Krystall-Verlag (Wien-Leipzig)
Der Krystall-Verlag ist in Zusammenhang mit der Erforschung der national-völkischen Literatur Österreichs in den 30er Jahren wegen einer einzigen, sagen wir, ideologisch stark gefärbten Publikation indirekt zu einer Bekanntheit gelangt, die ansonsten auf Grund der übrigen „literarischen“ Produktion gewiß nicht unbedingt gerechtfertigt erscheint. Gemeint ist hiemit das Bekenntnisbuch österreichischer Dichter, dessen Planung und Konzeption in die Zeit zwischen dem „Anschluß“ und dem Juni 1938 gefallen ist. Das Bekenntnisbuch setzte zugleich den Schlußpunkt in der Produktion des Krystall-Verlags.
Wie Josef Weinheber in einem Brief vom 26. Juni 1935 an den Herausgeber der Nazi-Literaturzeitschrift Neue Literatur, Will Vesper, festhält, war der Krystall-Verlag ursprünglich „eine Unternehmung der staatlichen Pfandleihanstalt ,Dorotheum““.[1]
Auf Grund eines Gesellschaftsvertrags vom 29. November 1921 wurde am 7. Februar 1922 die Firma „Belvedere“-Verlag Ges.m.b.H. unter Reg. C, Band 61, pagina 208 ins Wiener Handelsregister eingetragen. Betriebsgegenstand dieses dem Dorotheum nahestehenden Unternehmens war u.a. die Herausgabe und der Verlag von periodisch erscheinenden Druckschriften, insbesondere von Belvedere. Kunstzeitschrift für Sammler[2] sowie der kommissionsweise Verkauf von Kunstgegenständen und das Antiquariat. Das Stammkapital betrug 600.000 Kronen, und die beiden Geschäftsführer Leopold Satori und Alfred Juritzki waren Beamte des Dorotheums bzw. auch Kunsthändler. Durch einen Beschluß der Gesellschafter vom 7. April 1922 nahm die Firma den endgültigen Namen „Krystall-Verlag Ges.m.b.H.“ (Eintragung: 28.4.1922) aus gegebenem Anlaß an. Durch den von Amts wegen bemängelten „Gleichlaut“ der Firma „Belvedere-Verlag“ mit dem Namen des Schlosses „Belvedere“ ergaben sich wiederholt Schwierigkeiten. Die Verwaltung des Schlosses richtete daher eine Beschwerde an den Verlag und legte ihm nahe, den Firmennamen zu ändern.[3]
Es wurde nun neben der Zeitschrift Belvedere eine ganze Anzahl von Kunstbüchern und kunsthistorischen Periodika, die noch zu nennen sein werden, gedruckt, „mit vorzüglichen Reproduktionen, weil das ,Dorotheum“ ja über sehr viel Geld verfügte“ (JWB, S. 178). Dann kam der sog. „Dorotheumskandal“ inmitten einer an Skandalen und Korruption so reichen Zeit. Denn ein neues Statut aus dem Juli 1923 gab dem Dorotheum das Recht zur Ausübung von Bankgeschäften. Wie F. Czeike schreibt, war es gerade dieses Bankinstitut, „das wenige Jahre später ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, als es infolge mißglückter Transaktionen, vor allem jedoch infolge des unerwarteten Zusammenbruchs eines soliden amerikanischen Bankhauses, über welches man Industriekredite vergeben hatte, enorme Verluste erlitt“.[4] Im Klartext heißt das allerdings – und weniger schönfärbend ausgedrückt – daß das staatliche Dorotheum der Versuchung nicht widerstehen konnte, die Spekulationswelle zu reiten.
Danach wurde der Krystall-Verlag – so Weinheber wieder – „abgestoßen, und die früheren Beamten taten sich zu einer Art Arbeitsgemeinschaft unter Leitung eines Dr. Juraschek zusammen“. (JWB, 178) Der Übergang war rechtlich weitaus komplexer, als daß Weinheber über alle Einzelheiten informiert sein konnte. Handelsrechtlich ging das so vor sich: die beiden Geschäftsführer Satori und Juritzki gingen, Dr. Franz Juraschek und Dr. Leopold Ruprecht wurden noch 1924 zu den neuen Geschäftsführern bestellt und diese Bestellung am 27. Jänner 1925 ins Handelsregister eingetragen. Um den Verlag übernehmen zu können, mußte Juraschek nicht weniger als 39 Millionen Kronen aufbringen und zusätzlich 50 Millionen bei der Bank des Dorotheums zur Einzahlung bringen. Im August 1926 trat der aus Hadersdorf-Weidlingau stammende Landesregierungsrat i.R. Ing. Edwin Beigl als dritter Geschäftsführer in den Krystall-Verlag ein.[5] Geschäftsführer Ruprecht – ein Beamter des Dorotheums – schied im August 1927 aus der Firma wieder aus, und nur der 1895 in Wien geborene promovierte Kunsthistoriker Dr. Franz (Ritter von) Juraschek blieb bis zum bitteren Ende in der Firma tätig.[6] Bis zur Einstellung des Betriebs, auf die wir noch zu sprechen kommen, änderte sich nur wenig im Bereich dessen, was dem Handelsgericht gemeldet werden mußte: nach dem Goldbilanz-Gesetz wurde das Stammkapital am 22.8.1927 mit S 10.000 angegeben. Von dieser Summe kontrollierte Juraschek nach endgültiger Übernahme aller Geschäftsanteile des Dorotheums per 31.3.1927 ca. 92% des Stammkapitals. Im Herbst 1927 trat ein Kunsthistoriker und Beamter des Dorotheums, Dr. Felix Horb, als Kollektiv-Prokurist in die Firma ein. 1931 fungierte ein paar Monate lang Adolf Heine-Geldern neben Juraschek als Geschäftsführer. Am 24. Dezember 1942 wurde die Firma „Krystall-Verlag“ „von amtswegen“ aus dem Handelsregister Wien gelöscht.[7]
Umstände um die Betriebseinstellung (1939-42)
Zum Zwecke der Einsparung in der nicht gewinnorientierten Verlagstätigkeit verzichtete der alleinige Geschäftsführer und Hauptgesellschafter des Krystall-Verlags, Franz Juraschek, in den Jahren 1934-38 im Gegensatz zu den Jahren davor auf die Mitarbeit von Angestellten. Zum Schluß – im Jahre 1938 – arbeitete Juraschek allein mit seiner Frau. Im ersten Halbjahr nach dem „Anschluß“ gelang es Juraschek, fast ein Dutzend neue Titel herauszubringen. Die gewichtigste und zugleich profitträchtigste Publikation darunter war das vorhin erwähnte Bekenntnisbuch, wodurch Juraschek „in kurzer Zeit die wirtschaftliche Sanierung“ (Juraschek) erwartete. Wie hoch die Auflage der normalen Ausgabe war, ist nicht bekannt. Angesichts der Tatsache jedoch, daß es von diesem Werk zusätzlich noch eine nicht im Handel befindliche Sonderausgabe in Ganzleinen als Festgabe für die 5. Reichstheaterfestwoche gab, kann man sich vorstellen, daß Juraschek – was für seinen Betrieb außergewöhnlich wäre – mehr als nur die Herstellungskosten hereinbrachte. Die „Sanierung“ wurde durch die Abberufung Jurascheks in den Reichsdienst unterbrochen. Im September 1938 wurde er fallweise für Denkmalpflegearbeiten vom Ministerium für innere kulturelle Verwaltung herangezogen und ab 1. Dezember 1938 vollkommen dafür in Anspruch genommen. Juraschek war daher gezwungen, ab 1. Jänner 1939 den Verlag stillzulegen und in nur vorübergehenden Geschäftsstunden die laufenden Geschäfte abzuwickeln. Als er dann mit 1. März 1939 nach Linz versetzt wurde, mußte er selbst die beschränkte Tätigkeit aufgeben und das Geschäft sperren. Obwohl gleichzeitig Verhandlungen wegen einer möglichen Übersiedlung des Verlags nach Linz aufgenommen wurden und ein fixer Zeitpunkt in Aussicht gestellt wurde (Sommer 1940), wurden die Pläne wegen des Kriegszustands nicht realisiert. Statt dessen wurde der Verlag in Wien vollkommen stillgelegt, nachdem Juraschek Ende April 1939 gezwungen worden war, seine Geschäftsräume in Wien zu räumen. Zumal sämtliche Werkbestände in Kisten verpackt und abgelagert wurden, konnte vom Verlag aus nichts mehr ausgeliefert werden.
Wie Juraschek ferner in seinem Bericht schreibt, hatte er mit Rücksicht auf diese Verhältnisse verzichtet, für den Krystall-Verlag die Mitgliedschaft bei der RSK zu erwirken.
Bis Ende 1942 gelang es Juraschek, die gesamten Verlagsverpflichtungen zu erledigen, womit die amtswegige Löschung erfolgen konnte.[8]
Die Produktion
Erst im Jahre 1926, also ungefähr zwei Jahre nach dem Eintritt Jurascheks in den Verlag, begann der Krystall-Verlag zögernd mit der Verlegung von schöngeistiger Literatur. Bis dahin bestand die Produktion ausschließlich aus wissenschaftlichen, vor allem kunstwissenschaftlichen Publikationen wie z.B.: Amicis. Jahrbuch der Österreichischen Galerie; Artes Austria. Studien zur Kunstgeschichte Österreichs; die illustrierte Monatsschrift Österreichs Bau- und Werkkunst; Beiträge zur vergleichenden Kunstforschung; Belvedere; Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte; Österreichische Kunsttopographie, um nur die Reihen zu nennen. Das erste schöngeistige Werk, ein Lyrikband von Josef Weinheber – Boot in der Bucht – erschien am 2. Dezember 1926. Weinheber trat nach eigener Aussage[9] im Sommer dieses Jahres zu dem Verlag in Beziehung: „Die Leute hatten jetzt alle miteinander kein Geld und begannen Lyrik auf Subskription zu drucken (darunter mein Boot in der Bucht)“ (a.a.O.). Am Erscheinen des vierten Weinheber-Buchs sollen zwei Herren maßgeblich beteiligt gewesen sein: Dr. Hermann R. Leber (6.8.1900-2.1.1974, Wien) und Dr. Gustav Adolf Künstler (1.3.1902, Wien-28.5.1974). Beide waren zu dieser Zeit „Lektoren“ des Krystall-Verlags.[10] Ungefähr zur gleichen Zeit – so behauptet zumindest Ruth V. Gross in ihrem „Porträt“ der Zeitschrift Plan[11] – soll Otto Basil (24.12.1901, Wien – 19.2.1983, ebda) „reader and editor“ (S. 8) gewesen sein. Wie lange ist nicht klar.[12] In der 1930 erschienenen Anthologie junger Lyrik aus Österreich (Hg. Friedrich Sacher; Vorwort von Richard v. Schaukal) ist Basil (übrigens neben Weinheber und vielen anderen) jedenfalls vertreten.
Aber es ist besonders Leber, der laut Weinheber „dort eine Art Volontär“ war, „jedenfalls hatte er nichts zu reden und saß halt so herum“ (JWB, 178), und im Wiener Verlagsleben bis 1938 eine selbst unter nationalen österreichischen Autoren nicht unumstrittene und sonst eher zwielichtige Rolle spielte. Er war 1921 nach Wien gekommen, studierte zwei Semester Kunstgeschichte an der Universität Wien und zog nach Deutschland, wo er in Freiburg das Doktorat machte. 1925 kehrte er – zum Krystall-Verlag – nach Wien zurück, war aber schon 1927 als Lektor beim Münchner R. Piper & Co. Verlag tätig. Anläßlich dieses Umzugs sollen die Verlagsartikel des Krystall-Verlags zur Gänze an Piper in München verkauft worden sein.[13] Zwischendurch war Leber beim Amalthea Verlag tätig und Mitarbeiter der Zeitschrift Kunst und Kultur der Vergangenheit. 1932 war Leber erneut in Wien, und zu dieser Zeit „machte er sich an mich heran“ – so Josef Weinheber im mehrfach zitierten Brief an Vesper vom 29. Juni 1935 – „und ich führte ihn in meiner Eigenschaft als Fachberater bei den nationalen Schriftstellern ein“ (a.a.O., S. 178). Auf die Rolle Lebers als „Vertrauensmann der Landesleitung der N.S.D.A.P. in Österreich“ und „guter Wahlösterreicher“[14] in Zusammenhang mit der „Nationalisierung“ des Paul Zsolnay Verlags im Sommer 1934 wird an anderer Stelle eingegangen werden.
Auch Gustav Adolf Künstler sprang von der „Arbeitsgemeinschaft“ des Krystall-Verlags ab, um zum Verlag Rudolf M. Rohrer zu wechseln. Mit seinem Ausscheiden gingen 1929 einige kunsthistorische Periodika zum Rohrer Verlag, wo Künstler Gesellschafter wurde, über.
Bis einschließlich 1929 war die belletristische Produktion wohl aus Geldmangel nicht sehr groß. Auf Weinheber 1926 folgten nur vier weitere Lyrikbände: Alfred Grünewald (1927), Erica Tietze (1926), Alfred Schroth (1926) und Teresa Ries (1928).
Zwischen 1930 und 1938 wurden weiterhin kunsthistorische Werke sowie neue Reihen und Serien im Krystall-Verlag herausgebracht. Beispiele: Kirchenkunst. Österreichische Zeitschrift für Pflege religiöser Kunst; Kunsttheoretische Schriften usw.
Die Tatsache, daß der Krystall-Verlag in den Jahren 1930-1938 nicht weniger als an die 80 Werke schöngeistiger Literatur, davon über 70 Lyrikbände, herausgab, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Juraschek und sein Verlag eine finanzielle Gratwanderung machten. Als das Handelsgericht 1933 über Juraschek eine Ordnungsstrafe verhängte, weil dieser mehrmals eine Mahnung ignorierte, gesetzesmäßig dem Gericht eine Gesellschafterliste zukommen zu lassen, entschuldigte er sich damit, „daß er infolge der besonders schwierigen wirtschaftlichen Lage des Verlages im Sommer und Herbst dieses Jahres die vom Handelsgericht ausgegangene Mahnung übersehen hat“. Die Strafe treffe ihn um so härter, „als durch die Notlage des Krystall-Verlages seine persönlichen Verhältnisse sich im letzten Jahre katastrophal zugespitzt haben, sodaß er tatsächlich nicht in der Lage wäre, die vorgeschriebene Strafe zu bezahlen“.[15] Es wurde ihm die Strafe nachgelassen. Anfang 1935 war der Krystall-Verlag endgültig konkursreif. Der Verlag beantragte die Eröffnung des Konkurses, doch wurde dieser vom Handelsgericht Wien mit Edikt vom 7. Februar – „mangels Vermögens“ – abgewiesen.[16] Juraschek muß allerdings 1936 potente Geldgeber gefunden haben, wie ein Blick auf die Entwicklung der Produktion zeigt. Die Produktion des Krystall-Verlags entwickelte sich 1930 bis 1938 folgendermaßen:[17]
Produktion 1930-1935 | |
---|---|
1930 | 5 |
1931 | 4 |
1932 | 5 |
1933 | 10 |
1934 | 1 |
1935 | 3 |
1936 | 6 |
1937 | 34 |
1938 | 11 |
Auffallend ist freilich die Baisse der Krisenjahre (s.o.) 1934-35 und der starke Anstieg im Jahre 1937, in dem allein 43% der Produktion der 30er Jahre verlegt wurden.
Nun ein Wort zum Verhältnis Krystall-Verlag – Autoren: keineswegs ungewöhnlich für die Praxis einer ganzen Reihe von prominenten und weniger prominenten österreichischen Verlagen vor allem der 30er Jahre war die Bedingung, daß Autoren sich am Risiko wie an den Herstellungskosten zu beteiligen hatten. Dieser Usus erklärte Juraschek mit folgenden Worten:
Diese ziemlich umfangreiche Tätigkeit war darauf aufgebaut, daß die Autoren dem Verlage Vorausbestellungen auf ihre Werke beibrachten, die 2/3 der Verlagskosten – die Verlagsregie nicht gerechnet- decken mußten. Wer die Schwierigkeiten Lyrik zu vertreiben kennt, weiß, daß diese Verlagstätigkeit nicht auf Gewinn bedacht war, sondern einerseits einer kulturellen Aufgabe dienen sollte, andererseits den Namen des Verlages bekanntzumachen berufen war. Beides ist in gewissen Grenzen, die die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Systemzeit bedingten, auch gelungen.
Weitaus der größte Teil der etwa 70 Lyrikautoren des Krystall-Verlages hat diese Sachlage voll zu würdigen verstanden und dem Krystall-Verlag auch über seine Stillegung hinaus Dankbarkeit und Anhänglichkeit bewahrt.
Ansprüche auf Autorenhonorar entstehen erst dann, wenn über die im Autorenvertrag festgelegte Anzahl von Büchern weitere Exemplare verkauft werden. Die Abrechnung über das Autorenhonorar wurde aus Mangel an Arbeitskräften nur gelegt, wenn ein solcher Anspruch entstanden war. Auf die Verständigung, daß ein Anspruch noch nicht entstanden war, haben die meisten Autoren freiwillig verzichtet.[18]
Mit Ausnahme dreier Romane, einer „Erzählung“, eines Filmszenarios usw. bestand die Produktion ausschließlich aus österreichischer Lyrik, eine Tatsache, auf die Juraschek durchaus stolz war[19] und die in der österreichischen Presse honoriert wurde.[20]
Zu den nennenswerten Publikationen zählen z.B. die vorhin erwähnte Anthologie junger Lyrik aus Österreich (1930),[21] Dichtungen in niederösterreichischer Mundart (1931), Die neue Lyrik in Österreich (1932), Die Gruppe. Neun Lyriker aus Österreich (1932), Zwölf Lyriker aus Österreich (1935). Letztere zwei Werke – beide von Friedrich Sacher herausgegeben – waren als „Ein Dreijahr-Buch“ konzipiert, doch ist Band III (1938), das im Herbst 1937 erscheinen sollte, nicht herausgekommen. Angekündigt (Juni 1937), aber ebenfalls nicht erschienen ist der Band Zwölf Jahre österreichischer Lyrik. Ein Almanach auf das Jahr 1938 mit einleitenden Essays von F.K. Ginzkey, Josef Nadler, Friedrich Sacher u.a. und einer Anthologie aus dem lyrischen Schaffen des Dichterkreises des Krystall-Verlages.[22] Möglich ist, daß jenes Bekenntnisbuch diesen Band aus dem Programm verdrängte.[23]
Das Engagement des Krystall-Verlags für junge österreichische Lyrik zeigt außerdem noch der „Dichterwettbewerb für Lyrik“, der am 17. Juni 1937 im Rahmen der Wiener Festwochen im Wiener Konzerthaus gemeinsam mit dem Krystall-Verlag veranstaltet wurde.[24] Aufgabe dieser Veranstaltung war, „den Ruf von Österreichs lyrischer Dichtkunst in die Weite und in des Heimatvolkes Tiefen zu tragen, ein Beginnen, das jedem Dichter Österreichs Förderung bringt“ (Vorwort zum „Programmbuch“). Zu Wort kommen sollten unter Ausschluß der bereits etablierten Lyriker „jene Stimmen (…), die bisher noch wenig oder – auch für Eingeweihte – völlig neuen Klang haben“. Nach einer „Vorprüfung von rein fachlichen Gesichtspunkten“ blieb „die letzte Entscheidung über die Zuerkennung der Preise nicht einer Jury, sondern der Abstimmung in der Zuhörerschaft überlassen“.
Aber da die Auflagen der Lyrikbände des Krystall-Verlags kaum 500 Ex., für deren Absatz zum großen Teil der Autor selbst zu sorgen hatte, überstiegen, ist nicht anzunehmen – so edel die Förderung junger österreichischer Lyrik in den 30er Jahren gewesen sein mag – daß die kleinen Bände eine nennenswerte Verbreitung erfuhren. Literarhistorisch interessant sind die vielen Anthologien, die trotz der reichsdeutschen Konkurrenz ein Bild der österreichischen Lyrik dieser Zeit vermitteln.[25]
Eine Einordnung des Krystall-Verlags unter die „nationalen“ Verlage Österreichs ist nicht unproblematisch. Auch daß Juden kaum vertreten sind, ist noch kein hinreichendes Indiz. Wenn man aber das politische Bekenntnis mancher heute noch bekannter Autoren in Betracht zieht und sich vor Augen hält, daß das Bekenntnisbuch als Bekenntnis österreichischer Autoren zu Großdeutschland, Hitler und dem Nationalsozialismus in Jurascheks Krystall-Verlag herauskam, scheint eine solche Einordnung gerechtfertigt. Da der Verlag die Produktion nach 11 Neuerscheinungen 1938 einstellte, weiß man nicht, ob er sich dem Bekenntnisbuch weiterhin literarisch und geistig „angeschlossen“ hätte.
Anmerkungen
[1] JOSEF WEINHEBER, Sämtliche Werke. V. Band: Briefe. Hg. von Josef Nadler und Hedwig Weinheber. Salzburg: Otto Müller Verlag, 1956, S. 177-178; hier S. 178. Im folgenden als „JWB“ mit Seitenzahl abgekürzt.
[2] Diese Zeitschrift erschien ab Jg. 8 im Wiener Amalthea-Verlag. Eigentlicher Käufer war Alfred Juritzki-Warberg. Zu den Umständen um den Verkauf siehe die diesbezüglichen Unterlagen im Registerakt des Krystall-Verlags, HRB 4801 (umgeschrieben von Reg. C 61, 208). (Aufbewahrt im Depot des Handelsgerichts Wien.)
[3] Dazu das Protokoll der a.o. Generalversammlung vom 7.4.1922 (im Registerakt HRB 4801).
[4] FELIX CZEIKE, 275 Jahre Dorotheum. In: Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 2 (1982), S. 15. Dieser Aufsatz enthält keinerlei Hinweise auf den Verlag, genausowenig CZEIKES Festschrift: Das Dorotheum. Vom Versatz- und Fragamt zum modernen Auktionshaus. Wien/München: Verlag Jugend und Volk, 1982. Zumal dieses Buch weder ein Personenregister noch Quellenangaben, noch eine Bibliographie enthält, wird man wenigstens dadurch getröstet, daß es ein Inhaltsverzeichnis hat.
[5] Gelöscht 9.4.1929.
[6] Dr. Franz (Ritter v.) Juraschek promovierte 1918 an der Wiener Universität mit der Dissertation „Eindringen von Raumwerten in die gotische Fassade“. Die Dissertation war weder in der Österreichischen Nationalbibliothek, der Universitätsbibliothek Wien noch der Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts in Wien aufzufinden.
[7] Am 26. November 1940 erfolgte die Übertragung aus Reg. C 61, 208 auf HRB 4801. Das Stammkapital betrug nun RM 6666,67. Geschäftsführer war Dr. Franz Juraschek/Linz a.D.
[8] Die obige Darstellung ist einem nicht datierten, aber im August 1941 entstandenen „Bericht über die Stillegung des Krystall-Verlages“ entnommen. Die Vorgeschichte zu diesem Bericht ist einigermaßen verwickelt. Begonnen hat es im Herbst 1939, als die Krystall-Verlag-Autorin Hildegard Wais aus Pöchlarn 167 sich bei der RSK in Berlin darüber beschwerte, daß sie von ihrem im Krystall-Verlag in einer Auflage von 500 Exemplaren erschienenen Gedichtband Weinberg im Morgen (1937) weder Honorar erhalten, noch etwas über den Verbleib von 300 restlichen Exemplaren des Gedichtbandes gehört habe. Diese 300 Exemplare sollten spurlos verschwunden sein – so zumindest die Vermutung. Im November 1939 wurde der nunmehrige Gaukonservator für Oberdonau, Dr. Franz Juraschek, vom Präsidenten der RSK in Berlin ersucht, zu berichten, welche Forderungen von Gläubigern aus seinem Verlagsgeschäft nach dem Stand vom I. Jänner 1940 noch bestanden, was dabei aus den Verlagsrechten geworden war und in welcher Weise die Honorarforderungen der Autoren befriedigt oder sichergestellt worden seien. Alle Bemühungen seitens der RSK in Berlin wie auch der Landesleitung in Wien blieben fruchtlos. Im März 1941 bat schließlich die RSK in Berlin den Oberbürgermeister der Gauhauptstadt Linz um Verwaltungshilfe. Da Juraschek der Aufforderung wiederholt nicht nachgekommen war – erst im September 1941 traf sein Bericht ein – kam es zu mehreren Vollstreckungsbescheiden, zu Zwangsstrafen, zur Verhängung einer Haftstrafe von zwei Wochen und schließlich zur Gehaltspfändung. Im Oktober 1941 gab sich die RSK in Berlin mit Jurascheks Bericht zufrieden: „Das Ersuchen der Kammer ist damit erledigt.“ Der Antrag auf Pfändung wurde zurückgezogen. Auf weitere Details aus dem Bericht wird noch eingegangen. Das Original des Berichts findet sich im Akt Hildegard Wais der RSK im Berlin Document Center. Eine Abschrift zusammen mit über 50 Aktenstücken zum Fall Juraschek/Krystall-Verlag-Wais findet sich heute im Archiv der Stadt Linz. Verf. möchte Herrn Bürgermeister der Stadt Linz, Prof. Hugo Schanovsky, und dem Direktor des Archivs der Stadt Linz, Dr. Fritz Mayrhofer, für ihre Hilfe bei der Beschaffung dieser Unterlagen herzlich danken. Gerhard Renner bin ich für den Hinweis auf den Akt Wais-RSK zu Dank verpflichtet.
[9] JWB, S. 178. Weinheber gehörte neben dem Österreicher Manfred Jasser bezüglich österreichischer Verlagsszene der 30er Jahre zu den Informanten des „Judenverlag-Jägers“ Will Vesper. Sie lieferten ihm die Insider-Informationen, mit denen er dann die Invektiven austeilte. Dies zeigen die Briefe Vespers an Weinheber aus dem Weinheber-Nachlaß in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Nach dem Erscheinen eines erfolglosen Lyrikbandes im Burgverlag 1923 fand Weinheber in den nächsten drei Jahren keinen Verleger. Seine Kontaktaufnahme mit dem Krystall-Verlag wird folgendermaßen geschildert. Weinheber sah sich genötigt, „unter seinen Kollegen in der Post- und Telegraphendirektion eine Subskription auf ein neues Lyrikbändchen zu eröffnen. Von einem zum anderen gehend, nur von wenigen Freunden unterstützt, sammelte er, Schilling um Schilling, die Druckkosten. Stolz erschien er eines Tages dann in einem bereitwilligen Verlag mit einem kleinen Handkoffer, in dem er den gesamten Betrag in Hartgeld mitführte, und zählte das Geld – jeweils kleine Türmchen von zehn aufeinanderliegenden Schillingstücken aufbauend – auf den Tisch des Hauses. ,Da habt’s den Mammon, und jetzt druckt’s!“ rief er, befreit lachend, mit sichtlicher Befriedigung aus. So schuf er die wirtschaftliche Grundlage zu seinem Lyrikband ,Boot in der Bucht‘ (1926).“ HERMANN R. LEBER, Magische Zwiespältigkeit? Ein Versuch über Weinhebers Anfänge. In: HEINRICH ZILLICH (Hg.), Bekenntnis zu Josef Weinheber. Erinnerungen seiner Freunde. Salzburg: Akademischer Gemeinschaftsverlag, 1950, S. 34-41; hier S. 35.
[10] Josef Weinheber an Edmund Finke. In: Jahresgabe 1968/69. Josef-Weinheber-Gesellschaft, Wien, S. 4.
[11] RUTH V. GROSS, PLAN and the Austrian Rebirth: Portrait of a Journal. Columbia, South Carolina: Camden House, 1982 (= Studies in German Literature, Linguistics, and Culture, Vol. 6).
[12] Gross schreibt, Basils erste größere Leistung für den Krystall-Verlag wäre eine Lyrikanthologie mit dem Titel „Die Sammlung“ im Jahre 1925. Auf Grund finanzieller Schwierigkeiten ist der Band nie erschienen. Wenn die Jahresangabe wirklich stimmt, heißt es, daß der Krystall-Verlag schon 1925 Pläne hatte, Lyrik zu verlegen. Sehr zweifelhaft ist allerdings eine weitere Behauptung Gross‘, nämlich daß der Krystall-Verlag Basils erste Novelle „Benja“ 1930 veröffentlichte. Selbst wenn eine andere Quelle 1929 angibt, konnte dieses Werk weder in einschlägigen Bücherverzeichnissen (DBV, GV) noch in Wiener Bibliotheken entdeckt werden. Außerdem soll Basil – laut Gross, S. 9 – im Jahre 1933 seinen ersten Roman Der Umkreis dem Krystall-Verlag angeboten haben, doch wäre das Manuskript auf Grund der politischen Lage nicht verlegt worden. Basil hat seine Verbindung mit dem Krystall-Verlag vor 1938 nicht gänzlich abgebrochen: Für den 1937 im Verlag erschienenen Gedichtband des Freundes Rudolf Geist (Das schöne Gleichnis) schrieb Basil das Nachwort. Als Basil 1938 verhaftet wurde, setzte sich Weinheber erfolgreich für seine Freilassung ein.
[13] So zumindest nach einem Schreiben der Korporation vom 17.8.1927 an die Buchhandlung Rudolf Lechner & Sohn (Gremium/Krystall-Verlag). Sicher ist, daß aus Kostengründen eine Kunstzeitschrift gemeinsam produziert wurde. Im weiteren heißt es: „Das Dorotheum hat sich von dem Krystall-Verlag zurückgezogen und trachtet Dr. Juraschek dzt. einen Geldgeber zu finden (…).“
[14] Für die Biographie Lebers wurde z.T. ein Akt der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit aus dem Jahre 1935 als Quelle herangezogen. (AVA, BKA, Gendion, 22 gen, Zl. 327.726-St. B./G. D. 35). Die Formulierung „guter Wahlösterreicher“ stammt von „A.W.“ (= Alexander Witeschnik) in seiner Würdigung „Hermann R. Leber 60 Jahre“, in: Neue Österreichische Tageszeitung (Wien), 6.8.1960, S. 4.
[15] Schreiben Jurascheks an das Handelsgericht Wien vom 22. November 1933. Im Registerakt Krystall-Verlag, HRB 4801.
[16] Anzeiger, 76. Jg., Nr. 5, 5.3.1935, S. 24.
[17] Diese Aufschlüsselung wurde an einer Liste der Veröffentlichungen des Krystall-Verlags, die von der Deutschen Bücherei, Leipzig, stammt, vorgenommen. Die Liste weist insgesamt, also 1922-1938, 176 Titel auf.
[18] Bericht über die Stillegung des Krystall-Verlages, (zit. Anm. 8).
[19] Juraschek weist ebenda darauf hin, „daß der damals noch völlig unbekannte Autor (Josef Weinheber, 1926) innerhalb von einigen Jahren sich durchsetzen konnte“.
[20] Pressestimmen waren sehr positiv. Der Krystall-Verlag, „der sich damit ein großes Verdienst erwirbt, daß er in dieser Zeit neue Lyriker herauszubringen kühn genug ist“ (Neues Wiener Tagblatt); „dessen zielbewußtes Eintreten für die österreichische Kunst und Dichtung zu den erfreulichsten Erscheinungen unserer im Geistigen nicht gerade erfreulichen Zeit gehört. (…)“ (Reichspost); „Die neue österreichische Lyrik hat schon ihre sicheren und beglaubigten Vertreter gefunden. Hier ist es besonders der Krystall-Verlag, der sich seiner Verpflichtung Österreich und der Dichtung gegenüber bewußt ist.“ (Volkszeitung). (Zitiert nach Wiener Festwochen/Programmbuch für den Dichterwettbewerb für Lyrik 1937 veranstaltet von der Konzertdirektion Maria Pokorny (Hugo Abel) gemeinsam mit dem Krystall-Verlag in Wien am 17. Juni 1937. Wien: Krystall-Verlag, 1937.
[21] Beiträger: Basil, Billinger, Bormann, Eidlitz, Fischer-Colbrie, Franke, Goll, Haringer, Henz, Kalmer, Kramer, Leifhelm, Lernet-Holenia, Lindner, Ludwig, Mitterer, Nüchtern, Sacher, Sachs, Scheibelreiter, Schreyvogl, Staude, Stebich, Szabo, Waldinger, Weinheber, Wittner, Zerzer.
[22] Zu den im Krystall-Verlag mit selbständigen Publikationen vertretenen Lyrikern gehörten: Eugen Andergassen, Hanns Arens*, Gabriele Marie Arthur, Otto Aull, Hilda Bergmann, Friederike Candido-Kubin, Walter Diemberger, Erich Dolezal, Robert Ederer, Franz Felgitsch, Anton Forcher, Wilhelm Franke, Rudolf Geist, Anatol Gerz, Hugo Glaser*, Alfred Grünewald, Hans Haidenbauer, Lisl Hirschfeld, Anton Holdhaus, Herbert Johannes Holz, Eva Hornek, Walther Horwitz, Jonél Kalinczuk, Franziska Klinger, Grete Körber, Otto Krasensky, Walter Kukula*, Andreas Latzko*, Elsa Leipen, Juliane Ludwig-Braun, Maria Neuhauser, Felix Pfisterer, Heinz Odo Range, Martin Rathsprecher, Erich Rattner, Teresa Ries, Ilse Ringler-Kellner, Lilly Rons, Friedrich Sacher, Walter Sachs, Maria Ditha Santifaller, Moriz Scheyer*, Alfred Schroth, Karl Schulhofer, Rudolfine Seidl, Max Stebich, Franz Strnad, Fritz Stüber, Wilhelm Szaho, Marianne Szápáry, Erica Tietze, Hugo Treo, Ernst Türk, Erika Tutuila, Rudolf Uliczny, Hildegard Wais, Wilhelm Waldstein, Franz Wanek, Eduard Wasserberger, Josef Weinheber, Otto Weissel, Friedrich Winkelmüller, Hans Winterl, Nina Wostall, Adele Zaunegger, Franz Zhernotta. (* = nicht Lyrik)
[23] Verwiesen sei noch auf ein im Juni 1938 erschienenes und ebenfalls vom Bund der deutschen Schriftsteller Österreichs herausgegebenes Reclam-Bändchen: Gesänge der Ostmark. Ein Dichtergruß. Es bringt einen Querschnitt durch die Lyrik von 34 „nationalen“ Autoren und ist nicht so propagandistisch angelegt wie das Bekenntnisbuch.
[24] Dazu das 64seitige, im Krystall-Verlag erschienene, Programmbuch 1937 (siehe Anm. 20), das u.a. Verlagsneuerscheinungen ankündigt und die Beiträge aller 25 zugelassenen Teilnehmer enthält. Die hier folgenden Zitate sind dem Programmbuch entnommen.
[25] Andere ähnliche Anthologien zu dieser Zeit: die qualitativ unbedeutende Serie Österreichisch-deutsche Lyrik im Wiener Heros-Verlag (s.d.); Anthologie österreichischer Lyrik, herausgegeben von ERWIN RIEGER. Darmstadt: Darmstädter Verlag, 1931.