Leopold Stocker Verlag

Leopold Stocker Verlag („Heimatverlag“ Leopold Stocker) (Graz-Leipzig)[1]

Stocker Verlag SignetEr gab ja durch die Auswahl der Werke die Antwort auf das Zeitgeschehen – im Sinne einer Analyse, einer Warnung oder Aneiferung! Sicher war Stocker von seiner Zeit im Ausdruck und Stil der Bücher bis zur Wahl der Schrift beeinflußt, aber ebenso war er bemüht, da und dort an dieser Zeit als Avantgardist mitzubauen, womit er sich erst wirklich das
Anrecht auf den Verlegertitel erwarb. Er pflügte nicht nur in vorgearbeiteten geistigen Furchen nach, er zog selbst Furchen für andere! Das allein schon könnte für seine Beurteilung entscheidend sein! [2]

Dem kann man zwischen Pflügen, Furchen und Schollen nur zustimmen, allerdings nicht im Sinne der wohlwollenden Verfasser dieser Zeilen. Auch als „Avantgardist“ kann Stocker gelten, bloß in einem anderen Sinne, als hier gemeint ist. Darüber später.

Im April 1967 gab der heute noch in Graz ansässige Leopold Stocker Verlag das Werk 1917-1967. 50 Jahre Verlagsarbeit. Ein Rückblick heraus und widmete es „Den Freunden des Hauses“. Im folgenden haben wir uns aus einer Reihe von Gründen mit dem „Rückblick“ zu befassen, nicht zuletzt, weil es im Rahmen dieser Arbeit eher selten vorkommt, daß ein Verlag, der während der Ersten Republik bestand, heute noch existiert und daß Verlagsfestschriften überhaupt vorliegen. Wir haben es mit dem Versuch einer „Verlagsgeschichte“ zu tun, der in seiner Lückenhaftigkeit kaum zu wünschen übrigläßt. Obwohl manche „Gedächtnislücken“ von den Verfassern den „Kriegseinwirkungen“ umgeschrieben werden, scheint die selektive Natur dieser Firmengeschichte die Dinge zu betreffen, die nicht unbedingt dem heute wünschenswerten Firmenimage zuträglich sind. Und das betrifft sowohl den Verlagsgründer als auch die Verlagswerke von ehedem.

Leopold Stocker wurde am 20. Oktober 1886 in einem Bauernhaus im niederösterreichischen Waldviertel geboren. Seine Biographen bemühen sich redlich, Erinnerungen an den steirischen Urbauernsohn Peter Rosegger wachzurufen:

Wie damals üblich, wurde der Knabe, da er als Zweitgeborener für die Übernahme des Hofes auf Grund der Erbgesetze nicht in Frage kam, für das Studium bestimmt. Im alten Zauberhaften Krems a.d. Donau begann sein humanistischer Bildungsgang mit dem Besuch des Untergymnasiums; dort dürfte die Romantik der Wachau und der alten Stadt Charakter und Seele seines – trotz des großen Optimismus – an sich schwerblütigen Wesens aufgelockert haben, das in den von Mooren und Fichtenwäldern bestimmten Hochflächen des Waldviertels wurzelte. Die Verbundenheit mit dem bäuerlichen Land dürfte den Jüngling auch veranlaßt haben, in die höhere landwirtschaftliche Mittelschule von Kaaden a.d. Eger hinüberzuwechseln. Den Bauernsohn zog es eben zur Landwirtschaft zurück! Konnte er nicht auf dem Hofe tätig sein, nun gut, dann verschrieb er sich eben dem Studium, um in anderer Form seinem Vaterhaus zur Seite stehen zu können. Es war daher folgerichtig, daß der Student Stocker die höchsten Stufen der damaligen Ausbildungsmöglichkeit in den landwirtschaftlichen Hochschulen von Leipzig und Jena anstrebte und den Titel eines Diplom-Landwirtes und Agrikultur-Chemikers erwarb. (S. 3)

Aber nicht nur Stockers „an sich schwerblütiges Wesen“ „wurzelte“ sich in der Scholle:

Daß diese für ihn berauschende Zeit auch sein Herz erschloß und er in Kaaden seine zukünftige Frau und Mutter seiner Kinder fand, ist geradezu konsequent. Seine im Sudetenland wurzelnde Frau begleitete ihn das ganze Leben hindurch und ist auch nach seinem Tode die stille Hüterin seines Erbes geblieben – bis zur Stunde! Möge sie noch lange in dieser Form wirken! (S. 4)

Und wie kam es zur Verlagsgründung? Ganz einfach!

Den alten Rosegger schauderte es vor dem geballten Schicksal, das dräuend über Mitteleuropa heraufstieg, er verdammte den Materialismus als die Quelle allen Übels, ohne mit ihm fertig werden zu können. Der jüngere Stocker, dem alten Dichter Rosegger befreundet, sprang in die Bresche! So verdichtete sich in langen Gesprächen, die sich vom Frühjahr 1916 im Grazer Heim des greisen Dichters über ein ganzes Jahr lang hinzogen, die Absicht Leopold Stockers, einen Verlag zu gründen. Noch tobte der Erste Weltkrieg, als am 13. April 1917 das Dekret des Stadtrates Graz mit der Bewilligung für die Eröffnung einer Verlagsbuchhandlung einlangte, womit der ,Heimatverlag Leopold Stocker“ aus der Taufe gehoben war. (S. 5.)

Es verstrichen allerdings zwei Jahre, bevor Stocker sich der Buchhändleröffentlichkeit vorstellte. In der Buchhändler-Correspondenz vom 19.2.1919 (Nr. 8) findet man folgende halbseitige Anzeige:

P.T.
Hiermit erlaube ich mir dem Gesamtbuchhandel mitzuteilen, daß ich unter der Firma
„HEIMATVERLAG“, LEOPOLD STOCKER
in
Graz Salzamtsgasse 7
eine Verlagsbuchhandlung gegründet, welche sich vornehmlich mit der Herausgabe von land- und volkswirtschaftlich gemeinverständlicher Literatur befaßt, verbunden mit einer Zeitschrift „Deutsche Landheimat“ für Landwirtschaft, Volkswohl und Heimat, die am 1. und 15. eines jeden Monats erscheint.
Die Auslieferung meiner Verlagswerke haben die Herren Rudolf Lechner & Sohn in Wien übernommen.
Graz, den 15. Februar 1919
Hochachtungsvoll
„Heimatverlag“, Leopold Stocker.

Bitte die in der heutigen Folge erscheinende Anzeige über meine Verlagswerke zu beachten.

Dipl. Landwirt Stocker saß 1919-20 als steirischer Abgeordneter des Deutschen Bauernbunds in der Nationalversammlung. 1924-26 gehörte er als Mitglied des Landbunds (Steiermark) dem Bundesrat an. Die einzige wesentliche Veränderung nach der Verlagsgründung scheint dadurch erfolgt zu sein, daß der Firmenname in „Leopold Stocker Verlag“ umgeändert wurde. Nach dem März 1938 konnte der Verlag – verfolgt man etwa seine Werbung im Börsenblatt nach dem „Anschluß“ – nicht nur seinen Standort mit „Graz, Steiermark, D.R.“ angeben, sondern auch sein wahres Gesicht zeigen. Am 31. März 1938 beispielsweise wurde Stocker durch Karl Berger, den Kommissarischen Leiter des „Deutschösterreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhandels“, zum „Vertrauensmann für Steiermark“ ernannt. [3] Stockers vordringlichste Aufgabe war es zunächst, „die arischen buchhändlerischen Betriebe Ihres Bereiches einwandfrei festzustellen“. Seinen großen öffentlichen Auftritt hatte Stocker Mitte Mai 1938 in Leipzig, als die „Südostmark“ erstmals bei einer Kantate vertreten war. Stocker durfte im Namen der österreichischen Kollegen bei der 6. Fachschaftsversammlung der Fachschaft Verlag der Gruppe Berlin in der RSK erscheinen und sprechen. Das Börsenblatt hält seine Begrüßung fest:

Im Namen der aus Österreich gekommenen Buchhändler dankte Herr Leopold Stocker aus Graz dafür, daß die diesjährige Kantate-Tagung in das Zeichen der Wiedervereinigung der Südostmark mit dem Reich gestellt wurde. Er erinnerte daran, welch harte Zeit des Drangsals und des Kampfes hinter den deutschen Buchhändlern Österreichs liege, daß es aber auch eine unendlich stolze Zeit für sie gewesen wäre. Wie ein Kind, das gewaltsam von seiner Mutter ferngehalten werde, haben sie das deutsche Vaterland lieben gelernt, immer mit dem Glauben an den Führer, daß er seine Heimat nicht vergessen wird. Der deutschbewußte Buchhändler Österreichs sei der treue Hüter des deutschen Buches und deutschen Geistes gewesen. (Börsenblatt, Nr. 113, 17.5.1938, S. 398.)

Im Namen der österreichischen Kollegen dankt Herr Leopold Stocker, Graz, für die den österreichischen Verlegern gewidmeten Begrüßungsworte. Er spricht von der harten Zeit, die die deutschbewußten Verleger Österreichs in den letzten Jahren durchmachen mußten. Das Härteste sei jedoch nicht gewesen, daß Bücher verboten und die Verleger verfolgt wurden, sondern daß man sie zu Heuchlern machen wollte, von denen man verlangte, Greuelpropaganda gegen Deutschland zu treiben. Die deutschen Kollegen können sich daher wohl vorstellen, wie glücklich die österreichischen Verleger heute sind, nun wieder so schaffen zu können, wie es ihr Blut und ihre Verbundenheit mit dem deutschen Volke befiehlt. (Börsenblatt, Nr. 122, 28.5.1938, S. 430)

Stockers Bekanntenkreise bzw. seine Tätigkeit während der Jahre 1933-1945 dürften von einer Art und Weise gewesen sein, daß sich die österreichische Justiz für ihn nach dem Krieg interessierte. Aber das – allgemein bald erlahmte – Interesse der Justiz galt eigentlich der Aktivität nach Kriegsende. Denn der Tod Hitlers und das Ende des Kriegs taten der Begeisterung des Leopold Stocker für den Führer keinen Abbruch. Er pflegte Kontakt zur Neonazibewegung 1946 um einen gewissen Theodor Soucek, für die der Nationalsozialismus zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben war. In Zusammenhang mit einer Reihe von „Neonaziprozessen“ in Graz 1948-49 war vom Verlagsbesitzer Stocker die Rede. [4] So leitete die Grazer Staatsanwaltschaft gegen Stocker ein Strafverfahren ein wegen des Verdachtes der Illegalität in Verbindung mit dem § 11 V.G. [5] sowie des Verdachtes der Mitwissenschaft an der Neonazibewegung Souceks in der Steiermark. Nach Prozeßberichten verbrachte Stocker vier Monate in Untersuchungshaft und drei Monate in Hausarrest. Zudem verbüßte er vier Monate wegen illegaler Verbreitung einer in Buenos Aires (!) hergestellten Zeitschrift von unbelehrbaren Nazis: Der Weg.[6] Stocker empfand die Entwicklung nach dem Krieg als „Siegerjustiz“ und war nicht gewillt, da mitzumachen und sich verlegerisch dem „Diktat“ zu beugen. Er schwor fortan, die alte Linie seines Verlags fortzusetzen und ausschließlich völkisch-nationale Autoren zu fördern. Neben Stocker konnte auch sein Verlagsdirektor, der Ex-Nazi Heinz Brunner im Jahre 1954 die neue Zeit nicht verstehen und nur von „ungeheurer Ungerechtigkeit“ sprechen.

Als Berger [recte: Brunner] im Sommer 1948 nach Graz übersiedelte, um seinen Chef im Verlag zu entlasten, war er über die herrschenden Zustände in der Stadt entsetzt: Noch tobte der Haß gegen alle jene, die ehemals der nationalsozialistischen Partei angehört hatten, noch waren die Kerker kraft unmenschlicher Gesetze überfüllt, noch gut ein Drittel des Volkes politisch entmündigt. [7]

Wieviele KZs „kraft unmenschlicher Gesetze“ überfüllt gewesen waren – davon ist im Plädoyer für „Gerechtigkeit“ natürlich keine Rede. Aber die Apologie ist damit keineswegs beendet. Der „Kulturverfall“, der ganz „zufällig“ mit dem Sieg gegen den Nationalsozialismus zusammenfiel, hatte seine Gründe, und Brunner hatte sie parat nach der Devise: der Nationalsozialismus muß wieder her. Wenn jemand anzuklagen sei, dann die ältere Generation, wird argumentiert:

weil sie keine Ideen verkörperte, keine Symbole besaß [Hakenkreuz!] keine echte Autorität ausstrahlte [kein Hitler!], weil alle Werte in ihr schwankend geworden waren [weil das Dritte Reich doch nicht die 1000 Jahre schaffte.].

Und da kam einer, der – unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus -, „vom Geiste her“ eine „Erneuerung“ herbeiführen, der „Verwilderung Einhalt“ gebieten wollte, indem er völkisch-nationale Autoren pflegte: Leopold Stocker. Nur: die alten-neuen Ideen erlitten zumindest vorläufig einen Rückschlag: „Dieser Staat“ – so Brunner – „dankte ihm brüsk: Er ließ ihn hinter Schloß und Riegel setzen“ (ebda., S. 363) Aber: „Vier Monate Haft“ als Dank dafür, daß Stocker es auf sich nahm, NS-Schriften nach dem Krieg zu verkaufen und zu verbreiten – „brachen zwar nicht den Widerstandswillen [!] Stockers, erschütterten aber seine Gesundheit (…).“ (ebda., S. 363)

Doch wurde das oben erwähnte Strafverfahren gegen Stocker im August 1949 vom Landesgericht Graz auf Antrag der Staatsanwaltschaft eingestellt, da – wie es in der Begründung wörtlich heißt – „sich jegliche Anschuldigung als grundlos erwies“ . [8] Dieser überraschende Schritt ist zwar nicht ganz begreiflich, muß aber in einem weiteren Zusammenhang gesehen werden. Graz war u.a. Schauplatz von einer großen Anzahl von Prozessen gegen Neonaziverschwörer, und Berichte und Leitartikel etwa in der Kleinen Zeitung deuten an, es hätte schön langsam genug solche Prozesse gegeben … Doch zurück zu Stocker. „Als er – völlig rehabilitiert – aus dem Gefängnis heimkehrte, brach ein unheilbares Leiden durch und raffte ihn nach einem Jahr dahin.“ (Brunner, S. 363)

Der Verleger Dipl. agr. Leopold Stocker starb am 25. Dezember 1950 im 64. Lebensjahr. Auf seiner Parte heißt es:

Als Begründer des Verlages führte Leopold Stocker das Unternehmen auf eine stolze Höhe und krönte damit sein Lebenswerk, dem bis zum letzten Atemzug seine Sorge galt. Unsere vornehmste Pflicht wird es sein, den Verlag im Sinne des Verschiedenen weiterzuführen und dadurch sein Andenken zu ehren. [9]

Ähnlich dieser Bedrohung bzw. diesem Versprechen schrieb Heinz Brunner zur „Tragik seines Chefs“:

Auf dem Wege zum Grabe wurde Berger die Tragik seines Chefs voll bewußt: Er hatte, ohne das Ziel zu erreichen, bis zum Opfertod nach der Verankerung völkischen Denkens in der bäuerlich-konservativen Schichte, der er selbst entstammte, gerungen. Spätere Geschlechter würden nun ernten, was er gesät. Denn daß die Saat aufgehen wird, langsam, aber unentwegt, war nicht zu bezweifeln. (S. 363)

An der Bahre Stockers fand Brunner folgende Worte:

„Leopold Stocker liebte mit allen Fasern seines Herzens sein eigenes Volk, ohne von chauvinistischen Gedankengängen angekränkelt gewesen zu sein. Wer wollte es deshalb wagen, ihm einen Vorwurf zu machen? (…) Daß er ein guter Patriot gewesen ist, der Heimat und Vaterland seine besten Kräfte zur Verfügung stellte versteht sich von selbst. Dazu war er als Verleger im besten Sinne des Wortes geistiger Geburtshelfer unserer Zeit. Er diente ihr und war bereit, die Verantwortung für ihr Werden mit auf seine Schultern zu nehmen.“ (ebda.)

Vom Image des „Avantgardisten“ wollte man also nicht wegkommen. Die Witwe, Marianne Stocker, und die Tochter, Dr. phil. Ilse Dvorak-Stocker (* 19.1.1922), übernahmen den Verlag und bemühten sich, „den vom Verlagsgründer gestellten Zielen auch unter völlig veränderten Verhältnissen gerecht zu werden.“ [10] Man sollte hoffen, daß dies nicht zutrifft.

Die Produktion

Stocker Verlag Repablick CoverDie ersten Verlagswerke – 1919 waren es 14 an der Zahl – standen weitgehend im Zeichen der Landwirtschaft und der veränderten Situation nach dem Ersten Weltkrieg. Es waren Werke wie Der bäuerliche Futterbau, Der bäuerliche Kartoffelbau, Kuh und Stier als Zugtier, Germanenkraft, Die Bodenreform in Österreich und Was nun? Zeitgemäße Betrachtungen über die nächste Zukunft des deutschen Volkes. 1920 brachte Stocker, der als „Abg. d. Nationalversammlung“ agierte, neben eigenen Schriften (Schutz der Grundpächter etc.) Werke wie Tabakeigenbau, Der Höhlendünger, Die Dungstätte am Bauernhofe und Politisches Handbuch der österreichischen Bauernpartei heraus. 1921 begann die Stocker-Produktion eine eindeutig völkisch-nationale Richtung einzuschlagen, wobei ziemlich das Harmloseste Ferdinand Khull-Kholwalds Gebt den Kindern deutsche Namen war, ein Werk, das „die deutschen Namen wieder zu Ehren bringen“ sollte. Vom selben Verfasser verlegte Stocker auch Unsere deutsche Schrift und die Geschichte der deutschen Dichtung. Der Heimatverlag lieferte zugleich weitere „wertvolle völkische Schriften“ (Kritikermeinung), die „dem deutschen Volke dienlich zu sein“ bestrebt waren, wie z.B. Otto Jaukers Deutsche Geschichte (Von altgermanischem Zeit bis zur Gegenwart). Mit nicht geringem Erstaunen stößt man auf folgenden Satz in der firmeneigenen Geschichte 1967. „Daß alle drei Historiker das deutsche Volkstum in Österreich bei selbstverständlicher Anerkennung der staatlichen Eigenheit betonten, ist vom Verlagsgründer ebenso wie von den Autoren gewollt.“ (ebda., S. 19.) Kommentar überflüssig.

Stockers Biographen vertreten die Auffassung, er hätte „an dieser Zeit als Avantgardist“ mitgebaut. Als Beweis hiefür scheinen die weiteren Publikationen Anfang der 20er Jahre, wie Betty Hinterers Ratgeber für häusliche Krankenpflege, Franz Rottenmanners Die Landschule oder die „Bauerntrachten-Postkarten“, nicht besonders geeignet. Zum „Avantgardisten“ avancierte er, als er 1921 zum Verleger Karl Paumgarttens (alias Karl Huffnagl) wurde und seiner zukünftigen Produktion einen dunkelbraunen Anstrich gab. Manches entzog sich aber der „regen Sammeltätigkeit“. „Kriegseinwirkungen“ wurden dafür verantwortlich gemacht, daß die „Zahl der heute noch feststellbaren Veröffentlichungen zu den zeitkritischen Fragen“ bescheiden ist. Dazu gehört (bezeichnenderweise) das Anfang Juni 1921 bei Stocker erschienene Paumgartten-Werk: Juda. Kritische Betrachtungen über Wesen und Wirken des Judentums. Stocker hielt es für „ein aufsehenerregendes Werk“.

Mit großer Sachlichkeit und wuchtiger Beweisführung wird dieses für alle Völker und Stände wichtige Volks- und Staatsproblem erörtert. Jeder sozial und politisch Denkende ohne Unterschied des Standes muß dieses hervorragende Werk lesen, das die Augen über wichtigste Fragen öffnet. [11]

Fünf Monate nach Erscheinen spricht Stocker die Buchhändler folgendermaßen in seiner Werbung an:

Bestellen Sie reichlich! (…) Sie verdienen dabei und helfen mit, das deutsche Volk von seinem Krebsschaden befreien. (BC, Nr. 48-49, 30.11.1921, S. 366)

In der späteren Verlagswerbung liest man:

Das wesentlichste Ergebnis seiner kritischen Betrachtungen ist die Erkenntnis: Der Jude ist als Jude Anti-Arier, der Arier ebenso Anti-Jude, beide sind als unversöhnliche Gegensätze in die Welt gekommen und müssen es bleiben. Dieses Buch dürfte wegen seiner Gründlichkeit und glänzenden Beweisführung unter allen Erscheinungen der Judenliteratur dem Judentum am gefährlichsten werden. Das Buch verdient weiteste Verbreitung. Daß in einem Jahr drei Auflagen verkauft wurden, beweist am besten den Wert des Buches.

Da erübrigt sich jeder Kommentar über den „Avantgardisten“ Stocker. Aber weder Avantgardist Stocker noch sein Hausautor, der antisemitische, antidemokratische Pamphletist Paumgartten, ließen es dabei bewenden. Es erschien in Stockers Heimatverlag noch die Judenfibel. Stocker im O-Ton zu diesem Buch in seiner Werbung:

Alles, was wir am Juden als „jüdisch“ – das heißt von der übrigen Menschheit abweichend – erkennen, ist auf diese Mischung minderwertigen Blutes zurückzuführen.

Auf die Judenfibel folgte Paumgarttens Judentum und Sozialdemokratie, das sich innerhalb weniger Monate 30.000mal verkaufte. Dazu der Heimatverlag Leopold Stocker:

Diese Schrift ist wohl die wirksamste und überzeugendste Abwehrschrift gegen die Sozialdemokratie. Sie soll daher in Massen unter den Arbeitern verbreitet werden.

Auf diese „Abwehrschrift“ folgte Arbeiter, auf ein Wort!:

In dieser Schrift wird in knapper und auch für den einfachen Mann vollkommen verständlicher Form das wahre Wesen des ungeheuren, weltumspannenden Volksbetruges, der sich Marxismus nennt und als Heilbotschaft für die arbeitende Menschheit ausgibt, beleuchtet. Den Schwachkopf, dem das Judentum schon den letzten Rest von Urteilskraft aus dem Leib geschwatzt hat, und den Lumpen, der nicht aus Gesinnungstreue, sondern um persönlichen materiellen Vorteils willen Marxist ist, wird die Schrift nicht bekehren. Aber alle jene, die nur deshalb den Marxistenführern nachlaufen, weil sie deren Ehrlichkeitsschwüren glauben, die sich aber doch noch ein gewisses selbständiges Denken bewahrt haben, wird sie davon überzeugen, daß die schändliche Weltlüge „Marxismus“ keine Macht über Menschen hat, die eines klaren Blickes und eines logischen Denkens noch fähig sind. Dieses Büchlein sollte in Massen unter die Arbeiterschaft kommen.

Avantgardist Stocker setzte seine Serie von „Abwehrschriften“ fort mit Heinrich Ardningers Sozialdemokratie und Landwirtschaft:

Diese Schrift gibt somit jedem zur Abwehr der roten Landagitation wertvollen Stoff.

Doch nicht alles war zu diesem Zeitpunkt so primitiv völkisch. Der Heimatverlag unter Stocker (später: Leopold Stocker Verlag) übernahm die 1876 von Peter Rosegger gegründete und nunmehr (seit 1910) von seinem Sohn Hans Ludwig Rosegger geleitete Monatsschrift Roseggers Heimgarten (später schlicht: Heimgarten). Fast fünf Jahrzehnte war sie im Grazer Leykam-Verlag erschienen. Zur Charakteristik hier die Verlagswerbung 1924:

Die Zeitschrift will durch gediegene Romane und Erzählungen der Unterhaltung dienen, durch volkskundliche Aufsätze das Heimatgefühl erwärmen, durch politische und soziale Betrachtungen den deutschen und damit den allgemeinen Kulturgedanken stärken. (…) Besondere Beachtung findet auch das deutsche Buch, denn es ist mehr denn je geeignet, den inneren Zusammenhang zwischen allen Deutschen zu vertiefen und zu festigen.

Obwohl der Verlag ebenso wie Der getreue Eckart und die Alpenländischen Monatshefte Heimat für so gut wie alle völkisch-nationalen Schriftsteller Österreichs war, schien die Verlagstendenz schon in den 30er Jahren manchen Zeitgenossen zu wenig völkisch-national. Darum kehrte am 1. Juli 1934 der Heimgarten nach zehnjähriger Unterbrechung wieder in den Leykam-Verlag zurück, um eine „Wiedererweckung“ der alten Monatsschrift für das deutsche Haus zu vollziehen. Für diese „Wiedererweckung“ sollten zunächst folgende Autoren bürgen: Josef Fr. Perkonig, Franz Nabl, Ernst Kratzmann, Viktor Thiel, Manfred Jasser und Franz Brauner. [12]

In der ersten Hälfte der zwanziger Jahre ist Belletristik kaum vertreten. Eine Ausnahme bildet Karl Itzingers Der Sündenbock. Geschichte eines „ledigen“ Kindes aus dem Jahr 1922. 1924 verlegte Stocker ein weiteres Machwerk von Karl Paumgartten. Das Buch gehört zweifelsohne zu den übelsten Pamphleten der jungen Republik, und zur Ehrenrettung dieser sei festgehalten, daß es von der nicht einschlägigen Presse totgeschwiegen und boykottiert wurde. Es handelt sich um:

Repablick. Eine galgenfröhliche Wiener Legende aus der Zeit der gelben Pest und des roten Todes.

Dieses 280 Seiten starke Werk, das keine durchgehende Handlung aufweist, stellt den krönenden Ausdruck der antisemitischen und antidemokratischen Gesinnung Paumgarttens dar. Die Auflage schätze ich auf 5.000, sie kann aber auch darunter liegen. Fest steht, daß Repablick (die „ironische Bezeichnung des tollen Tanzes der Novemberrevolutionäre und des von ihnen geschaffenen Systems“) 1933 noch immer in Stockers Programm war und daß Verleger Stocker noch immer redlich bemüht war, vor allem in Hinblick auf die jüngsten politischen Ereignisse in Österreich, Käufer zu finden. Um die Gesinnung Stockers noch einmal zu dokumentieren und festzuhalten, auf welcher ideologischen Seite er im Frühjahr 1933 stand, wird im folgenden aus einer Verlagsanzeige zitiert, die am 8. April 1933 im Heimgarten veröffentlicht wurde:

Die „Entlarvung“ der Novemberverbrecher, die unter der Maske des deutschen Arbeiters Sendling und Vollstrecker des russischen Bolschewismus waren, ist meisterhaft besorgt in dem totgeschwiegenen Buche: Repablick – Roman der Novemberrevolution. Dieser aufsehenerregende, satirische Roman wurde von der Presse totgeschwiegen und boykottiert, weil darin die Wahrheit gesagt wird. Heute, bei der Liquidierung der Novemberrevolution, ist er hoch aktuell. Der Roman gliedert sich in die drei Hauptkapitel:

Das Vorspiel – Die Revolution – Die Demokratie. Der Dichter schildert, von seinen Beobachtungen von Wien aus, was sich im November 1918 hinter den Kulissen an Schiebung, Volksverrat, an Korruption, Lug und Erbärmlichkeit abspielte; er zeigt die „glorreichen“ Taten der Novemberverbrecher und ihres Anhanges, die Kultur und Religion mit Füßen traten und Not und Elend übers Volk brachten. Der Dichter schildert die „Heldentaten“ des Mobs, der den heimkehrenden Kriegern und Invaliden die Auszeichnungen, Abzeichen und Kokarden herunterrissen. Es ist nicht ohne Vorteil, zu lesen, was in dieser Zeit alles als Heilsbotschaft hingenommen wurde. Der mutige Verfasser räumt mit dem Gerümpel der Revolutionskomödie gründlich auf. Der Dichter läßt sein Buch ausklingen in der Hoffnung und in dem Glauben, daß über den Klassenkampf die Volksgemeinschaft siegen wird, die deutsche Kultur und das deutsche Volk aus Finsternis und Not wieder zu neuer Blüte erstehen wird. Der halbblinde Dichter sah schon vor 10 Jahren seherisch voraus, was sich 1933 vollzog (…)

(Heimgarten, 57. Jg., 7. Heft, 8.4.1933)

Etwas weniger vordergründig als Paumgarttens Repablick war die Belletristik, die verstärkt ab 1925 erschien. Auch in dieser Hinsicht erweist sich Stocker als Avantgardist: er pflegt intensiv „Bauernromane“, die später den klingenden Namen „Blubo“ erhalten werden. Die Titel dieser Bücher sind für völkisch-nationale Ideologie nicht uninteressant. So erschien 1925 von Karl Itzinger Der Bauerntod. Eine Geschichte aus der Leidens- und Heldenzeit des Landes ob der Enns. Das Vorspiel des Bauernsterbens und im selben Jahr ein Werk des Landwirts und „schlesischen Peter Rosegger“ (Verlagswerbung) Hugo Scholz: Die Brunnbacherleute. Ein Bauernroman aus unserer Zeit in einer Auflage von 2.000 Ex. (Auflagenentwicklung: 1930: 3.-5. Aufl.; 1944: 10.-15. Tsd.). 1933 lautete der Untertitel „Verfall einer Bauernfamilie“. 1927 folgte Scholz, Der versunkene Pflug. Verrat an der Väterscholle, 1926 erschienen Der Bundschuh. Bauernfestspiel von Edi Lorber und Das linke Pfarrerle. Ein Roman aus dem heutigen Tirol vom vielschreibenden gelernten Landwirt Hans Schrott-Fiechtl. Auch Gottfried Nickl war in der Frühzeit bei Stocker vertreten: Ernst im Gspoaß, Gspoaß im Ernst (1924) lautet der ländliche Titel. Noch zu nennen wären Unter dem Salzburger Krummstab (1925) und Hofjagd. Ein Roman aus den steirischen Bergen von Rudolf v. Schneben. Zeitgemäßer war eine Schrift von Gottfried Nickl: Im Westen nichts Neues und sein wahrer Sinn. Eine Betrachtung über den Pazifismus und Antwort an Remarque (1929). [13]

Soweit es sich anhand von Produktion und Auflagenzahlen verfolgen läßt, mußte sich Stocker in den 20er Jahren mit kleineren Auflagen begnügen. Erst in der zweiten Hälfte der 30er Jahre (von den Kriegsjahren ganz zu schweigen) ging das Geschäft offenbar besser. Auch Heimgarten-Schriftleiter Anton Adalbert Hofmann war mit zwei Werken vertreten, und zwar mit den Romanen Der Freiheit eine Gasse? (1928; Aufl. 4.000) und Der schwarze Jobst. Roman aus der deutschen Vergangenheit (1926; Aufl. 4.000). In den dreißiger Jahren wurde Stocker doppelt ausgezeichnet, einmal im positiven (für ihn), einmal im negativen Sinne. Dafür sorgten zwei bis drei Hausautoren, nämlich Karl Itzinger, Gottfried Nickl und Hugo Scholz. Was andere schöngeistige Verleger im Dollfuß/Schuschnigg-Österreich äußerst selten, wenn überhaupt, zuwege brachten, schaffte Stocker. Der Avantgardist begann, wie erwähnt, schon 1925 die Werke des oberösterreichischen Erzählers Karl Itzinger zu verlegen. 1933 legte Stocker Der Bauerntod aus dem Jahre 1925 u.d.T. Das Blutgericht am Haushamerfeld. Aus der Leidens- und Heldenzeit des Landes ob der Enns neu auf. 1937 erschien das 21.-35. Tsd., 1940 immerhin das 38.-45. Tsd. 1936 erschien Itzingers Es muß sein! Der Kampf eines deutschen Volkes um Freiheit, Glaube und Heimat (Roman) (1940: 22.-33. Tsd.), 1937 die „Romantrilogie“ in einer Kassette Ein Volk steht auf, (Aufl. 1944: 60. – 64. Tsd. !). Doch wurde das Werk Das Blutgericht in Österreich verboten. Dazu die mutige Erläuterung Leopold Stockers im Börsenblatt eine Woche nach dem „Anschluß“:

Diese Bücher waren in der Zeit des Kampfes und des Leidensweges in den letzten 5 Jahren in System-Österreich vielen Zehntausenden Partei- und Volksgenossen in Deutsch-Österreich eine Stärkung zum Ausharren im Kampfe gegen die Regierung und im sieghaften Glauben, weil der Dichter Karl Itzinger in diesem Volkskriege leuchtende Vorbilder und Zeugen des opfer- und leidvollen Freiheitskampfes in Oberösterreich, der Heimat des Führers Adolf Hitler, zeigte, wo die klerikale Macht unter dem Habsburger Ferdinand II. mit Feuer und Schwert und Heimatvertreibung das um die Freiheit des Geistes und Leibes ringende Volk verfolgte – damals genau so wie in der Jetztzeit.

Daher wurden diese dem Dollfuß-System gefährlichen Freiheitsbücher von der Regierung schwer verfolgt. 16 Monate war das Buch „Blutgericht am Haushamerfeld“ beschlagnahmt; zuerst durch den Staatsanwalt und als der Prozeß nach 8 Monaten wegen Mangels an strafbarem Tatbestand eingestellt wurde, wurde durch die Schuschnigg-Regierung ein „Verbreitungsverbot“ ohne Begründung erlassen; nachdem wieder durch zahlreiche Historiker erwiesen wurde, daß das Buch historische Tatsachen schildere, wurde es nach weiteren 8 Monaten zufolge gesetzwidrigem Verbot freigegeben.

Diese Bücher verdienen im ganzen Reiche, zum Verständnis für das jahrhundertlange Freiheitsringen der Ostmarkdeutschen, weiteste Verbreitung, weil sie zeigen, wie treu-deutsch, wie opferbereit das Volk in Österreich seit Jahrhunderten um seine heiligsten Volksgüter kämpfte – und immer in gleicher Weise von undeutscher ultramontaner Macht mit Blut und Eisen und Drangsal verfolgt und unterdrückt wurde – in der Jetztzeit genau so wie vor 300 Jahren. (Nr. 68, 22.3.1938, S. 1588)

Doch bezeichnend dafür, wie Geschmäcker hüben und drüben verschieden sein konnten, ist die Tatsache, daß diese in Österreich „verfolgten“ Werke Itzingers jenseits der Grenze zu Ehren kamen. Seine Romane Es muß sein! und Das Blutgericht am Haushamerfeld schienen nämlich gleichzeitig in folgender maßgeblichen Publikation in Nazi-Deutschland auf (S. 32):

Die Zeit lebt im Buch. Führer durch die „Jahresschau des deutschen Schrifttums“ anläßlich der Woche des Deutschen Buches 1937 bearbeitet von der Reichsschrifttumsstelle beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. (Leipzig 1937)

Von den vielen Dutzenden hier mit Nazi-„Gütesiegel“ versehenen Werken sind ganze drei aus Österreich und alle aus dem Leopold Stocker Verlag. In der Rubrik „Soldatentum in der Geschichte“ wird Landsturm. Geschichte einer Kriegskameradschaft (1937; 1942: 13.-18. Tsd.) von Hugo Scholz angeführt.

Bevor wir nun auf den letzten hier zu nennenden Stocker-Autor der Zeit bis 1938 zu sprechen kommen, ein Wort zu einem auffallenden Charakteristikum der Stocker-Bücher, nämlich der Gewohnheit, Buchtitel zu ändern. Diese Praxis versetzt die Verfasser der Stocker-Verlagsgeschichte 1967 in Erstaunen und leitet sie zu allerlei Vermutungen, wobei die Begründung keiner Astrologie bedarf. („War es Unsicherheit der Lektoren oder war die Zeit so unruhig, daß sie einer gesteigerten Titelpropaganda bedurfte? Die Antwort ist schwer zu geben, wenngleich die Vermutung viel für sich hat, daß der wirtschaftliche Niederbruch kaufmännische Aktivität entfachte.“, S. 21) Stocker hat sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg die Titel mancher Werke geändert. Aus Hugo Scholz, Krone im Acker (1938) wurde verheißungsvoll Das neue Leben (1943). Sein Roman Tochter der Erde (1940) blieb in der Neuauflage 1954 gleich. Und Egon Hajeks Roman Du sollst mein Zeuge sein. Lebenserinnerungen eines deutschen Bekenners (1938) klingt doch viel besser (1942) u.d.T. Zwischen zwei Welten. Lebenswege eines deutschen Volkszeugen. Folgender Titelwechsel verleitet zu keinen Vermutungen: Richard Neudorfers Roman Unterm Fronjoch. Ein Ringen um die Freiheit von Leib und Seele hieß – zeitgemäßer – 1942 Volk im Joch (Untertitel gleich; 11.-15. Tsd.), was freilich 1950 ganz verpönt war. Nun lautete der Titel schlicht und schüchtern: Das neue Wesen. Neudorfers Roman Ein Ruferin deutscher Not (1936) war freilich, zumindest was den Titel betrifft, nach dem „Anschluß“ passé, zumal es ja keine „deutsche Not“ mehr gab. Ergo 1942: Jürg Engelprecht. Ein deutscher Wehrbauer (10-14. Tsd.). Schluß der Verfasser der Stocker-Verlagsgeschichte: „In den letzten Kriegsjahren verlosch langsam das Interesse an Bauernromanen, fand seinen Tiefpunkt nach 1945 und zeigt bis heute keinen Ansatz für eine gegenteilige Entwicklung. Der Grund hierfür ist nicht ohne weiteres anzugeben, aber Vermutungen dürfen angedeutet werden. Die Übersättigung war ohne Zweifel vorhanden. Die der historischen Handlung unbewußt unterlegten [!] Zeittendenzen verstimmten den Leser.“ (S. 22) Es gab einen viel einfacheren Grund: Stocker-Autoren standen nach dem Krieg auf dem Index des Unterrichtsministeriums. Im übrigen wurden auch z.B. vom Speidel-Verlag aus ähnlichen Gründen Titelwechsel vorgenommen.

Stockers verlegerischen Kontakt vor 1938 zu „Illegalen“ zeigt ein letztes Beispiel, nämlich der steirische Arzt Gottfried Nickl. Dieser gab nämlich 1938 „Kampfgedichte aus Deutschösterreichs Not, Verbots- und Befreiungszeit“ unter dem unzweideutigen Titel Deutschland wir glaubten an dich zum besten und bei Stocker in Druck. Hier die vielsagende Verlagswerbung:

Aus diesen illegalen Gedichten spricht der Ostmark gläubige Sehnsucht und entschlossener Wille zur Einheit im Großdeutschen Reiche, revolutionärer Trutz um deutsche Freiheit, Kampf gegen Volksverrat, unerschütterliche Treue zum deutschen Volke trotz Verbot und Not, Liebe zum Führer, dem Einiger und Befreier der deutschen Nation. Jeder deutsche Buchhändler möge es sich zur Aufgabe machen, dieses einzigartige Buch weitest zu verbreiten, das ein treudeutsches Bekenntnis ist und Grüße der befreiten Ostmark an alle deutsche Volksgenossen vermittelt.

(Börsenblatt, Nr. 143, 23.6.1938, S. 3367)

Angesichts dieser Verlagslinie scheint ein Widerspruch zu bestehen, erinnert man sich des Satzes aus dem Jahre 1967: „Daß alle drei Historiker das deutsche Volkstum in Österreich bei selbstverständlicher Anerkennung der staatlichen Eigenheit betonten, ist vom Verlagsgründer ebenso wie von den Autoren gewollt“. (S. 19)

Was schließlich Buchillustration betrifft, so lieferte Fritz Schönpflug, der in antisemitischen Karikaturen nicht unerfahren war, die Illustration für Paumgarttens Repablick während der „Illegale“ Karl Alexander Wilke, der einige Stunden nach dem „Anschluß“ zum kommissarischen Leiter des Österreichischen Bundesverlags wurde, ab 1938 den Buchschmuck besorgte.

In der verlagseigenen Firmengeschichte kennt man die vielen Werke Paumgarttens nicht, genausowenig die dazugehörige Werbung zu seinen Schriften und zu den Werken Itzingers und Nickls. Die Entwicklung nach 1938 setzte das Programm der vorangegangenen Jahre verstärkt fort.

Anmerkungen

[1] Quellenhinweis: 1917- 1967. Leopold Stocker Verlag. 50 Jahre Verlagsarbeit. Ein Rückblick. Graz-Stuttgart: Leopold Stocker Verlag, 1967.

[2] Ebenda, S. 31. Siehe auch Anzeiger, Nr. 13, Anfang Juli 1977, S. 86 u. 89.

[3] Durchschrift eines Schreibens an Stocker vom 31.3.1938. Archiv, Buchgewerbehaus Wien, V 1938, Mappe 502.

[4] Siehe z.B. Österreichische Zeitung (Wien), 23.4.1948, S. 3. In dem soeben erwähnten, Ende März beginnenden und für mehrere Wochen anberaumten Prozeß standen sechs Personen unter Anklage der Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne. Nach dem Krieg war es zur Gründung von mehreren Untergrundbewegungen gekommen, darunter durch den Kaufmann Theodor Soucek und den ehemaligen Wiener Gauhauptschulungsleiter Hugo Rößner. In einem ersten Prozeßbericht der Wiener Zeitung vom 1.4.1948 heißt es, Rößner habe zugegeben, „schon längere Zeit mit dem Grazer Verleger Stocker, der die Gründung einer vierten Partei beabsichtigte und die Abschaffung des Verbotsgesetzes als wichtigsten Programmpunkt gehabt habe, in Verbindung gewesen zu sein und dessen Bemühungen unterstützt zu haben“.

[5] Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich. Jahrgang 1945, 4. Stück. Ausgegeben am 6. Juni 1945. 3. Verfassungsgesetz vom 5. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz). „§ 11: Ist jedoch ein ,Illegaler“ als politischer Leiter vom Ortsgruppenleiter und Gleichgestellten aufwärts oder in einem der Wehrverbände als Führer vom Untersturmführer und Gleichgestellten aufwärts tätig gewesen oder ist er Blutordensträger oder Träger einer sonstigen Parteiauszeichnung gewesen oder hat ein ,Illegaler“ in Verbindung mit seiner Betätigung für die NSDAP oder einen ihrer Wehrverbände Handlungen aus besonders verwerflicher Gesinnung, besonders schimpfliche Handlungen oder Handlungen, die den Gesetzen der Menschlichkeit gröblich widersprechen, begangen, so wird er mit schwerem Kerker von zehn bis zwanzig Jahren und dem Verfall des gesamten Vermögens bestraft, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung strenger strafbar ist.“

[6] Konkret zu diesem Fall wie zur ultranationalen Ideologie von Verlag und Verleger siehe KURT P. TAUBER, Beyond Eagle and Swastika. German Nationalism Since 1945. Middletown, Conn.: Wesleyan University Press, 1967, Band 1, S. 626.

[7] HEINZ BRUNNER, Geblieben aber ist das Volk. Ein Schicksal, für alle geschrieben. Graz-Göttingen: Leopold Stocker Verlag, o.J. (1954), S. 361 f. Näheres zu Brunner (4.2.1905, Marburg an der Drau-23.5.1971, Graz) siehe Anzeiger, Nr. 12, Mitte Juni 1971, S. 40 (Parte) und S. 94-95 („Dr. Heinz Brunner zum Gedenken“).

[8] WZ, 242. Jg., Nr. 184, 9.8.1949, S. 5 und Anzeiger, Nr. 16, 15.8.1949, S. 147.

[9] Kleine Zeitung (Graz), 3. Jg., Nr. 300, 28.12.1950, S. 15. Die Zeitung brachte die bezahlte Todesanzeige, jedoch keinen Nachruf.

[10] 50 Jahre Verlagsarbeit (zit. Anm. 1), S. 32.

[11] BC, Nr. 22-23, 1.6.1921, S. 178. Wenn im folgenden von „Verlagswerbung“ die Rede ist, so bezieht sich das auf die Anzeigen in Paumgarrtens Repablick.

[12] Heimgarten (Graz), 58. Jg., 19. Heft, 22.9.1934, S. 456.

[13] Daß gerade eine solche Schrift in Österreich bei Stocker erscheinen sollte, darf nicht weiter verwundern. Interessant ist die Tatsache, daß Stocker seine Werbung für diese „Anti-Remarque-Schrift“ nicht im österreichischen Anzeiger machte – wobei zu sagen ist, daß er nach Mitte der 20er Jahre kaum mehr hier annoncierte -, sondern im Börsenblatt, und zwar gerade zu der Zeit, als die Verfilmung durch den amerikanischen Regisseur Lewis Milestone in Deutschland zu laufen begann. Stocker ließ sich nicht lumpen, kaufte das erste Mal eine halbe, zwei Tage später eine Viertelseite im Börsenblatt, um „die beste Antwort auf den Remarque-Film“ anzupreisen. Der vielsagende Werbetext im Börsenblatt (Nr. 284, 8.12.1930, S. 10102) lautet nämlich: „In Frankreich und England – den ehemaligen Feinden Deutschlands – wird der Remarque-Film ,Im Westen nichts Neues“ begreiflicherweise mit großem Erfolge aufgeführt!? – Nun läuft der Film auch in Deutschland. Es wird daher jetzt überall das größte Interesse bestehen für die Anti-Remarque-Schrift/,Im Westen nichts Neues“ und sein wahrer Sinn/Von Dr. Gottfried Nickl/ Illustrierte Broschüre RM. 1-/Jeder Deutsche sollte diese aufklärende Gegenschrift über Remarque und seinen Kriegsroman kennen. Wie Schuppen fällt es dann allen von den Augen, die sich blenden und irreführen ließen. Jeder, der diese Schrift liest, ist erschüttert von der Wucht der Beweisführung. jeder deutsche Buchhändler sollte es als Pflicht der Dankbarkeit für die gefallenen und lebenden deutschen Helden des Weltkrieges ansehen, die aufklärende Anti-Remarque-Schrift zu verbreiten.“ ALFRED PFOSER (Literatur und Austromarxismus. Wien: Löcker 1980, S. 199-203) befaßt sich eingehend mit dem „Fall Remarque“ in Österreich, kennt die Schrift von Nickl allerdings nicht. Er schickt seiner Analyse folgendes voraus: „Die Haltung zum Remarque-Buch und -Film wurde zu einer grundsätzlichen Entscheidung gegenüber der Republik, der Demokratie, dem Krieg. Die Scheidung der Geister wurde hier vollends offenbar.“ (S. 199) Nicht zufällig also erschien die Anti-Remarque-Schrift bei Stocker. Ja, im Stocker-Programm scheint gar nichts „zufällig“ zu sein. Der Heimatverlag Leopold Stocker bzw. der Leopold Stocker Verlag stand allem aufgeschlossen gegenüber, was sich gegen die neue republikanische Staatsform, gegen die Sozialdemokraten, gegen die Juden und gegen den Pazifismus stemmte. Die Palette war allerdings noch unvollständig, d.h. bis 1927. Denn zu den Werken, an die der Verlag sich heute nicht mehr erinnern kann, zählte eine 1927 erschienene Studie über jene „Gegner alles Bodenständigen“ (S. II), über die Freimaurer also. Der nicht gerade wertfreie Titel lautet: Aus der Werkstatt der Freimaurer und Juden im Österreich der Nachkriegszeit. Stocker zeigte, daß er einen guten „Riecher“ hatte für „kommende Männer“: Hinter dem Pseudonym „Dr. Friedrich Hergeth“, der auf „die so wertvolle Hilfe aller bewußten deutschen Volksgenossen“ angewiesen war, verbirgt sich ein Dr. Paul Heigl. Dieser Parteigenosse war einige Stunden nach dem „Anschluß“ im März 1938 bereits kommissarischer Verwalter der Österr. Nationalbibliothek. Im Oktober 1972 war der Ton des Stocker-Verlags der gleiche, der Gegenstand jedoch ein anderer: Es erschien ein Werk von einem Oskar Jursa mit dem Titel Die unduldsame Linke. Der dazugehörige Werbeslogan: „Gegen alle Kaputtmacher – Erklärung eines Zeitphänomens“ (Anzeiger, 19.10.1972, S. 2 u. 3).

Ergänzungen zur Buchveröffentlichung von 1985

Neueste Forschungsliteratur

  • Werner Schlacher: Die steirischen Buchverlage zwischen 1945 und 1955 unter besonderer Berücksichtigung der belletristischen Produktion. Diss. Univ. Graz 1985.
  • Luzia Jordan: Antisemitische Verlage in der Zwischenkriegszeit. Diplomarbeit Univ. Wien 2005.
  • Murray G. Hall: „Und wenn es nicht auf gesetzlichem Wege gehen sollte, diese Parasiten zu vertreiben …“. Das antisemitische Programm eines Grazer Verlags. Vortrag anlässlich der Konferenz „Antisemitismus in Österreich 1933–1938“ an der Universität Wien, 23. bis 26. März 2015. (Erscheint 2016)

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