E.B. Seps Verlag (Bergis Verlag) (Wien)[1]
Dadurch, daß die österreichische Verlagsszene der Ersten Republik der Struktur nach von vielen kleinen und wenigen mittelgroßen belletristischen Verlagen geprägt war, ist auch die Zahl der oft kuriosen Kleinst- und Selbstverlage relativ hoch, so daß deren Erfassung materialmäßig oft schwierig ist, vorausgesetzt, daß sie sich überhaupt lohnt.
Besonders kurios sind beispielsweise die „Verlage“ um den dichtenden Zahnarzt aus Wien, Dr. Edmund Blum, so daß wir auf Werke und Werbemethoden näher eingehen wollen. Es handelt sich um nicht inkorporierte und nicht handelsgerichtlich protokollierte Verlage wie auch um Selbst- bzw. Eigenverlage, die nicht konzessionspflichtig waren.
Das DBV verzeichnet 23 Werke des Wiener Zahnarztes Edmund Blum – ohne Berücksichtigung des Pseudonyms „E.B. Junkh“ [2] – und von diesen 23 erschienen zwischen 1919 und 1923 nicht weniger als 19 (neunzehn) mit einem Druckseitenumfang von 2.939 Seiten! Blums Erstlingswerk erschien 1913 unter dem Titel Warum lassen sich die Juden nicht taufen?!, bevor er 1919 mit der Veröffentlichung einer Reihe von “ sexual-psychologischen“ Romanen, Novellen, Studien beim Anzengruber-Verlag begann (Das Brauthemd). 1920 erschien der erste Band der „Dr. Blum Bücher!“ bei Anzengruber unter dem Titel Die Gefallene. Inhalt: sexual-psychologische Novelle auf 119 Seiten. Im selben Jahr scheint sich Blum zur Errichtung eines eigenen Verlags entschlossen zu haben. Der kunstvolle Name lautete: E.B. Seps Verlag mit Sitz in Wien 18., Währingerstraße 123. Unter dem Titel „Dr. Blum Bücher“ erschienen in billiger Aufmachung mit Auflagen von 10.000 (!) Exemplaren, broschiert und auf Zeitungspapier gedruckt, insgesamt 12 Werke bzw. Romane, deren Titel für sich sprechen müßten:
Das Brauthemd; Die Gefallene; Halbjuden; Junggesellennot; Die Lüsterne; Die Gelegenheitsmacherin; Magdas Fehltritt; Hochzeitsnacht; Die Verführte; Judenhaß; Ohne Wollust; Sommerbräutigam.
Neben den „Dr. Blum Büchern“ erfand der Zahnarzt auch eine Reihe namens Intime Bibliothek. Beispiel: Die Sumpfblume und andere Wiener Novellen (1923). Blum hatte außerdem mehrere Novellen auf Lager, die offenbar nicht veröffentlicht wurden: Der Asket, Der Leichenschänder, Die Geschlechtsverirrung etc.
Diese Bücherschwemme entzog sich der Aufmerksamkeit der Standesvertretung nicht, vor allem dann nicht, als Blum, der „deutsche Maupassant“, wie er sich in Anlehnung an eine Zeitungsbesprechung bescheiden pries, sich anschickte, den Buchhändlerkollegen im Herbst 1924 ein Werbeplakat zukommen zu lassen.
Neu! Neu! Sensationell!
Die sexualpsychologischen Romane
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Von Dr. E. Blum (dem deutschen Maupassant)
Probeband kostenlos, aber nur persönlich!
Freigeistige Herrenlektüre,!!! ganz neuartig!!!
Die billigsten, amüsantesten Romane des Büchermarktes, der Weltliteratur
Hochinteressante, pikante, spannende, aber nicht pornographische Romane. Der Verkauf an Minderjährige laut Verfügung der Bezirkshauptmannschaft vom 23. Mai 1924, Zahl 938/R, verboten.
Die 12 Bände – Umfang bei 1700 Seiten – waren „zu beziehen in jeder besseren Buchhandlung oder direkt“ vom Verlag. Je mehr Seiten bzw. Bände man kaufte, desto kleiner der Preis. Blum hatte in seinem Werbeplakat noch einige Worte an das P.T. Publikum zu richten:
P.T.
Da unsere wirtschaftliche Notlage bei den hohen Preisen den Besuch des Theaters, Kaffeehauses, Kinos, mit einem Worte eines Vergnügungslokales unmöglich gemacht hat, bleibt nur das Buch übrig, um durch einige Stunden der Zerstreuung das beruflich überanstrengte Nervensystem zu regenerieren. Die hiemit angebotenen Romane sind so FABELHAFT BILLIG, daß sie auch dem Mittelstand zugänglich sein dürften. Ein schwarzer Kaffee, ein halbes Kilo Obst, einige Zigaretten, die nur einen flüchtigen Gaumenkitzel bieten, kosten mehr als diese Bücher, welche nachher noch einer endlosen Reihe von Verwandten und Bekannten ein dauerndes Vergnügen gewähren. Der ernste Beruf und das Alter des Autors bürgen für die Gediegenheit des Inhaltes, damit sich aber jeder noch vor dem Ankauf über den Wert und Charakter der Romane ein Urteil bilden kann, stellt der Verlag, 18. Bez., Währingerstraße 123, Mezz. 7, jedem Erwachsenen, der sich persönlich zwischen 9 bis 12 Uhr vormittags hinbemüht, einen PROBEBAND KOSTENLOS zur Verfügung, um ihn zu Hause ruhig lesen und begutachten zu können. Es hat sich nämlich erwiesen, daß jeder, der überhaupt einen der Romane gelesen, nachher auch alle übrigen kauft.
Der dichtende Zahnarzt im fortgeschrittenen Alter, der zwischen den Ordinationen ungefähr im selben Tempo geschrieben haben muß wie Johann Ferch, mit dem selbst wohl Hugo Bettauer nicht Schritt hätte halten können, wußte auch die Stimmung rund um die Bettauer-Pornographie-Affäre auszunützen:
Ich appelliere an die Öffentlichkeit, über diese Bücher zu urteilen, die angeblich, wie es aus dem Leitartikel der „Arbeiter-Zeitung“ vom 15. August 1924 unter dem Titel „Seipels Beschuldigungen“ zu entnehmen war, eine Flut von Pornographie über Wien gebracht hätten.
Dr. E. Blum, der Autor.
Einzelne Mitglieder und die Korporation selber waren über diese Werbung erbost und erstatteten Anzeige gegen Blum, weil er das Buchhandelsgewerbe ausübte, ohne dazu berechtigt zu sein. Von der Gewerbe-Ordnung her war man aber machtlos: Selbstverlage bedurften keiner Konzession. Blum hat es sich allerdings Ende 1924/Anfang 1925 anders überlegt. Unter den „Vermischten Anzeigen“ ließ er im Börsenblatt folgende Annonce erscheinen:
RÜHRIGEN VERLAG
sucht erfolgreicher Schriftsteller, von welchem bereits 12 Romane veröffentlicht und in mehreren Auflagen (etwa 140 000 Exempl.) ausverkauft wurden, wegen Auflösung seines bisherigen Verlagskonsortiums [!]. Verleger, die Romane sexualpsychologischen, pikanten, aber durchaus dezenten Charakters veröffentlichen, wollen sich wenden an
Dr. E. Blum
Schriftsteller
Wien XVIII, Währingerstr. 123. [3]
Blums Werkverzeichnis deutet nicht darauf hin, daß er willige Verleger fand. 1928 ließ er bei R. Cerny in Wien ein dickes Werk erscheinen: Lebt Gott noch? Krise der Weltanschauung (550 S.)
Es war aber noch nicht aller Tage Abend: in der zweiten Jahreshälfte 1932 stieg Blum neuerlich ins Verlagsgeschäft ein, und zwar wieder ohne Konzession und nicht ausschließlich zum Verlag der eigenen Werke. Das neue Unternehmen nannte sich: „Bergis Verlag Wien“ und war abwechselnd in mehreren Wiener Bezirken beheimatet. Der Verlag trieb eine ausgedehnte Propaganda für seine Verlagswerke in den Tageszeitungen und so kamen ihm die Magistratischen Bezirksämter und die Korporation auf die Schliche, allerdings erst, als er ungefähr sieben Werke (alle 1932) herausgebracht hatte. Blum selber war mit zwei Werken vertreten, und zwar dem Roman Die Damen Bolzani und der Komödie Des Selbstmörders Schwester. Andere Autoren: Max Epstein (Man spielt Theater. Roman hinter den Kulissen); Hermann W. Anders (Weg einer Leidenschaft. Erzählungen); Hellmut Schlien (Herz beiseite. Liebhaberbericht); Fritz v. Unruh (Politeia. Politische Reden und Aufsätze des Dichters von Ernst Adolf Dreyer); Berthold Sprung (Gestalten).
Nach der Episode mit dem „Bergis Verlag“ ist Blum nicht mehr literarisch in Erscheinung getreten.
Anmerkungen
[1] Quellenhinweise: Akt Gremium: Seps-Verlag und Bergis Verlag. Alle im folgenden zitierten Unterlagen wie z.B. Prospekte sind diesen Akten entnommen.
[2] 1925 erschien der Roman Mädis Irrwege (202 S.) im Seps-Verlag.
[3] Der Ausschnitt aus dem Börsenblatt liegt lose im Akt. Angaben fehlen. Blum ist am 9. September 1874 in Steinamanger, Ungarn, geboren. Er promovierte zum Dr. med. an der Universität Wien am 29.4.1898. Nach frdl. Auskunft der Ärztekammer für Wien vom 18.4.1983 (Kartothek Nr. 2461) trat Blum 1907 in die Ärztekammer ein. Laut Phys. Ausweis vom April 1938 ist er am 14. April 1938 gestorben. Ob eines natürlichen Todes, scheint angesichts des Datums unwahrscheinlich. Blum beteiligte sich an der im Sommer 1924 aufgeflammten Diskussion über die „Krise des Buches“ und richtete eine Zuschrift an die Wiener Allgemeine Zeitung mit seiner Meinung zum Thema. In dieser Zuschrift kommt er auch auf grundsätzliche Probleme des Verleger suchenden Schriftstellers zu sprechen und erläutert seine persönliche Schlußfolgerung aus dem Ganzen. Für ihn kam nämlich dem Verleger die Hauptschuld zu. Hier ein Auszug aus dieser Zuschrift: „(…) Die Hauptschuld an der Krise des Buches trägt aber das Verlegerwesen. Ich habe leider mit den verschiedenen Verlegern so traurige Erfahrungen gemacht, daß ich darüber ein Buch schreiben könnte. Die meisten Verleger, mit Ausnahme einiger großer, deutscher Firmen, verlangen vom Autor, anstatt ihm für seine Arbeit zu bezahlen, einen Spesenbeitrag, der gewöhnlich schon mehr ausmacht, als die Erzeugung des Buches im Ganzen kostet. Mündliche und schriftlich gemachte Verträge werden nicht eingehalten und schon so abgefaßt, daß der meistens geschäftsunkundige Schriftsteller machtlos ist und auf jeden Fall leer ausgeht. (…) Nun ist aber der Buchhändler unentbehrlich. Der Autor kann seine Werke nicht selbst verkaufen, aber der Verleger kann eliminiert werden. Diesen Weg habe ich eingeschlagen. Ich habe in den letzten 2 bis 3 Jahren 12, sage zwölf meiner Romane selbst herausgegeben und befinde mich sehr wohl dabei. Der Preis der Bücher ist infolgedessen um 60 bis 70 Prozent geringer als bei Werken desselben Umfanges, die beim Verleger erschienen, und ich kann allen Autoren, die von ihren Verlegern übervorteilt werden, empfehlen, dieses Beispiel nachzuahmen. Je mehr man den Zwischenhandel ausschaltet, desto billiger kommt das Publikum zum Buch. (…)“ (Wiener Allgemeine Zeitung, 13.8.1924, S. 4.)