II. Aspekte der Entwicklung des Verlagswesens in der Republik bis 1932

II. Aspekte der Entwicklung des Verlagswesens in der Republik bis 1932

Das, was man traditionell vor 1918 aufrichtig bedauerte, nämlich das Fehlen einheimischer belletristischer Verlage, mußte man ab 1919 nicht mehr resignierend konstatieren. Gerade als Paradoxon zur wirtschaftlichen Lage, zur Zeit ärgster wirtschaftlicher und sozialer Not, erlebte das Verlegen schöner Literatur in Österreich eine einmalige Blüte. Andererseits ist diese „Pilzatmosphäre“ so etwas wie ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Entwicklung in Österreich. Noch war die Ausgangslage der neuen Verlagsunternehmen anders als die der schon vor dem Krieg existierenden, etablierten und spezialisierten Verlage. Solche Verleger von Schulbüchern, Gesetzeswerken, verwaltungstechnischen Büchern und dgl., aber auch der Buchhandel waren auf die Bedürfnisse der ganzen Doppelmonarchie abgestimmt. Sie mußten sich infolge des Zusammenbruchs mit den gewaltigen Gebietsabtretungen und der Tatsache abfinden, daß Deutschösterreich nur mehr 22 % der Bevölkerung des alten Österreich umschloß. Für die neuen Verlagsanstalten hingegen waren diese politischen Folgen des Kriegs eigentlich unerheblich.

Verblüffend ist nicht nur die große Anzahl der vor allem in den ersten fünf Jahren der jungen Republik neugegründeten Verlage, die programmatisch oft deckungsgleich und furchtlos der jungen österreichischen Literatur eine Heimstätte bieten wollten. Genauso auffallend war ihre Kurzlebigkeit. Schuld an der Tatsache, daß mehr als ein Dutzend junger Verlage nicht oder gerade noch die Mitte der 20er Jahre erlebten, war nicht die wirtschaftliche Entwicklung allein. Dazu gehörten auch Unerfahrenheit, Konzeptlosigkeit und schlechte Geschäftsführung.

Ein alles andere als wehmütiges Bild dieser Anfangssituation zeichnet ein „junger Österreicher“ und Verlagswechsler namens Carl Julius Haidvogel Ende der 20er Jahre:

Große Vorzeichen standen am Beginn unserer Epoche: Krieg und Umsturz. Die Gelegenheit, sich in diesen Tagen künstlerisch durchzusetzen, schien, an der wirtschaftlichen Konstellation betrachtet, schlechter denn je, Doch sonderbar – damals war Bücherverlegen Konjunktur. Das klingt nicht so paradox, bedenkt man, daß um diese Zeit so ziemlich alles Geschäftemachen Konjunktur bedeutete. Also auch Literatur. in der Pilzatmosphäre der ewigen Krisenschwüle schossen die neuen Verlage auf. Abgetakelte Existenzen des Weltkrieges, Mokkaliteraten, sehr viel zugereiste und bodenständige Währungsverdiener „machten“ in Büchern. Die erschütterte Wirtschaftslage war ihnen geschickter Vorwand für seiltänzerische Geschäftsgebarung. Die Fragwürdigkeit solcher Geschäftsbeziehungen mußte natürlich schmackhaft verzuckert werden. Was lag näher als mit dem Schlagwort „den Jungen helfen“ das Verlagsgeschäft zu etablieren. Die spekulative Arbeit war nicht mißzuverstehen. Da man keinen Vertrauenskredit bei den Arrivierten hatte und auch nie zu bekommen hoffte, angelte man nach uns jungen. Man rechnete richtig damit, daß wir, trächtig vom Erlebnis der großen Staats- und Gesellschaftskatastrophe, danach brennen müßten, unsere neuen Traktate auf die Menschen loszulassen und willig auf den leckeren Köder gingen. Die Rechtsverbindlichkeit bei allen diesen Geschäften erschöpfte sich meistens in schmeichlerisch versüßten Versprechungen. Die scheinbar seriöseren unter den „Buchmachern“ gaben sogar Vertrage; es waren Monstra an Rechtshinterhalten. Der Subskriptionsvertrag war gang und gäbe, wobei man natürlich die Subskriptionsarbeit dem Autor übertrug. Jeder war sein eigener Laufbursche der Berühmtheit. Einige wenige hatten das Glück und erlebten es, die aussichtslose Hoffnung von Jahren in Buchform verwirklicht zu sehen: elendestes Holzpapier, schäbigsten Rotationsdruck, unmöglichstes Format, und stümperhaftesten Buchschmuck. Ebenso wie sich ein ins Buchgewerbe geratener Kommis, ein Engrossist in Literatur, ein Händler mit geistiger Fertigware ein Buch vorstellt. Schließlich waren knapp hundert Leute um ein schleißiges Bündel Papier und der Autor um ein Dokument für seine geschäftliche Ahnungslosigkeit, nämlich um den nie erfüllten Vertrag, reicher geworden.

Der Inflationsspuk ist zerronnen, die Geschäftsprinzipien sind ernster, klarer, vorsichtiger geworden.[1]

Für die hier von Haidvogel ausgeteilten Prädikate kommen, wie man den Ausführungen über einzelne Verlage im zweiten Teil dieser Arbeit entnehmen kann, eine Reihe von Verlegern in Frage! Aber es wäre unzulässig, alle Verlage über einen Kamm zu scheren. Zutreffend ist es jedoch, daß Verlage, deren Geschäftsanteile von Pleitebank zu Pleitebank geschleppt wurden, mit diesen auch begraben wurden.

Die Kurzlebigkeit der meisten belletristischen Verlage der neuen Republik war mit ein Grund dafür, daß sie auch keine Trägerrolle für die heimische Literatur annehmen, annehmen konnten. Verlage, denen diese Rolle hätte zufallen können, waren zu sehr an dem Spekulationsobjekt „Buch“ interessiert oder konzeptlos geführt. Dabei hätte eine tüchtige Verlegerpersönlichkeit gerade in der Zeit, als Deutschland von der schwersten Inflation erfaßt war, ohne weiteres die „österreichische Literatur“ und deren Vertreter „repatriieren“, sie durch finanzielle Vorteile zum Verlegen in Österreich bewegen können. Das geschah allerdings kaum: Allein Paul Zsolnay nützte diese Gelegenheit aus. Auch wegen dieser Kurzlebigkeit entwickelten sich keine „Verlagsautoren“, wie sie in Deutschland seit jeher bekannt waren. Sollte ein bekannterer österreichischer Autor ein Werk in einem heimischen Verlag erscheinen lassen, blieb es in der Regel bei diesem einen Werk. Die Vorherrschaft reichsdeutscher Verlage wie S. Fischer, Insel-Verlag, L. Staackmann Verlag, Kurt Wolff Verlag u.a. blieb weiterhin ungebrochen.

Wodurch war diese „Pilzatmosphäre“, diese Blüte eigentlich begünstigt? In hohem Maße durch eine doppelte Inflation, und man kann hier – stellt man Verleger und Buchhändler einander gegenüber – den Spruch anwenden: „Des einen Freud‘, des anderen Leid“, obwohl selbstverständlich auch Verlage von der Inflation (Preiserhöhungen, Verteuerung der Herstellungskosten) betroffen waren. Aber als die Währungsstabilität erreicht und die Konjunktur vorbei war und eine Fehlspekulation gigantischen Ausmaßes im Frühjahr 1924 zum Börsenkrach führte, bedeutete dies für einige Verlage das Aus.

Im folgenden ist weniger eine Chronik der Entwicklung im Verlagswesen der Zeit bis 1932 beabsichtigt, selbst auf die Gefahr hin, daß unsere Ausführungen über die Zeit 1933-38/39 dann umfangmäßig disproportional erscheinen. Das hat drei Gründe: Zum einen werden viele Entwicklungen und Zeiterscheinungen in den Abschnitten über einzelne Verlage behandelt, und zum zweiten betreffen viele Faktoren, Erscheinungen dieser Zeit, ausdrücklich und nahezu ausschließlich den Buchhandel in Österreich (etwa: die deutsche Auslandsverkaufsordnung, Markbeschaffung, „Bücherblockade“, Umrechnungskurse, Teuerungszuschläge, Preistreiberei etc.) und haben nur wenig Bezug zum Verlag. In einem treffen sie sich, und zwar in der immer wieder aufflackernden und nie abreißenden Diskussion über Bücherpreise, die die Wiener Tageszeitungen auslösten. Zum dritten handelt es sich während dieses Zeitraums um vorwiegend handels- und wirtschaftspolitische Probleme und Fragen, also noch ohne ideologischen oder parteipolitischen Anstrich. Aus diesem Grund war das Erkenntnisinteresse an der Zeit nach 1933 umso ausgeprägter. Doch zunächst kurz zum wirtschaftlichen Hintergrund nach 1918.

Zur Erinnerung: Der Friedensvertrag von Saint-Germain hatte, wie es im Österreichischen Jahrbuch 1920 etwas wehleidig heißt,

den hilflosen Kleinstaat Deutschösterreich geschaffen, der, seiner wichtigsten Industriegebiete beraubt, nicht imstande, auch nur einen beträchtlichen Bruchteil seiner Lebensbedürfnisse zu decken, fast ohne Kohle, ohne die wichtigsten Rohstoffe, mit der Hauptstadt eines Großstaates und einem Heer von Beamten und Angestellten belastet, wirtschaftlich abhängig von feindlich gesinnten Nachbarn, von einer ungeheuren Schuldenlast, die er von der Monarchie ererbt hatte, erdrückt, noch obendrein die furchtbaren Lasten hatte auf sich nehmen müssen, die der Friedensvertrag ihm auferlegte.[2]

Um in dieser Diktion zu bleiben: Das Rad der Wirtschaft im „wirtschaftlich ohnmächtigste(n) Staat der Welt“ war zum Stillstand gekommen. Es gab eine Reihe von besonderen Problemen, die in einen circulus vitiosus mündeten:

1. den Überschuß an Personal, der durch die gewaltige Verkleinerung des Verwaltungsgebietes und das Rückströmen von Beamten aus den neugebildeten Staaten verursacht wurde.

2. den Kohlenmangel in einem Land, das nur über ein halbes Prozent der Kohlenvorräte des alten Staates verfügte. So deckte die Gesamtlieferung in- und ausländischer Brennstoffe im Jänner 1919 nur 27,2% des vollen Bedarfs, im Dezember d.i. immerhin 41,9%. Infolge der schlechten Belieferung mit Kohle wurde die Leistungsfähigkeit der Industrien auf durchschnittlich ein Viertel herabgedruckt. Die Papierindustrie, eine der wichtigsten Deutschösterreichs, für die Rohstoffe im Inland vorhanden waren, arbeitete im Jahre 1920 mit 20% ihrer Kapazität. Im Jänner 1920 erhielt sie bloß 32,5% ihres vollen Bedarfs an Kohle, im Oktober desselben Jahres 52,2%. Diese Minderproduktion von Papier wirkte sich daher auf die Verlage aus, die zunächst mit Papier minderer Qualität auskommen mußten. Wegen der ständig steigenden Kosten wurde es fast unmöglich, Neuauflagen älterer, vergriffener Werke herzustellen. Wurden Verlagswerke in zu hoher Auflage gedruckt, dann kam es gegen Mitte der 20er Jahre vor, daß die Werke eben wegen des holzhältigen Papiers keine Käufer mehr fanden und verramscht werden mußten.

3. die fortwährende Geldentwertung, also konkret die Kroneninflation im Inland und die sich indirekt auswirkende Markinflation, führte zu einer chaotischen Preisgestaltung im Buchhandel, d.h. zur Unmöglichkeit, Preise für längere Zeit stabil zu halten. Für die neuen Verlage andererseits wirkte sich dieser Umstand zeitweise positiv aus. Viele bemittelte Käufer wußten während der Inflation, die u.a. durch eine Spekulationswelle unglaublichen Ausmaßes gekennzeichnet war, daß bei stärkerem Ansteigen der Bücherpreise ein rechtzeitiger Einkauf Ersparnisse bedeutete. Es war die bekannte Flucht in Sachwerte, bei der primär Luxusausgaben mit schöner Ausstattung und gutem Papier eine Hochkonjunktur genossen. Anders ist die merkwürdige Tatsache nicht zu erklären, daß noch so kleine Verlage, die von der Hand in den Mund lebten, Luxus- bzw. Sonderausgaben ihrer Werke veranstalteten. Als die Preise wieder stabil wurden, war diese Kapitalsanlage weniger attraktiv. So entsprangen der Ruf nach dem „billigen Buch“ für die weniger Bemittelten und der Vorwurf des „Bücherwuchers“ verwandten Motiven. Es war daher klar, daß Buchhändler mehr Interesse am Verkauf teurerer Werke hatten. Aus dieser Perspektive muß die Gründung der „Tagblatt-Bibliothek“ im Jahre 1923 als eine Pioniertat angesehen werden. Der Sturz der Kronenwährung im Jahre 1919 schuf eine Hochkonjunktur für die Ausfuhr, zumal die Preise für österreichische Verlagswerke im Inland zwar fortwährend hinaufschnellten, im Ausland (und selbstverständlich nicht nur für „Bücher“) aber sanken. Mit anderen Worten: Die Entwertung der Krone wirkte als „Ausfuhrprämie“. Vergleichen wir nun die Bewegung des Kronenkurses, die Steigerung des Buchhändler-Markkurses in Österreich, den Index der Kosten der Lebenserhaltung und die Entwicklung des auswärtigen Handels in Druckschriften, um die ökonomischen Rahmenbedingungen für neue und bestehende Verlage zu umreißen.

Die Lebensunfähigkeit Deutschösterreichs unter den gegenwärtigen Verhältnissen drückt sich in der Bewegung des Kronenkurses aus. Am 9. Dezember 1919 hatte die Auszahlung Wien in Zürich den bis dahin tiefsten Stand von 2,75 Centimes erreicht. Sie erholte sich dann ein wenig, um am 27. Jänner auf 1,60 Centimes zu fallen. Bei einem Kurssturz in April kam sie auf 1,45. Ihren Höchststand im Jahre 1920 erreichte sie am 26. Mai mit 4,25 Centimes. Dann begann eine bald langsamer, bald schneller fortschreitende rückläufige Bewegung. Am 20. Dezember notierte die Devise Wien in Zürich 1,30, die Kronennote gar nur 0,90 Centimes. Ein noch traurigeres Bild ergibt ein Vergleich der Notierungen der Wiener Devisenzentrale Ende 1919 und Ende 1920. Die Devisen Amsterdam, London und Zürich sind auf das Dreieinhalbfache, der Dollar auf das Vierfache, die tschechoslowakische Krone auf mehr als das Zweieinhalbfache, die Mark auf mehr als das Dreifache der damaligen Notierung gestiegen.[3]

Die Entwicklung im Jahre 1921 geht aus folgendem Bericht hervor:

Die katastrophale finanzielle Lage des Staates kommt in folgenden Zahlen zum Ausdrucke. Am 1. Jänner 1921 stand die Kronennote in Zürich auf 1,05, am 31. Dezember auf 0,11. Noch schlimmer steht es mit der Bewertung der Auslandsdevisen an der Wiener Börse. Zu Beginn des Jahres 1921 galt die Mark 9,01, die tschechoslowakische Krone 7,34, der Schweizer Franken 99,50, der Dollar 654, das Pfund Sterling 2320 österreichische Kronen. Ende 1921 hatte die Mark einen Kurs von 30,-, die tschechoslowakische Krone 78,92, der Schweizer Franken 1028,75, der Dollar 5338, das Pfund Sterling 23.000 Kronen erreicht.[4]

Trotz Inflation im Inland war der Auslandspreis österreichischer Verlagswerke daher in der Relation niedrig.

Der Wertverlust der Krone spiegelt sich auch in der Entwicklung des wichtigen Markumrechnungskurses, was wiederum auch zu einer ständigen Verteuerung der Bücher in Österreich beitrug. Nach den laufenden Angaben in der Buchhändler-Correspondenz läßt sich diese Entwicklung nachzeichnen: der Vorkriegsstand des Buchhändler-Markkurses lag bei 1,20 K, im November 1918 bei 2,- K, im Oktober des folgenden Jahres bei 3,20 K. 1920 sind starke Schwankungen zu registrieren. Im April steht der Markkurs bei 3,90 K, Anfang November bei 6,07 K. Für den Buchkäufer kam noch ein Teuerungszuschlag hinzu, und weil dieser Zuschlag dem Durchschnittsmenschen nicht einsichtig war, kam es des öfteren in der Presse zu harten Vorwürfen an die Adresse der Buchhändler. Ab 1. Dezember 1920 trat ein neuer Umrechnungsschlüssel in Kraft, in dem der Teuerungszuschlag schon enthalten war. Ende 1920 stand der Kurs schon bei 9,20 K, was eine fast achtfache Steigerung allein des Umrechnungskurses bedeutete. Nicht nur der Buchhändler, auch der Verleger mußte seine Preise ständig – ein gutes Beispiel ist das Jahr 1920 – revidieren. Verlagsanzeigen in der Buchhändler-Correspondenz 1920 sind voll mit Hinweisen wie den folgenden:

Die unaufhörlich sich steigernden Herstellungskosten sowie die neuerliche Erhöhung der Frachtsätze zwingen uns vom 15. Januar 1920 angefangen die Preise unserer nachbenannten Verlagswerke in folgender Weise abzuändern: … (Nr. 1, 7.1.1920, S. 13: Wiener Literarische Anstalt)

Durch die andauernde Entwertung der Papierkrone und das sprunghafte Emporschnellen aller laufenden Herstellungskosten und Spesen der Betriebsführung sehe ich mich gezwungen, die jetzt bestehenden Kronenpreise meines Verlages mit Wirkung vom 1. Januar 1920 durch einen Zuschlag von 50% zu erhöhen. Die hierdurch neu gebildeten Kronenpreise gelten ausschließlich für das Gebiet der Republik Österreich. (Ebenda, S. 15: A. Hartleben’s Verlag)

Die fortgesetzte Steigerung der Papier-, Druck- und Buchbinderpreise sowie die durch den neuen Kollektivvertrag verursachte wesentlich gesteigerte Spesenbelastung zwingen uns, die Ladenpreise (…) zu erhöhen. (Nr. 2, 14.1.1920, S. 24: Alfred Hölder)

Preiserhöhung! Trotzdem wir erst vor kurzem die Preise nachstehender Werke erhöhen mußten, zwingen uns die in der letzten Zeit so wahnsinnig in die Höhe geschnallten Papier- und Buchbinderkosten abermals, eine Preiserhöhung vorzunehmen. (Nr. 8 u. 9, 3.3.1920, S. 112: Karl Konegen)

Die geradezu unerhörte Verteuerung der gesamten Herstellungskosten zwingt uns, die Preise unserer Verlagswerke neu festzusetzen. Wir bitten die Herren Kollegen, die neuen Preise zur Kenntnis zu nehmen. Alle früher durch die Buchhändler-Correspondenz bekanntgegebenen Preise werden hierdurch aufgehoben. (Nr. 10 u. 11, 17 3.1920, S. 132: Wiener Literarische Anstalt)

So weit die ausgewählten Beispiele, die die Marktbedingungen österreichischer Verlage aufzeigen.

Wie angedeutet, führten Vorwürfe der Presse betreffend „Bücherblockade“, „Bücherschieber“, „Bücherwucher“ usw. zu längeren Debatten über das Zustandekommen der Buchpreise und zur Einführung einer amtlichen Regelung der Bücherpreise in Österreich,[5] da Buchhändler mit dem Preistreibereigesetz[6] immer wieder in Konflikt gerieten.

Die Buchhändler ihrerseits konnten mit Recht „Das Märchen vom teuren Buch“[7] durch Zahlen widerlegen und sogar zeigen, daß Bücher relativ billiger geworden waren. Sie waren auch bemüht, recht plastische Beispiele anzufahren. So kostete ein Reclam-Buch „früher 24 Heller jetzt 42 Kronen“, was eine Erhöhung um „nur das 175-fache“ bedeutete. Ein Konegen-Kinderbuch mit buntem Umschlag kostete „früher 30 Heller jetzt 45 Kronen“ und sei daher um „nur das 150-fache“ gestiegen. Eine kleine Tafel Schokolade hingegen kostete „früher 24 Heller jetzt 120 Kronen“, was eine 500-fache Preissteigerung bedeutete. Ähnlich hätte sich der Preis eines Insel-Romans von 1913 bis Mitte November 1921 um bloß das 234-fache verteuert, „andere Geschenke“ hingegen, wie eine Flasche Kölnisches Wasser um das 775-fache, eine Kiste Zigarren (Regalia media) um das 750-fache, eine Lederhandtasche um das 500-fache usw.

Der offizielle Verbraucherpreisindex (Juli 1914: 1), aus dem auch die Preisentwicklung einzelner Waren österreichweit hervorgeht, zeigt ein noch drastischeres Bild des Kaufkraftschwunds, der die Bücherpreise deutlich höher erscheinen läßt. Hier ein Auszug aus den Indexzahlen (Kosten der Lebenshaltung) für die Zeit zwischen Juli 1914 und Dezember 1922:[8]

Jul.141
Jul.15
1,6
Jul.16
3,4
Jul.17
6,8
Jul.18
11,7
Nov.18
13,4
Jul.1925,1
Jul.2051,5
Jul.21
100
Okt.21
190
Jän.22
664
Feb.22784
Mär.22792
Apr.22
872
Mai.22
1.093
Jun.221.871
Jul.222.645
Aug.225.932
Sep.22
11.306
Okt.22
10.332
Nov.22
9.701
Dez.229.375

Die frühere Feststellung, daß die triste Wirtschaftslage zur „Pilzatmosphäre“ beitrug und die Gründung neuer belletristischer Verlage einerseits und die verstärkte Ausfuhr österreichischer Bücher andererseits begünstigte, findet ihre Bestätigung in den Handelsstatistiken, die dem Statistischen Handbuch der Republik Österreich entnommen sind.Wie sich die Preise bei Verlagswerken einzelner Verlage entwickelten, wird in den betreffenden Ausführungen behandelt.

Ihren Höchststand erreichte die Büchereinfuhr nach Österreich in den Jahren 1920 und 1922, worauf 1923 durch die deutsche Inflation und den ständigen Wechsel der Preise ein Rückschlag erfolgte. Danach begann die Einfuhr wieder anzusteigen. Auch die Ausfuhr stand 1920 am höchsten, sank aber gleichfalls im Jahre 1923, um danach wieder allmählich anzusteigen. Auffallend ist die Entwicklung von Einfuhr- und Ausfuhrüberschuß. So gab es 1920 und 1922 einen Einfuhrüberschuß, 1921 aber einen kleinen Ausfuhrüberschuß. Interessant ist die Tatsache, daß in den Jahren 1923 bis 1925 (1926 ist der Handel in literarischen und Kunstgegenständen fast ausgeglichen) recht deutliche Ausfuhrüberschüsse zu verzeichnen sind. 1923: 29%; 1924: 33%; 1925: 16%. Einige Faktoren dürften für diese Entwicklung maßgeblich gewesen sein: die Stabilisierung der Währung in Österreich und, damit verbunden, die steigende Kaufkraft des Publikums, die „importierte Bücher“ wieder „erschwinglich“ machte, und die Stabilisierung der Markwährung.

Versucht man, den Handel mit Büchern bis etwa Mitte der 20er Jahre zu überblicken, so ergibt sich – nach Ländern aufgeschlüsselt – folgendes Bild: Etwa 85% der Gesamteinfuhr stammten aus Deutschland, während weitere 4-5% aus der Tschechoslowakei kamen. Zwischen ein Viertel und 1/3 der österreichischen Buchexporte zu dieser Zeit gingen nach Deutschland, zwischen 10 und 20% nach der Tschechoslowakei, 5-10 % nach Jugoslawien, Ungarn, der Schweiz und den Niederlanden.

Eine Frage, die noch in Zusammenhang mit der „Pilzatmosphäre“ der Nachkriegsjahre angeschnitten werden muß, ist die der Konzessionspflicht. Die Flut von Verlagsneugründungen ab 1919 verleitet zum Schluß, daß die Konzessionserteilung etwas laxer gehandhabt worden wäre. Dies ist auch z.T. der Fall gewesen, aber wie konkrete Beispiele zeigen, schien es im Gegenteil schwieriger, zu einer Konzession zu kommen. Das hängt wiederum damit zusammen, daß die Gewerbe-Ordnung den „Verleger“, genauer: den „Nur-Verleger“ ja gar nicht kannte und erst in den 30er Jahren entdeckte. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gab es fast ausschließlich den Verlagsbuchhändler, der berechtigt war, Bücher zu verkaufen und selbst zu verlegen. Beispiele hiefür haben wir bereits gesehen. Ab 1919 sind die vielen Verlagsneugründungen so gut wie ohne Ausnahme Verlage ohne offenen Ladenverkehr – und nicht wie in den vergangenen Jahrhunderten auch Buchverkäufer. Und das war eine der größten Neuerungen im österreichischen Verlagswesen neben der betonten Hinwendung zur schöngeistigen Literatur.

Die Gewerbe-Ordnung nach dem Gesetz vom 15. März 1883 (RGBl. Nr. 39) kannte praktisch nur den Drucker und den (Buch-) Händler, nicht aber den Verleger (Nur-Verleger) im heutigen Sinne. Beide Gewerbe waren nach § 15. Pkt. 1 konzessionspflichtig, wobei der Drucker über Theorie („ordnungsmäßige Erlernung“) und Praxis („eine mehrjährige praktische Verwendung“) Bescheid wissen mußte und der Buchhändler sich „mit einer zum Betriebe dieser Gewerbe genügenden allgemeinen Bildung auszuweisen“ hatte. Im § 23 („Besondere Erfordernisse“) wurde aber für diese Gewerbezweige „eine besondere Befähigung gefordert“, und bei Verleihung einer solchen Konzession war „überdies auf die Lokalverhältnisse Bedacht zu nehmen“. Der Nachweis der Befähigung blieb weitgehend Ermessenssache.

Da es nach allgemeiner Ansicht nach dem Krieg in Wien ohnehin zu viele Buchhandelskonzessionen gab, war man bei Verleihungen oft restriktiv. Daher war der häufigste Grund für eine Ablehnung Mangel an Lokalbedarf, was nach Ansicht von Kritikern bestenfalls und aus historischen Gründen – für den 1. Bezirk zutraf. Solche Ablehnungen beim Betrieb des Nur-Verlags waren natürlich absurd, denn mit einer solchen beschränkten Konzession war es vollkommen irrelevant, ob fünf oder sechs reine Verlagsunternehmungen sich in diesem oder jenem Bezirk etablierten, etablieren wollten. Der gewöhnliche Umweg bestand darin, sich mit einem Konzessionsinhaber zusammenzutun, der dann nominell und passiv in der Firma „tätig“ war.

1922 schien den Buchhändlern bzw. deren Vertretung ein Alptraum wahr zu werden. Der Nationalrat verabschiedete das „Bundesgesetz vom 7. April 1922 über die Presse“ (BGBl. Nr. 218/1922), ein Gesetzeswerk, das in manchen Bereichen die von alters her antiquierte Preßgesetzgebung in Österreich durch liberaleres Gedankengut ersetzte. Typisch war aber selbst hier, daß man im 1. Paragraphen konstatierte, daß die Freiheit der Presse „gewährleistet“ sei, und weitere fünfzig Paragraphen dazu brauchte, um sie gleich wieder zu relativieren. Schon die Aufhebung des Kolportageverbots (§ 9) war revolutionär, aber die Aufhebung der Konzessionspflicht (§ 6) war Zeugnis einer völlig neuen Gesinnung für Österreich:

(1) Zum Betriebe eines Gewerbes, das die Herstellung, den Verkauf oder das Verleihen von Druckwerken zum Gegenstande hat, bedarf es keiner besonderen Bewilligung (Konzession).

Diese neue Bestimmung ist nicht sofort in Kraft getreten: Die alte Bestimmung in der Gewerbe-Ordnung, die sie ersetzte, sollte ihre Wirksamkeit erst in 3 3/4 Jahren, am 1.1.1926, verlieren. Theoretisch. Für die Standesvertretung der Buchhändler – die Rolle, die man in jenen Kreisen dem Verleger zudachte, kann man nicht einmal als „unbedeutend“ bezeichnen – war das ziemlich das Schlimmste, was je passieren konnte, aber sie hatte einstweilen andere Sorgen: die Reorganisation des Vereins mit neuen Statuten, das Buchausfuhrverbot, die Valutazuschlags-Verordnung u.a. Es wurde ein energischer Kampf für die Beibehaltung der Konzessionspflicht geführt, bürgerliche Abgeordnete wurden motiviert, und schließlich pflegte der österreichische Nationalrat eine heimische Spezialität: das Provisorium. Nach Beschluß vom 1. Dezember 1925 sollte der bereits zitierte § 6 Pr.G. (Aufhebung der Konzessionspflicht) erst in zwei Jahren, also am 1.1.1928, in Kraft treten. Das Ganze war ein Zugeständnis der sozialdemokratischen Abgeordneten, die es ablehnten, die Konzessionspflicht als Definitivum wieder einzuführen. Im Dezember 1927 stimmte der Nationalrat dem Antrag zu, die Konzessionspflicht vorläufig bis 1.1.1930 aufrecht bleiben zu lassen. Im Dezember 1929 wurde vom Nationalrat beschlossen, die Konzessionspflicht bis 31.12.1932 beizubehalten. Und nach dem Motto: Es ist nichts so beständig wie Provisorien, wurde mit Gesetz vom 21.12.1932 die Konzessionspflicht für das Buchhandels- und Leihbibliotheksgewerbe bis zum Ende des Jahres 1934 verlängert.

Doch die Standesvertretung der Buchhändler in Österreich konnte ihren sehnlichsten Wünschen viel leichter in einem autoritär regierten Staat zur Erfüllung verhelfen als in einem demokratisch gewählten Parlament.

Im Jahre 1932 wurden beispielsweise 30 neue Konzessionen erteilt, bzw. es wurde der Umfang bestehender Konzessionen erweitert. Unterm Strich waren das acht weniger als im Vorjahr.[9]

Insgesamt war die Zahl der Konzessionen überhaupt von 567 in der Vorkriegszeit auf 867 im Jahre 1932 gestiegen. Alle Ansuchen, die in diesem Jahr an die Korporation gerichtet wurden, betrafen Verlage.

Eine besondere Freude hatten Buchhandelsvertreter mit einer Notverordnung („Sperrverordnung“) vom 12. März 1933. Durch diese wenige Tage nach der Ausschaltung des Parlaments erlassene Verordnung war der Bundesminister für Handel und Verkehr ermächtigt, mit einem Federstrich ziemlich viel einfach zu verbieten, darunter den Antritt von Gewerben und die Erwerbung bestehender Berechtigungen.[10] Die Vertreter des Vereins der österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhändler wußten nun, was sie sich selbst schuldig waren:

Selbstverständlich werden auch die buchhändlerischen Organisationen alle erforderlichen Schritte unternehmen, um für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel eine Sperre durchzusetzen. Es ist zu begrüßen, daß der Gedanke einer Gewerbesperre, der von unseren Organisationen bereits seit einigen Jahren vertreten wird und dessen Verwirklichung in verschiedenen Eingaben gefordert wurde, nun endlich zur Tat wird.[11]

Obwohl die Beibehaltung der Konzessionspflicht und die Gewerbesperre aus der Sicht der konkurrierenden Buchhändler gerechtfertigt erscheinen mögen, darf nicht unerwähnt bleiben, daß sie am liebsten sämtliche Zeitschriften-Verlage, Volksbüchereien, Buchgemeinschaften, Schülerläden, Zeitungskioske abgeschafft hätten – wegen der unliebsamen Konkurrenz.

Daß der autoritäre Ständestaat es vermochte, ihre Wünsche zu erfüllen, zeigt schließlich die „Gewerbeordnungsnovelle 1934“. Für sie war es „eines der gewerbefreundlichsten Gesetze“.[12] Die Ausübung des Buchhandels blieb konzessionspflichtig. Am 14. Jänner 1935 erschien die „Verordnung des Bundesministers für Handel und Verkehr über den Befähigungsnachweis für den Handel mit Preßerzeugnissen und den Betrieb von Leihanstalten für derlei Erzeugnisse und von Lesekabinetten.“ (BGBl, Nr. 11/1935)

Wichtigste Bestimmung in unserem Kontext: die erstmalige Miteinbeziehung des Verlagsgeschäfts:

§ 3. Bewerber um die auf den Betrieb des Verlagsgeschäftes beschränkte Konzession brauchen bloß die im § 2 verlangte Mindestschulbildung nachzuweisen.

Mit anderen Worten: Für den Verlagsbuchhandel entfiel jeder formelle Befähigungsnachweis. Der Bildungsnachweis sollte aber ebenfalls in einer die Untermittelschule übersteigenden Schulbildung bestehen.

Im nächsten Abschnitt dieser Arbeit gehen wir ausführlicher auf die Entwicklungen der 30er Jahre ein, da nun neben den weiterhin bestehenden wirtschaftlichen Problemen sowohl im Inland selber als auch im Handel mit dem Deutschen Reich (Devisenfrage) eminent politische Fragen eine zunehmend wichtige Rolle spielen und erstere sogar überlagern.

Anmerkungen

[1] CARL JULIUS HAIDVOGEL, Wir jungen Österreicher, in: Österreichische Monatshefte (Wien), 5. Jg., November/Dezember 1929, S. 554-559; hier S. 555.

[2] Österreichisches Jahrbuch 1920. Nach amtlichen Quellen. Zweite Folge. Wien, Buchhandlung Hermann Goldschmiedt, 1921, S. 3.

[3] Ebenda, S. 5 f.

[4] Österreichisches Jahrbuch 1921. Nach amtlichen Quellen. Dritte Folge. Wien, Kahlenbergverlag, 1922, S. 126.

[5] Dazu u.a. BC, Nr. 41-44, 26.10.1921, S. 317 f.

[6] Dazu u.a. Der österreichische Buchhandel und das Preistreibereigesetz. Wien, Manz, 1922. (11 Seiten).

[7] BC, Nr. 48-49, 30. 11. 1921, Beilage.

[8] Zitiert nach: Österreichisches Jahrbuch 1922. Nach amtlichen Quellen. Vierte Folge. Wien, Verlag der Wiener literarischen Anstalt A.G., 1923, S. 150. (Grundlage bilden die Mitteilungen des Bundesamtes für Statistik.)

[9] Anzeiger, 74. Jg., Nr. 12, 25.3.1933, S. 52 f.

[10] Dazu Anzeiger, 74. Jg., Nr. 11, 18.3.1933, S. 48 und Nr. 17, 29.4.1933, S. 80.

[11] Anzeiger, Nr. 11, 18.3.1933, S. 48.

[12] Anzeiger, 75. Jg., Nr. 28, 10.11.1934, S. 144. In diesem Abschnitt werden u.a. folgende Quellen herangezogen: Österreichische Gewerbe-Ordnung nebst einschlägigen Vorschriften (…) bearbeitet von Dr. LEO GELLER. Wien: Verlag von Moritz Perles, 1907; Die österreichische Gewerbeordnung. Text in der vom 1. September 1925 an geltenden Fassung, zusammengestellt von Dr. EGON PRAUNEGGER. Graz, Leykam Verlag, o.J., Die österreichische Gewerbeordnung. Mit Kundmachungspatent, auf Grund der Gewerbenovelle vom März 1933 sowie der Sperrverordnung und der Verordnung über das Verbot von Einheitspreisgeschäften. Mit Erläuterungen und Anmerkungen herausgegeben von Min-Sekr. Dr. ERNST STEINER-HALDENSTATT. Leipzig – Wien – Berlin: Steyrermühl-Verlag/Tagblatt-Bibliothek, o.J.

 

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