Richard Lányi

Richard Lányi (Wien)[1]

Richard Lanyi SignetRichard Lányi gilt eher als Gelegenheitsverleger, mit anderen Worten als einer, der auf Grund seiner Buchhandelskonzession ein „Auch-Verleger“, aber in erster Linie Buchhändler, Auslieferer, Kartenbüro usw. war. Heute ist sein Name denjenigen bekannt, die sich mit Karl Kraus befassen. Wann Kraus und Lányi sich kennenlernten, ist nicht genau bekannt. Fest steht jedenfalls, daß die von Lányi geführte Buchhandlung (Robert Friedländer) erstmals im Dezember 1915 den Vorverkauf der Karten für eine Kraus-Lesung am 21. Dezember 1915 übernahm.[2] Erst für die Lesung am 17. November 1916 hieß die Vorverkaufsstelle „Buchhandlung Richard Lányi“. Nach Ansicht Kraus, bewährte sich Lányi „als der weitaus zuverlässigste, ordentlichste und beim Arrangement von Wohltätigkeitsvorträgen selbstloseste Veranstalter“.[3]

Über die Person Lányis weiß man heute relativ wenig, sodaß es geboten erscheint, neues Material anzuführen, um Licht auf diese Persönlichkeit zu werfen.[4] In Wirklichkeit hieß er gar nicht „Lányi“. Er wurde am 9. Dezember 1884 in Wien als Richard Löwy, Sohn des aus Preßburg stammenden Commis Leopold Löwy und dessen Frau Johanna, geb. Spitzer, geboren.[5] Der junge Löwy war ungarischer Staatsbürger und daher auch nach Budapest zuständig. Am 22. Februar 1909 heiratete der Buchhandlungsgehilfe Richard Löwy Frl. Anna Maria Bartos, die am 5. Jänner 1883 in Ung. Hradisch (Mähren) geboren wurde, aber nach Paszony (Preßburg) zuständig war. Im Mai dieses Jahres entschloß sich das Ehepaar Löwy aus nicht bekannten Gründen, den Familiennamen zu ändern, und richtete daher an die k.k. Polizeidirection Wien die Bitte um Ausstellung einer Leumundsnote „als Beilage eines Gesuches behufs Namensänderung“.[6] Das erste Ansuchen, das an die falsche Behörde, nämlich die k.k. n.-ö. Statthalterei gerichtet war, wurde an die zuständige Stelle, das kgl. ung. Ministerium des Innern in Budapest weitergeleitet und ist etwa Mitte Juli datiert.

Löwy ersuchte, seinen Namen in Lörenti abzuändern, was das Ministerium in Budapest glatt zurückwies. In einem geänderten Gesuch vom November 1909 schlug Löwy vor, den Namen in „Lányi“ oder „Lani“ umzuändern. Das Ministerium traf ihn auf halbem Wege: Mitte Jänner 1910 stimmte es dem ersten Namen zu, bestand aber darauf, daß ein Akzent über dem „a“ zu stehen habe, also Löwy nun „Lányi“ zu heißen habe. Mit Dekret vom 4.2.1910, Zl. 11.899-VI-a berechtigte das kgl. ung. Ministerium des Innern Richard Löwy, den Namen Richard Lányi zu führen.[7] Daß die Prozedur fast ein Jahr dauerte, hängt u.a. damit zusammen, daß alle Unterlagen ins Deutsche bzw. Ungarische übersetzt werden mußten.

Als der Wiener Buchhändler und „langjährige Chef“ Richard Lányis, Robert Friedländer, am 27. Juli 1912 im 51. Lebensjahr in Hinterbrühl bei Mödling starb, hatte Lányi die Gelegenheit, die Firma „Robert Friedländer Buchhandlung“ mit allen Aktiven und Passiven zu übernehmen. Er trat am 26. August 1912 der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler bei und ließ die Firma in seinen Namen inkorporieren. Als Befähigungsnachweis konnte Lányi folgendes angeben: 3 Klassen Bürgerschule, 3 Klassen Handelsschule sowie das Lehrzeugnis von Friedländer.[8]

Der verstorbene Friedländer war fast 25 Jahre im Buchhandel selbständig tätig gewesen und hatte im Jahre 1887 ein Geschäft übernommen, dessen Konzession auf das Jahr 1785 zurückgeführt werden konnte.[9]

Lányi zeigte seinen Kollegen die Übernahme im Februar 1913 in der Buchhändler-Correspondenz an;[10] er wurde am 18. Februar 1913 in das Register für Einzelfirmen (Band 37, pagina 47) als Inhaber eingetragen. Erst am 20. Oktober 1916 erfolgte dann die Eintragung über die Änderung des Firmawortlauts in „Buchhandlung Richard Lányi“. Die nächste Eintragung stammt vom 2. Dezember 1938.

Kenntnis von dem, was Lányi in den Monaten und Jahren nach dem „Anschluß“ widerfuhr und was mit seiner Buchhandlung passierte, verdanken wir der Tatsache, daß der Firmeninhaber gezwungen wurde, den Antrag auf Eröffnung des Konkurses über seine Firma zu stellen, und daß derjenige, der diesen Schritt auslöste, in der Buchhandelsbranche mehrfach in Arisierungsfällen in Erscheinung getreten ist.

In den Tagen um den „Anschluß“ teilte Lányi das Schicksal einer Reihe von Buchhändlerkollegen, insofern als seine Buchhandlung geplündert wurde und Lagerbestände durch Beschlagnahme dezimiert wurden. Nach dem „Anschluß“ hatte Lányi sein Geschäft einige Tage gesperrt, dann jedoch nach eigener Aussage die Erlaubnis erhalten, den Betrieb weiterzuführen. Somit scheinen Ansichten, wonach Lányi sofort nach dem „Anschluß“ verhaftet worden sei, entkräftet zu sein. Am 10. Mai erschien ein „Auslandsösterreicher“, der gebürtige Wiener Johannes Katzler, bei Lányi Katzler war erst vor kurzer Zeit aus dem „Altreich“ zurückgekehrt, wo er seit 1930 im Verlag der N.S.D.A.P., dem Eher-Verlag, tätig gewesen war und Werbebriefe an österreichische „Volksgenossen“ verfertigt und sie aufgefordert hatte, bis zum Sieg des Nazismus in Österreich auszuharren. Er war seit 1933 Mitglied der SA (SA Brigade 29). Katzler und Lányi, der unter dem Zwang stand, zu retten, was zu retten war, kamen in einem Vorvertrag überein, daß die Buchhandlung samt allen Aktiven und Passiven von Katzler übernommen werde. Der Kaufpreis sollte RM 40.000 betragen. Die Verpflichtungen der Firma in der Höhe von rund RM 21.000 wollte Katzler übernehmen. Die (bargeldlose) Übernahme erfolgte sofort. Wenige Tage darauf stand auf dem Geschäft „arische Firma Inhaber Johannes Katzler“, in einem Schaufenster stand eine Führerbüste und rundherum vorwiegend nationalsozialistische Literatur. Ab diesem Zeitpunkt betrat Lányi sein früheres Geschäft nicht mehr. Die Abmachung blieb aufrecht, bis am 29. Juli 1938 die Inventur in der Kärntnerstraße 44 durchgeführt wurde. Nun stellte sich heraus, daß die Gestapo so viel an Druckwerken mitgenommen hatte, daß das Unternehmen nun keinerlei Betriebsvermögen mehr aufwies. Katzler weigerte sich, einen Kaufpreis zu zahlen und erklärte sich lediglich bereit, das Geschäft zum Werte der Passiven zu übernehmen. In seiner Vermögens-Anmeldung (Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938) vom 10. Juli hatte Lányi noch den Betriebswert mit RM 19.000 angegeben.[11] Dies mußte er nach der Inventurepisode in einem Schreiben vom 2. August dann kräftig nach unten revidieren: nun wies das Unternehmen kein Vermögen mehr auf. Die Schuld traf aber nicht nur die Gestapo, auch Katzler hatte das Seine dazu beigetragen, bevor er überhaupt „rechtmäßiger“ Besitzer geworden wäre (vorausgesetzt, man kann das Wort „rechtmäßig“ überhaupt verwenden!). Für ihn war die Buchhandlung Lányi ein Selbstbedienungsladen: er verschenkte Bücher (die ihm nicht gehörten) an die Staatspolizisten, nahm Bilder und Bücher für sich, verkaufte Bücher im Laden und steckte das Geld in seine eigene Tasche. Ende Oktober 1938 teilte Katzler Lányi mit, daß er das Geschäft doch nicht übernehmen könne. Er erklärte sich jedoch bereit, das Lager um den Betrag von RM 20.000 zu kaufen, und Lányi war gezwungen, auf diesen Vorschlag einzugehen. Es blieb ihm nichts anderes über, als Ende November den Konkurs anzumelden. Mit derselben oder einer ähnlichen mittellosen Masche „arisierte“ Katzler auch weitere sechs „jüdische“ Buchhandlungen in Wien: Alois Reichmann, Josef Kende, Moritz Perles, M. Breitenstein, C.W. Stern und Heinrich Saar.

Alois Reichmann

Die nach dem „Anschluß“ arisierte Firma Buchhandlung und Antiquariat Alois Reichmann in Wien 4., Wiedner Hauptstraße 18-20.

Alois Reichmann arisiert Geschäftsauslage

Großaufnahme der neuen Geschäftsauslage

Als Katzler schließlich Ende Mai 1947 wegen Illegalität, mißbräuchlicher Bereicherung und Verletzung der Menschenwürde vor dem Volksgericht stand, zeigte das Gericht nach Meinung von Beobachtern „unverständliche Milde“. Er wurde in allen Punkten der Anklage für schuldig befunden, kam jedoch mit 18 Monaten schweren Kerkers davon.[12]

Der Konkurs über die Buchhandlung Richard Lányi wurde erst im März 1943 beendigt. Letztes Lebenszeichen (Laut Konkursakt) war sein Erscheinen zu Gerichtsverhandlungen Februar/März 1939. Das letzte Indiz im Akt dafür, daß er 1943 nicht mehr in Wien war bzw. nicht mehr lebte, ist ein „Postfehlbericht“ vom 13. Februar 1943. Ein Schreiben des Gerichts konnte nicht mehr zugestellt werden … Er war am 28. Mai 1942 in Auschwitz gestorben.

Die Produktion

Die allererste Publikation des „Verlags der Buchhandlung Richard Lányi“ dürfte im Jahre 1917 erfolgt sein, und zwar in Form einer Mappe mit 12 Zeichnungen von Egon Schiele. Im selben Jahr erschienen auch Verse von A.E.H. (34 S.). Im April des nächsten Jahres erschien Leopold Lieglers Karl Kraus und die Sprache, und im Verlauf dieses Jahres kamen weitere sechs Werke, darunter zwei von Arthur Roessler, ebenfalls in kleiner Auflage, heraus.[13] Im November erschien dann Karl Kraus und sein Werk von Liegler und wurde in der Buchhändler-Correspondenz mit einem verkaufsfördernden Werbetext angepriesen.[14] Bereits diese ersten Erscheinungen sind für die Programmrichtung kennzeichnend; es sind kleine Lyrikbände und Bücher über zeitgenössische Kunst. Bis 1937 erschienen z.B. Lyrikbände von H. Barber, K. Braun-Prager, Carl Dallago, L.F. Goeckingk, A. Golfar, R. Henkl, M. Kornitzer, Heinrich Schaffer, Franz Schiller, Moriz Seeler und Verse von A.E.H. Im Bereich der zeitgenössischen Kunst erschienen Werke von bzw. über Egon Schiele (z.B. Briefe und Prosa, Im Memoriam), Hans Brühlmann, Uriel Birnbaum, Bruno Berean. Lányi verlegte auch die Flugschriften der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien. Da Lányi mosaischer Konfession war, mag das die Tatsache erklären, daß er gelegentlich Schriften verlegte, die sich in irgendeiner Form mit der Judenproblematik befaßten, so z.B. Erich Gottgetreu, Das Land der Söhne. Palästina näher gerückt (1934); Lili Körber, Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland (1934); Botho Lazarstein, Ludwig Börne oder: Die Überwindung des Judentums (1931).

Lanyi Almanach 1938Die Gesamtproduktion des Verlags der Buchhandlung Richard Lányi umfaßte 1917 bis 1937 ungefähr 60 Titel, von denen etwas weniger als die Hälfte ab 1930 erschien.[15] Etwa ein Viertel der Titel hat direkt oder indirekt mit Karl Kraus zu tun, das heißt, es sind Kraus-Bearbeitungen (Nestroy, Shakespeare), Kraus-Reden (Altenberg, Loos; 1919 bzw. 1933) oder Kraus-Würdigungen (B. Viertel, 1925; Liegler, 1918, 1920, 1933, 1936; Heinrich Fischer, 1934; Max Rychner, 1924; Georg Moenius, 1937; Stimmen über Karl Kraus, 1934).

Der Vollständigkeit halber wird auf die wohl letzte Publikation des Verlags der Buchhandlung Richard Lányi hingewiesen. Es ist dies Richard Lányis Almanach 1938, der von Leopold Schmidt herausgegeben wurde. Der Band enthält neben acht Original-Kunstblättern ausschließlich musikwissenschaftliche Beiträge.

Anmerkungen

[1] Quellenhinweise: Handelsgericht Wien, Register für Einzelfirmen, Band 37, pagina 47; Handelsgericht Wien, Akt Konkurs Firma Richard Lányi, S 113/38 (WrStLa); NÖLA, Regierungs-Archiv, Akt k.k. n.ö. Statthalterei. XVII-335/1-9 aus 1909/10, Namensänderung Löwy-Lányi; Geburtsbuch der Israelitischen Cultusgemeinde Wien, Jahr 1884, No. 3999; Akt Gremium/Lányi; Die Fackel (Wien).

[2] Die Fackel. Hg.: KARL KRAUS, XVII. Jahr, Nr. 413-417,10. Dezember 1915.

[3] Ebenda, XXVII. Jahr, Nr. 697-705, Oktober 1925, S. 54.

[4] Verwiesen wird hier auf eine andere Arbeit des Verf., Verlage um Karl Kraus, in Kraus-Hefte, Heft 26/27, Juli 1983, S. 2-31; bes. S. 18-24. Der Text ist mit den Ausführungen an dieser Stelle großteils identisch, jedoch wird im erwähnten Aufsatz mehr auf die Beziehung Kraus-Lányi eingegangen.

[5] Angaben laut Geburtsbuch für die Israelitische Cultusgemeinde in Wien, Jahr 1884, No. 3999. (WrStLa)

[6] Schreiben von Richard und Anna Löwy vom 12. Mai 1909. In: Niederösterreichisches Landesarchiv (NÖLA), Regierungs-Archiv. Siehe oben. Alle betreffenden Aktenstücke sind unter dieser Zahl zu finden. Verf. dankt Herrn Dr. Anton Eggendorfer für seine Hilfe bei der Beschaffung dieser Unterlagen.

[7] Eine Anfrage beim Magyar Országos Levétár in Budapest im August 1982 ergab, daß die Unterlagen zu Lányi heute im Innenministerium aufbewahrt werden, jedoch unter Forschungs- und Kopierungsbeschränkung fallen. Das Wesentliche findet sich aber im Akt des NÖLA.

[8] Laut Protokoll aufgenommen mit Richard Lányi am 26. August 1912. (Gremium/Lányi)

[9] Dazu der Nachruf in: BC, Nr. 31, 31.7.1912, S. 424 und Österreichisch-ungarische Buchdrucker-Zeitung (Wien), Nr. 31, 1.8.1912, S. 378.

[10] BC, Nr. 9, 26.2.1913, S. 10 und 11.

[11] Wie bereits an anderer Stelle dieser Arbeit erwähnt, mußten alle in Österreich befindlichen Juden auf einem eigenen Formular ihr gesamtes in- und ausländisches Vermögen deklarieren. Die Frist bis 30.6.1938 wurde bis Mitte Juli verlängert. Die hier zitierten Unterlagen befinden sich in AVA, BMfHuV, VVSt, Karton 23, V.A. 5193, Richard Lányi.

[12] Es würde hier zu weit führen, im Detail alle Untaten des Herrn Katzler anzuführen. Es mag genügen festzustellen, daß seine Karriere als „Ariseur“ sich anhand der Unterlagen der VVSt eingehend dokumentieren läßt. Zu Prozeß und Urteil folgende Hinweise: Österreichische Zeitung (Wien), Nr. 122, 30.5.1947, S. 3 und Anzeiger, Nr. 12, 1947, S. 5f.; WZ, Nr. 241, 16.10.1947, S. 5 und ebenda, Nr. 133, 9.6.1949, S. 5.

[13] Siehe die Verlagsanzeige in: BC, Nr. 27, 24.4.1918, S. 199. Da heißt es: „Ich kann (wegen kleiner Auflagen) nur bar liefern.“

[14] BC, Nr. 46, 12.11.1919, S. 688.

[15] Es wird hier, wie in allen anderen Fällen, absichtlich von „ungefähr“ bzw. „ca.“ gesprochen, da es trotz gewissenhafter Zusammenstellung aller Verlagstitel immer noch möglich ist, daß mir der eine oder andere entgangen ist. Es geht auch hier vor allem darum, die Größe der Produktion kenntlich zu machen. Die Produktionsliste stützt sich auf Angaben im Verleger- und Institutionenkatalog der Deutschen Bücherei in Leipzig sowie auf Anzeigen Lányis in der Buchhändler-Correspondenz.

Ergänzungen zur Buchveröffentlichung von 1985

Neueste Forschungsliteratur

  • Katja Bertz: „Arisierung“ im österreichischen Buchhandel. Auf den Spuren der Buchhandlungen Richard Lányi, Alois Reichmann, Josef Kende, Moritz Perles, M. Breitenstein, Heinrich Saar und Dr. Carl Wilhelm Stern. Diplomarbeit Univ. Wien 2009.
  • Friedrich Pfäfflin: Richard Lányi. I Im Verlag der Buchhandlung. Bibliographie 1917–1938. Warmbronn: Verlag Ulrich Keicher 2006 (= Bibliothek Janowitz. Hrsg. von Friedrich Pfäfflin, Band 11).
  • Richard Lányi. II Verlegerbriefe im Schein der ‚Fackel‘ 1905–1938. Warmbronn: Verlag Ulrich Keicher 2006 (= Bibliothek Janowitz. Hrsg. von Friedrich Pfäfflin, Band 12).

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