Spiegel-Verlag (Iris-Verlag) (Wien-Berlin-Leipzig)
Der Gründer und Inhaber dieses kurzlebigen Verlagsunternehmens war der am 2. April 1884 zu Bielitz in Schlesien geborene Gymnasialprofessor i.R. Dr. phil. Robert Lohan. Den Beginn der Bemühungen, den Verlag zu errichten, kann man mit dem 27. Jänner 1927 festsetzen, als bei der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler Lohans Daten in ein „Protokoll“ aufgenommen wurden. Am 18. Februar ds. J. wurde auf Grund des Gesellschaftsvertrags vom 2. Februar „Spiegel-Verlag Ges.m.b.H.“, Sitz Wien 6., Fillgraderstraße 12, unter Reg. C, Band 25, pagina 17 ins Wiener Handelsregister eingetragen. Dr. Robert Lohan wurde als Geschäftsführer eingetragen, und das bar eingezahlte Stammkapital betrug S 20.000. [1] Am 8. März 1927 schließlich erhielt Lohan die Konzession zum Betrieb des Buch- und Kunsthandels, beschränkt auf den Verlag, Versand und Vertrieb der eigenen Verlagswerke unter Ausschluß des offenen Ladengeschäftes.
Wie Lohan der Korporation gegen Ende April 1927 mitteilte,[2] wollte die „Spiegel-Verlag G.m.b.H. Wien-Berlin-Leipzig“ „erst Ende Mai, Anfang Juni in die Öffentlichkeit treten“.
Der Tatsache, daß Lohan anläßlich der handelsgerichtlichen Eintragung seiner Firma vom Gericht aufgefordert wurde, „zu bescheinigen, in wiefern die gewählte Firma ,Spiegel-Verlag Gesellschaft m.b.H.“, von dem Gegenstande des Unternehmens entlehnt ist“, [3] verdanken wir eine ausführliche Erklärung dieses im deutschen Buchhandel nicht einmaligen Namens. Den Namen begründete Lohan nämlich wie folgt:
I. Es ist vielfach üblich, einem Verlagsunternehmen einen symbolischen, die Richtung irgendwie kennzeichnenden Namen zu geben. Ich verweise auf die Wiener Unternehmungen ,Amalthea‘ ,Boheme‘, ,Dreimasken‘ Ges.m.b.H., ‚Scholle Ges.m.b.H.‘.
II. In Analogie zu den deutschen Firmen ,Insel‘, ,Schmiede‘, ,Brücke‘ wurde ein leicht aussprechbares einprägsames Wort gewählt, das bequem auf verschiedene Verlagserzeugnisse Anwendung finden kann. So soll eine gleichmäßig ausgestattete Bücherreihe ,Spiegelbücher‘, ein geplantes Magazin ,Spiegel‘ heißen.
III. Nach Shakespeares bekanntem Ausspruch: „Die Kunst ist ein Spiegel der Zeit“ soll durch den Firmenwortlaut ausgedrückt werden, dass der Verlag lebendige Literatur in der sich die Kultur und die Mentalität der Zeit in künstlerischem Gewande spiegelt, pflegen will. [4]
Mitte 1928 verlegte der Verlag seinen Sitz nach Wien I., Teinfaltstraße 4, doch war nun bereits ein Ende des Unternehmens unter der Führung von Lohan abzusehen. Bereits bei einer Generalversammlung des Spiegel-Verlags am 23. Jänner 1929 trat Lohan von seiner Stelle als Geschäftsführer zurück. Er wurde sodann am 26.2.1929 aus dem Handelsregister gelöscht. In derselben Generalversammlung wurde der Kaufmann Karl Rapaport zum alleinigen Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt. Da nun die Gesellschaft die gesamten Verlagserzeugnisse des „Iris-Verlages“ (Inhaber Gustav Rapaport) erworben hatte und die Geschäfte des Verlages auch fortsetzen wollte, bestand die Notwendigkeit, den Firmenwortlaut in „Iris-Verlag Ges.m.b.H.“ umzuändern. Dies geschah im Handelsregister am 26.2.1929. Diese Nachfolgefirma war bereits seit etwa Oktober 1925 im Verlagsgeschäft, aber nach der Fusion mit dem „Spiegel-Verlag“ dann auch nicht mehr lange, trat aber, wie wir sehen werden, mit Büchern nicht allzuoft an die Öffentlichkeit.
Im Jahre 1931 gelangten sämtliche Anteile des Buch- und Kunstverlags „Iris-Verlag“ in das Eigentum eines Dr. Leon Finkel aus Tarnopol. Das weitere Schicksal des einstigen „Spiegel-Verlags“ entbehrt nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik, denn auf Grund eines Generalversammlungsbeschlusses vom 8. November 1935 ging eine neue Firma aus der abgeänderten Firma „Iris-Verlag“ hervor, nämlich die „Kaffeehaus-Betriebsgesellschaft m.b.H.“ (eingetragen: 4.9.1935). Sie wurde dann am 30. Jänner 1941 von amtswegen aus dem Handelsregister gelöscht.
Der „Spiegel-Verlag“ war nur in den Jahren 1927 und 1928 aktiv, der nachfolgende „Iris-Verlag“ – so weit es sich nachweisen läßt – noch bis 1930.
Finanzielle Probleme dürften der Grund für das vorzeitige Ende des Spiegel Verlags gewesen sein. Obwohl das Magazin Spiegel nicht realisiert wurde, konnten zumindest sieben Werke (darunter zwei Doppelbände!) in der Reihe Die Spiegel-Bücher 1927/28 erscheinen. Ein zehnter Band wurde zwar angekündigt, ist jedoch nicht erschienen. [5] Die Auflagen der veröffentlichten Bände betrugen entweder fünf- oder zehntausend Exemplare. Weil es sich um einige wenige Titel handelt, hier die Werke im einzelnen:
Emil Ertl, Leidenschaft. Zwei Novellen. 1.-5. Tsd. 1927. (129 S.) (Band 1)
H.H. Schefter, Yankees und Indianer. 1.-10. Tsd. 1927. (172 S.) (Band 2)
Alfred Schirokauer, Der Tanz auf der Weltkugel. Roman. 1.-10. Tsd. 1927. (126 S.) (Band 3)
Georg Hirschfeld, Opalritter. Roman. 1.-5. Tsd. 1927. (261 S.) (Band 4/5)
Manfred Georg, Räubergeschichten. 1927. (145 S.) (Band 6)
Hjalmar Söderberg, Das ernste Spiel. Roman. Einzig autor. Übertragung aus dem Schwedischen von Marie Franzos. 1.-5. Tsd. 1927. (282 S.) (Band 7/8)
Wilhelm Klitsch, Ohne Maske. Ein modernes Vortragsbuch. Mit einer Einleitung von Paul Wertheimer. 1.-5. Tsd. 1928 (Band 9)
Viel mehr über den Verlag war nicht in Erfahrung zu bringen. Daß aber der Spiegel-Verlag einzelne Autoren offensichtlich einlud, Werke einzusenden, zeigt ein Brief Robert Walsers vom 31. Mai 1927. Walser schreibt an Max Rychner u.a. folgendes:
Ein gewisser ,Spiegel-Verlag“, der womöglich eher ein sorgfältig verhülltes Bordell betreibt, als daß es ihm mit Literatur wirklich ernst ist, lud mich ein, ihm Einsendungen zu machen, und nun ist es, als existierte er überhaupt nicht, ich bekomme aus Wien nichts mehr zu hören.[6]
So schlimm wäre die Umgebung für Walser doch nicht gewesen …
Obwohl Lohan aus dem Spiegel-Verlag ausschied, blieb er für den Iris-Verlag weiterhin tätig. Zwei von ihm bearbeitete Werke erschienen in der auch nur zwei Bände umfassenden Reihe Die schöne Welt 1929 und 1930.
In den 30er Jahren dürfte Lohan Mitarbeiter des Saturn-Verlags gewesen sein. Er emigrierte nach New York und publizierte sowohl gegen Ende des Zweiten Weltkriegs als auch nach dem Krieg in dem von Dr. Frederick Ungar in New York neu etablierten Verlag. Lohan starb dort im Jahre 1953.
Anmerkungen
[1] Als Stammeinlagen übernahm Lohan S 8.000, seine Gattin Marie 2.000 Schilling. Siehe Handelsgericht Wien. Registerakt C 25, 17 (WrStLa).
[2] Schreiben vom 25. April 1927 im Akt Gremium/Spiegel-Verlag.
[3] Eingabe Lohans an das Handelsgericht Wien vom 10. Februar 1927. Im Registerakt, s. Anm. 1.
[4] Im Registerakt.
[5] In Vorbereitung, Band 10. FREDRRIC BOUTET, Herrn Larives weites Herz.
[6] ROBERT WALSER, Briefe. Hg. v. Jörg Schäfer. Unter Mitarbeit von Robert Mächler. Genf 1975, S. 298.