Strom-Verlag (Wien)

Strom-Verlag (Wien) [1]

Vielfältig waren die Versuche, vor allem in den Jahren unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs, „billige Bücher“ vorwiegend österreichischer Autoren für ein breitgestreutes, lesehungriges, aber nicht vermögendes Publikum zu produzieren. Zunächst einmal war an eine Konkurrenz für die Reclam-Hefte, die man preislich unterbieten wollte, gedacht. Billig-Buch-Reihen hat es in mehreren Verlagen im Laufe der Ersten Republik gegeben. In ähnlicher Weise gab es Bestrebungen, „die modernsten und angesehensten Schriftsteller“, „Meisterwerke der zeitgenössischen Literatur“ nicht in Fortsetzungen, sondern abgeschlossen in einem Heft, auf Zeitungspapier gedruckt und in der Form einer Zeitschrift (periodischen Druckschrift), anzubieten. Deren Vertrieb und Verkauf scheiterte allerdings nicht nur an der Kleinkariertheit der organisierten Buchhändler, sondern auch an Gummiparagraphen in den einschlägigen Gesetzen.

Im April 1929 entschloß sich der Leiter des Ende 1923 gegründeten und im Jänner 1924 ins Wiener Handelsregister eingetragenen Phaidon-Verlags, Dr. Béla Horovitz (18.4.1898, Budapest-8.3.1955, New York), zusammen mit dem Schriftsteller, Rechtsanwalt und Phaidon-Verlag-Autor Dr. Julius Hajdu (8.5.1866-?) einen neuen Verlag zu gründen. Dieser hieß „Strom-Verlag Ges.m.b.H.“, hatte seinen Sitz in Wien IV., Argentinierstraße 29 und wurde am 30.4.1929 mit einem Stammkapital von S 20.000 ins Handelsregister eingetragen (Register C, Band 39, Pagina 131). Betriebsgegenstand war der „Verlag von Büchern und Zeitschriften“. Kollektivprokurist war einer der Geschäftsführer des Phaidon-Verlags, Ludwig Goldscheider (1896-1973). Beide Geschäftsführer, Horovitz und Hajdu, verpflichteten sich laut § VIII des Gesellschaftsvertrags vom 13.4.1929, „durch regelmäßige persönliche Tätigkeit die Agenden der Gesellschaft nach bestem Wissen und Gewissen zu führen. Für diese Leistung sind sie berechtigt, eine Vergütung in gleicher Höhe zu beanspruchen. Die Bemessung dieser Vergütung geschieht in der Weise, daß die genannten Gesellschafter ein monatliches Einkommen genießen, dessen Höhe dem üblichen Gehalt eines Verlagsdirektors gleichkommt.“ (Registerakt)

Die Verlagsproduktion bestand lediglich aus einer einzigen Zeitschrift: Die Roman-Rundschau. Verantwortlicher Redakteur war Ludwig Goldscheider, später Oskar Maurus Fontana (1889-1969). In einer Anzeige vom 10.5.1929 (Anzeiger, Nr. 19, 10.5.1929, S. 142) werden gleich die ersten 12 geplanten Hefte der Roman-Rundschau, welche monatlich zweimal zur Ausgabe gelangen sollte, angekündigt. Da liest man:

Wer die Roman-Rundschau regelmäßig bezieht, gelangt für wenig Geld in den Besitz eines Lesestoffes, der eine teure Bibliothek ersetzt.

Die Roman-Rundschau räumt mit dem Aberglauben auf, daß das Publikum am liebsten Schund liest. Gute Kunst wendet sich an jeden empfänglichen Menschen.

Die ersten 12 Hefte werden bringen:

1. Bernhard Kellermann, Schwedenklees Erlebnis.
2. H.G. Wells, Der Unsichtbare.
3. Stefan Zweig, Der Zwang.
4. Georg von der Vring, Soldat Suhren.
5. Frank Heller, Marco Polos Millionen.
6. Jack London, Vagabunden.
7. Arthur Schnitzler, Dr. Gräsler, Badearzt.
8. Upton Sinclair, Samuel, der Suchende.
9. Jakob Wassermann, Die Schwestern.
10. Sinclair Lewis, Mantrap.
11. Gustav Meyrink, Das grüne Gesicht.
12. Lion Feuchtwanger, Die häßliche Herzogin.

Neben einem abgeschlossenen Roman oder Novellenzyklus enthielt ein ca. 128 Seiten starkes Heft auch Kurzbesprechungen von Romanneuerscheinungen und kleinere Aufsätze zur Literatur.

Die Reihe wurde wegen des volksbildnerischen Aspekts und des Preises mit Begeisterung aufgenommen. Jack London und Upton Sinclair waren zu dieser Zeit beliebte Autoren, und die Reihe kam sozialdemokratischen Bildungsbestrebungen entgegen. [2]

Die Hefte – und das waren sie ja – durften nach den Vereinbarungen mit den Autoren nur einmal und in beschränkter Auflage gedruckt werden. Man konnte „die größten Autoren der Gegenwart für 1 Mark“ (Eigenwerbung) bzw. S 1,80 erwerben, also um einen Bruchteil dessen, was gebundene Ausgaben zu dieser Zeit kosteten. Obwohl die meisten Titel freilich Nachdrucke darstellten, waren immerhin Erstdrucke darunter (Kellermann, Zweig, London). Von den geplanten 12 Heften konnten die letzten zwei in der Roman-Rundschau nicht mehr erscheinen, aber das lag gewiß nicht am mangelnden Anspruch oder Erfolg. Dafür hat es einige Gründe gegeben. Horovitz besaß zwar eine Konzession für den Phaidon-Verlag, nicht aber für den Strom-Verlag, und damit konnten die Neider ihm eins auswischen. Er wurde mehrmals von der Korporation der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler gemahnt. Am 27. Februar 1930 hat er sich schließlich um eine Berechtigung beworben und am 7. August desselben Jahres die Konzession auch verliehen bekommen. Es war aber bereits zu spät: kurz nach dem Erscheinen der ersten Hefte besiegelte ein weiteres Problem praktisch das Schicksal des Verlags und machte die erfolgversprechenden Bemühungen, Literatur zum kleinen Preis anzubieten, zunichte.

Die Korporation machte Horovitz nämlich schon Mitte Juni 1929 darauf aufmerksam, „daß die ,Roman-Rundschau“ keine Zeitschrift, sondern ein Buch darstellt und daher Ihre Firma sich um eine Konzession bewerben muß“. Während Horovitz diese letztere indirekte Aufforderung monatelang erfolgreich ignorierte, hatte er gegen die Mitteilung der Korporation Rekurs eingelegt und nachher einen abschlägigen Bescheid bekommen. In einem Schreiben der Wiener Polizei an die Korporation vom 15.7.1929 heißt es:

Wien, am 15. Juli 1929
P.B. 594/1929
Druckwerk: ,Die Roman Rundschau“
Aberkennung des Zeitschriftencharakters (§ 2 Pr.G.)
(…)
Die Bundespolizeidirektion hat mit Bescheid vom 5. Juli 1929, den Vertreter Dr. Béla Horovitz des Stromverlages, welcher die „Roman-Rundschau“ herausgibt, verständigt, daß die „Roman-Rundschau“ nicht den Bedingungen des § 2, Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Presse vom 7. April 1922, B.G.Bl. Nr. 218 entspricht und daher auch nicht (…) auf der Straße und an anderen öffentlichen Orten im Kolportagewege vertrieben werden darf. (…)

Sieht man den betreffenden Paragraphen des Preßgesetzes näher an, kann man nur schließen, daß irgendwer aus Neid- und Konkurrenzgründen dem Strom-Verlag nicht sehr wohl gesinnt war. Denn die Aberkennung des Zeitschriftencharakters war eine Groteske. § 2 Pr.G., Abs. 2 lautete: Periodische Druckschriften sind Druckwerke, die in Zwischenräumen von höchstens drei Monaten in ständiger Folge erscheinen. Zum Zeitpunkt dieses Bescheids war die Roman-Rundschau nicht einmal sechs Wochen auf dem Markt! Rekurs gegen diese höchst dubiose Entscheidung fruchtete nichts …

Ein letzter Grund für den Untergang des Strom-Verlags geht aus dem Registerakt hervor: schon nach etwas mehr als eineinhalb Jahren nach Beginn des Unternehmens am 10.12.1930 findet eine Generalversammlung der Gesellschafter des Strom-Verlags unter dem Vorsitz von Horovitz statt. Auf der Tagesordnung steht ein einziger Punkt: die Liquidation der Gesellschaft. Horovitz teilte mit, „daß seit der letzten Jahresbilanz (d.i. April 1930) die Tätigkeit der Gesellschaft ausschließlich im Eintreiben von Außenständen bestand, der Vermögensstand der Gesellschaft ist daher seit dieser Zeit unverändert geblieben.

Da sohin unter den gegebenen Verhältnissen eine gewinnbringende Geschäftsführung nicht zu erwarten ist, schlägt er vor, die Generalversammlung wolle die Auflösung und die Liquidation der Gesellschaft beschließen“ (Versammlungsprotokoll, 10.12.1930, Registerakt).

Mitte Jänner 1931 werden die Gläubiger mittels Anzeige in der Wiener Zeitung aufgefordert, sich zu melden. Am 10.6.1931 sind die Forderungen geregelt, die Passiven getilgt und die Aktiven verwertet. Neun Tage später wird die Firma Strom-Verlag Ges.m.b.H. aus dem Handelsregister gelöscht. Am 16. Juli 1931 wird die Gewerbeberechtigung zurückgelegt.

Anmerkungen

[1] Quellenhinweise: Handelsgericht Wien. Registerakt C 39, 131 (WrStLa); Akt Gremium/Strom-Verlag.

[2] Dazu die Besprechung von F.R., in: Bildungsarbeit (Wien), XVI. Jg., Nr. 12, Dezember 1929, S. LXIV. Eine eingehende Analyse dieses Komplexes liefert Alfred Pfoser, in: Literatur und Austromarxismus. Wien: Löcker Verlag, 1980, S. 81.

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