann ein deutliches Kennzeichen tragen, etwa den Stern Judas. Wir verlangen nichts als Offenheit. Wer kann dagegen sein oder sich darüber beklagen, wenn er nicht im Dunkeln Schändliches oder Schädliches zu verbergen hat? [12]

Der Verlag ab März 1938

Zumal rund 85% des Umsatzes gerade aus „unerwünschten“ – weil meist von jüdischen Autoren verfaßten – Werken gewonnen wurden, ist nicht überraschend, daß der „Anschluß“ zu einer Absatzstockung führte. Der einigermaßen florierende Verlag galt nun als „kaum lebensfähig“. Die übliche Alternative war entweder Liquidierung oder „Arisierung“, wobei dann letzterer Weg tatsächlich beschritten wurde. Obwohl „Jude“, scheint der Verlagsinhaber Dr. Rolf Passer eine gewisse Gnadenfrist gehabt zu haben, was möglicherweise dadurch zu erklären ist, daß er Staatsbürger der C.S.R. war. [13] Am 14. Juli 1938 kam er dennoch der Pflicht nach, das „Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938“ abzugeben. Passer leitete den Verlag bis Juli 1938 persönlich in Wien, aber wohl in Erahnung einer schlimmeren Zukunft verreiste er nach Berlin, dann nach Prag, später nach Paris und schließlich nach London, wo er auch gestorben ist. Der Verlag kam gleich unter kommissarische Verwaltung. Am 23. August wurde der sehr beschäftigte Inhaber des Ostmark-Verlags, Dr. Gottfried Linsmayer, auch noch als kommissarischer Verwalter dieses Verlags ins Handelsregister eingetragen. Anschließend – also von April bis Juni 1939 wirkte derselbe als Treuhänder. In dieser Funktion stand Linsmayer nicht nur per Bilanz 31. Dezember 1938 vor einer Überschuldung, sondern auch vor der Alternative: Liquidierung oder „Arisierung“. Er plädierte für eine „Arisierung“ und schloß seine vornehmlich wirtschaftlichen Argumente mit folgender Feststellung ab:

Außerdem würde Wien um einen Verlag ärmer, was das Ansehen Wiens als Verlagsstadt beeinträchtigte und den ohnehin nicht sehr gut beschäftigten Druckereien und Buchbindereien einen weiteren Umsatzschwund brächte. [14]

Als Kaufwerberin des zu arisierenden Verlags trat jemand auf, der seit Beginn des Unternehmens im Verlag tätig war, nämlich die Angestellte Therese Kirschner. Die am 23.8.1903 in Wien geborene Passer-Mitarbeiterin war nicht nur „Arierin“, sie war auch Mitglied der Reichsschrifttumskammer. Aber erst als feststellbar war, welche Schulden übernommen werden müßten, reichte sie ihren Antrag im Jänner 1939 ein. Nun mußte allerdings die komplizierte bürokratische Prozedur ihren Lauf nehmen. Die Antragstellerin erklärte sich nämlich trotz ungünstiger Bilanz bereit, die Aktiven und Passiven des Verlags zu übernehmen unter der Voraussetzung, daß der Passivsaldo durch die Vorschreibung einer Arisierungsauflage nicht noch erhöht werde.

Im Gegensatz zum äußeren Anschein, zu einer Auffassung, zu der man vielleicht durch die Emsigkeit der tausenden „wilden Kommissare“ nach dem 13. März 1938 gehangen könnte, war die rechtmäßige „Arisierung“, also der „Kauf“ und „Verkauf“ des Verlagsunternehmens, eine langwierige und kostspielige Sache. Um eben den „richtigen“ Kaufpreis zu ermitteln, mußte von einer einschlägigen Firma eine aufwendige Sonderprüfung vorgenommen werden, für die der Ariseur zu zahlen hatte. Dieser Umstand wurde aber letztlich dadurch versüßt, daß – selbst unter Berücksichtigung der gewaltigen Entwertung des Betriebswerts (unverwertbare Lagerbestände, Beschlagnahmungen, Unmöglichkeit, von zwangsliquidierten Firmen im Inland bzw. Firmen im Ausland Außenstände einzutreiben) – der „Kaufpreis“ mehr Okkasionspreis war. Die Übernahme des Verlags Dr. Rolf Passer durch Kirschner wurde, obwohl kein Kaufvertrag vorlag, am 2. Mai 1939 genehmigt. Das war insofern ungewöhnlich, als zwei Anträge – einer auf Veräußerung, einer auf Erwerb – in der Regel vorliegen mußten.

Wenn man davon ausgeht, daß Passer in seiner Vermögensanmeldung Mitte Juli 1938 seinen 2/3-Anteil an der Firma mit 22.000 RM bewertete (also Gesamtwert ca. 33.000 RM), so erscheint der von der Vermögensverkehrsstelle, Abteilung Auflagenberechnung, „zugelassene Kaufpreis“ – er wurde von den Prüfern ermittelt – von 1,031,59 RM nicht übertrieben hoch. Aber man soll nicht meinen, daß dieser „Kaufpreis“ etwas mit einem allfälligen Verkäufer (etwa Passer) im üblichen Sinn zu tun hatte. Dieser Betrag nannte sich „Entjudungserlös“ und war auf ein entsprechendes gesperrtes Konto zugunsten der Devisenstelle Wien einzuzahlen. Zusätzlich hatte die Erwerberin, in diesem Fall Frau Therese Kirschner, eine sogenannte „Entjudungsauflage“ zu zahlen. In der Arisierung des Verlags Dr. Rolf Passer betrug diese Summe 154,74 RM. [15]

Eine Änderung des „jüdischen“ Firmawortlauts war nur eine Frage der Zeit. Im Dezember 1940 hieß er nunmehr „Verlag Therese Kirschner“. Die „neue“ Firma wurde am 10. Dezember 1940 unter HRA 7993 ins Wiener Handelsregister eingetragen. Die Löschung erfolgte am 28. September 1972.

Der bereits zitierte umfang- und detailreiche Bericht über die beim Verlag Dr. Rolf Passer vorgenommene Sonderprüfung gibt uns über einen Aspekt der Arisierung Aufschluß, der meist Gegenstand von irriger Spekulation ist. Die Informationen in diesem Bericht erlauben ganz generelle Aussagen über die Frage der Verwertung von Autorenrechten, in diesem Fall von jüdischen Autoren nach der Machtübernahme in Österreich. Denn so paradox es angesichts der sonstigen Brutalität und Barbarei erscheinen mag, war es keineswegs so, daß diese vertraglich gesicherten Rechte einfach null und nichtig waren, sich in Luft auflösten oder ein Posten waren, den man von nun ab ignorieren konnte. Im Gegenteil: sie wurden – man möchte fast sagen: ängstlich – respektiert. Nach dem „Anschluß“ mußten sowohl Verlagswerke als auch Lagervorräte in erwünschte und unerwünschte Bücher (letztere zumeist von jüdischen Autoren) gegliedert werden. Laut der Ergebnisse der Prüfung vom August 1939 handelte es sich im ersten Fall um eine Stückzahl von 27.708, im zweiten um eine von 17.343. Letztere (gänzlich unverkäuflich gewordene Bücher) hatten einen „Stampfwert“ von 10 bis 30 Pfennig pro kg.! In dieser Kategorie gab es zwei Arten von „unerwünschten Büchern“, nämlich die, die beschlagnahmt wurden, und die, die verkauft werden durften, wenn sie verlangt wurden. So konnten die Betriebsprüfer etwa feststellen, daß noch in den ersten vier Monaten des Jahres 1939 „einzelne Bücher (des Passer-Verlags …) von auswandernden Juden vor ihrer Abreise angekauft wurden“ („Bericht“, Bl. 19).

Wie aus dem entsprechenden Abschnitt des Prüfberichts hervorgeht, herrschte noch 1 1/2 Jahre nach dem „Anschluß“ Unsicherheit hinsichtlich der Forderungen jüdischer und anderer Autoren. Das Guthaben wurde mit 4.609,40 RM errechnet:

AUTOREN RM 4.609,40.

48. Es handelt sich um Guthaben von 21 Autoren aus deren Honoraren (10% vom Verkaufspreis der abgesetzten Bücher), soweit sie bis 30. April 1939 abgerechnet sind, und zwar:

RMRM
Ausland: Amerika, nicht arische Autoren929.46
England, arische Autoren 181.11
Protektorat, arische Autoren 723.881.834,45
Inland: Arische Autoren 1142.8
Nichtarische Autoren 1632.152.774,95
4.609,40

49. Hierzu ist zu bemerken, daß nicht feststeht, ob alle nichtarischen Autoren ihre Forderungen im Sinne der gesetzlichen Anordnungen ordnungsgemäß angemeldet haben und somit geltend machen werden, bzw. können. Besonders zweifelhaft erscheint dies bei dem in der Zwischenzeit nach Amerika ausgewanderten und dort verstorbenen Nichtarier Prof. Adler, dessen buchmäßiges Guthaben 929,46 RM beträgt. Mit den inländischen nichtarischen Autorenforderungen (1.632,15 RM) betragen die Guthaben aller jüdischen Autoren 2.561,61 RM

Sofern diese Forderungen nicht geltend gemacht werden, würde auch dieser Betrag das Statusvermögen erhöhen, worauf bei der Feststellung des Kaufpreises Rücksicht zu nehmen oder Vorbehalte zu machen wären.

(„Bericht“, Bl. 23)

Man kann wohl annehmen, daß es für Autoren – noch dazu „nichtarische“ – eher ein aussichtsloses Unterfangen gewesen wäre, zu versuchen, zu ihren rechtmäßigen Guthaben zu kommen.

Anmerkungen

[1] Für diesen Abschnitt herangezogenes Quellenmaterial: Handelsgericht Wien. Registerakt Verlag Dr. Rolf Passer/Verlag Dr. Hans Epstein, Reg. A 59, 144a; umgeschrieben 1940 nach HRA 7767, gelöscht, umgeschrieben nach HRA 7993 (= „Verlag Therese Kirschner“), gelöscht September 1972. Akt im Depot des Handelsgerichts Wien; Akt Gremium/Epstein, Passer; Befragung Frau Therese Kirschner, verehelicht Mögle, Wien; AVA, BMfHuV, VVSt, Kt. 16, V.A. 03550, Dr. Rolf Passer; AVA, BMfHuV, VVSt, Handels-Anmeldung, Ha 8841, darin u.a. „1. Bericht“ über die Firma Dr. Rolf Passer vom Treuhänder Dr. Gottfried Linsmayer und der 31 Seiten lange Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand A.G. Wien vom 24.8.1939 über die bei der Firma Verlag Dr. Rolf Passer vorgenommene Sonderprüfung; Archiv, Buchgewerbehaus Wien.

[2] Zitiert nach dem „Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft Zweigniederlassung Wien über die bei der Firma Dr. Rolf Passer, Verlag, Wien I, Kramergasse 9, vorgenommene Sonderprüfung“. Siehe Anm. 1. Im folgenden als „Bericht“ mit Blattzahl abgekürzt zitiert.

[3] Siehe Anzeiger, Nr. 9, 27.2.1932, S. 4.

[4] Anzeiger, Nr. 19, 7.5.1932, S. 2.

[5] Zum Verfahren siehe u.a. Neues Wiener Tagblatt, 2.5.1932.

[6] Anzeiger, Nr. 8, 3.4.1937, S 51.

[7] Dies drückt sich in seiner Anwesenheit bei einer sehr schwach besuchten Sitzung des Vereins der österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhändler bezüglich Beschlagnahmung von Büchern österreichischer Verlage im Deutschen Reich am 7. Mai 1936 aus. Siehe Archiv, Buchgewerbehaus, V 1936, Mappe 433.

[8] AVA, BMU, 24 D Zeitschriften, Zl. 13.687-I-1/37. Schreiben Dr. Rolf Passer vom 4.3.1937 an Sektionschef Loewenstein.

[9] Ebenda, Amtserinnerung vom 19.4.1937.

[10] So hat Passer im April 1935 in einer Anzeige ein „Einmaliges Vorzugsangebot“ (JOSEF FRANKLS Mütter. Schicksale des Müttertums, (zuerst 1931 bei Epstein) angepriesen und sich „Mit deutschem Gruß“ verabschiedet. Diese Geschmacklosigkeit ortete und kommentierte die streng anti-nationalsozialistisch eingestellte Wiener Wochenzeitung Der Morgen am 29.4.1935 (S. 11): „Man wird auf diesen Verlag aufpassen müssen.“

[11] „Judenverlage sind (…) Dr. Rolf Passer Verlag (…).“ (In: Die Neue Literatur, 39. Jg., Heft 1, Januar 1938, S. 45.

[12] Ebenda, Heft 2, Februar 1937, S. 104.

[13] Dazu AVA, BMfHuV, VVSt, V.A. 03550, Dr. Rolf Passer. In der Anlage zum „Verzeichnis“ heißt es: „Ich bin tschechoslowakischer Staatsangehöriger und glaube, nicht anmeldepflichtig zu sein, da meine Großmutter mütterlicherseits Arierin war. Auch väterlicherseits dürfte ein Großelternteil arisch gewesen sein, doch konnte ich bisher den Nachweis nicht erbringen, da ich die entsprechenden Dokumente aus der Tschechoslowakei noch nicht erhielt. Um aber keine Versäumnis zu begehen, gebe ich im Nachstehenden meine Vermögensanmeldung ab.“

[14] Zitiert nach dem „1. Bericht über die Firma Dr. Rolf Passer Verlag Wien 1, Kramergasse 9“. Quelle, S. Anm. 1.

[15] AVA, BMfHuV, VVSt, Ha 8841. Verfügung der VVSt vom 18. Oktober 1939.

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