Verlag der Wiener Graphischen Werkstätte

Verlag der Wiener Graphischen Werkstätte (Wien-Leipzig) [1]

Die „Druck- und Verlagsgesellschaft Wiener graphische Werkstätte“, wie die Firma im vollen Wortlaut hieß, war eine der ehrgeizigsten Neugründungen der unmittelbaren Nachkriegszeit mit Schwergewicht auf moderner österreichischer Literatur. Sie hat es dem Ehrgeizeines anderen zu „verdanken“, daß sie nicht allzulange im Geschäft blieb. Ihr Schicksal ist nämlich mit dem unheimlichen Abgang eines Finanzmagnaten verknüpft, der meinte, ihm müsse jede Papierfabrik und jeder Qualitätsverlag im Lande gehören, nämlich Richard Kola. Die Zahl der Firmenleichen bzw. Beinahe-Leichen, die mit Kolas Finanzgenie und Finanzimperium untrennbar verbunden sind, ist Legion: Brüder Rosenbaum, Ilf-Verlag, Rikola-Verlag, Musarion Verlag, Verlag Neuer Graphik, Elbemühl, Waldheim-Eberle, Gesellschaft für graphische Industrie u.a. Durch den Aufkauf dieser Firmen und anderer wie der Buch- und Steindruckerei M. Munk verstand es Kola, den Literaturbetrieb zu dessen Ungunsten in das Börsentreiben und in die Spekulation hineinzumanövrieren. Nicht zufällig mußte eine Reihe von Firmen, für die das oberste Gebot erstklassige Buchausstattung war, den Betrieb einstellen.Wiener graphische Werkstätte

Kurz vor Jahresende 1918 kamen der Verlagskonzessionsinhaber und Kaufmann Adolf Platzer[2] und der Mitbesitzer der renommierten Buch- und Kunstdruckerei „Jordan & Kalkus“, Hans Jordan[3] (11.11.1891-14.7.1958), zusammen, um die Firma „Druck- und Verlagsgesellschaft Wiener graphische Werkstätte“ zu gründen. Die erste Direktion befand sich in Wien VII., Kaiserstraße 45.

Gegenstand des Unternehmens war laut Gesellschaftsvertrag vom 28. Dezember 1918 (Art. IV) der Druck und Verlag von literarischen und artistischen Erzeugnissen nach Maßgabe der von den Gesellschaftern eingebrachten und allenfalls zu erweiternden gewerbebehördlichen Konzessionen. Die Herren Adolf Platzer, Hans Jordan, Hugo Schmidl, und Hans Schreier brachten eine Sacheinlage in das neue Unternehmen ein, die in Form einer bis dahin gemeinsam betriebenen Druckerei in der Wiener Biberstraße 26 etwa zwei Drittel des Gründungskapitals von ca. 101.000 Kronen betrug. Außerdem steuerte Jordan die Druckereikonzession plus eine Sacheinlage aus der Buch- und Kunstdruckerei Jordan & Kalkus bei. Eine weitere Gesellschafterin, Frl. Charlotte Serebrenik, Beamtin in Wien, beteiligte sich mit einer Barzahlung von 30.000 Kronen an der Gründung.

Der Geschäftsführer Adolf Platzer ließ seine Mühewaltung laut Gesellschaftsvertrag mit monatlich vorläufig 1.000 Kronen abgelten, während Partner Hans Jordan etwa 900 Kronen zustanden. Beide Bezüge nehmen sich gegenüber den 4.000 Kronen bescheiden aus, die sich der Geschäftsführer des etwa zur gleichen Zeit gegründeten „Donau Verlags“ ausbedungen hatte.

Die Druck- und Verlagsgesellschaft „Wiener graphische Werkstätte“ stieg aber nicht gleich in das Verlagsgeschäft ein, denn die graphische Erzeugung von Ansichtskarten bildete zunächst einen Hauptzweig des Betriebs. Diese Ansichtskarten sollten ebenso wie die anderen graphischen Erzeugnisse die Wiener Eigenart, das typische Wiener Genre und den Wiener Geschmack in der graphischen Darstellung zum Ausdruck bringen. Geplant war, in den Anfangsstadien Erzeugnisse vorzugsweise ins Ausland zu exportieren. Zu diesem Zweck wurden wertvolle Beziehungen sowohl in der Schweiz als auch in den skandinavischen Ländern angeknüpft.

Doch der erste Schritt nach Errichtung des Gesellschaftsvertrags war die Einholung der behördlichen Genehmigung. Und damit begannen die Schwierigkeiten. Am 20. Februar 1919 vermeldete das Deutschösterreichische Staatsamt des Innern, daß gegen die Eintragung dieser Gesellschaft m.b.H. keine Einwände bestünden. Nun aber legte sich eine weitere, üblicherweise mit solchen Fragen befaßte Instanz – die Handels- und Gewerbekammer – in einem Schreiben vom 7.4.1919 quer. Das Problem lag in der gewünschten Firmabezeichnung. In einer routinemäßigen gutachtlichen Äußerung zum Firmawortlaut wurden nämlich Bedenken erhoben: Der Firmawortlaut entspreche zwar nach Umfang und Gegenstand des Betriebs den tatsächlichen Verhältnissen,

doch erlaubt sich die Kammer darauf aufmerksam zu machen, daß der Passus ‚Wiener graphische Werkstätte“ leicht in Kollisionen mit der weltbekannten ‚Wiener Werkstätte“ führen könnte.
Das geplante Unternehmen wird sich vorzugsweise mit dem Verlag von künstlerischen Ansichts-Postkarten befassen, ein(em) Erwerbszweig, den die „Wiener Werkstätte“ ebenfalls in ihrem Betrieb aufgenommen hat, wodurch eine teilweise Identität des Tätigkeitsgebietes gegeben erscheint.[4]

Freilich ließen es Platzer und Jordan nicht dabei bewenden – ebensowenig, wie die „Wiener Werkstätte“ kurz davor, die gegen die Protokollierung der ähnlich lautenden „Wiener Wäschewerkstätte“ erfolglos gekämpft hatte. Platzer und Jordan argumentierten dahingehend, daß die Befürchtungen und Bedenken der Handels- und Gewerbekammer größtenteils unbegründet seien, zumal der Vertrieb von Ansichtskarten einen verschwindend kleinen Bruchteil des geschäftlichen Umsatzes der „Wiener Werkstätte“ bildete. Vielmehr habe die „Wiener Werkstätte“ gar keine Konzession, welche sie berechtigen würde, das graphische Gewerbe auszuüben, und insoweit sie sich mit Ansichtskarten beschäftige, müsse sie sich ohnehin auf deren handelsmäßigen Vertrieb beschränken und die graphischen Erzeugnisse durch andere Unternehmen bewerkstelligen. Hinzu komme noch, daß beide Unternehmungen in ihrem Betriebsgegenstand wesentlich verschieden seien.

Die Kammer gab dann schließlich am 19.5.1919 – also fast fünf Monate nach der „Gründung“ des neuen Unternehmens – etwas nach. Zwar bestünden gegen das Wort „Wiener“ im angestrebten Wortlaut keine Bedenken mehr, doch beharrte die Kammer weiterhin auf der Befürchtung, daß wegen des vermeintlich gleichen Betriebsgegenstands der Firmawortlaut zu Verwechslungen mit der „Wiener Werkstätte“ Anlaß geben könnte. Sie schlug vor, das Wort „Werkstätte“ durch eine andere Bezeichnung zu ersetzen. Im Juli 1919 legten Platzer und Jordan erneut Rekurs ein, leugneten weiterhin eine allfällige Verwechslungsmöglichkeit, zumal der Weltruf der „WW“ sicherlich nicht von dem Vertriebe von Ansichtskarten herrühre. Obendrein habe ja keine Firma den Ausdruck Werkstätte für sich gepachtet.

Platzer und Jordan führten noch an, „daß wir unter der gewählten Firma seit dem Jahresbeginn [1919] nicht bloß auf dem Wiener Platze, sondern auch im Auslande ein gewisses Renommee errungen haben, daß wir nur bei Beibehaltung unserer Firma uns wahren und ausbauen können“. Kurz darauf wird der Streit beigelegt: der Firmawortlaut bleibt. Am 29. Juli 1919 wird die Druck- und Verlagsgesellschaft Wiener graphische Werkstätte unter Register C, Band 32, pagina 91 ins Wiener Handelsregister eingetragen.

Im Mai 1919 kommt ein neuer Gesellschafter und Geschäftsführer, Franz Rosenberg, in die Firma, und das Kapital wird auf fast eine halbe Million Kronen erhöht. Rosenberg verkauft im Oktober 1919 seinen Geschäftsanteil an Adolf Platzer und verläßt „wegen vorgefallenen Unstimmigkeiten“ das Unternehmen. Neu aufgenommen als Gesellschafter werden der Buchhalter Gustav Kadletz und Karl Bauer. Die Gehälter der Geschäftsführer werden rückwirkend ab 1.9.1919 auf K 2.500 erhöht. Im März 1920 werden bei der Generalversammlung Friedrich Neurath und Hans Wödl zu Prokuristen bestellt. Zur gleichen Zeit scheiden die bisherigen Gesellschafter Kadletz und Schmidl aus dem Unternehmen aus.

Wiener graphische Werkstätte 2Das kurze Leben des Verlagsunternehmens läßt sich z.T. auf personelle Streitigkeiten zurückführen, denn einer der Gründer, der Drucker Hans Jordan, scheidet schon im Dezember 1920 aus dem Geschäftsverhältnis aus und tritt seinen Geschäftsanteil an Compagnon Platzer ab. Auch der Geschäftserfolg bzw. -mißerfolg mag dazu beigetragen haben, denn die Firma schloß die Geschäftsjahre 1919 und 1920 mit beträchtlichen Verlusten ab, und diese Schulden mögen zu den Schritten, die anläßlich einer a.o. Generalversammlung am 22. März 1921 in den Geschäftslokalitäten der „Elbemühl“ in Wien, getätigt wurden, Anlaß gegeben haben. Der Gründer, Geschäftsführer und kommerzielle Leiter Adolf Platzer, der zu diesem Zeitpunkt durch Abtretungen und Anteilserhöhungen bereits 91% des Firmenkapitals von ca. 1,6 Millionen Kronen besaß, entschloß sich, sämtliche Geschäftsanteile an den Wiener Großindustriellen Rudolf Thorn, seines Zeichens auch Vorstands- und Verwaltungsratsmitglied des Elbemühl-Konzerns, zu übertragen. Als Gegenleistung erhielt Platzer nicht einen Barbetrag, sondern Aktien der „Gesellschaft für graphische Industrie“ die – ebenfalls Richard Kola gehörend – einige Jahre später mit der „Elbemühl“ fusioniert wurde. Somit wurde der Verlag der Wiener graphischen Werkstätte in den Kola-Konzern aufgenommen, einen Vertikalkonzern, dessen Geschäftsbereich von Schnittholz über Papier und Zeitungen bis zum fertigen Buch reichte. Gleichzeitig beschloß die Versammlung, den 26jährigen Rudolf Rosenbaum, Direktor der Gesellschaft für graphische Industrie in Wien, als neuen Geschäftsführer zu bestellen. Die entsprechende Eintragung ins Wiener Handelsregister erfolgte am 12.4.1921. Diese Übernahme war zugleich der Anfang vom Ende für den Verlag der Wiener graphischen Werkstätte.

Auf Grund des personellen Nahverhältnisses ist es nicht weiter verwunderlich, daß ab 1921 so gut wie alle Veröffentlichungen des „Verlags der Wiener graphischen Werkstätte“ bei der Offizin der Waldheim-Eberle A.G., Wien, gedruckt wurden. So trugen manche Publikationen – etwa A.M. Renners Sulamith. Ein Roman in Gefühlen – auf der Titelseite bzw. auf dem Umschlag nicht nur unterschiedliche Untertitel, sondern auch verschiedene Angaben über den Erscheinungsort innen also: „Verlag der Wiener graphischen Werkstätte“, außen am Einband: „Waldheim-Verlag, Wien-Leipzig“.

Die neue personelle Zusammensetzung des „Verlags der Wiener graphischen Werkstätte“ blieb zumindest auf dem geduldigen Papier bis zur amtlichen Auflösung der Firma am 1.1.1929 (eingetragen: 22. 1.1929) wegen Nichtanmeldung der sogenannten Golderöffnungsbilanz gleich. Gelöscht wurde die Gesellschaft am 28. Jänner 1930. Wie immer aber täuschen diese behördlichen Daten und sagen so gut wie gar nichts über die Zeitspanne der Verlagstätigkeit aus. In Wirklichkeit war der Verlag von 1920 bis einschließlich 1923 im Geschäft. Innerhalb dieser vier Jahre aber hat der Verlag viele der künstlerisch schönsten und reizvollsten Bücher der Zwischenkriegszeit in Österreich produziert.

Die Produktion

Erste Nachricht von der Entstehung dieses neuen Verlags konnte man am 24. April 1920 in der Wiener Mittags-Zeitung erhalten:

Die Druck- und Verlagsgesellschaft ,Wiener Graphische Werkstätte“ Ges.m.b.H. unter der kommerziellen Leitung des Direktors Adolf Platzer, die in der kurzen Zeit ihres Bestandes auf dem Gebiete der Druckkunst künstlerisch bahnbrechend gewirkt hat, geht nun daran, dem Unternehmen einen Buch- und Kunstverlag anzugliedern. In Kürze werden bereits die ersten Werke erscheinen, unter welchen Egon Friedell mit einem Altenberg-Buch vertreten sein wird, Franz Theodor Csokor mit einem Novellenband, u.a.m. Bei allen Erscheinungen wird strenge darauf gesehen, daß das Thematische des Stoffes mit der Formvollendung der künstlerisch-technischen Ausstattung in adäquatem Zusammenhange steht. Mit heimatlichen Geldmitteln, auch für bisher nicht heimatliche Großzügigkeit hinreichend fundiert, will der Verlag der geistigen Auswanderung einen beachtenswerten Damm entgegensetzen. Die literarische Leitung liegt in den Händen des jungen Wiener Schriftstellers Fritz Karpfen, die künstlerische Leitung bei Prof. Bernhard Steiner inne.

Daß bei zwei Verlagen – dem Verlag der Wiener graphischen Werkstätte und dem Verlag Frisch & Co. – etwa zur gleichen Zeit junge Schriftsteller, knapp über 20 Jahre alt, mit der literarischen Leitung von neugegründeten Unternehmen betraut wurden, muß man als Signal der jungen Generation in der neuen Republik bewerten. Fritz Karpfen, der am 21.2.1897 in Wien geboren wurde, hatte mit 21 Jahren in seinem ersten Werk Literarisches Verbrecheralbum mit der älteren Generation der begeisterten Kriegslyriker abgerechnet und auch einen Gedichtband – Ich rufe Klage – im Verlag des „Ver!“ erscheinen lassen. Bernhard (Bernd) Steiner am 20.4.1884 in Mistelbach, N.Ö. geboren – trat vor allem als Plakatkünstler in Erscheinung, betätigte sich im buchkünstlerischen Bereich u.a. für den Ilf-Verlag und betrieb nach der Episode mit dem Verlag der Wiener graphischen Werkstätte in Wien die „Werbe-Werkstätte Bernd Steiner“. In den späteren 20er Jahren machte Steiner in Deutschland Karriere, als er etwa für den Norddeutschen Lloyd charakteristische Schiffahrtsplakate schuf und nebenbei als künstlerischer Leiter des Bremer Stadttheaters arbeitete. Steiner, der relativ jung am 10. 12. 1933 in Wien starb, übernahm persönlich die künstlerische Ausstattung einiger Reihen im Verlag der Wiener graphischen Werkstätte.

Der Verlag gab fünf Publikationsreihen heraus, die ihr „Plansoll“ leider nicht erfüllten und die zahlenmäßig etwa ein Drittel der Gesamtproduktion von ca. 56 Titeln ausmachten.

1. Die Novellenbücher der Wegewe/Begonnen im Jahre Neunzehnhundertzwanzig brachten es bloß auf drei Werke junger österreichischer Autoren der um bzw. kurz nach 1880 geborenen Generation. In dieser kurzlebigen Reihe mit kleinformatigen Werken waren folgende Autoren vertreten: Hans Steiger (Jg. 1889) mit König Augenblick und andere Skizzen, Karl F. Kocmata (Jg. 1890) mit Anny Rober. Eine Wiener Mädelsgeschichte und Friedrich Wallisch (Jg. 1890) mit Der rote Bart. Ein 4. Band von Franz Theodor Csokor Zwischen Zwanzig und Dreißig mit Buchschmuck von Carry Hauser ist zwar mehrmals angekündigt worden, aber nie erschienen. Für Satzordnung und Buchschmuck jedes dieser in Reclamheft-Format aufgelegten reizenden Bändchen zeichnete Bernd Steiner verantwortlich. Dieser schuf jeweils das außerordentlich hübsch gestaltete Vorsatzpapier. Die Werke erschienen in einer Auflage von je 3.000 Exemplaren, wobei auch eine auf 50 Ex. beschränkte, numerierte und vom Dichter signierte Liebhaberausgabe hergestellt wurde.

Themen der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden in zwei weiteren Reihen besonderes Augenmerk gewidmet. Sozialpolitisches Engagement kommt etwa in der Reihe

2. Die Bücher des Gewissens zum Ausdruck. Es erschienen drei Werke. Im Jahre 1920 z.B. war der junge linksengagierte Autor Bruno Frei (Jg. 1897) vom Verlag – vermutlich von Fritz Karpfen – aufgefordert worden, eine Anzahl von Elendsschilderungen und Elendsbildern aus Wien in ein Buch zusammenzufassen:

Der Verlag ließ sich hierbei von der Überzeugung leiten, daß es keine dringendere Aufklärungsarbeit gibt, als die Aufklärung über die Ausbreitung, Verursachung und – wenn es so etwas gibt – Linderung der fürchterlichen sozialen Not der unbemittelten Schichten. Der Verlag glaubte eine Aufgabe der Zeit zu erfüllen, wenn er ein Buch zum Druck beförderte, das sich zum unbescheidenen Ziel setzt, das Gewissen der Reichen wachzurütteln und die Hoffnung der Massen neu zu beleben. (Aus dem Vorwort vom September 1920)

Ganz außergewöhnlich für diese Zeit war dieses 1921 auf den Markt gekommene, 124 Seiten starke Buch insofern, als es mit Dutzenden photographischen Aufnahmen des Wiener Elends ausgestattet wurde. Autor des zweiten Bands dieser Reihe war der sozialpolitisch engagierte, heute mehr oder weniger vergessene Autor und prominente Gegner des Mutterschaftszwangs Johann Ferch (1879-1954). Das Werk heißt: Der Umsturz der Ehe. Eine radikale Studie. Wegen Papiernot war die Auflage, wie der Verlag den Buchhändlern mitteilte, beschränkt. Das dritte erschienene Werk stammt von Bernhard Boyneburg und heißt Despotie der Mittel. Wie bei den Novellenbüchern kamen auch in einer dritten Reihe junge Autoren zu Wort.

3. Die Bücher der Zeit 1920 erschienen drei Bände mit Werken von zwei jungen Österreichern, so z.B. Die Wiedergeburt in Kain. Drei Revolutionsakte von Carl Julius Haidvogel (Jg. 1891) und Auferstehung. Eine dramatische Legende von Friedl Schreyvogl (Jg. 1899). Ein weiterer junger Autor stand mit dem neugegründeten Verlag in loser Verbindung, nämlich Franz Theodor Csokor. In dieser Reihe hätte von ihm das Werk Gedanken zum Gegenwartsdrama. Anhang: Der Expressionismus als Regieproblem mit zwölf graphischen Erläuterungen und zahlreichen Szenenbildern erscheinen sollen. Statt dessen erschien in dieser Reihe Csokors Übersetzung Die Kulissen der Seele. Monodrama von Nikolaj Nikolajewitsch Evreinoff im Jahre 1920. Die auffällige Einbandzeichnung (Dreifarbenlithographie) stammt von Bernd Steiner. Eine zweite Auflage von Csokors in 1. Auflage beim Deutsch-Österreichischen Verlag erschienenem Gedichtband Der Dolch und die Wunde kam 1920 mit Umschlagzeichnungen von Carry Hauser heraus.

4. Phalanx. Bibliothek für die Internationale des Geistes Die vierte Publikationsreihe im Verlag der Wiener graphischen Werkstätte wurde vom Verlags-angestellten Josef Kalmer (1898-1959) betreut, herausgegeben und gelegentlich übersetzt. Die „Bücher des Phalanx“ waren „eine Zusammenfassung der Kämpfer für die Internationale des Geistes. Dichter, Politiker der neuen Weltidee werden in dieser Bücherei zu Wort kommen“. Von den vierzehn im Jahre 1920 angekündigten Werken konnten bloß drei tatsächlich erscheinen:

Maxim Gorki, Die silbernen Schließen. Ins Deutsche übertragen von Josef Kalmer. Mit einem Nachwort von Boris Suwarin und fünf Originallithographien von M. Fischer. 1920.
Leo N. Tolstoi, Die Friedenskonferenz. Ins Deutsche übertragen und mit einem Nachwort versehen von Josef Kalmer. 1920. (Umschlagzeichnung von G. Marisch)
Georg Fr. Nicolai, Aufruf an die Europäer. Gesammelte Aufsätze zum Wiederaufbau Europas. Hrsg. und eingeleitet von Dr. Hans Wehberg. 1921.

5. Irgendwo und Irgendwann. Märchen aus allen Ländern Der Verlag der Wiener graphischen Werkstätte versuchte auch das „schöne“ Buch für ein jüngeres Lesepublikum zu pflegen. So entstand 1922 der Plan, eine 12bändige Reihe von Märchen aus allen Ländern in gediegener Ausstattung herauszugeben. Es erschienen aber lediglich sieben der zwölf Bände, für die Arthur Stadler die farbige Schutzhülle und buntgezeichnetes in jedem Band verschiedenes Vorsatzpapier kreierte. Gedruckt wurde jeweils in der Offizin der Waldheim-Eberle A.G. in Wien. Besondere Ausstattung und der Preis lassen darauf schließen, daß jugendliche Käufer kaum die Zielgruppe gewesen sein kann. Es erschienen deutsche, norwegische, dänische, französische, griechische, albanische, ukrainische Märchen, während vlämische (Band 5), englisch-irische (Band 6), italienische (Band 8), schwedische (Band 4), und russische (Band 11) nicht erscheinen konnten. Die Illustrationen wurden von Franz Wacik (Band 1 und 3), Arthur Stadler (Band 2) und Axl (Albert) Leskoschek (Band 7, 9, 10, 12 sowie der nicht erschienene Band 4) gefertigt. Nach 1923, als der Verlag aufhörte, Bücher zu produzieren, ging die unvollständige Reihe an den auf Kinderbücher spezialisierten Wiener „Sesam-Verlag“ über, der die Reihe unter dem Titel Sesam-Volksbücher vertrieb.

Gemäß dem Vorsatz, der geistigen Auswanderung einen Damm entgegenzusetzen, bestand die restliche Verlagsproduktion nahezu ausschließlich, d.h. mit Ausnahme von allfälligen Übersetzungen aus dem Englischen bzw. Russischen, aus Werken großteils jüngerer österreichischer Autoren. Die Palette reicht von Romanen über Kurzgeschichten, Essays und Skizzen zu Lyrik, Schauspiel und Kunstgeschichte. Von Egon Friedell erschienen die Werke Steinbruch. Vermischte Meinungen und Sprüche (1922) und Das Altenbergbuch (1922), von Fritz Karpfen herausgegeben Das Egon Schiele-Buch (1921), von Alfred Grünewald insgesamt vier Werke, und zwar: Pavor nocturnus. Fünf Einakter (1921), Mutter. Ein Requiem (1920), Die Streiche des Herrn Sassaparilla (Holzschnitte, Initialen und Titelzeichnung von A. Leskoschek) (1922), Ergebnisse (1921). Weiters erschienen Max Hayeks Studie über den Graphologen Raphael Schermann – Das Geheimnis der Schrift (1923), seine Übersetzungen von Walt Whitman – Gesang von mir selbst (1920), Prentice Mulfords Der unendliche Geist des Guten. Essays (1922) und William E. Bartons Die Parabeln des weisen Safed (1922). Von Friedrich Wallisch und Friedl Schreyvogl erschienen die Romane Genius Lump (1922) bzw. Der Antichrist (1921). Humoristisches von Alexander Max Vallas[5] erschien 1920 unter dem Titel Wie ich seziert wurde und Juristisches von RA Dr. Walter Rode Justiz, Justizleute und Anderes (1921). 1920 erschien das Werk Spuk. Drei phantastische Geschichten. (Mit vier Schwarzweiß-Zeichnungen von Arthur Paunzen) von Herbert Barber und 1921 ein Werk von Arthur Stadler – Masken. Schauspielerbildnisse. 1922 erschien ein Werk von Erich Singer, das bald in die „Giftschränke“ öffentlicher Bibliotheken wanderte und spätestens 1933 in Deutschland verboten war: Die rote Laterne. Die schönsten Bordellgeschichten der Weltliteratur (Zeichnungen und Umschlag von Arthur Stadler). Im selben Jahr gab Anton Kuh eine Auswahl der Schriften Ludwig Börnes u.d.T. Börne der Zeitgenosse heraus. Ein weiteres Werk, das 1920 herauskam, fällt etwas aus dem Verlagskonzept heraus, und zwar Heinrich Wertheimers Das Verjüngungsproblem. Im Lichte der Steinachschen Entdeckungen. Volkstümlich dargestellt. Der Verlag der Wiener graphischen Werkstätte veranstaltete 1922 einen bibliophilen Druck von Goethes Natur, für den Sascha Kronburg, Gattin des Verlagsmitarbeiters Max Hayek, die Rahmen zeichnete. Die Auflage war auf 330 signierte Exemplare beschränkt. Zu erwähnen wären nur noch L.W. Rochowanskis Abend-Morgen-Mittag aus dem Jahre 1920 sowie A.M. Renners Sulamith. Ein Roman in Gefühlen (Mit acht Steinzeichnungen von Axl Leskoschek).

Wie im Fall der meisten Autoren gehörten auch die meisten Künstler, die dem Verlag Buchschmuck, Umschlagzeichnungen usw. lieferten, der jüngeren Generation an: Carry Hauser (Jg. 1895), Sascha Kronburg (Jg. 1893), M. Fischer, Bernd Steiner (1884-1933), Gustav Marisch (Jg. 1887), Franz Plachy, Arthur Stadler (1892-1937), Arthur Paunzen (Jg. 1890), Axl Leskoschek (1889-1976), Hans Neumann (Jg. 1888), Franz Wacik (1883-1938), Viktor Leyrer und Franz Wimmer.

Wiener graphische Werkstätte 3Auch gebrauchte der Verlag eine Reihe von verschiedenen Signets. Von den fünf nachgewiesenen Beispielen dürfte eines vom Mitbegründer Hans Jordan stammen. Dies ist das allererste beherrschende Signet, das eine sitzende weibliche Figur im Dekolletékleid mit glockenartigem Unterteil darstellt. Auf ihrem hochgezogenen Haarschopf sind die Großbuchstaben W G W plakativ aufgedruckt. In der Hand hält sie eine Blume, auf der eine weitere nackte weibliche Figur aufragt. Auch hat das Motiv einer über Berggipfel aufgehenden Sonne Verwendung gefunden. In einem Werk wurde das Kapitell einer Karyatide mit den Buchstaben W G W darüber als Verlagssignet benützt. Schließlich hat der Verlag einfach die doppelt gezogenen Buchstaben W W mit dem Buchstaben G dazwischen leicht nach unten versetzt verwendet und dasselbe Muster mit verschnörkelter Schrift.

Wenn der Verlag der Wiener graphischen Werkstätte nicht so früh in die Einflußsphäre des Rikola-Konzerns geraten wäre, hätte er sicherlich dem einen oder anderen heimischen Autor eine bleibende Heimstätte geboten, aber gerade die großen Konzerne, die in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, konnten dies nicht tun. Der Verlag der Wiener graphischen Werkstätte bleibt einer der interessantesten Versuche der jungen Republik, die heimische Literatur zu repatriieren bzw. zu fördern und die buchkünstlerische Gestaltung besonders zu pflegen.

Anmerkungen

[1] Quellenhinweis: Handelsgericht Wien. Registerakt C 32, 91 (WrStLa).

[2] Siehe BC, Nr. 17, 23.4.1919, S. 238: „Konzessionen erhielten (…) Platzer, Adolf, zum Betriebe des Buch- und Kunstverlages.“

[3] Siehe „Gremialnachrichten“, in: Deutschösterreichische Buchdrucker-Zeitung, 48. Jg., Nr. 3, 5.2.1920, S. 1: „Die n.-ö. Landesregierung hat an folgende Firmen die Konzession zum Betriebe des Buchdruckgewerbes erteilt: (…) Jordan Johann, im Standort Wien, VII., Schottenfeldgasse 53. (…)“

[4] Dieses Schreiben findet sich im Registerakt des Handelsgerichts Wien (WrStLa).

[5] Vallas ist am 12.7.1884 in Preßburg geboren und war neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit als Fachkonsulent der Handelskammer beschäftigt. Obwohl Jude, ereilte Vallas das Schicksal der meisten seiner Leidensgenossen erst fünf Jahre nach dem „Anschluß“. Er wurde nämlich am 8. Juli 1943 von der Gestapo festgenommen und in Schutzhaft genommen. Der Grund: Er hatte wiederholt ohne polizeiliche Genehmigung Wien verlassen, die Straßenbahn benutzt und seine Wohnung nicht gekennzeichnet. Während der „Systemzeit“ galt er als eifriger Anhänger des Dollfußregimes und war wegen mehrerer Verstöße gegen die Kennzeichnungsverordnung bereits vorbestraft. Mit einiger Sicherheit ist Vallas in ein KZ gekommen. (Quelle: ÖSta, AVA, GESTAPO, Staatspolizeileitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 3 vom 9.-12. Juli 1943, S. 3, Leitz-Ordner, Nr. 8.)

Die Kommentare wurden geschlossen