Thomas-Verlag Jakob Hegner
Der Thomas-Verlag Jakob Hegner war, streng genommen, kein „belletristischer“ Verlag, gibt uns aber trotzdem Gelegenheit, auf die Verlegerpersönlichkeit Jakob Hegner wenigstens kurz hinzuweisen und das Schicksal einer späten Verlagsneugründung zu zeigen.
Als Jakob Hegner Anfang 1936 nach Wien übersiedelte, war es eine Rückkehr in seine Heimatstadt, wo er am 25. Februar 1882 als ältestes von neun Kindern geboren worden war und – mit Stefan Zweig zusammen – das humanistische Wasa-Gymnasium besucht hatte.[1] Schon im Alter von 20 Jahren war Hegner, der 1899 in Leipzig das Universitätsstudium begann, in der Buchabteilung des Verlags Hermann Seemann Nachf. tätig und gab zusammen mit René Schickele das Magazin für Literatur in Berlin heraus. Zehn Jahre später war er in Hellerau bei Dresden in seiner eigenen Buchdruckerwerkstatt als Drucker und Verleger tätig. Und aus dieser Werkstatt wurde und wuchs der Verlag. Doch nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs fand sich Hegner wieder in Wien, wo er neben Arthur Zoglauer, Felix Dörmann, E.E. Kisch, Franz Blei u.a. Mitglied der Redaktionellen Gruppe des Kriegspressequartiers war und an der Zeitschrift Österreichisch-Ungarische Kriegsberichte mitarbeitete. Zu dieser Zeit (1917/18) schuf er zusammen mit Franz Blei die Zeitschrift Summa, die im Hellerauer Verlag Jakob Hegner erschien.[2] 1930 gelang es Hegner, in Leipzig innerhalb der großen Druckerei Oskar Brandstetter seine Druckwerkstatt erneut zu errichten.[3] Bis Ende 1935 betrieb Hegner schließlich den seit 23 Jahren in seinem Eigentum stehenden Verlag in Leipzig, bis er die Firma „Jakob Hegner“ (also samt Firmennamen) Herrn Oskar Brandstetter übergab und von diesem die Vertretung dieses Leipziger Verlages für das gesamte Ausland erhielt.
Hegner ging nun daran, in Wien einen neuen Verlag zu errichten. Im Sommer 1936 suchte er um eine Konzession an und am 7. Oktober 1936 erschien er beim Handelsgericht Wien, um seine Firma zum Handelsregister anzumelden. Der Wortlaut der Firma: „Thomas-Verlag Jakob Hegner“, der Betriebsgegenstand: Verlagsbuchhandel mit Ausschluß des offenen Ladengeschäftes, der (vorläufige) Sitz der Firma: Wien XIX., Scheibengasse 5.
Der Verlagsname wird in einem Gutachten der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie in Wien vom 27. Oktober 1936 erläutert:
Gegen den Firmawortlaut ,Thomas-Verlag Jakob Hegner“ liegen keine Bedenken vor. Der Zusatz „Thomas“ wurde deshalb gewählt, um eine Verwechslungsmöglichkeit mit dem in Leipzig unter der Fa. Jakob Hegner betriebenen gleichartigen Unternehmen zu vermeiden. Der Name „Thomas“ bildet aber gleichzeitig ein Kennzeichen für den neuen Verlag, da dieser unter anderen sämtliche Kommentare des hl. Thomas mit einer Auflage von je 5000 Exemplaren herausbringen wird. Der Zusatz „Thomas-Verlag“ kann als nähere Bezeichnung des Geschäftes angesehen werden und gibt zu Täuschungen oder Verwechslungen keinen Anlaß.[4]
So wurde die Firma „Thomas-Verlag Jakob Hegner“ am 3. November 1936 unter Reg. A, Band 43, pagina 12a ins Wiener Handelsregister eingetragen. Wie aus dem vorhin zitierten Kammergutachten hervorgeht, war der Betrieb im Oktober 1936 zwar aufgenommen worden, aber noch nicht im vollen Umfang. Doch waren die bereits vorgenommenen Vorbereitungshandlungen auf die Errichtung eines größeren Unternehmens ausgerichtet. Es waren zum Zeitpunkt der Anmeldung bereits sieben zum Teil sehr umfangreiche Werke fertiggestellt bzw. in Herstellung begriffen. Der „katholische Verleger“ Hegner schätzte den reichsdeutschen Umsatz des Wiener Verlags für das Jahr 1937 auf S 120.000, den Umsatz in Österreich auf ca. S 50.000.[5] Das bedeutete also, daß ca. 70% der Produktion in Deutschland und rund 30% in Österreich abgesetzt werden sollten. Ob Hegners Rechnung aufging, kann aus mehreren, z.T. bereits behandelten Gründen bezweifelt werden. Zum einen brauchte er – wie etwa die beiden anderen „Neulinge“ in Österreich – Bermann-Fischer und Bastei-Verlag (Dr. Robert Freund) – eine Devisengenehmigung aus demselben mageren Topf, obwohl Hegner in der Lage gewesen wäre, das Problem dadurch zu umgehen, daß er seine Verlagswerke in Leipzig herstellen lassen konnte. Zum zweiten ist nicht auszuschließen, daß Hegner Schwierigkeiten hatte, reichsdeutsche Autoren für seinen Verlag zu gewinnen. So informierte er Bundeskanzler Schuschnigg im September 1937 über eine neue, indirekte reichsdeutsche Behinderungspraxis:
p.s. Wie wir soeben hören, macht die Devisenstelle deutschen Autoren Schwierigkeiten, mit österreichischen Verlagen Verträge abzuschließen. Sollte diese Praxis allgemein angewendet werden, so werden österreichische Verlage deutsche Autoren nicht mehr bringen können. Der österreichische Verlag würde dadurch zu einer Art Emigrantenverlag abgestempelt, oder er wird nur Übersetzungen bringen können.
Wir erlauben uns daher, Sie hochverehrter Herr Bundeskanzler, auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, da Abhilfe vielleicht jetzt noch möglich, später jedoch, wenn die Praxis einmal eingerissen ist, kaum mehr durchführbar sein wird. Sicher ist, daß jeder deutsche Autor einen Vertrag mit einem ausländischen Verlag der Devisenstelle vorlegen muß, der es freisteht, die Erlaubnis zu geben oder nicht zu geben.[6]
Wenige Monate später befand sich der „katholische Verleger“ Jakob Hegner in Haft, nämlich als Österreich von den Nazis überrannt wurde. Wie durch ein Wunder, wird berichtet, gelang es ihm, der Haft zu entweichen, mit Frau und Kindern Wien zu verlassen und nach London in die Emigration zu gehen.[7]
Der Thomas-Verlag Jakob Hegner kam im November 1938 offiziell unter kommissarische Verwaltung. Zu diesem Posten bestellt wurde ein gewisser in der Buchhandelsbranche nicht bekannter Max Niesner, der gleichzeitig die kommissarische Leitung der Zeitschrift Sturm über Österreich übernahm. Die Liquidierung des kurzlebigen Verlags ging sehr schnell vonstatten, sodaß die Löschung aus dem Handelsregister schon im Dezember 1938 beantragt werden konnte. In einem Schreiben vom 21. Dezember 1938 vom Staatskommissar in der Privatwirtschaft (Prüfstelle für die kommissarische Verwaltung) an Niesner wurde dieser ermächtigt, die Löschung durchzuführen. Sie erfolgte am 10. Jänner 1939.
Die Produktion
Da es sich hier nicht um belletristische Werke handelt und die Produktion sowieso nicht sehr umfangreich war, werden bloß ein paar Beispiele angeführt, die sowohl auf die Richtung des Verlagsprogramms hinweisen als auch andeuten, wieso Hegner den Ruf eines „katholischen Verlegers“ genießt:
Erich Przywara S.J., Augustinus. Die Gestalt als Gefüge. (1937)
A. Dempf, Religionsphilosophie. (1937)
Anselm v. Canterbury, Leben, Lehre, Werke. Übersetzt und erläutert von Rudolf Attens. (1937)
Aber der wahrscheinliche Grund dafür, daß Jakob Hegner nach dem „Anschluß“ verhaftet wurde, liegt nicht in diesen Publikationen, sondern in einem anderen Werk, nämlich Kurt v. Schuschniggs Dreimal Österreich, das 1937 bei Hegner herauskam und bei Rohrer in Baden bei Wien gedruckt wurde. Und es ist wohl daher kein Zufall, daß ein- und derselbe kommissarische Verwalter für den Thomas-Verlag und die Schuschnigg nahestehende Wochenschrift Sturm über Österreich verantwortlich war. Daß gewisse deutsche Behörden den wenigen, aus Deutschland nach Österreich emigrierten Verlegern (mit Ausnahme von Gottfried Bermann-Fischer) das Leben schwer machen wollten, und zwar inoffiziell durch die RSK geht aus einem Schreiben von Sekt. Rat Dr. Wilhelm Wolf an Dr. Karl Megerle, Berlin, vom 6. Dezember 1937 hervor. Die Verbreitung von in Deutschland nicht verbotenen österreichischen Verlagswerken sollte nämlich gründlich behindert werden. Diese auf Weisung der RSK erfolgte Aktion sollte zunächst die Werke folgender österreichischer Verlage betreffen: Paul Zsolnay Verlag, Thomas-Verlag Jakob Hegner, Bastei-Verlag und Herbert Reichner Verlag.[8] Die Aktion gegen Hegner läßt sich wohl nur in Zusammenhang mit dem Schuschnigg-Buch erklären.
Anmerkungen
[1] Zur Biographie Hegners siehe u.a. Jakob Hegner aus Wien. In: Die Furche (Wien), 13. Jg., Nr. 7, 16.2.1957, Der Krystall. Literaturbeilage, S. 9; W.L., Jakob Hegner. „Catholica leguntur“. In: Die Furche (Wien), 18. Jg., Nr. 8, 24.2.1962, S. 4; l.e., Jakob Hegner 75 Jahre. In: Neues Österreich (Wien), 23.2.1957, S. 6; Das Antiquariat (Wien), VIII. Jg., Nr. 5/6, März 1952, S. 978.
[2] Zur Druckwerkstatt Hegners siehe JULIUS RODENBERG, Deutsche Pressen. Eine Bibliographie. Wien: Amalthea, 1925, S. 235 f., sowie Der Zwiebelfisch (München), XV. Jg., 1923, Heft 3/4, S. 63. Siehe auch den Abschnitt über den Avalun-Verlag.
[3] Bei Jakob Hegner in Leipzig entstand u.a. der Satz für Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften.
[4] Handelsgericht Wien. Registerakt A 43, 12 a. Schreiben an das Handelsgericht Wien. (Akt im WrStLa).
[5} Ebenda.
[6] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 629, BKA Abt. 14 HP, BKA, Zl. 215.810- 14a/37. Das Schreiben, von dem die erste Seite fehlt, ist durch andere Merkmale etwa auf den 23. September 1937 zu datieren.
[7] 1945 baute Hegner seinen Verlag von neuem in der Schweiz wieder auf, und einige Jahre später übersiedelte er mit seinem Unternehmen nach Köln. Hegner starb in Lugano am 24.9.1962 im Alter von 80 Jahren.
[8] ÖSta, HHSta, N.P.A., Karton 134, BKA 96.706-13/37. Dazu MURRAY G. HALL, Literatur und Verlagspolitik in Österreich der 30er Jahre am Beispiel Stefan Zweigs und seines Wiener Verlegers Herbert Reichner (zit. Lit. verz.).