Kultur-Verlag (Wien-Leipzig)
In der Zwischenkriegszeit und vornehmlich, aber nicht ausschließlich gegen Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre gab es eine Reihe von Verlagsunternehmen, die zwar Belletristik produzierten, aber, streng genommen, nicht als Buchverlage angesehen werden können. Sie aber – weil primär „Zeitschriftenverlage“ – aus der Betrachtung auszuklammern, würde bedeuten, eine Facette des literarischen Lebens, des Buchhandels im Sinne der Massenverbreitung von Belletristik zu ignorieren. Diese Unternehmen gingen von dem Gedanken aus, durch weniger anspruchsvolle Aufmachung ein breiteres Publikum mit gelegentlich geistig nicht sehr anspruchsvoller Lektüre zu versorgen. In den hier auszuführenden wenigen Beispielen spielte das Kolportageverbot aus dem geltenden Preßgesetz eine nicht unerhebliche Rolle. Streitpunkt war der „Zeitschriften- bzw. Buchcharakter“. Erstere durften an den üblichen Zeitungsverschleißstellen verkauft werden, „Bücher“ hingegen nur beim konzessionierten Buchhändler. Etwas liberaler war man in diesem Punkt im Deutschen Reich. So war der „Zeitschriftencharakter“ – das Gesetz spricht von „periodischen Druckschriften“ – entscheidend in der Frage, ob eine Druckschrift überall ausgehängt und verkauft werden durfte oder nur in der Buchhandlung erhältlich war. Das zum Verständnis der folgenden Ausführungen.
Die Firma „Kultur-Verlag“ wurde vermutlich im Mai 1923 vom Besitzer Leopold Vogel gegründet, aber nicht handelsgerichtlich protokolliert. Der Sitz des Kultur-Verlags war in Wien 3., Dampfschiffstraße 14. Über die Verlagsmitarbeiter ist wenig bekannt: als verantwortliche Schriftleiter waren Arthur Köhler und Grete Vogel tätig. Eine zumindest zeitweise engere Mitarbeit von Karl Wache ist nicht auszuschließen. Der Inhaber Leopold Vogel war nach Mitte der 20er Jahre jedenfalls mit dem „Bühnenvolksbund. Theatergemeinde Wien“ verbunden.
Der Kultur-Verlag trat im Juni 1923 erstmals an die Öffentlichkeit mit der Zeitschrift Die Kultur. Halbmonatsschrift für Bücherfreunde (im 3. Jg.: Halbmonatsschrift für Bücher- und Kunstfreunde; später: Halbmonatsschrift in Sonderheften). In den sechs Jahrgängen dieser Zeitschrift wurde öfter auf deren Sinn und Zweck hingewiesen. Zu den Richtlinien der Halbmonatsschrift Die Kultur, heißt es in Heft 2 vom Juni 1923, „gehört, daß keine Art von Politik in ihr aufgenommen werden darf. ,Die Kultur‘ soll einzig und allein dem Bildungs- und Unterhaltungsbedürfnisse des gebildeten Mittelstandes Rechnung tragen und ihre Leser mit einschlägigem Stoffe versorgen“ (S. 1). Die Zeitschrift verstand sich nach „bescheidenen Anfängen“ als „literarisch-wissenschaftliches Organ“. Ähnlich heißt es zu Beginn des 5. Jahrgangs, die Zeitschrift wolle weiterhin „einen Querschnitt durch das Geistesleben“ bieten:
Wir werden deshalb auch weiterhin bestrebt sein, den Inhalt der einzelnen Hefte möglichst abwechslungsreich zu halten, damit jedem etwas geboten wird. Bei der Eigenart der „Kultur“ läßt es sich natürlich nicht vermeiden, daß dem einen oder anderen Leser nicht jedes Sonderheft voll zusagt, „Die Kultur“ stellt ja in ihrer Gesamtheit eine literarische und wissenschaftliche Bücherei dar, die allen Richtungen gerecht werden soll.
Noch deutlicher heißt es Mitte April 1927:
Daher liest jeder Gebildete, der sich kurz und sachlich über die geistigen Strömungen der Gegenwart und Vergangenheit unterrichten will, die Halbmonatsschrift
DIE KULTUR
Jedes Heft ist ein Sonderheft, um in das betreffende wissenschaftliche Gebiet einzuführen oder mit dem Schaffen eines schöngeistigen Autors vertraut zu machen. Mithin stellt jede Nummer eine gediegene und billige Broschüre dar, die nicht seichte Unterhaltungslektüre bietet, sondern auf einem hohen literarisch-wissenschaftlichen Niveau steht. Erstklassige Mitarbeiter vermitteln außerdem in den jeweiligen Beilagen „Kunstwarte“, „Literaturwarte“ und „Das Neue Buch“ das Wissenswerteste dieser Zweige. Ein Jahrgang der „Kultur“ umfaßt eine beachtenswerte Bücherei voll Wissen und Schönheit. (V. Jg., Mitte April 1927)
Der Umfang dieser Sonderhefte schwankte zwischen 24, 32 und 40 Seiten. Das Programm wurde in drei Gruppen geteilt: 1. schöne Literatur, 2. Wissenschaft und Kunst, 3. Reiseschilderungen. Bis die Zeitschrift aus nicht bekannten Gründen ihr Erscheinen im 6. Jahrgange Mitte Juni 1928 einstellte, waren als „schöne Literatur“ über 40 Sonderhefte erschienen. In der Regel waren den Heften eine Art biographischer, gelegentlich autobiographischer Einführung zum jeweiligen Autor vorangestellt und die Hefte selber einem einzigen Autor (meist mit Originalbeiträgen vertreten) gewidmet. Ein Überblick über diese „schöne Literatur“ zeigt eine eindeutige deutschnationale Präferenz. Unter den Autoren, die zumeist ihre Karrieren noch vor sich hatten, befanden sich etwa Robert Hohlbaum, E.K. Hirt, Theodor H. Mayer, Adam Müller-Guttenbrunn, H.L. Rosegger, Friedrich Schreyvogl, Erwin Stranik, Karl Hans Strobl, Rudolf Stürzer, Frank Thieß, Grete von Urbanitzky, Will Vesper, Karl Wache und K.H. Waggerl. Es sind also durchwegs Autoren, die ab 1933 im „nationalen“ Lager zu finden waren.
Die Gruppe „Wissenschaft und Kunst“ (ca. 20 Hefte) umfaßt populärwissenschaftliche Beiträge zu so unterschiedlichen Themen wie „Tiroler Sitten und Sagen“, „Rassenkunde des jüdischen Volkes“, „Körperkultur – eine Pflicht“, „Okkulte Probleme“, und „Der Kampf gegen die Tuberkulose“.
In der Gruppe Reiseschilderungen (ca. 10 Hefte) erschienen Sonderhefte beispielsweise mit folgendem Schwerpunkt: Ceylon, Olympia und Delphoi, Javanisches Tagebuch usw.
Bis auf die äußerst wenigen Ausnahmen wie etwa Erwin Straniks Buch Unheimliches Erlebnis. Seltsame Geschichten (1926), beschränkte sich die verlegerische Tätigkeit des Kultur-Verlags auf die Zeitschrift Die Kultur.
Der Verlag war auch bemüht, den selbstgestellten Auftrag etwas weiter aufzufassen. So veranstaltete man Anfang Jänner 1925 das „Erste literarische Preisausschreiben der KULTUR“. Ausgangspunkt dieser Überlegung, „den geistigen Wiederaufbau unseres Volkes anzubahnen“, war die Ansicht Leopold Vogels, „daß, abgesehen von den Arbeiten jener nicht zu vielen Schriftsteller, die wirklich kulturell wirken, der literarische Markt mit dieser Eintagsware überschwemmt ist und immer wieder ‚neue‘ Schriftsteller mit noch sensationelleren Arbeiten auftauchen.
Die KULTUR will nun im Vereine mit anderen Unternehmungen, die dasselbe Ziel anstreben, den Kampf gegen die oben erwähnte Literaturgattung aufnehmen und ruft deshalb alle Schriftsteller, aber Schriftsteller im besten Sinne des Wortes, unter der Devise „Die beste kulturelle Novelle“ zu einem Wettkampf auf.[1]
Als Preisrichter wurden auserkoren: Prof. Dr. Egid Filek, Dr. Robert Hohlbaum, Dr. Theodor H. Mayer, Verlagsdirektor Fritz Salis-Samaden und Schriftleiterin Grete Vogel (später auch: Karl Wache). Der 1. Preis, der bar ausgezahlt werden sollte, betrug 5 Millionen Kronen, der zweite 11/2 Millionen, der dritte 1 Million Kronen. Außerdem gab es 7 Preise à 1/2 Million Kronen. Mit Ausnahme des 1. Preises erhielten die Preisträger Bücher im Werte des betreffenden Preises. Ab der Bekanntgabe der Gewinner des ersten literarischen Preisausschreibens wurden die preisgekrönten Novellen in der Kultur veröffentlicht. Aus der engen Auswahl von 35 Arbeiten gewannen:
1. Preis: Contessa Hekuba. Von Karl E. Hirt, Innsbruck.
2. Preis: Das ewige Rätsel. Von Franz Zusanek, Wien.
3. Preis: Zwischen den Geschlechtern. Von Friedrich Marius Hoffmann, Wien.[2]
Anläßlich der Errichtung der Preußischen Akademie der Dichtung in Berlin 1926 wurden Leser der Kultur gefragt, „welche österreichischen Dichter (Schriftsteller) sie in eine eventuelle ,österreichische Akademie der Dichter‘ wählen würden.“[3] Für den Stellenwert in der zeitgenössischen Literaturrezeption in Österreich Mitte der 20er Jahre ist das Ergebnis nicht uninteressant. Genannt wurden mehrheitlich: 1. Karl Hans Strobl 2. Franz Karl Ginzkey 3. Anton Wildgans.
Neben diversen „Werbe-Aufrufen“, um neue Abonnenten zu gewinnen, verdienen die Bemühungen, die „Buchgemeinschaft ,Kultur'“ im Herbst 1925 zu initiieren, Erwähnung:
Ist es doch selbst für denjenigen, der sich beruflich mit Literatur beschäftigt, nicht immer leicht, aus dem Chaos der zeitgenössischen Literatur das wirklich gute Buch zu wählen. Um nun die geistige Verbindung mit dem modernen Schrifttum aufrecht zu erhalten und jede Gefahr eines verärgernden Buchkaufes auszuschalten, will die Buchgemeinschaft „Kultur“ den Mittlerdienst zwischen dem guten Verleger und dem Bücherfreund aufnehmen.
Wie erfolgreich dieses Unterfangen war, das mit Sicherheit nicht das Wohlgefallen der Buchhändler fand, ist nicht bekannt. Die Zeitschrift Kultur stellte ihr Erscheinen, wie erwähnt, unvermittelt Mitte 1928 ein.
Anmerkungen
[1] Die Kultur (Wien), III. Jg., Jänner 1925, Heft Nr. 1, letzte Seite. Diese Zeitschrift bildet praktisch die einzige Unterlage für die hier folgenden Ausführungen. Das Adreßbuch des österr. Buchhandels verzeichnet die Firma Leopold Vogel Verlags- und Versandbuchhandel zum letzten Mal in der Ausgabe 1930.
[2] Die Kultur (Wien), III. Jg., Juni 1925, Heft Nr. 11, S. 1. Die weiteren Gewinner (4.-10. Preis): Das Kreuz am Wege. Von SELMA FISCHER CWOJODZINSKA, Charlottenburg; Ich klage an. Von EDUARD FRAUENFELD (!), Wien; Deutsche Helden. Von HANS HENNING FREIHERR GROTE, Dessau; Ein Kulturkampf. Von FRANZ ALFONS HELMER, Innsbruck; Hohle Herzen. Von Dr. Otto Hödel, Graz; Mutter. Von MICHEL NÖBAUER, Wien; Das Moidle. Von FRANZ RÖMISCH, Wien.
[3] Die Kultur (Wien), IV. Jg., Heft Nr. 8, April 1926, S. 52.